Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der A in N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Jänner 1995, Zl. 4.344.417/1-III/13/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit des Asylgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchteil 1 (Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, die am 21. Dezember 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat am 28. Dezember 1993 einen Asylantrag gestellt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. März 1994 abgewiesen, der dem Vertreter der Beschwerdeführerin - M vom Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer - am 25. März 1994 zugestellt worden ist. Der Bescheid erwuchs infolge nicht rechtzeitiger Erhebung einer Berufung in Rechtskraft.
Den am 13. April 1994 eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 21. April 1994 gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem NUNMEHR ANGEFOCHTENEN Bescheid vom 26. Jänner 1995 in seinem Spruchpunkt 1 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ab; zugleich wies sie im Spruchpunkt 2 dieses Bescheides die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. März 1994 als verspätet zurück.
Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid
- zusammengefaßt - wie folgt: Die Wiedereinsetzungswerberin habe ihren Antrag damit begründet, daß der Flüchtlingsberater M eine von ihm entworfene und unterzeichnete Berufung infolge seines während der Rechtsmittelfrist bevorstehenden Urlaubes (vom 1. bis 10. April 1994) seinem Kollegen Mag. S. übergeben habe, der jedoch hinsichtlich eines bestimmten Berufungspunktes noch die Rechtsmeinung eines befreundeten Anwaltes habe einholen sollen. Für den Fall, daß dieser Rechtsanwalt eine Änderung der verfaßten Berufung vorschlage, hätte Mag. S. den Vertreter der Beschwerdeführerin, der auch im Urlaub telefonisch erreichbar gewesen sei, davon verständigen sollen; M wäre dann zur neuerlichen Unterzeichnung der Berufung ins Büro gekommen. Mag. S. sei Jurist und Büroleiter des Unterstützungskomitees, somit ein bewährter und erprobter Mitarbeiter. Mag. S. sei jedoch in der Folge schwer erkrankt, habe an hohem Fieber gelitten und er sei infolge dadurch eingetretener Dispositionsunfähigkeit außerstande gewesen, die Berufung fertigzustellen bzw. abzuschicken oder einen Mitarbeiter bzw. M zu verständigen. Erst nach Rückkehr vom Urlaub am 11. April 1994 und gegen Ende des Krankenstandes von Mag. S. am 12. April 1994 habe sich herausgestellt, daß die Berufungsfrist versäumt worden sei.
Dem hielt die belangte Behörde entgegen, daß es Aufgabe des Bevollmächtigten M gewesen wäre, die rechtzeitige Einbringung der Berufungsschrift zu kontrollieren. Überdies müßte in jedem ordnungsgemäß geführten Bürobetrieb dafür Vorsorge getroffen werden, daß im Verhinderungsfall eines Bediensteten ein anderer dessen Arbeit sichtet und erforderlichenfalls erledigt, weshalb die Argumentation, Mag. S. sei infolge schwerer Krankheit dispositionsunfähig gewesen, ins Leere gehe. Demzufolge liege ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG, welches den Beschwerdeführer an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert habe, nicht vor; die Beschwerdeführerin müsse sich das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen.
Da die gegenständliche Berufung erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist des § 63 Abs. 5 AVG eingebracht worden sei, sei sie als verspätet zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis gehindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Hiebei ist grundsätzlich das Verschulden des Parteienvertreters der Partei zuzurechnen, wobei jedoch ein geradezu weisungswidriges Verhalten des Kanzleiangestellten das Verschulden des Vertreters ausschließt, sofern kein Verschulden des Bevollmächtigten selbst hinzutritt (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 658, angeführte Judikatur). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, daß ihr Bevollmächtigter M einen verläßlichen und erfahrenen Mitarbeiter des Unterstützungskomitees damit beauftragt habe, die schon verfaßte und unterzeichnete Berufung rechtzeitig zur Post zu geben bzw. ihn im Falle einer nach Rücksprache mit einem Rechtsfreund noch allenfalls erforderlichen Änderung der Berufung zu verständigen, damit er der dann geänderten Sachlage nachkommen könne. Daß es sich bei Mag. S. nicht um eine zur Ausführung des erteilten Auftrages befähigte oder verläßliche Person gehandelt hätte, hat auch die belangte Behörde nicht angenommen, sodaß für den Vertreter M keine Verpflichtung bestand, sich nochmals davon zu überzeugen, ob Mag. S. seinen Anweisungen auch tatsächlich nachgekommen ist. Selbst wenn man in der Person des Mag. S. nicht nur einen Boten, sondern einen Machthaber des Vertreters M sehen wollte, dem damit das Verhalten des Mag. S. grundsätzlich zuzurechnen wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt nämlich eine erwiesene Dispositionsunfähigkeit des Vertreters in jenem Zeitraum, in dem die Berufung gegen den anzufechtenden Bescheid hätte erhoben werden müssen, in der Regel ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis dar. Dies trifft bei einer Erkrankung dann zu, wenn sie einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge hat und so plötzlich und so schwer auftritt, daß der Erkrankte nicht mehr in der Lage ist, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,
4. Auflage, S. 625 f zitierte Judikatur). Die belangte Behörde hat die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß bei Mag. S. eine derartige Krankheit vorgelegen sei, nicht als unglaubwürdig erachtet. Der belangten Behörde ist in diesem Zusammenhang zwar zuzugestehen, daß derjenige, der - wenn auch ehrenamtlich - professionelle Vertretungshandlungen übernimmt, innerhalb seines Bereiches grundsätzlich dafür zu sorgen hat, daß in plötzlich auftretenden Behinderungsfällen dennoch der reibungslose Ablauf der Büroorganisation gegeben ist. Dies kann aber nur für vorhersehbare, im alltäglichen Büroablauf üblicherweise auftretende Umstände gelten, nicht jedoch für den unerwartet und plötzlich auftretenden Zustand der Dispositionsunfähigkeit des bevollmächtigten Vertreters selbst.
Da die belangte Behörde das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der Berufungsschrift als zur Begründung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht geeignet ansah, war der bekämpfte Bescheid in seinem Spruchteil 1 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Beschwerde richtet sich nach dem Umfang ihrer Anfechtungserklärung auch gegen Spruchpunkt 2 des bekämpften Bescheides. Insoweit war die inhaltsleere Beschwerde jedoch als unbegründet abzuweisen, weil über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Fällen - unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich aufgrund der Aktenlage entschieden werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, 85/02/0251).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200126.X00Im RIS seit
20.11.2000