Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des S in W, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in 1230 Wien, Dr. Neumann-Gasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 29. November 2019, LVwG-S-1883/001-2019, betreffend Übertretungen des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), zu Recht erkannt:
Spruch
1. Das angefochtene Erkenntnis wird in dem Umfang, als damit über die Beschwerde gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 2019, NKS2-V-19 26821/5, abgesprochen wurde, dahingehend abgeändert, dass in diesem Umfang der Beschwerde Folge gegeben, das bekämpfte Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren insoweit gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt wird.
2. Im Übrigen - soweit damit über die Spruchpunkte 3., 4. und 5. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 2019 abgesprochen wurde - wird das angefochtene Erkenntnis wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
3. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 2019 wurde dem Revisionswerber als Fahrer eines näher bezeichneten Lastkraftwagens vorgeworfen, am 17. April 2019 zu einer näher genannten Uhrzeit am Tatort folgende Verwaltungsübertretungen begangen zu haben:
„1. Sie haben als FahrerIn des angeführten Kraftfahrzeuges, welches zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzt ist und dessen zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3.5 t übersteigt, folgende Übertretungen begangen. Es wurde festgestellt, dass Sie die reduzierte wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden nicht eingehalten haben. In der Zeit vom 25.03.2019 um 6:20:00 Uhr bis 05.04.2019 um 13:34:00 Uhr existiert keine ausreichende wöchentliche Ruhezeit. In diesem Zeitraum wurde nur eine unzureichende reduzierte wöchentliche Ruhezeit mit 16 Stunden und 35 Minuten eingelegt. Dies stellt daher anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG i.d.g.F. einen sehr schwerwiegenden Verstoß dar.
2. Sie haben als FahrerIn des angeführten Kraftfahrzeuges, welches zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzt ist und dessen zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3.5 t übersteigt, folgende Übertretungen begangen. Es wurde festgestellt, dass Sie nicht innerhalb von 24 Stunden nach dem Ende der vorangegangenen täglichen Ruhezeit eine tägliche Ruhezeit von mindestens 9 zusammenhängenden Stunden eingehalten haben, wobei die zulässige 3-malige Verkürzung der Ruhezeit pro Woche auf jeweils 9 zusammenhängende Stunden berücksichtigt wurde. Beginn des 24-Stundenzeitraumes am 28.03.2019 um 05:49:00 Uhr. Die unzureichende tägliche Ruhezeit von weniger als 9 Stunden, bei der die reduzierte tägliche Ruhezeit gestattet ist, betrug somit 01 Stunden und 47 Minuten. Dies stellt daher anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG i.d.g.F. einen sehr schwerwiegenden Verstoß dar.
3. Sie haben ein Fahrzeug gelenkt, dessen technischer Zustand eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, obwohl Ihnen der technische Mangel vor Fahrtantritt hätte auffallen müssen. Das Kfz hat folgender/n kraftfahrrechtlicher/n Vorschrift/en nicht entsprochen: Es wurde festgestellt, dass die Betriebsbremse auf der dritten Achse folgenden Mangel aufwies: Differenz > 50% - rechts Wirkung zu gering; Hebelweg deutlich unterschiedlich. Bei der Teiluntersuchung gem. § 58 KFG 1967 wurde Gefahr im Verzug festgestellt.
[...]
4. Sie haben sich als Lenker(in), obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass beim Lastkraftwagen die Bremsanlage den Vorschriften des § 6 KFG entspricht, obwohl Bremsanlagen so beschaffen und eingebaut sein müssen, dass mit ihnen bei betriebsüblicher Beanspruchung und ordnungsgemäßer Wartung trotz Erschütterung, Alterung, Abnützung und Korrosion die vorgeschriebene Wirksamkeit erreicht wird. Es wurde festgestellt, dass die Feststellbremse auf der dritten Achse folgenden Mangel aufwies: Wirkung und Wirksamkeit - Differenz > 50%, was einen schweren Mangel darstellt.
5. Sie haben ein Fahrzeug gelenkt, dessen technischer Zustand eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, obwohl Ihnen der technische Mangel vor Fahrtantritt hätte auffallen müssen. Das Kfz hat folgender/n kraftfahrrechtlicher/n Vorschrift/en nicht entsprochen: Es wurde starker Ölverlust bei Kipperzylinder festgestellt, Öl tropft kontinuierlich auf den Boden, starke Verschmutzung - alter Mangel, Lachenbildung. Laut Teiluntersuchung gemäß § 58 KFG 1967 wurde Gefahr im Verzug festgestellt.“
2 Der Revisionswerber habe dadurch § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 8 Abs. 6 (Spruchpunkt 1.) und Art. 8 Abs. 1 und 2 (Spruchpunkt 2.) der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (im Folgenden: VO (EG) Nr. 561/2006) sowie § 102 Abs. 1 KFG iVm § 6 Abs. 1 KFG (Spruchpunkte 3. und 4.) und iVm § 4 Abs. 2 KFG (Spruchpunkt 5.) verletzt, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 1 und 1b KFG zu den Spruchpunkten 1. und 2. jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 72 Stunden) und zu den Spruchpunkten 3. bis 5. jeweils Geldstrafen in der Höhe von € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 40 Stunden) verhängt wurde.
3 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insoweit statt, als es zu den Spruchpunkten 1. und 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft eine Ermahnung erteilte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenbeitrag. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht hielt begründend fest, anlässlich einer Verkehrskontrolle sei anhand einer Tachographenauswertung festgestellt worden, dass die wöchentliche Ruhezeit des Revisionswerbers nicht eingehalten worden sei. Es sei bei Beginn der Lenktätigkeit nach dem Wochenende die Einstellung „Bereitschaft“ nachgetragen worden, obwohl die Einstellung „Bett“ nachzutragen gewesen wäre, wenn der Revisionswerber entsprechend seinen Angaben am Wochenende Ruhezeit gehabt hätte. Weiters sei das Fahrzeug hinsichtlich der Feststell- und Betriebsbremswirkung mangelhaft und am Kipperzylinder starker Ölverlust zu bemerken gewesen.
5 Diese Feststellungen stützte das Verwaltungsgericht beweiswürdigend auf die im Rahmen der mündlichen Verhandlung beigeschafften Lichtbilder des Fahrzeuges, die Angaben der Zeugen und das in der mündlichen Verhandlung erstattete kraftfahrzeugtechnische Sachverständigengutachten.
6 In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht zu den Spruchpunkten 1. und 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft aus, dass die vom Revisionswerber verursachten Bedienungsfehler auf eine mangelnde Kenntnis der Spezialfunktionen des Kontrollgeräts zurückzuführen seien und es sich nicht um einen Missbrauch des Geräts handle, um allfällige Fahrzeiten oder tatsächlich verkürzte Ruhezeiten zu verschleiern. Der Revisionswerber habe die Lenk- und Ruhezeiten eingehalten. Er habe somit grundsätzlich eine rechtswidrige Handlung gesetzt und sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand erfüllt. Da die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe und der in der übertretenen Vorschrift typisierte Unrechtsgehalt bei weitem nicht erreicht werde, sei es ausreichend, dem Revisionswerber unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens eine Ermahnung zu erteilen.
7 Zu den Spruchpunkten 3. bis 5. führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, das Beschwerdevorbringen sei nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des Straferkenntnisses in Zweifel zu ziehen, da die Mängel an der Bremse sowie der massive Ölverlust nach Angaben des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen visuell zu bemerken gewesen wären. Aus diesem Grund sei auch dem Antrag auf Einvernahme des Werkstättenleiters der Firma keine Folge zu geben gewesen. Der Einwand, die vorhandenen Lichtbilder des Fahrzeuges seien vor der Verhandlung nicht zur Einsicht übermittelt worden, gehe ebenfalls ins Leere, weil das Verwaltungsgericht auch ohne diese Lichtbilder zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre.
8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
9 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision betreffend die Spruchpunkte 1. und 2. vor, das Verwaltungsgericht habe Art. 8 VO (EG) 561/2006 offenkundig unrichtig interpretiert. Da der Revisionswerber die Ruhezeiten nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eingehalten habe, habe er die inkriminierten Delikte weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht verwirklicht. Betreffend die Spruchpunkte 3. bis 5. wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einem unschlüssigen Sachverständigengutachten, das sich zudem auf Lichtbilder stütze, die weder dem Revisionswerber zur Verfügung gestellt, noch in den Behördenakt aufgenommen worden seien, weshalb es dem Revisionswerber nicht möglich gewesen sei, dem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Der Beweisantrag auf Einvernahme des Werkstättenleiters sei zu Unrecht verworfen worden, da dieser hätte bestätigen können, dass das Fahrzeug bei Übergabe an den Revisionswerber mängelfrei gewesen sei und die in der Folge entstandenen Mängel für diesen nicht erkennbar gewesen seien.
12 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
13 Gemäß § 134 Abs. 1 erster Satz KFG begeht derjenige, der u.a. den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der VO (EG) Nr. 561/2006 zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung.
14 Art. 8 der VO (EG) 561/2006 lautet auszugsweise:
„(1) Der Fahrer muss tägliche und wöchentliche Ruhezeiten einhalten.
(2) Innerhalb von 24 Stunden nach dem Ende der vorangegangenen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit muss der Fahrer eine neue tägliche Ruhezeit genommen haben.
Beträgt der Teil der täglichen Ruhezeit, die in den 24-Stunden-Zeitraum fällt, mindestens 9 Stunden, jedoch weniger als 11 Stunden, so ist die fragliche tägliche Ruhezeit als reduzierte tägliche Ruhezeit anzusehen.
[...]
(6) In zwei jeweils aufeinander folgenden Wochen hat der Fahrer mindestens folgende Ruhezeiten einzuhalten:
- zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten oder
- eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden. Dabei wird jedoch die Reduzierung durch eine gleichwertige Ruhepause ausgeglichen, die ohne Unterbrechung vor dem Ende der dritten Woche nach der betreffenden Woche genommen werden muss.
[...]“
15 Mit den Spruchpunkten 1. und 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft wurden dem Revisionswerber Übertretungen des Art. 8 Abs. 6 der VO (EG) 561/2006 bzw. des Art. 8 Abs. 1 und 2 VO (EG) 561/2006 angelastet, weil er die reduzierte wöchentliche Ruhezeit von 24 Stunden bzw. die tägliche Ruhezeit von 9 Stunden innerhalb von 24 Stunden nach dem Ende der vorangegangenen täglichen Ruhezeit nicht eingehalten habe.
16 Das Verwaltungsgericht führte dazu in seiner Begründung aus, dass der Revisionswerber die Lenk- und Ruhezeiten eingehalten habe und die bei der Kontrolle festgestellten Überschreitungen auf eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Kontrollgerätes zurückzuführen seien.
17 Damit stellte das Verwaltungsgericht aber (disloziert) fest, dass der Revisionswerber das Art. 8 der VO (EG) 561/2006 zugrundeliegende Tatbild, nämlich die Nichteinhaltung der Ruhezeiten, nicht erfüllt habe. Demnach wurden dem Revisionswerber die in den Spruchpunkten 1. und 2. genannten Verwaltungsübertretungen zu Unrecht vorgeworfen.
18 Dass das Verwaltungsgericht zu den Spruchpunkten 1. und 2. des Straferkenntnisses anstatt der Verhängung einer Strafe eine Ermahnung ausgesprochen hat, ändert daran nichts. Nach der ständigen hg. Rechtsprechung stellt die Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG zwar keine Strafe dar, sie ist aber gleichwohl nur für jene Fälle vorgesehen, in denen die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe gegeben sind (vgl. VwGH 12.2.2021, Ra 2020/02/0164, mwN).
19 Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Mangels Tatbegehung liegt im Revisionsfall der angeführte Einstellungsgrund in diesem Umfang vor.
20 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und diese Entscheidung im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies ist hier der Fall. Der diesbezügliche maßgebliche Sachverhalt ist unstrittig. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und der Revision gemäß § 42 Abs. 1 und 4 VwGG aus den dargelegten Gründen im Umfang der Anfechtung des Abspruchs des Verwaltungsgerichts über die Beschwerde gegen die Spruchpunkt 1. und 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 2019, NKS2-V-19 26821/5, Folge gegeben.
21 Hinsichtlich der Spruchpunkte 3. bis 5. rügt der Revisionswerber, dass ihm die am Tatort angefertigten Lichtbilder der beanstandeten Mängel - trotz mehrfacher entsprechender Anträge - nicht zur Verfügung gestellt worden seien.
22 Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
23 Der Revisionswerber beantragte bereits mit seiner Eingabe vom 24. Juni 2019 die Übermittlung der im Zuge der Teiluntersuchung gemäß § 58 KFG angefertigten Lichtbilder. Diesem Antrag wurde nicht entsprochen. Die genannten Lichtbilder befinden sich auch nicht in den Verfahrensakten.
24 Aus dem Verhandlungsprotokoll vom 13. November 2019 ergibt sich, dass der vom Verwaltungsgericht beigezogene kraftfahrzeugtechnische Amtssachverständige die genannten Lichtbilder im Zuge des von ihm in der Verhandlung erstatteten Gutachtens auf seinem Laptop zeigte und dazu ausführte, dass die unterschiedliche Bremswirkung an Betriebs- und Feststellbremse auf die unterschiedlichen Hebellängen bzw. Hebelwege des Radbremszylinders zurückzuführen gewesen sei. Dies wäre für den Revisionswerber vor Fahrtantritt insofern erkennbar gewesen, als Bremszylinder und Bremshebel einsehbar gewesen seien. Auf dem Foto sei ersichtlich, dass die Hebelwege nicht gleich gewesen seien. Zudem seien auf den vorliegenden Lichtbildern schon erhebliche Verschmutzungen im Bereich des Rahmens um den Hydraulikzylinder vorhanden gewesen, worauf zurückzuführen sei, dass der Mangel des Ölverlustes am Hydraulikzylinder schon längere Zeit bestanden habe und für den Revisionswerber erkennbar gewesen sei.
25 Das Verwaltungsgericht stützte seine - vom Revisionswerber bestrittene - Erwägung, die Mängel wären für den Revisionswerber erkennbar gewesen, in erster Linie auf das Gutachten des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen, der sich diesbezüglich wiederum auf die ihm zur Verfügung gestellten Lichtbilder stützte. Das Argument des Verwaltungsgerichtes, es wäre auch ohne die Lichtbilder zu demselben Ergebnis gekommen, erscheint daher nicht nachvollziehbar.
26 Das Verwaltungsgericht verletzte, indem es seine Erwägungen im Zusammenhang mit den Spruchpunkten 3. bis 5. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen auf Ermittlungsergebnisse stützte, zu denen es dem Revisionswerber kein Parteiengehör eingeräumt hatte, tragende Grundsätze des Verfahrensrechts (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0380, 0381, Rn. 13).
27 Die Relevanz dieses Verfahrensmangels kann auch nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, weil - wie die Revision zutreffend aufzeigt - es dem Revisionswerber mangels Kenntnis der im Zuge der Teiluntersuchung gemäß § 58 KFG angefertigten Lichtbilder nicht möglich war, dem Sachverständigengutachten betreffend die Frage der Erkennbarkeit der Mängel auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten.
28 Hinzu kommt, dass auch ein Verwaltungsgericht die Verpflichtung trifft, im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen, weshalb es gehalten ist, sich im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung mit dem Gutachten auseinander zu setzen und dieses - gegebenenfalls unter Berücksichtigung dazu vorgebrachter Einwendungen - entsprechend zu würdigen (vgl. VwGH 14.7.2021, Ra 2021/03/0027, mwN).
29 Da die Lichtbilder, auf die der kraftfahrzeugtechnische Sachverständige seine Schlussfolgerungen betreffend die Erkennbarkeit der Mängel am verfahrensgegenständlichen Fahrzeug stützte, im Gutachten jedoch nicht enthalten sind, erweist sich das Gutachten in diesem Punkt als nicht vollständig, weshalb es diesbezüglich auch nicht auf seine Schlüssigkeit hin überprüfbar ist.
30 Das angefochtene Erkenntnis war daher, insoweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte 3., 4. und 5. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 2019 als unbegründet abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
31 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Jänner 2022
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweismittel Sachverständigengutachten Gutachten Parteiengehör Gutachten Überprüfung durch VwGH Parteiengehör Parteiengehör Sachverständigengutachten Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis VerwaltungsstrafverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020018.L00Im RIS seit
23.02.2022Zuletzt aktualisiert am
09.03.2022