TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0199

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §10 Abs2;
AsylG 1991 §14 Abs4;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §14 Abs3;
AVG §15;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des L in F, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Februar 1995, Zl. 4.341.967/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein römisch-katholischer Angehöriger der syrischen Volksgruppe im Irak, reiste am 30. November 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 4. Dezember 1992 Asyl. Er wurde noch am selben Tag zunächst zu seiner Person und anschließend - vor einem anderen Verhandlungsleiter - zu seinen Fluchtgründen einvernommen. Beiden Teilen der Einvernahme wurde derselbe Dolmetscher beigezogen.

Nach dem Inhalt der darüber aufgenommenen Niederschrift gab der Beschwerdeführer im ersten Teil der Einvernahme u.a. an, seine Infanterieeinheit sei "am 2. August 1989 zum Kriegseinsatz nach Kuwait verlegt" worden. Der Beschwerdeführer sei "am 7. Jänner 1990" desertiert und in seine Heimatstadt geflüchtet. Er habe sich noch bis zum 21. März 1991 im Irak aufgehalten und sei an diesem Tag nach Syrien geflüchtet, von wo aus er später nach Österreich gelangte. Die Niederschrift über den zweiten Teil der Einvernahme hat folgenden Wortlaut:

"Ich habe den Irak am 21.3.1991 verlassen. Ich war während des Golf-Krieges vom irakischen Regime in Kuwait als Soldat eingesetzt.

Am 7.1.1990 desertierte ich vom irakischen Militär, weil ich vom Einmarsch in Kuwait nicht überzeugt war. Ich ging zurück in meine Heimatstadt Telkef.

Am 20.1.1990 wurde das Haus in Telkef von irakischen Soldaten umstellt. Meine Schwester warnte mich und ich flüchtete mit meinem Schwager. Es wurde auf uns geschossen, wobei mein Schwager getötet wurde. Ich wurde am rechten Oberschenkel durch einen Steckschuß verletzt (Narbe sichtbar). Meine Mutter erlitt einen Schreck, daß sie seit diesem Zeitpunkt halbseitig gelähmt ist. Mein Schwager desertierte auch vom Militär.

Daraufhin wurde ich verletzt von den irakischen Soldaten festgenommen. Ich wurde ins Polizeigefängnis in DHOK gebracht und gefoltert (Elektroschocks). Ich war ca. 2 Monate inhaftiert und wurde dabei immer geschlagen. Am 11.3.1990 wurde ich von kurdischen Einheiten der demokratischen Partei Kurdistan befreit. Daraufhin schloß ich mich dieser kurdischen Einheit an und kämpfte gegen das Regime von Saddam HUSSEIN mit der Waffe. Ich tötete jedoch niemanden. Bei diesen Kurden blieb ich bis zum 21.3.1991.

Daraufhin flüchtete ich nach Syrien. Vor meiner Flucht hatte ich mit den irakischen Behörden keinen Kontakt.

Da ich fürchtete, daß die Iraker in den von den Kurden besetzten Gebieten eindringen könnten, habe ich beschlossen, zu flüchten. Ich hörte von den Kurden, daß mich die irakische Regierung exekutiert hätte.

Ich habe mich in Syrien zwei Monate in einem Flüchtlingslager und die restliche Zeit in einer Stadt, namens EL-HASAKA aufgehalten und wurde während dieser Zeit von der syrischen Regierung in keiner wie auch immer gearteten Weise verfolgt. Ich konnte mich in Syrien frei bewegen und war von Rückschiebung in den Irak nicht bedroht. Die dortigen Behörden sagten mir, daß ich frei sei und hingehen könne, wo ich wolle. Da meine Schwester in Franking wohnt, hat diese über kirchliche Stellen versucht, mich auch nach Österreich zu holen. Auch das Visa wurde von kirchlichen Stellen besorgt. Ich bekam von seiten des Militärs immer wieder zu spüren, daß ich Christ bin und ich wurde auch beschimpft, z.B. als Schweinefleischfresser.

Mehr kann ich nicht angeben.

Ende der Niederschrift am 04.12.1992 um 13.45 Uhr.

Mir wurde der Inhalt der Niederschrift vom Dolmetsch zur Kenntnis gebracht und ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen."

Mit Bescheid vom 7. Dezember 1992 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab. Es verneinte dessen Flüchtlingseigenschaft und nahm darüber hinaus das Vorliegen des Ausschließungsgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 (AsylG) an, weil der Beschwerdeführer schon in Syrien vor Verfolgung sicher gewesen sei.

In seiner Berufung rügte der Beschwerdeführer sowohl die Art seiner Befragung am 4. Dezember 1992 als auch die Übersetzung seiner Angaben. Zur angewandten Befragungsmethode brachte er vor, er habe nicht frei sprechen können, sondern nur auf Fragen zu antworten gehabt. Die Übersetzung sei einerseits zum Teil falsch gewesen und habe Verzerrungen und Verdrehungen enthalten, andererseits seien viele wichtige Details, die der Beschwerdeführer angegeben habe, überhaupt nicht übersetzt worden, sodaß sie nicht in der Niederschrift aufschienen. Da eine Rückübersetzung "nur stichwortweise" stattgefunden habe, habe der Beschwerdeführer diese Mängel erst nachträglich feststellen können, als ihm jemand den vollen Inhalt übersetzt habe.

Im einzelnen brachte der Beschwerdeführer dazu vor, auf Grund der angewandten Befragungsmethode seien die Ereignisse vor der Kuwait-Invasion nicht zur Sprache gekommen, die zum Verständnis seiner Situation im Irak wichtig seien: 1988 habe die irakische Regierung einen Erlaß herausgegeben, wonach alle Christen der Baath-Partei beizutreten hätten. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert und sei "daraufhin in kürzester Zeit von der Schule entlassen und zum Militärdienst verpflichtet" worden. Der Militärdienst sei bis zum August 1990 "normal" verlaufen, "abgesehen von den üblichen Schikanen, denen alle christlichen Soldaten im Irak ausgesetzt sind, und von denen ich selbstverständlich auch nicht verschont blieb".

Auf einem Fehler des Dolmetschers beruhe das in der Niederschrift (zu ergänzen: in ihrem ersten Teil) angeführte Datum der Invasion in Kuwait, die nicht am 2. August 1989, sondern am 2. August 1990 stattgefunden habe. Darüber habe der Beschwerdeführer während der Einvernahme mit dem Dolmetscher diskutiert, diesen aber nicht überzeugen können. Richtigerweise sei der Beschwerdeführer daher auch am 7. Jänner 1991 desertiert, am 20. Jänner 1991 festgenommen und am 11. März 1991 im Zuge des Kurdenaufstandes befreit worden, sodaß er sich bis zu seiner Flucht nach Syrien am 21. März 1991 nach seiner Befreiung nur mehr zehn Tage lang im Irak aufgehalten habe.

Teils wegen der angewandten Befragungsmethode und teils deshalb, weil seine Antworten nicht übersetzt worden seien, seien die Gründe, die ihn zur Desertion bewogen hätten, in der Niederschrift ("weil ich vom Einmarsch in Kuwait nicht überzeugt war") nicht genau festgehalten worden. So sei der Beschwerdeführer sicher, angegeben zu haben, daß er während seines Einsatzes in Kuwait mehrere Male inhaftiert gewesen sei, und zwar aus verschiedenen Gründen: Einerseits sei es wiederholt zu heftigen Diskussionen mit seinen Vorgesetzten über seine christliche Religion gekommen, wobei er "jedesmal auf das gemeinste beschimpft und anschließend regelmäßig für ein paar Tage inhaftiert" worden sei. Andererseits habe er als Angehöriger des hinter der Front stationierten "execution staff", dessen Aufgabe die sofortige Erschießung aller Deserteure gewesen sei, absichtlich danebengeschossen, weil er die ganze Kuwait-Invasion von Grund auf abgelehnt habe. Das sei selbstverständlich beobachtet und gemeldet worden, sodaß er "wieder für eine Woche in den Militärarrest" gekommen sei. Während "all dieser Inhaftierungen" sei er jeden Tag gefoltert worden. Schließlich sei er als Teil seiner Bestrafung an eine besonders gefährliche Stelle an der vordersten Front beordert worden, von der die wenigsten lebend zurückgekommen seien. Von dort sei er desertiert, wobei ihm der Umstand zugute gekommen sei, daß er im "execution staff" noch etliche gute Bekannte gehabt habe. Desertiert sei er, weil er für eine Sache, die er von Grund auf abgelehnt habe, nicht weiter kämpfen und töten und auch nicht getötet werden gewollt habe. Neben den schon erwähnten Schikanen sei ihm aber auch der ihm schon lange zustehende Urlaub verweigert worden. Bei seiner späteren Befreiung im Zuge des Kurdenaufstandes sei im Gefängnis unter den von den Kurden beschlagnahmten Papieren auch ein Todesurteil gegen ihn gefunden worden. Nach Syrien sei er geflüchtet, als sich die Niederlage der Kurden abgezeichnet habe und die Regierungstruppen wieder im Vormarsch gewesen seien.

Im Anschluß an dieses Vorbringen wandte sich der Beschwerdeführer gegen die rechtliche Beurteilung seiner Desertion durch das Bundesasylamt, wozu er u.a. ausführte, die außergewöhnliche Härte der drohenden Strafe könne in Verbindung mit dem Fehlen einer geordneten und berechenbaren Gerichtsbarkeit und der willkürlichen Verhängung der Strafe Asylrelevanz begründen, dem Beschwerdeführer drohe "auf Grund der bereits erfolgten mehrmaligen Inhaftierung" und insbesondere auf Grund seiner Desertion während des Kuwait-Konfliktes die Todesstrafe. Die drohende exzessive Bestrafung ziele nicht lediglich auf das Delikt der Wehrdienstentziehung als solches, sondern auch auf die aus der Sicht der irakischen Behörden durch die Desertion zum Zeitpunkt des Kuwait-Konfliktes manifestierte regimefeindliche Gesinnung.

Der Rest der Berufungsausführungen betraf - mit weiteren, auch das persönliche Verhalten gegenüber dem Beschwerdeführer betreffenden Vorwürfen gegen den Dolmetscher - den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien und die darauf gegründete Annahme eines Vorliegens des Ausschließungsgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG.

Die belangte Behörde trug dem Bundesasylamt auf, den Beschwerdeführer "im Hinblick auf die von ihm in der Berufung gegen den Dolmetscher erhobenen Vorwürfe ergänzend zu befragen", und dazu auch den Dolmetscher Stellung nehmen zu lassen.

Der dazu zuerst vernommene Dolmetscher gab an, während seiner sechzehnjährigen Tätigkeit als gerichtlich beeideter Dolmetscher sei gegen ihn "noch nie Anklage wegen einer falschen Zeugenaussage erhoben" worden. An den Fall des Beschwerdeführers könne er sich nicht mehr erinnern. Er könne aber mit hundertprozentiger Sicherheit angeben, daß er bei allen Verfahren und somit auch im gegenständlichen Verfahren "den Text der Niederschrift vollständig übersetzt" habe. Sollten sich bei solchen Rückübersetzungen Unstimmigkeiten ergeben haben, wäre dies "geklärt und im Text der Niederschrift geändert" worden. Dem Asylwerber sei die Niederschrift wortwörtlich übersetzt worden. Wenn er sie unterschrieben habe, folge daraus, daß er den (dem Dolmetscher konkret vorgehaltenen, den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien betreffenden) Ausdruck gebraucht haben werde. Was das falsche Datum der Kuwait-Invasion anlange, so sei es nicht Sache des Dolmetschers, derartige Widersprüche aufzuklären. Er diskutiere auch nicht mit den zu vernehmenden Personen. Daß Teile des Vorbringens aus Zeitmangel nicht übersetzt worden seien, sei "mit Sicherheit zurückzuweisen", weil "jedes Verfahren sorgfältig und ausführlich geführt" worden sei. Daß er den Beschwerdeführer während der Einvernahme beschimpft habe, sei nicht glaubwürdig, weil der Beschwerdeführer sonst die Niederschrift nicht unterschrieben hätte.

Der Beschwerdeführer gab im wesentlichen an, bei der Rückübersetzung sei ihm nur absatzweise erklärt worden, daß in den einzelnen Absätzen das stünde, was er gesagt habe. Der Dolmetscher habe den Text gelesen, aber nicht übersetzt, sondern in der genannten Art lediglich kommentiert. Der Dolmetscher habe nicht direkt den Beschwerdeführer beschimpft, sondern Saddam Hussein und alle Iraker als "blutrünstiges Volk" bezeichnet, und dem Einwand des Beschwerdeführers, daß der Dolmetscher diesem Volk auch angehöre, entgegengesetzt, daß dies auf Grund seines langen Aufenthaltes in Österreich nicht mehr zutreffe. Den strittigen, den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien betreffenden Ausdruck ("Flüchtlingslager" statt "Gefängnis") könne der Beschwerdeführer aus näher dargelegten Gründen gar nicht gebraucht haben. Der Dolmetscher sei während der Einvernahme immer aggressiver geworden und habe dauernd versucht, mit dem Beschwerdeführer zu diskutieren. Der Beschwerdeführer habe in bezug auf die Invasion die Jahreszahl "1990" genannt, sich damit aber nicht durchsetzen können. Es sei möglich, daß der Verhandlungsleiter die Diskussionen zwischen dem Beschwerdeführer und dem Dolmetscher nicht bemerkt habe. Die Niederschrift habe er trotz des schon entstandenen Mißtrauens schließlich unterschrieben, weil er angenommen habe, daß alle seine Angaben in die Niederschrift Eingang gefunden hätten. Die vom Beschwerdeführer veranlaßte Privatübersetzung habe sein Mißtrauen nachträglich bestätigt. Hätte ihm der Dolmetscher die gesamte Niederschrift übersetzt, so hätte er sie nicht unterschrieben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie stützte ihre Entscheidung nicht auch darauf, daß der Beschwerdeführer schon in Syrien vor Verfolgung sicher gewesen sei, sondern ausschließlich darauf, daß er nicht Flüchtling sei. Zur diesbezüglichen Kritik des Beschwerdeführers an den Ergebnissen seiner niederschriftlichen Befragung nahm die belangte Behörde nur mit folgenden Ausführungen Stellung:

"Zum Vorwurf, daß der Dolmetscher unzureichend übersetzt hätte, muß ausgeführt werden, daß nicht nur die von Ihnen angegebene Fluchtgeschichte aufgenommen und übersetzt wurde, sondern noch zusätzlich eine ergänzende Befragung des Dolmetschers und Ihrer Person am 12.01. bzw. 17.01.1995 angeordnet wurde, um einen entsprechenden Eindruck von der Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens zu erhalten. Wenn Sie nun angeben, durch unzureichende Übersetzung sei Ihr Vorbringen nicht zur Gänze erfaßt worden, sodaß es vereinzelt zu unrichtig niedergeschriebenen Fakten kam, so muß dies - nach dem Ergebnis der ergänzenden Befragung - als bloße "Schutzbehauptung" angesehen werden, die offensichtlich dazu führen soll, Ihnen unter allen Umständen zur Asylerlangung zu verhelfen. Außerdem haben Sie die Richtigkeit und Vollständigkeit Ihrer Ausführungen mit Ihrer Unterschrift bestätigt."

Auf das weitere Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers sei gemäß § 20 Abs. 1 AsylG nicht mehr einzugehen gewesen.

Das "Ermittlungsverfahren, insbesondere auch" die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers - im angefochtenen Bescheid mit dem Inhalt der Niederschrift vom 4. Dezember 1992 wiedergegeben - habe nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer Flüchtling sei: Desertion sei "auch in klassisch-demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht", die "Strenge und Art" der angedrohten Strafe "nicht maßgeblich". Die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Irak und die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung knüpfe auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht nicht an asylrelevante Merkmale an. Die "staatlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht" seien "Ausfluß des Rechts eines jeden Staates", und aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei "nicht glaubwürdig ableitbar", daß er aus einem der im § 1 Z. 1 AsylG genannten Gründe im Falle seiner Aufgreifung und Verurteilung "eine differenzierte Bestrafung im Vergleich zu anderen irakischen Staatsangehörigen zu erwarten" hätte.

Zu den Ausführungen des Beschwerdeführers, er sei im Anschluß an seine Festnahme nach der Desertion "ins Polizeigefängnis gebracht und dort immer wieder geschlagen worden", sei festzustellen, daß "Festnahmen, Verhöre und Befragungen allein", wenn sie "ohne weitere Folgen" blieben, noch keine asylrelevanten Verfolgungshandlungen darstellten und die vom Beschwerdeführer "ebenfalls lediglich behaupteten Mißhandlungen" während dieser Haft keine "mittelbare" staatliche Verfolgung seien, weil es sich bei "derartigen Übergriffen" um "selbständige Handlungen von Einzelpersonen" handle, "welche sich nicht als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen erweisen, auch wenn sie von Organen des Staates gesetzt" würden: "Sie behaupten ja nicht einmal, daß Sie den Versuch unternommen hätten, sich bei den zuständigen Stellen über Ihre Mißhandlung zu beschweren, oder von diesen Stellen diesbezüglich abgewiesen worden zu sein."

Weiters führte die belangte Behörde aus, "dieses Geschehen" liege "schon längere Zeit zurück" und sei daher "nicht mehr beachtlich". Die wohlbegründete Furcht müsse bis zur Ausreise andauern, was beim Beschwerdeführer nicht der Fall sein könne, weil er sich "über einen längeren Zeitraum (ca. 1 Jahr)" in seiner Heimat aufgehalten und gegen das Regime von Saddam Hussein gekämpft habe, ohne für diesen Zeitraum Umstände auch nur zu behaupten, welche die Annahme rechtfertigen würden, daß seine "behauptete Furcht bis zum Verlassen" seines Heimatlandes angedauert habe "oder wohlbegründet gewesen" sei.

Beschimpfungen des Beschwerdeführers auf Grund seiner Religionszugehörigkeit seien keine Verfolgung im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG. Weiters sei dazu "zu erörtern", daß die Christen verschiedener Konfessionen im Irak ca. 3,5 % der Bevölkerung ausmachten und die Staatsreligion des Irak zwar der Islam sei, andere Religionen "jedoch verfassungsmäßig toleriert" würden, sofern "ihre Ausübung nicht gegen das öffentliche Interesse" verstoße.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer beharrt auf dem Standpunkt, seine Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe die in der Berufung gerügten Mängel aufgewiesen. Die Gründe, mit denen die belangte Behörde dies im angefochtenen Bescheid verneint, sind für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Sie erschöpfen sich im Hinweis auf die Unterfertigung der Niederschrift, mit der der Beschwerdeführer "die Richtigkeit und Vollständigkeit" seiner Ausführungen bestätigt habe - ein ohne Widerlegung der Kritik an der Rückübersetzung nicht stichhältiges Begründungselement - und in der Formulierung, das Vorbringen in der Berufung sei "nach dem Ergebnis der ergänzenden Befragung" eine "bloße Schutzbehauptung" zur Erlangung von Asyl. Das ist eine Scheinbegründung, weil es nicht einmal ansatzweise mit einer Gegenüberstellung und Abwägung der Ergebnisse der ergänzenden Befragung oder mit sonstigen Argumenten zur Beweiswürdigung verbunden ist. Im besonderen wird nicht dargelegt, warum die Aussage des Dolmetschers trotz seines Eingeständnisses, sich an den Fall gar nicht mehr erinnern zu können, die detaillierten Angaben des Beschwerdeführers so eindeutig widerlegen soll. In der Wiedergabe der Angaben des Dolmetschers (S. 3 des angefochtenen Bescheides, im Rahmen der Darstellung des Verfahrensganges) scheint das erwähnte Eingeständnis - im Gegensatz sowohl zu dem bei der Einvernahme vorangegangenen als auch zum nachfolgenden Satz des Dolmetschers - auch nicht auf. Die Auseinandersetzung der belangten Behörde mit der in der Berufung erhobenen Verfahrensrüge wird den Anforderungen an eine dem Gesetz (§§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG) entsprechende Begründung daher nicht gerecht.

Dazu kommt noch - worauf die Beschwerde zu Recht verweist - das Festhalten an den falschen Jahreszahlen im angefochtenen Bescheid. Die Kenntnis davon, daß die Besetzung Kuwaits in der Form eines Überraschungsangriffs durch den Irak am 2. August 1990 (und nicht 1989) erfolgte, setzt in Anbetracht der besonderen Publizität dieses noch nicht lange zurückliegenden Ereignisses kein Spezialwissen um die Geschichte des Irak voraus. Sie ist dem Allgemeinwissen zuzuordnen. Zur Vollziehung des Asylgesetzes haben die Asylbehörden jedoch "besonders qualifizierte und informierte Bedienstete heranzuziehen" (§ 10 Abs. 2 AsylG). Damit sind solche gemeint, die u.a. die erforderliche Sachkenntnis über die Verfolgerstaaten besitzen, für die sie jeweils zuständig sind (vgl. die Erläuternden Bemerkungen, 270 BlgNR 18. GP, S. 17). In einem dem Gesetz entsprechenden Asylverfahren hätten Angaben, wie sie im Fall des Beschwerdeführers am 4. Dezember 1992 in die Niederschrift gelangten, daher in bezug auf das Datum der Invasion, das mögliche Datum einer dadurch ausgelösten Desertion des Beschwerdeführers und den Umstand, daß der von ihm erwähnte Kurdenaufstand, durch den er nach seinen Angaben aus dem Gefängnis befreit wurde, im März 1991 (und nicht 1990) stattfand, noch während der Einvernahme zu einer Klarstellung im Sinne des § 16 Abs. 1 AsylG führen müssen. Da dies in erster Instanz unterblieben war, hätte die belangte Behörde auch unabhängig davon, ob die falschen Jahreszahlen vom Beschwerdeführer oder vom Dolmetscher stammten, den aus der Niederschrift deutlich ersichtlichen und in der Berufung überdies gerügten Verfahrensmangel aufzugreifen, gemäß § 20 Abs. 2 AsylG eine entsprechende Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen und dem Beschwerdeführer nicht vorzuhalten gehabt, er habe sich zwischen seiner Befreiung durch aufständische Kurden und seiner Ausreise am 21. März 1991 "ca. 1 Jahr lang" im Irak aufgehalten, weshalb die in der Haft erlittenen Nachteile "nicht mehr beachtlich" seien. Die belangte Behörde hätte die Mangelhaftigkeit der Einvernahme in den zuletzt genannten Punkten wegen der zumindest in bezug auf die Verhandlungsführung daraus abzuleitenden Unzulänglichkeiten, aber auch bei Beurteilung der Frage, ob die in der Berufung erhobenen Vorwürfe insgesamt berechtigt seien, zu berücksichtigen gehabt.

Die aufgezeigten Begründungs- und Ermittlungsfehler sind wesentlich, weil der Beschwerdeführer - vergleicht man sein in der Berufung dargestelltes Vorbringen mit dem, das dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, zugrunde lag - durch Angaben, die nach seinen Behauptungen nur infolge von Fehlern des Verhandlungsleiters und des Dolmetschers nicht in die Niederschrift gelangten, in ausreichend deutlicher Weise einen Zusammenhang zwischen seiner Zugehörigkeit zur syrisch-christlichen Minderheit im Irak einerseits und seiner Einberufung, Desertion und anschließenden Verfolgung andererseits hergestellt hatte.

Was den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Polizeigefängnis von Dohuk anlangt, so wird die belangte Behörde auch zu berücksichtigen haben, daß der Beschwerdeführer schon nach den Angaben in der Niederschrift vom 4. Dezember 1992 nicht nur "geschlagen", sondern auch mit Elektroschocks gefoltert wurde, worauf sich Rechtssätze über "Festnahmen, Verhöre oder Befragungen allein" nicht ohne weiteres anwenden lassen, daß Mißhandlungen in einem staatlichen Gefängnis nicht ohne entsprechendes Ermittlungsergebnis als "Übergriffe" von "Einzelpersonen" zu werten sind (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0835), und daß der damit noch verbundene Vorhalt, der Beschwerdeführer behaupte "nicht einmal", den Versuch unternommen zu haben, sich bei den zuständigen irakischen "Stellen" über die Art seiner Behandlung zu beschweren, den angefochtenen Bescheid in bezug auf die Einschätzung der Qualität der Verhältnisse im Irak in ähnlicher Weise wie in bezug auf das Wissen um die Chronologie der dort stattfindenden Ereignisse berechtigter Kritik aussetzt. Daß ein zeitlicher Konnex zwischen der Haft des Beschwerdeführers, seiner Befreiung und seiner Ausreise aus dem Irak auf der Grundlage der vorliegenden Verfahrensergebnisse nicht schlüssig verneint werden kann, ist schon dargestellt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200199.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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