TE OGH 2021/12/14 10Ob11/21x

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Veröffentlicht am 14.12.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des * 2017 geborenen W*, vertreten durch die Mutter M*, diese vertreten durch Mag. Anton Pelwecki, Rechtsanwalt in Gablitz, wegen Unterhalts, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters C*, vertreten durch Mag. Thomas Stöger, Rechtsanwalt in Neusiedl am See, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. November 2020, GZ 43 R 493/20y-25, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 23. September 2020, GZ 29 Pu 137/19z-19 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1. Das in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebilligte „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ sieht einen – vom Vater auch in dritter Instanz angestrebten – Entfall eines Geldunterhaltsanspruchs vor, wenn die Betreuungs- und Naturalleistungen in etwa gleichwertig und die Einkommen der Eltern außerdem in etwa gleich hoch sind (RIS-Justiz RS0130655; RS0131785; RS0131331; 3 Ob 101/19b). Erfolgt keine gleichteilige Betreuung oder trägt ein Elternteil (regelmäßig) über die (an sich gleichteilige) Betreuung hinaus im Wesentlichen die Kosten für sämtliche bedarfsorientierte Naturalleistungen allein, bleibt die gesetzliche Geldunterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils bestehen und der geleistete Naturalunterhalt ist nur, soweit die Aufenthalte über ein übliches Kontaktrecht weit hinausgehen, mit einem prozentuellen Abschlag zu berücksichtigen (RS0131331 [T1]).

[2]            Ob die Eltern in diesem Sinn gleichwertige Betreuungs- und Naturalunterhaltsleistungen erbringen und ihr Einkommen etwa gleich hoch ist, sodass kein Geldunterhaltsanspruch besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0047452 [T14]; vgl auch [T19]).

[3]            In der jüngeren Rechtsprechung wurde die Rechtsansicht, ein Betreuungsverhältnis von 1 : 2 reiche für die Anwendbarkeit des „unterhaltsrechtlichen Betreuungsmodells“ aus – so noch die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung 4 Ob 16/13a – einhellig nicht aufrecht erhalten (8 Ob 89/17x; 10 Ob 58/18d; 5 Ob 189/18g; 1 Ob 13/19x; 1 Ob 25/21i, vgl bereits 4 Ob 206/15w). Eine Betreuung durch einen Elternteil im Umfang von 39 % (9 Ob 57/17y), von 38 % (5 Ob 189/18g; 3 Ob 101/19b), von 36 % (10 Ob 58/18d), von 35 % (5 Ob 141/19z) oder von 32 % (1 Ob 25/21i) wurde für die Anwendbarkeit des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“ jeweils nicht als ausreichend beurteilt.

[4]            Die im Revisionsrekurs behauptete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung im Hinblick auf die Entscheidung 4 Ob 16/13a liegt angesichts der gefestigten nunmehr jüngeren Rechtsprechung nicht (mehr) vor. Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen bewegt sich die Beurteilung, die Betreuung des Vaters im Umfang von annähernd 34 % rechtfertige die Anwendung des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“ nicht, innerhalb des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessensspielraums. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG wird in diesem Zusammenhang daher nicht dargetan.

[5]            2. Teilen sich die Eltern die Betreuung in einem Ausmaß, das über den Rahmen der üblichen persönlichen Kontakte jenes Elternteils hinausgeht, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, ist der zu leistende Geldunterhalt zu reduzieren, weil der Geldunterhaltspflichtige dann notwendigerweise – über ein übliches Kontaktrecht hinaus – Naturalunterhalt leistet (RS0047452 [T6]). Die Berücksichtigung einer solchen übermäßigen Betreuungsleistung erfolgt im Allgemeinen in Form prozentmäßiger Abschläge, wobei die Rechtsprechung den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro (regelmäßigem) wöchentlichem Betreuungstag reduziert, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet (RS0128043; 1 Ob 25/21i). Dabei handelt es sich um eine Richtschnur im Sinn einer generalisierenden Betrachtungsweise (RS0128043 [T2]), entscheidend ist stets die wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Betreuungsleistungen (RS0128043 [T12]).

[6]       Üblich ist nach der Rechtsprechung ein Kontaktrecht von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, also von etwa 80 Tagen im Jahr bzw von durchschnittlich rund 1,5 Tagen pro Woche (1 Ob 25/21i; vgl 10 Ob 41/17b). Ausgehend davon billigte der Oberste Gerichtshof beispielsweise bei Betreuungsleistungen von 2,25 Tagen pro Woche (1 Ob 25/21i) oder von 133 (10 Ob 58/18d) oder 139 Tagen pro Jahr (5 Ob 189/18g) eine Reduktion der Geldunterhaltspflicht um 10 %.

[7]            Ob und in welchem Ausmaß der Umfang der Kontaktzeiten eine Reduzierung der Unterhaltsverpflichtung rechtfertigt, beruht auf den konkreten Umständen des Einzelfalls und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl RS0047452 [T16]).

[8]            Im vorliegenden Fall, in dem der Vater das Kind an 123 Tagen im Jahr betreut – das sind rund 2,4 Tage pro Woche –, hält sich der von den Vorinstanzen angenommene Abschlag von 20 % für die über das übliche Kontaktrecht hinausgehende Erbringung von Naturalunterhalt innerhalb der dargestellten Grundsätze, auch wenn zweifellos – einzelfallbezogen – in der Rechtsprechung auch höhere Abzüge anzutreffen sind (zB 8 Ob 69/15b, 10 Ob 41/17b).

[9]       Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E133910

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00011.21X.1214.000

Im RIS seit

23.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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