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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des ASVG betreffend die Alterspension wegen zu engen AnfechtungsumfangsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter, der Verfassungsgerichtshof möge "die Wortfolge 'und 1. wenn der (die) Versicherte am Stichtag (§223 Abs2) weder in der Pensionsversicherung nach diesem, noch nach einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert ist' in §253 Abs1 Z1 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF BGBl Nr 157/1991, ebenso die Wortfolge 'solange der (die) Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem Stichtag (§223 Abs2) weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz begründete selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit ausübt.' in §253 Abs1 Z2 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF BGBl Nr 157/1991 sowie die Schlussbestimmung zu ArtI des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1993 in §551 Abs10 ASVG idgF mit dem Wortlaut 'Bei einem Antrag auf eine vorzeitige Alterspension gemäß §253a, §253b, §276a oder §276b oder auf eine Alterspension gemäß §253 oder §276 ist das am 30. Juni 1993 geltende Recht weiter anzuwenden, wenn bereits ein rechtskräftig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach diesem Bundesgesetz oder aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, besteht oder bestanden hat und nicht entzogen wurde. Ein Antrag auf eine vorzeitige Alterspension gemäß §253c, §253d, §276c oder §276d ist in diesem Fall unzulässig. Dasselbe gilt bei einem Antrag auf Alterspension gemäß §253 oder §276, wenn bereits ein rechtskräftig zuerkannter Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit oder bei langer Versicherungsdauer nach diesem Bundesgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, besteht oder bestanden hat. Wird bei einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension nach diesem Bundesgesetz, bei einer Erwerbsunfähigkeitspension nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder bei einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer oder bei Arbeitslosigkeit nach diesem Bundesgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, bei Vollendung des 65. Lebensjahres bei Männern bzw des 60. Lebensjahres bei Frauen kein Antrag auf eine Alterspension gemäß §253 oder §276 gestellt, so ist das am 30. Juni 1993 geltende Recht weiter anzuwenden.' als verfassungswidrig" aufheben.
II. Rechtslage
§253 Abs1 ASVG, BGBl 189/1955, idF BGBl 157/1991 und §551 Abs10 ASVG, BGBl 189/1955, idF BGBl 411/1996 laute(te)n (die zur Aufhebung beantragten Teile sind hervorgehoben):
"Alterspension
§253. (1) Anspruch auf Alterspension hat der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres, wenn die Wartezeit (§236) erfüllt ist, und
1. wenn der (die) Versicherte am Stichtag (§223 Abs2) weder in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert ist;
2. solange der (die) Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem Stichtag (§223 Abs2) weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz begründende selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Außer Betracht bleibt jedoch eine solche Erwerbstätigkeit, die
a) nicht bei dem Dienstgeber ausgeübt wird – oder bei einem anderen Unternehmen, das sich im wirtschaftlichen Entscheidungsbereich dieses Dienstgebers befindet oder mit diesem in einer konzernartigen Verbindung steht –, bei dem sie während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) überwiegend ausgeübt worden ist,
b) als betriebliche Tätigkeit bzw selbständige Tätigkeit im Sinne der §§2 und 3 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes ausgeübt wird, sofern sie der (die) Versicherte nicht während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) überwiegend ausgeübt hat,
c) nicht auf der Fortführung des unmittelbar vor dem Stichtag (§223 Abs2) geführten land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (§2 Abs1 Z1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes) beruht bzw die nicht auf einer Beschäftigung im Sinne des §2 Abs1 Z2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes beruht, die während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) ausgeübt worden ist.
Eine Pflichtversicherung auf Grund einer Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes und eine Pflichtversicherung auf Grund eines am Stichtag bereits beendeten Beschäftigungsverhältnisses, aus dem dem (der) Versicherten noch ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung oder ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld anstelle von Kündigungsentschädigung zusteht, haben hiebei außer Betracht zu bleiben.
[…]
Schlußbestimmungen zu ArtI des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1993,
BGBl Nr 335 (51. Novelle)
§551. […]
(10) Bei einem Antrag auf eine vorzeitige Alterspension gemäß §253a, §253b, §276a oder §276b oder auf eine Alterspension gemäß §253 oder §276 ist das am 30. Juni 1993 geltende Recht weiter anzuwenden, wenn bereits ein rechtskräftig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach diesem Bundesgesetz oder aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, besteht oder bestanden hat und nicht entzogen wurde. Ein Antrag auf eine vorzeitige Alterspension gemäß §253c, §253d, §276c oder §276d ist in diesem Fall unzulässig. Dasselbe gilt bei einem Antrag auf Alterspension gemäß §253 oder §276, wenn bereits ein rechtskräftig zuerkannter Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit oder bei langer Versicherungsdauer nach diesem Bundesgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, besteht oder bestanden hat. Wird bei einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension nach diesem Bundesgesetz, bei einer Erwerbsunfähigkeitspension nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder bei einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer oder bei Arbeitslosigkeit nach diesem Bundesgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liegt, bei Vollendung des 65. Lebensjahres bei Männern bzw des 60. Lebensjahres bei Frauen kein Antrag auf eine Alterspension gemäß §253 oder §276 gestellt, so ist das am 30. Juni 1993 geltende Recht weiter anzuwenden.
[…]"
III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Einschreiter stellt den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag aus Anlass seiner Berufung gegen ein Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht, mit dem – nach Ablehnung seines Antrages auf Umwandlung der Invaliditätspension in eine Alterspension ab 1. Jänner 2020 mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark, (in der Folge: PVA) – sein Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Alterspension in gesetzlicher Höhe erfülle, sowie sein Eventualbegehren, die beklagte PVA sei schuldig, dem Kläger ab dem gesetzlichen Stichtag die Alterspension in gesetzlicher Höhe zu bezahlen, abgewiesen werden.
2. Zur Begründung seines Antrages führt der Einschreiter Folgendes:
2.1. Es gebe zwei unterschiedliche Regelungen für den Anspruch auf Alterspension; einerseits für Versicherte, die eine Invaliditätspension beziehen würden, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liege, und andererseits für jene, die keine Invaliditätspension bzw eine solche erst ab dem genannten Stichtag beziehen würden.
2.2. Die für die Gleichheitswidrigkeit erforderlichen unterschiedlichen Rechtsfolgen seien jene, dass Versicherte, die keine Invaliditätspension bzw eine solche erst ab dem 1. Juli 1993 beziehen würden, einen Anspruch auf Alterspension hätten, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt seien; die Erreichung des Regelpensionsalters und die Erfüllung der Mindestversicherungszeit am Stichtag (Wartezeit). Hingegen hätten Versicherte, die eine Invaliditätspension bereits vor dem genannten Stichtag beziehen würden, nur dann einen Anspruch auf Alterspension, wenn drei Voraussetzungen erfüllt seien; die Erreichung des Regelpensionsalters, die Erfüllung der Mindestversicherungszeit am Stichtag (Wartezeit) und das Nichtvorliegen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG oder nach einem anderen Bundesgesetz am Stichtag.
Aus den Gesetzesmaterialien lasse sich dafür kein die Differenzierung rechtfertigender Grund ersehen.
Es könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, dass ein Versicherungsnehmer ohne Bezug einer Invaliditätspension bzw Bezug einer solchen ab dem Stichtag 1. Juli 1993, der das Regelpensionsalter und die Wartezeit erfüllt habe, einen Anspruch auf Alterspension habe, ohne die Erwerbstätigkeit aufgeben zu müssen, hingegen ein Versicherungsnehmer mit Bezug einer Invaliditätspension vor dem genannten Stichtag, der das Regelpensionsalter und die Wartezeit erfülle, einen Anspruch auf Alterspension nur dann habe, wenn er die Erwerbstätigkeit aufgegeben habe.
2.3. Die Stichtagsregelung ("Beschäftigungsverbot" am Stichtag) werde in der Regierungsvorlage zur Stammfassung des ASVG, BGBl 189/1955, damit begründet, dass das ASVG ausreichende Leistungen an Alterspension sichere; es sei daher sachlich gerechtfertigt, vom Versicherten zu verlangen, dass er nicht jüngeren Arbeitskräften einen Arbeitsplatz durch ein weiteres Verbleiben in seiner bisher immer gehabten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wegnehme (RV 599 BlgNR 7. GP, 85). Im Ausschussbericht werde dazu dargelegt, dass nach dem vor dem ASVG geltenden Recht die Rente zu dem im Laufe eines ganzen Berufslebens erarbeiteten Lebensstandard in keinem direkten Verhältnis gestanden sei, sondern sich nach dem Durchschnitt der während der ganzen Versicherungsdauer geleisteten Beiträge errechnet habe (AB 613 BlgNR 7. GP, 3). Das sei im Hinblick auf das damals maßgeblich gewesene Versicherungsprinzip angesichts des Missverhältnisses zwischen Rente und letztem Arbeitseinkommen gerechtfertigt gewesen. Mit dem ASVG seien jedoch Renten festgelegt worden, die nach 40 Versicherungsjahren 72 % der Bemessungsgrundlage erreichten und nach 45 Versicherungsjahren bis zu einem Höchstmaß von 79,5 % anstiegen.
2.4. Das Sozialversicherungsrecht beruhe aber nicht nur auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Versorgungsprinzip. Die sogenannte Stichtagsregelung sei somit von Anfang an im Konnex mit der Anordnung über das Ruhen von Pensionsansprüchen bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach dem Entstehen des Pensionsanspruches gestanden.
Dieser Konnex sei jedoch nach Inhalt und Zielrichtung nicht derart, dass sich die Regelungen gegenseitig bedingt hätten. Während der Stichtagsregelung die Funktion zukomme, eine Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruches auf Alterspension zu normieren, sollten die Ruhensbestimmungen – flankierend dazu – bei einer nach dem Stichtag aufgenommenen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit ein vorübergehendes, teilweises Ruhen des Pensionsanspruches nach sich ziehen, und zwar mit dem gesetzgeberischen Ziel, dadurch einerseits eine Lenkung des Arbeitsmarktes und andererseits eine Entlastung des Bundeshaushaltes zu bewirken, ohne aber den erworbenen Anspruch zum Erlöschen zu bringen (AB 613 BlgNR 7. GP, 3).
2.5. Der Verfassungsgerichtshof habe mit seinem Erkenntnis VfSlg 12.592/1990 die Ruhensbestimmung des §94 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben.
2.6. Die Stichtagsregelung des §253 Abs1 Z1 ASVG sehe ausdrücklich vor, dass an einem bestimmten Tag keine versicherungspflichtige Beschäftigung bestehen dürfe. Sie normiere zwar auch, dass innerhalb der nächsten sechs Monate nach dem Stichtag weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG noch nach einem anderen Bundesgesetz begründende selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt werden dürfe (§253 Abs1 Z2 leg cit), dennoch seien sämtliche Erwerbstätigkeiten ausgenommen, die bei einem anderen als dem bisherigen Dienstgeber ausgeübt würden und weiters auch betriebliche und selbständige Tätigkeiten, solange sie nicht innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt worden seien.
2.7. Die Stichtagsregelung sei daher offensichtlich nicht geeignet, dem ihr verfolgten Ziel Rechnung zu tragen. Eine Regelung, die nur das Ziel verfolge, die Aufgabe jeder versicherungspflichtigen Tätigkeit nur für einen einzigen Tag (Stichtag) zu verlangen, sei sachlich nicht zu rechtfertigen, weil nach dem deklarierten Ziel der Regelung der Pensionsanspruchsberechtigte in den Ruhestand getreten sein müsse. Es könne weder davon ausgegangen werden, dass eine gesetzliche Regelung, nach der Voraussetzung eines Anspruches auf Alterspension die Aufgabe der versicherungspflichtigen Tätigkeit sei, bewirken könnte, dass ein Versicherungsnehmer in den Ruhestand trete, noch könne vertretbarerweise angenommen werden, dass der Arbeitsplatz eines Pensionswerbers für einen jüngeren Dienstnehmer frei werde, wenn derselbe Gesetzgeber dem Pensionisten schon für den nächsten Tag die Wiederaufnahme einer (gleichartigen) Tätigkeit (wenn auch mit Einschränkungen) freistelle.
Die Stichtagsregelung des §253 Abs1 Z1 und 2 ASVG iVm der Schlussbestimmung zu ArtI SRÄG 1993 in §551 Abs10 ASVG sei somit gleichheitswidrig (so auch bereits der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 12.831/1991). Die Schlussbestimmung des §551 Abs10 ASVG sei nach wie vor gleichheitswidrig, weil keine ordnungsgemäße Korrektur iSd zuvor genannten Erkenntnisses seitens des Gesetzgebers vorgenommen worden sei.
Im Übrigen sei die Bestimmung des §551 Abs10 ASVG in sich widersprüchlich.
2.8. Ungeachtet dessen würden Versicherte, die eine Invaliditätspension beziehen würden, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liege und die auf Grund ihres Alters und auf Grund der Erfüllung der Wartezeit grundsätzlich einen Anspruch auf Alterspension gemäß §253 ASVG hätten, gegenüber jenen Versicherungsnehmern, die keine Invaliditätspension bzw zwar eine Invaliditätspension beziehen würden, deren Stichtag aber nach dem 30. Juni 1993 liege, schlechter gestellt, zumal letztere ihre Erwerbstätigkeit nicht aufgeben müssten. Für sie genüge für den Anspruch auf Alterspension, dass sie das gesetzliche Regelpensionsalter erreichten und die gesetzliche Mindestversicherungsdauer (Wartezeit) erfüllten.
Versicherte hingegen, die eine Invaliditätspension beziehen würden, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liege, hätten nur dann einen Anspruch auf Alterspension, wenn drei Voraussetzungen erfüllt seien; die Erreichung des Regelpensionsalters, die Erfüllung der Mindestversicherungszeit am Stichtag (Wartezeit) und das Nichtvorliegen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG oder nach einem anderen Bundesgesetz am Stichtag.
Dieser unterschiedlichen Behandlung liege kein wesentlicher Unterschied im Tatsächlichen zugrunde. Auch die Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge beruhe auf keinem vernünftigen Grund.
Die vorliegende Regelung schaffe vielmehr ein "gröbst" unverhältnismäßiges Ergebnis, indem Versicherte mit Anspruch auf Alterspension nur aus dem Grund des Bezuges einer Invaliditätspension vor einem gewissen Stichtag unterschiedlich gegenüber Versicherten mit Anspruch auf Alterspension ohne Bezug einer Invaliditätspension bzw mit Bezug einer Invaliditätspension nach einem bestimmten Stichtag behandelt würden. Die einen müssten ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, um einen Anspruch auf Alterspension zu haben, die anderen hingegen nicht.
Seit 1. Oktober 2000 sei die Beendigung einer Erwerbstätigkeit für den Anspruch auf Alterspension ohnehin nicht mehr erforderlich. Wer eine "normale" Alterspension erhalte, könne daher auch zusätzlich in seiner Pension arbeiten und auch Einkommen aus einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit ohne Schmälerung der Pensionsleistung erwerben. Die "normale" Alterspension erhalte somit den Charakter einer Altersprämie. Dies gelte aber nicht für Versicherte, die bereits vor dem Stichtag 1. Juli 1993 eine Invaliditätspension beziehen würden.
Die Regelung des §253 Abs1 Z1 und 2 ASVG iVm der Schlussbestimmung zu ArtI SRÄG 1993 in §551 Abs10 ASVG sei daher jedenfalls als gleichheitswidrig anzusehen.
3. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.
IV. Zulässigkeit
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", somit eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz (vgl VfSlg 20.001/2015; VfGH 25.2.2016, G659/2015). Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden. Für den Rechtsmittelwerber ist dabei die Frist zur Einbringung des Rechtsmittels maßgebend (vgl VfSlg 20.074/2016; VfGH 26.9.2016, G62/2016).
4. Mit der Berufung, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erhoben wurde, wendet sich der Antragsteller gegen das oben erwähnte Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Oktober 2020, das am 16. November 2020 elektronisch bereitgestellt wurde und sohin gemäß §89d Abs2 GOG am 17. November 2020 als zugestellt gilt. Der am 14. Dezember 2020 eingebrachte Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist somit rechtzeitig. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht teilte auch mit, dass die Berufung des Einschreiters rechtzeitig erhoben wurde.
5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
6. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
7. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
8. Im Falle der Aufhebung der angefochtenen Teile des §253 Abs1 ASVG blieben für die Frage der Erfüllung der Wartezeit iSd §236 leg cit – und nicht, wie vom Gesetzgeber intendiert, als Ausnahme von der Verpflichtung des/der Versicherten, innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem Stichtag weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG noch nach einem anderen Bundesgesetz begründende selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben – die in §253 Abs1 Z2 lita bis c und im letzten Satz ASVG bezeichneten Erwerbstätigkeiten und die dort genannte Beschäftigung außer Betracht. Eine solche teilweise Aufhebung des §253 Abs1 ASVG käme einem positiven Akt der Gesetzgebung gleich, der dem Verfassungsgerichtshof nicht zukommt (VfSlg 12.465/1990, 13.140/1992, in sozialversicherungsrechtlichem Zusammenhang VfSlg 13.915/1994, 15.283/1998).
Wenn die Norm aber im Falle ihrer bloß teilweisen Aufhebung einen Inhalt erhielte, der dem Normgeber nicht mehr zusinnbar ist, müsste sie für den Fall ihrer Verfassungswidrigkeit zur Gänze aufgehoben und daher – wegen der Bindung des Verfassungsgerichtshofes an den gestellten Antrag – auch zur Gänze angefochten werden.
9. Der nach dem Gesagten zu eng gefasste Antrag erweist sich daher als unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, Pensionsrecht, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bindung, VfGH / AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G384.2020Zuletzt aktualisiert am
23.02.2022