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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des Dr. M in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1995, Zl. 4.342.915/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Irak, der am 15. Mai 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 18. Mai 1993 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Mai 1993 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben:
Er sei Kurde und Katholik. Er sei einmal im Jahr 1983 festgenommen worden, nachdem er einer Person im Krankenhaus das Rauchen verboten habe, in Unkenntnis des Umstandes, daß es sich hiebei um eine Person aus dem Palast des Saddam Hussein gehandelt habe. Er sei drei Monate inhaftiert und hiebei auch geschlagen worden. Er sei ca. zehn- bis zwölfmal für ca. drei Stunden mit der Hand an der Decke angehängt worden. Dabei sei er einmal zu Sturz gekommen und habe sich am rechten Knie und am Kopf verletzt. Danach sei er an seine Arbeitsstelle zurückgekehrt.
Im Oktober 1985 sei er während seiner Wehrdienstzeit festgenommen worden, da er mit einigen Kollegen das kurdische Problem sowie die Sinnlosigkeit des irakisch-iranischen Krieges diskutiert habe. Er sei für vier Monate inhaftiert, dabei geschlagen und im Winter mit kaltem Wasser bespritzt worden. Weiters habe man ihm Elektroschocks versetzt und ihn manchmal für drei bis vier Tage nicht mit Lebensmitteln versorgt. Er habe sich freiwillig zu einer Schlacht gemeldet und sei aus dem Gefängnis entlassen worden. Er habe bei dieser Schlacht vorwiegend als Arzt gearbeitet, da er aufgrund seiner Sehschwäche für den Waffendienst nicht tauglich gewesen sei. Von 1989 bis 1991 habe er wieder in Bagdad am Saddam-Krankenhaus als Arzt gearbeitet. Seine Frau lebe und arbeite im Kurdengebiet in Kirkuk. Nach Ende des Golfkrieges sei es zum Kurdenaufstand gekommen. Als er am 19. März 1991 hievon gehört habe, sei er unverzüglich nach Kirkuk gereist, wo bei seiner Ankunft gerade die kurdischen Aufständischen gegen die irakische Armee gekämpft hätten. Am Morgen des 20. März 1991 hätten sich die Regierungstruppen zurückgezogen. Er habe sich "sofort den Kurden zur Verfügung" gestellt und "im Krankenhaus von Kirkuk Verletzte" behandelt. Nach vier Tagen habe die irakische Armee Kirkuk zurückerobert. Er sei samt Familie nach Suleimanieh geflüchtet. Dort sei die Lage zwar ruhig gewesen, jedoch seien verletzte kurdische Kämpfer und auch verletzte Iraker ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er habe geholfen, die Verletzten zu versorgen. Unter den verletzten Irakern habe sich ein Offizier befunden, welcher ein Verwandter des Stellvertreters Saddam Husseins gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe den in der Bauchgegend verletzten Iraker operiert, er sei jedoch während der Operation verstorben. Nach Eroberung Suleimaniehs durch die Regierungstruppen am 4. April 1991 hätten diese erfahren, daß dieser irakische Offizier verstorben sei und der Beschwerdeführer sei beschuldigt worden, diesen Offizier getötet zu haben. Er sei bis zum 6. April 1991 noch in Suleimanieh geblieben und anschließend nach Bagdad gefahren, wo er sich bei seiner Arbeitsstelle gemeldet habe.
Nach ca. einer Woche habe ihn ein Arbeitskollege verständigt, daß Regierungstruppen nach ihm gefahndet hätten und er sich nicht im Krankenhaus melden solle. Einen Tag danach habe dieser Arbeitskollege mitgeteilt, daß nach dem Beschwerdeführer wegen des Vorfalles in Suleimanieh gefahndet werde. Seither habe er sich nicht mehr im Krankenhaus gemeldet, sondern bei verschiedenen Verwandten versteckt. Nach zwei Monaten sei er nach Kirkuk zu seiner Gattin gefahren. Er habe bis zu seiner Flucht in Kirkuk bzw. in verschiedenen kurdischen Gebieten versteckt gelebt. Im Februar 1992 seien zwölf Angehörige des Offiziers zum Haus seiner Frau in Kirkuk gekommen und hätten dieser mitgeteilt, daß man den Beschwerdeführer töten würde, falls man seiner habhaft werde. Die Angelegenheit habe sich somit zu einer Blutrache entwickelt. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, was glücklicherweise bei weiteren ca. acht Nachfragen dieser Personen nach dem Beschwerdeführer im Haus seiner Frau der Fall gewesen sei. Im Oktober 1992 sei sein Bruder von diesen Personen angeschossen und verletzt worden. Mangels anderer Feinde nehme der Beschwerdeführer an, daß es sich bei den Tätern um die Familie des verstorbenen Offiziers gehandelt habe. Der Beschwerdeführer habe Ende März 1993 Bagdad verlassen und sei über Suleimanieh, Arbil und Zakho in die Türkei geflüchtet. In der Folge sei er über Moskau nach Wien gelangt.
In der gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer unter anderem, daß aus seinen erstinstanzlichen Angaben erkennbar gewesen wäre, daß er aufgrund seiner Inhaftierungen als regimekritischer Kurde aktenkundig sei und die Tatsache, daß er sich in Kirkuk den Kurden als Arzt zur Verfügung gestellt habe, als weiteres eindeutiges Indiz für seine oppositionelle Haltung gewertet worden sei und werde. Daß er seit Beendigung seiner medizinischen Ausbildung 1982 immer dann, wenn er sich in Kirkuk und Suleimanieh aufgehalten habe, regelmäßig kurdische Freiheitskämpfer in seinen Häusern aufgenommen und medizinisch versorgt habe, habe er in der niederschriftlichen Einvernahme deshalb nicht deutlich genug ausführen können, weil er zuvor drei Tage ohne zu schlafen im Transitraum verbracht habe und die Einvernahme am 18. Mai 1993 um 23.30 Uhr begonnen habe, die Einvernahme zu den Fluchtgründen sogar erst am 19. Mai 1993 um 0.10 Uhr, weshalb er übermüdet gewesen sei. Der Tod des Verwandten des Stellvertreters Saddam Husseins bei der Operation in Suleimanieh sei von den Regierungstruppen unter den politischen Aspekt gestellt worden, daß er als kurdischer Arzt dem Iraker das Leben nicht habe retten wollen. Es sei in der Folge von den Regierungstruppen nach dem Beschwerdeführer gefahndet worden. Der Stellvertreter Saddam Husseins habe die Kompetenz und die Macht, behördliche Verfolgung anzuordnen, welche er, wie aus der Niederschrift zu entnehmen sei, auch angeordnet habe. Ob er diese nur aus politischen Überlegungen oder auch aus Motiven der Blutrache angeordnet habe, sei irrelevant. Selbst wenn die Verfolgung von nichtstaatlichen Dritten ausgehe, seien deren Handlungen dem Heimatstaat zuzurechnen, wenn der Heimatstaat im konkreten Fall nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, dem Beschwerdeführer Schutz zu bieten.
Hierauf erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 28. März 1994, welcher aufgrund der hiegegen an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. B 722/94-10, aus Anlaß der Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben wurde.
Die belangte Behörde räumte dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz in einer Ergänzung zur Berufung zu relevieren, worauf er nicht antwortete.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid. Sie begründete im wesentlichen, der Beschwerdeführer habe im erstinstanzlichen Verfahren keine gezielt gegen seine Person gerichtete Gefahr einer Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen behauptet. Er stütze sein Asylbegehren im wesentlichen darauf, daß er als behandelnder Arzt für den Tod eines Offiziers verantwortlich gemacht und nunmehr von dessen Angehörigen unter Zuhilfenahme von Regierungstruppen mit dem Tod bedroht würde. Er habe bei seiner Einvernahme nicht erwähnt, daß man ihm in diesem Zusammenhang auch eine abweichende politische Gesinnung oder seine kurdische Volkszugehörigkeit vorgeworfen habe. Ihm sei lediglich allgemein die Schuld am Tod des Offiziers gegeben worden, was er durch seine Angabe bestätigt habe, daß sich "die Angelegenheit zu einer Blutrache" entwickelt habe. Eine Verfolgung wegen eines wenn auch zu Unrecht erhobenen Vorwurfes eines ärztlichen "Kunstfehlers" sei asylrechtlich nicht relevant. Der Versuch in der Berufung, einen politischen Konnex herzustellen, könne nicht überzeugen. Er habe im erstinstanzlichen Verfahren, abgesehen von dem Gespräch mit politischem Inhalt im Jahre 1985, keinerlei politische Tätigkeit erwähnt. Die Verhaftung im Jahre 1985 wäre zwar in einem gewissen politischen Zusammenhang zu sehen, doch sei er nach seiner Freilassung bis zu den Ereignissen im Jahre 1991 keinen weiteren gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen, weshalb diese Inhaftierung nicht mehr aktuell sei. Aufgrund des bloßen Einsatzes als Arzt in Kirkuk und Suleimanieh habe er offenbar keine politisch motivierte Verfolgung zu befürchten gehabt bzw. werde sein diesbezügliches Engagement nicht als Indiz für eine oppositionelle Haltung gewertet werden, da der Beschwerdeführer ansonsten nicht am 6. April 1991 nach Bagdad zurückgekehrt wäre und sich bei seiner Arbeitsstelle gemeldet hätte. Er habe zumindest in Suleimanieh auch irakische Soldaten behandelt, sodaß sein dortiger Einsatz weniger Ausdruck einer politischen Gesinnung sei, sondern vielmehr einen allgemeinen humanitären Charakter aufweise. Die Verfolgung durch die Familie des bei der Operation ums Leben gekommenen Offiziers sei keine Verfolgung von staatlichen Behörden aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen. Aus dem Umstand, daß sich die Familie des verstorbenen Offiziers staatlicher Organe bzw. der Regierungstruppen zur Habhaftwerdung seiner Person bediene, könne nicht automatisch eine asylrechtlich relevante Verfolgung abgeleitet werden. Daß gegen den Beschwerdeführer lediglich der Vorwurf eines ärztlichen "Kunstfehlers" und nicht etwa einer abweichenden politischen Gesinnung erhoben worden sei, schließe mangels Vorliegens der Gefahr einer Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen die Asylgewährung aus. Aufgrund des fehlenden Verfolgungsmotives sei es auch unbeachtlich, inwieweit der Heimatstaat fähig oder willens sei, den Beschwerdeführer vor der privaten Rache zu schützen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zunächst ist der belangten Behörde dahingehend beizupflichten, daß eine Verfolgung aufgrund eines behaupteten ärztlichen "Kunstfehlers" allein nicht asylrechtlich relevant wäre. Die belangte Behörde übersieht jedoch, daß der Beschwerdeführer - wie er in der Berufung richtig aufzeigt - auch dargetan hat, daß er aufgrund eines Gespräches über die Kurden - wenn auch im Jahre 1985 - bestraft wurde. Des weiteren hat er zu erkennen gegeben, daß er sich aus Anlaß des Kurdenaufstandes den Kurden zur Verfügung gestellt hat, indem er als Arzt zunächst in Kirkuk tätig war, später in Suleimanieh, jedoch vor der Machtübernahme durch die irakischen Regierungstruppen, sowohl Kurden als auch irakische Verletzte behandelte. Da bei der Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Verfolgung aus den Gründen des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 droht, jeweils das Gesamtvorbringen des Asylwerbers zu beurteilen ist, sind mit den genannten Teilen seines Vorbringens hinreichend deutliche Hinweise auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, bereits in der erstinstanzlichen Einvernahme hervorgekommen. Denn aufgrund dieser Ausführungen ist nicht ohne nähere Ermittlungen auszuschließen, daß dem späteren Geschehen anläßlich der Operation des irakischen Offiziers von den irakischen Behörden insofern asylrechtliche Bedeutung beigemessen wurde, als sie die Tatsache, daß der Iraker bei der Operation verstarb, auf eine dem Beschwerdeführer unterstellte politische Gesinnung aus Gründen der Angehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zurückführte und nicht ausschließlich auf einen ärztlichen "Kunstfehler". In einem solchen Fall hat die belangte Behörde aber gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 - wenn ihr die Hinweise nicht ohnehin als ausreichend erscheinen, um asylrechtlich relevante Verfolgung anzunehmen - in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen.
Die belangte Behörde hat zudem außer acht gelassen, daß auch länger zurückliegende Ereignisse im Rahmen der Gesamtbetrachtung Indizwirkung für das Vorliegen einer nunmehrig aktuellen Verfolgung haben können. Der Beschwerdeführer hat für den Zeitraum 1985 bis 1991 keine den Behörden seines Heimatstaates bekanntgewordenen politischen Aktivitäten entwickelt, sodaß alleine gestützt auf den Umstand der langen verfolgungsfreien Zeit vor den Ereignissen des Jahres 1991 der politisch motivierten Verhaftung des Jahres 1985 der Indizcharakter nicht generell abgesprochen werden kann.
Daß der Beschwerdeführer am 6. April 1991 nach Bagdad an seine Arbeitsstelle zurückgekehrt sei, spricht auch nicht schlüssig dagegen, hat der Beschwerdeführer doch anläßlich der Rückeroberung Suleimaniehs durch irakische Regierungstruppen zwar von Vorwürfen dieser Truppen hinsichtlich des Todes des irakischen Offiziers gesprochen, nicht jedoch von konkreten Verfolgungshandlungen bereits in Suleimanieh. Der Beschwerdeführer mußte daher auch nicht notwendigerweise mit dem Einsetzen von Verfolgung anläßlich der Meldung an seiner Arbeitsstelle in Bagdad rechnen. Die Situation änderte sich seinen Behauptungen nach erst eine Woche nach Arbeitsantritt, als er von der Fahndung der Regierungstruppen erstmalig erfuhr.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers kann daher nicht von vornherein eine asylrechtlich relevante Verfolgung in Form eines vorgeworfenen ärztlichen "Kunstfehlers" aus unterstellter politischer Gesinnung abgesprochen werden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung lediglich die Einbringung zweier Ausfertigungen der Beschwerde sowie die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung notwendig waren und auch nur in dieser Form eingebracht wurden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200268.X00Im RIS seit
20.11.2000