TE OGH 2022/2/8 11Os142/21y

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Veröffentlicht am 08.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Februar 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jäger, BA, als Schriftführer in der Strafsache gegen * B* wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 9. August 2021, GZ 14 Hv 15/21s-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde * B* des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (§§ 125, 109 Abs 3 Z 1, 83 Abs 1 StGB) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und „in Ansehung der unter 2./ geschilderten Tathandlung“ die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

[2]       Danach hat er sich am 26. Dezember 2020 (US 6) in K*, wenn auch nur fahrlässig, durch den Konsum von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand

1./ eine fremde bewegliche Sache, nämlich das Cerankochfeld in der Wohnung von * Bu* beschädigt, indem er darauf schlug, weshalb dieses zerbarst (Schaden nicht über 5.000 Euro),

2./ sich den Eintritt in die Wohnstätte der * Bu* mit Gewalt und in der Absicht, gegen eine dort befindliche Person oder Sache Gewalt zu üben, erzwungen, indem er mehrfach gegen die innere Wohnungstüre schlug und trat, bis der Türstock seinen Angriffen nicht mehr standhielt,

3./ im Anschluss an die zu 1./ und 2./ geschilderten Tathandlungen * Bu* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr einen Schlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch die Genannte ein Hämatom am rechten Auge erlitt,

„mithin Handlungen begangen, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB sowie der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zugerechnet würden“.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte, zum Vorteil des Angeklagten ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Voranzustellen ist:

[4]       War der (iSd § 21 StGB) abartige Täter vor dem (vorwerfbaren) Rauschmittelgebrauch zurechnungsfähig, so kann er wegen der verdeckten selbständigen Tat „nur deshalb nicht bestraft werden“, weil er dabei – (auch) zustandsbedingt (im Sinn einer Mitkausalität – Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 11 und 12; RIS-Justiz RS0090530) – zurechnungsunfähig war. Damit kann das verdeckte Delikt Anlasstat nach § 21 Abs 1 StGB sein. Da schon wegen der (zustandsbedingten) Zurechnungsunfähigkeit beim verdeckten Delikt eine Verdrängung des § 287 StGB durch Scheinkonkurrenz nicht in Frage kommt, ist – neben der Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB aus Anlass des verdeckten Delikts – Schuldspruch und Strafe wegen § 287 StGB denkbar (Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 8 und Vor §§ 28–31 Rz 70; Nimmervoll, SbgK § 21 Rz 31; aM Eder/Rieder, SbgK § 287 Rz 79).

[5]       § 287 StGB erfordert einen Zustand, der ausschließlich oder überwiegend auf Alkohol oder andere berauschende Mittel zurückzuführen ist; bloße Mitkausalität genügt hier nicht (arg „durch“; RIS-Justiz RS0095809; vgl Plöchl in WK2 StGB § 287 Rz 20).

[6]       Wird der zunächst zurechnungsfähige abartige Täter nicht (auch kausal) zustandsbedingt, sondern ausschließlich durch den Genuss von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln zurechnungsunfähig, kommt die Tathandlung des Selbstberauschens im Sinn des § 287 Abs 1 StGB (Plöchl in WK2 StGB § 287 Rz 18) als Anlasstat des § 21 Abs 2 StGB nicht in Betracht, weil sie gerade nicht „unter dem Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades“ (iS von Kausalität – vgl oben) begangen wurde (zu den Voraussetzungen für eine auf § 287 StGB gegründete Unterbringung vgl Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 7 f; Nimmervoll, SbgK § 21 Rz 30; RIS-Justiz RS0090104).

[7]       Die unter dem Einfluss der qualifizierten Abartigkeit herbeigeführte Berauschung iSd § 287 Abs 1 StGB kann hingegen beim zunächst Zurechnungsfähigen zur Anwendung des § 21 Abs 2 StGB führen.

[8]       Ein von vornherein (abartiger) Zurechnungsunfähiger wiederum kann sich durch den Genuss berauschender Mittel nicht (mehr) in einen solchen Zustand versetzen (vgl neuerlich RIS-Justiz RS0095809), sodass eine Subsumtion unter § 287 StGB ausscheidet. Zufolge Exklusivität (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 3) bildet das verdeckte Delikt die Anlasstat nach § 21 Abs 1 StGB (Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 7; Plöchl in WK2 StGB § 287 Rz 23; Nimmervoll, SbgK § 21 Rz 30, 32).

[9]       Feststellungen zur Zurechnungs-(un-)fähigkeit im Zeitpunkt der Berauschung sind daher entscheidend für die Frage der Subsumtion unter den Tatbestand der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB.

[10]     Zutreffend zeigt die Mängelrüge einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der (entscheidenden) Urteilsannahme, wonach * B* „am Abend des 26. Dezember 2020 an einer Polytoxikomanie, einer alkohol- und drogenkonsumbedingten Wesensänderung sowie einer bereits [vor der Berauschung] vorbestehenden kombinierten Persönlichkeitsstörung“ litt und „diese Persönlichkeitsstörung“ einen „Abbau seiner Persönlichkeit und der Steuerungsfähigkeit“ bewirkte, welche „[…] dazu führte, dass er angesichts entwickelter dissozialer Anteile nicht mehr selbst in der Lage war und ist, sein delinquentes Verhalten zu ändern“ (US 6), und jener Feststellung, wonach „während dieser gesamten Phase“, nämlich während der „gesamten Tathandlungen“ (gemeint der Rauschtaten) eine „andere gleichwertige seelische (Persönlichkeits-)Störung“ nicht vorlag und der Angeklagte, „bevor er in Kenntnis seiner damit verbundenen Konsequenzen in seinem Verhalten mit dem Trinken begann“, sich nicht in einem „die Zurechnungsfähigkeit ausschließendem Zustande“ befunden hat (US 9), auf.

[11]     Die verneinte Dispositionsfähigkeit aufgrund vorbestehender Persönlichkeitsstörung ist nämlich mit der konstatierten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten vor der Berauschung (US 9) nach den Denkgesetzen logisch nicht vereinbar und kann dieser Widerspruch auch nicht durch eine Gesamtschau der Urteilsausfertigung klarstellend aufgelöst werden (RIS-Justiz RS0117402 [T17]).

[12]     Dies erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs wegen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB, womit sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt.

[13]     Wird ein Schuldspruch aufgehoben, muss stets jede davon abhängige Sanktion kassiert werden, wozu auch vorbeugende Maßnahmen zählen (Ratz, WK-StPO § 289 Rz 7; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 35). Der vorliegende Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB ist vom Bestand des Schuldspruchs abhängig, weil er aufgrund der – eine objektive Bedingung der Strafbarkeit des Gegenstands des (aufzuhebenden) Schuldspruchs darstellenden (RIS-Justiz RS0095959 [T1]) – Rauschtat des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB als Anlasstat erfolgte und daher nicht selbständig bestehen bleiben kann.

[14]     Der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO), eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO).

[15]     Die (angemeldete [ON 48], jedoch nicht ausgeführte) Berufung der Staatsanwaltschaft war zurückzuweisen, weil sie weder die Punkte des Erkenntnisses, durch die sie sich beschwert erachtet, noch die Richtung der Sanktionsanfechtung bezeichnet (§ 294 Abs 4 iVm § 296 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0100560; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 13).

Textnummer

E133920

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00142.21Y.0208.000

Im RIS seit

23.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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