TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0224

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1 Z1;
AsylG 1968 §7 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S M in S, vertreten durch H M, dieser vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. März 1995, Zl. 4.345.950/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung und Bescheinigung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Asylgesetz 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 11. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Dezember 1994 Asyl. Im schriftlichen, schon durch den Beschwerdevertreter eingebrachten Asylantrag gab er im wesentlichen an, sein Vater und seine Geschwister lebten in Österreich. Lediglich seine Mutter sei mit ihm in der Osttürkei geblieben, wo der Beschwerdeführer als Kurde alevitischen Glaubens persönlichen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen sei. In der Osttürkei würden vom türkischen Staat offenbar mit voller Absicht strenge Moslems angesiedelt, sodaß der Beschwerdeführer und seine Mutter tagtäglich mit Schwierigkeiten konfrontiert gewesen seien. Der Beschwerdeführer beantrage Asyl und die Ausstellung einer Bescheinigung über seine vorläufige Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber.

Bei seiner niederschriftlichen Befragung am 17. Jänner 1995 gab der Beschwerdeführer an, er lebe mit seiner Mutter schon seit etwa zehn Jahren in Istanbul und sei in der Schule von sunnitischen Schulkollegen beschimpft und vom Religionslehrer mit einem Lineal auf die Hand geschlagen worden. Vom 16. August 1994 bis zu seiner Einreise nach Österreich habe er sich bei einem Onkel in Berlin aufgehalten. Er habe in Deutschland keinen Asylantrag gestellt, weil er nach Österreich gewollt habe. Nach Österreich sei er deshalb nicht gleich gekommen, weil ihm der österreichische Botschafter in Istanbul kein Visum ausgestellt habe. Es sei richtig, daß sein Paß auch kein Visum für Deutschland aufweise, doch sei er bei der Einreise nach Deutschland - nicht anders als bei der späteren Einreise von Deutschland nach Österreich - nicht kontrolliert worden.

Mit Bescheid vom 14. Februar 1995 wies das Bundesasylamt sowohl den Asylantrag (Spruchpunkt I) als auch den Antrag auf Feststellung und Bescheinigung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 4 Asylgesetz 1991 (Spruchpunkt II) ab. Die Abweisung des Asylantrages begründete es mit der mangelnden Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers wegen der zu geringen Intensität der von ihm beschriebenen Eingriffe und damit, daß er schon in Deutschland vor Verfolgung sicher gewesen sei. Zur vorläufigen Aufenthaltsberechtigung führte es aus, sie komme dem Beschwerdeführer deshalb nicht zu, weil er nicht direkt aus der Türkei eingereist sei und sich an der Grenze auch nicht der Grenzkontrolle ordnungsgemäß unterzogen habe.

In seiner Berufung erklärte der Beschwerdeführer, beide Spruchteile zu bekämpfen. Er räumte ein, daß "die Asylantragstellung problematisch" sei, forderte aber vor allem deshalb Verständnis, weil religiöse Belange "gerade in jungen Jahren und zumindest bei Leuten im Nahen Osten doch eine weit größere Bedeutung" hätten und die diesbezüglichen Verhöhnungen dem Beschwerdeführer daher rein subjektiv durchaus Ängste eingeflößt hätten, und beantragte seine medizinisch-psychiatrische, allenfalls neurologische Begutachtung, "um klarzustellen, in welchen Persönlichkeitsstrukturen des Asylwerbers aufgrund seiner geschilderten Diskriminierungstatbestände betroffen ist".

Weiters führte er aus:

"Natürlich war der legale Besuch in der Bundesrepublik Deutschland nicht unbedingt geeignet, dem hiesigen Antrag auf Asylgewährung entsprechenden Vorschub zu leisten, dennoch ist aus menschlichen Gründen verständlich, daß dieser Weg gewählt wird, um eben einerseits aus der Situation in der Heimat zu entkommen, andererseits die Familienbande mit dem hier in Österreich schon seit Jahren lebenden Vater und gesetzlichen Vertreter M H zu schließen.

Wir sind daher der Auffassung, daß sowohl dem Antrag auf Asylgewährung stattzugeben wäre, ebenso einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, sodaß wir daher diese Anträge wiederholen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung ab. Sie übernahm die Sachverhaltsfeststellung und die rechtliche Beurteilung des erstinstanzlichen Bescheides und fügte hinzu, daß die Ausstellung der begehrten Bescheinigung auch wegen des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens nicht mehr in Frage komme.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdebegründung hat folgenden Wortlaut:

"Wenn zwar offenkundig eine ministerielle Weisung existiert, wonach Asylverfahren nach Tunlichkeit innerhalb von drei Monaten in den unteren Instanzen abzuhandeln sind, so ist nicht ganz verständlich, warum es im bekämpften Bescheid heißt, daß keine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens beantragt wurde. Wir haben ausdrücklich im vorletzten Absatz beantragt, die Durchführung allfälliger ergänzender Erhebungen, weil wir der Ansicht sind, daß die Entscheidungsgrundlage aufgrund der bisherigen Erhebungen nicht ausreichend ist.

Gerade wenn es sich um einen Minderjährigen handelt, dessen Vater ohnehin hier lebt, der aber praktisch zu seiner Heimat keinen Bezug mehr hat, muß doch wohl die subjektive Seite und Einstellung zur Furcht von Verfolgung vermehrte Berücksichtigung finden bzw. zunächst einmal überprüft werden. Dies freilich unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß gerade in jungen Jahren die Religion bei derartigen diskriminierten Personen eine weit größere Rolle spielt, als sozusagen hier im Westen angenommen wird und man eben gerade einem Minderjährigen zubilligen muß, daß er aufgrund der geschilderten, wenn auch allgemeinen Diskriminierung der Kurden eine gefahrlose Zukunft nicht zu erwarten hat. Erst in den letzten Wochen gab es wieder massive Übergriffe der Türkei gegen Kurden, welcher Gruppierung auch immer, sogar Übergriffe auf fremde Länder (Irak), und scheinen, wenn man den Zeitungsberichten folgt, die Grundfeste der Türkei geradezu bedrohlich ins Schwanken gebracht worden zu sein. Bekanntlich gibt es eine Reihe von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, wonach einem Asylwerber die Eigenschaft nach einhelliger Rechtsprechung zuzubilligen ist, wenn er im Hinblick auf die Situation des (türkischen) Staates davon ausgehen kann, daß dieser offenkundig nicht in der Lage ist, seine Probleme mit Minderheiten, hier den Kurden zu lösen. Sogar in Istanbul gab es massive Kämpfe zwischen den Türken und Minderheiten der Aleviten, was auch in anderen Städten zu größeren Hochspannungen geführt hat. Die Grundfesten des türkischen Staates, zurückgehend auf Mustafa Kemal Atatürk vor 72 Jahren, erscheinen bedrohlich ins Wanken gekommen zu sein. Die lange unterdrückten ethnischen und religiösen Gruppen der Türkei beginnen im neuen Selbstbewußtsein ihre Häupter zu erheben und ihre Rechte massiv zu fordern, unter anderem auch die Kurden bzw. Aleviten. Die Aleviten sehen im Abbröckeln des Kemalismus und seiner Säkularisierung Hoffnung auf neue Freiheiten und eben natürlich auch neue Gefahren. Jedenfalls muß man in einem derartigen Spannungsfeld einem Asylwerber doch eine entsprechende medizinisch-psychiatrische bzw. neurologische Begutachtung zukommen lassen, um abzuschätzen, in welchem Ausmaß er in der Lage ist, die Situation zu verkraften und inwieweit eben die begründete Furcht für ihn subjektiv gerechtfertigt erscheint, insbesondere dann, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt. Es muß einleuchten, daß hier andere Maßstäbe anzuwenden sind.

Wir verweisen im übrigen auf die Ausführungen in der Berufung und wir sind der Auffassung, daß sowohl dem Antrag auf Asylgewährung stattzugeben ist, als auch der beantragten vorläufigen Aufenthaltsberechtigung."

Mit diesen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer die zutreffende und durch Judikaturzitate belegte Ansicht der Behörden des Verwaltungsverfahrens, die vom Beschwerdeführer beschriebenen Beeinträchtigungen und daraus ableitbaren Befürchtungen entsprächen nicht den Voraussetzungen des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, nicht zu erschüttern. Er wendet sich aber auch mit keinem Wort gegen die Anwendung des Asylversagungsgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 wegen seines Aufenthaltes in Deutschland. Die Beschwerde kann insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, schon aus dem zuletzt genannten Grund nicht erfolgreich sein. Bleibt es bei der von der belangten Behörde ausgesprochenen Abweisung (der Berufung und damit) des Asylantrages, so kann dem Beschwerdeführer nach § 7 Abs. 3 Asylgesetz 1991 auch keine Bescheinigung im Sinne des Abs. 4 dieser Bestimmung mehr auszustellen sein.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200224.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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