TE Vfgh Beschluss 2021/12/15 G250/2021

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
KinderbetreuungsgeldG §2 Abs6
VfGG §7 Abs2, §62a

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags mangels Legitimation wegen verspäteter Erhebung der Berufung gegen die erstinstanzliche Gerichtsentscheidung; Gewährung der Verfahrenshilfe durch Zivilgericht umfasst die Gebühr zur Stellung eines Parteiantrags

Spruch

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolgen "(mindestens 91 Tage durchgehend)" sowie ", sofern sie mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut" in §2 Abs6 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 24/2019, in eventu §2 Abs6 leg cit zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

§2 KBGG lautet auszugsweise (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Abschnitt 2

Pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto

Anspruchsberechtigung

§2. (1) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind) bzw eine Krisenpflegeperson für ein Krisenpflegekind, sofern

1. für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl Nr 376, besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird,

2. der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt,

[…]

(6) Ein gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften (mindestens 91 Tage durchgehend) Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Eine höchstens bis zu 10 Tage verspätet (§3 Abs1 MeldeG) erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse schadet nicht. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteiles oder des Kindes als aufgelöst. Bei einem 91 Tage übersteigenden Krankenhausaufenthalt des Kindes wird bei persönlicher Pflege und Betreuung des Kindes durch diesen Elternteil im Mindestausmaß von durchschnittlich vier Stunden täglich ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt des Kindes mit diesem Elternteil im Sinne dieses Absatzes angenommen. Eine Krisenpflegeperson hat unabhängig davon, dass nie eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Krisenpflegekind vorliegt, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für dieses Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.

[…]"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin war Krisenpflegemutter eines Pflegekindes, welches sich im Zeitraum vom 22. Jänner bis 30. März 2020 bei ihr befunden hat. Für dieses Pflegekind beantragte die Antragstellerin ein pauschales Kinderbetreuungsgeld. Dieser Antrag wurde von der Österreichischen Gesundheitskasse als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Klage an das Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht. Das Klagebegehren wurde mit Urteil vom 17. März 2021, zugestellt am 1. Juni 2021, abgewiesen. Begründend führte das Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht aus, dass eine Krisenpflegeperson nur dann einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein Krisenpflegekind habe, wenn es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut werde.

3. Innerhalb der Berufungsfrist stellte die Antragstellerin am 23. Juni 2021 beim Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und zur Erhebung eines Rechtsmittels. Ausdrücklich wurde von der Antragstellerin die Verfahrenshilfe nur im Umfang der Gebührenbefreiung begehrt. Mit Beschluss vom 5. Juli 2021 wurde die Verfahrenshilfe im beantragten Umfang gewährt. Der Beschluss auf Gewährung der Verfahrenshilfe wurde irrtümlich an den Ausschuss der zuständigen Rechtanwaltskammer weitergeleitet.

4. Gegen das abweisende Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht erhob die Antragstellerin Berufung und brachte gleichzeitig – mit Eingabe vom 29. Juli 2021 – den vorliegenden Parteiantrag beim Verfassungsgerichtshof ein, mit dem sie die Verfassungswidrigkeit der Wortfolgen "(mindestens 91 Tage durchgehend)" sowie ", sofern sie mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut" in §2 Abs6 KBGG (samt Eventualantrag), geltend macht. Die Rechtzeitigkeit der Einbringung des Parteiantrages (bzw der Berufung) wird mit der Unterbrechung der Frist zur Einbringung der Berufung durch die Stellung des Antrages auf Verfahrenshilfe begründet.

5. Das gemäß §62a Abs5 VfGG von der Antragstellung verständigte Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht teilte dem Verfassungsgerichtshof mit, dass die Berufung gegen sein Urteil wegen Verspätung zurückgewiesen wurde und legte dem Verfassungsgerichtshof den zurückweisenden Beschluss vom 14. September 2021 vor.

6. Der Bundesregierung wurde der rechtskräftige Beschluss, mit dem die von der Antragstellerin erhobene Berufung zwischenzeitig wegen Verspätung zurückgewiesen worden war, zugestellt. Die Bundesregierung hat in der Folge keine Äußerung erstattet.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Der vorliegende Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG wurde aus Anlass der – verspätet erhobenen – Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. März 2021, zugestellt am 1. Juni 2021, gestellt. Da die Berufung gegen dieses Urteil mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 14. September 2021 wegen Verspätung zurückgewiesen wurde, fehlt der Antragstellerin die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (vgl VfGH 2.7.2015, G133/2015; 22.9.2015, G139/2015; 19.11.2015, G209/2015; 11.6.2018, G273/2017 ua; 2.10.2018, G12/2018).

4. Der Antragstellerin ist im arbeits- und sozialgerichtlichen Anlassverfahren Verfahrenshilfe im Umfang sämtlicher Gebühren gewährt worden. Die gewährte Verfahrenshilfe im gerichtlichen Verfahren schließt auch die Gebühren für die Stellung eines Parteiantrages an den Verfassungsgerichtshof aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die gerichtliche Entscheidung erster Instanz mit ein. Der unter einem mit dem Parteiantrag auf Aufhebung von bestimmten Wortfolgen in §2 Abs6 KBGG (samt Eventualantrag) gestellte Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebühren ist daher im Hinblick darauf, dass im gerichtlichen Verfahren Verfahrenshilfe im beantragten Umfang gewährt wurde, zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG bzw §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Legitimation, Verfahrenshilfe, Gebühr, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G250.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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