Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B* M*, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwälte Partnerschaft in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei A*Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. Juli 2021, GZ 4 R 53/21b-25, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 16. Dezember 2020, GZ 5 Cg 57/19z-19, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR (darin enthalten 366,30 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen der m* GmbH (in Hinkunft: Versicherungsnehmerin) und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, der auch den Rechtsschutz für den Privatbereich des Betriebsinhabers umfasst. Die Klägerin ist als Ehefrau des Betriebsinhabers mitversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
[…]
1.2 in ursächlichem Zusammenhang
[…]
1.2.2 mit
[...]
- der Errichtung bzw baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung von Grundstücken, Gebäuden (Gebäudeteilen) oder Wohnungen, die sich im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befinden oder von ihm erworben werden;
- der Planung und Finanzierung der in Punkt 1.2.2 genannten Maßnahmen und Vorhaben einschließlich des Grundstückserwerbs;
Dieser Ausschluss gilt nicht für die Geltendmachung von Personenschäden sowie im Straf-Rechtsschutz.
[...]“
[2] Die Klägerin ist Eigentümerin eines Wohnhauses. 2012 beauftragte sie die A* GmbH (in Hinkunft: Werkunternehmerin) mit der Errichtung eines Wintergartens. Diese zog für die Lieferung der Isolierglasscheiben die E* GmbH (in Hinkunft Subunternehmerin) bei.
[3] 2014 stellte sich heraus, dass sich der Randverbund der von der Subunternehmerin hergestellten und gelieferten Isolierglasscheiben verflüssigt hatte.
[4] In dem von der Werkunternehmerin gegen die Subunternehmerin vor dem Landesgericht Steyr geführten Verfahren (AZ 3 Cg 59/19z) wurde mit Beschluss vom 1. 3. 2016 DI K* H* (in Hinkunft: gerichtlicher Sachverständiger) zum Sachverständigen bestellt. Er wurde insbesondere mit der Beantwortung der Fragen beauftragt, ob eine Verflüssigung des Randverbundes der Isolierglasscheiben vorliege, worauf diese Veränderung zurückzuführen sei, ob dies auf die von der beklagten Subunternehmerin gelieferten Isolierglasscheiben oder auf die von der klagenden Werkunternehmerin durchgeführten Einbaumaßnahmen zurückzuführen sei, welche Beeinträchtigungen damit verbunden seien, ob eine Verbesserung möglich sei und welche Kosten damit verbunden seien.
[5] Das Gutachten wurde am 25. 5. 2016 erstattet und in den Tagsatzungen vom 26. 8. 2016 und 21. 10. 2016 mündlich erörtert. Der gerichtliche Sachverständige führte aus, dass sich der Randverbund zwar verflüssigt habe, die Funktion des Isolierglases jedoch trotz Eindringens von Butyl über lange Zeit gegeben gewesen sei. Es handle sich daher lediglich um eine optische Beeinträchtigung, wobei der Mangel mit 10 % bis 12,5 % der Gesamtsumme des Wintergartens, somit zwischen 8.000 EUR und 10.000 EUR brutto zu bewerten sei.
[6] Aufgrund des Gutachtens verglich sich die Werkunternehmerin mit der Subunternehmerin, die 30.000 EUR zahlte. Auf Basis dieses Gutachtens bot die Werkunternehmerin der Klägerin eine einvernehmliche Kapitalablöse von 30.000 EUR an. Im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens und in der Annahme, dass es sich lediglich um einen optischen Mangel handle, nahm die Klägerin die angebotene Kapitalablöse an.
[7] Im Jänner 2019 zeigte der Ehemann der Klägerin auf einer Baumesse einem Sachverständigen – für unter anderem Glasarbeiten – Fotos des Wintergartens. Nach einer Überprüfung kam dieser zu dem Ergebnis, dass ein deutlich geringerer Gasfüllgrad gegeben sei und damit neben einem optischen Mangel ein gravierender technischer Mangel vorliege.
[8] Die Klägerin brachte daraufhin Mahnklage gegen den gerichtlichen Sachverständigen vor dem Landesgericht Wels zu AZ 5 Cg 113/19w ein. Sie stützt ihr auf Schadenersatz gerichtetes Klagebegehren auf den Umstand, dass dieser ein unrichtiges Gutachten zum Zustand des Wintergartens erstattet und die Klägerin im Vertrauen darauf eine für sie ungünstige Vermögensdisposition getroffen habe, die sie bei Kenntnis der Unrichtigkeit des Gutachtens nicht getroffen hätte.
[9] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten im Rahmen des Rechtsschutzversicherungsvertrags für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den gerichtlichen Sachverständigen wegen Erstattung eines objektiv unrichtigen Gutachtens. Die Beklagte habe aufgrund des Bausteins Art 19 ARB „Schadenersatz-Rechtsschutz für den Privatbereich“ Deckung zu gewähren. Der Versicherungsfall falle nicht unter den Ausschlusstatbestand des Art 7.1.2 ARB, weil zwischen der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund der objektiv-rechtlichen Dritthaftung eines Sachverständigen und der Errichtung bzw baubehördlich genehmigten Veränderung von Gebäudeteilen kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Da im Rahmen des Bausteins „Schadenersatz-Rechtsschutz für den Privatbereich“ auch die Interessen des Privatbereichs des Ehemanns der Klägerin und ihm gleichgestellter Personen (somit auch der Klägerin) versichert seien, falle die Vertragsklausel in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen („Klausel-Richtlinie“). Die Klausel sei gröblich benachteiligend (§ 879 Abs 3 ABGB), überraschend (§ 864a ABGB) und intransparent (§ 6 Abs 3 KSchG). Der Risikoausschluss sei daher rechtsmissbräuchlich und führe zu einer unangemessenen Einschränkung des Schutzes der Klägerin als Verbraucherin. Im Geltungsbereich der Klausel-Richtlinie habe eine missbräuchliche Klausel dem Verbraucher gegenüber gänzlich unangewendet zu bleiben.
[10] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin begehre Rechtsschutzdeckung für Streitigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderungen eines Gebäudes (Neuerrichtung des Wintergartens) stünden, weshalb der Ausschluss gemäß Art 7.1.2.2 ARB zum Tragen komme. Da der Rechtsschutzversicherungsvertrag mit einer Kapitalgesellschaft abgeschlossen worden sei, unterliege dieser nicht den verbraucherrechtlichen Bestimmungen.
[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte das Vorliegen des Deckungsausschlusses nach Art 7.1.2.2 ARB. Aufgrund der genehmigungspflichtigen Errichtung des Wintergartens 2012 und den danach aufgetretenen Baumängeln sei das – (vermeintlich) unrichtige – Sachverständigengutachten notwendig geworden. Zwischen der genehmigungspflichtigen Errichtung des Wintergartens und dem (vermeintlich) unrichtigen Sachverständigengutachten samt der nachteiligen Vermögensdisposition bestehe ein adäquater Kausalzusammenhang. Da die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Verbraucherin nie Vertragspartnerin der Beklagten gewesen sei und aus diesem Versicherungsvertrag auch keine gesonderte Prämie in Rechnung gestellt bekommen habe, komme die Anwendung der „Klausel-Richtlinie“ nicht in Betracht.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Das Baurisiko spiegle sich im klassischen Bau-(Mängel-)Prozess mit regelmäßig hohen Streitwerten und dem Erfordernis umfänglicher Begutachtung wieder. Auch die Gefahr, dass im Zuge eines Bauprozesses ein Gutachten erstellt werde, welches nicht richtig sei, stelle ein typisches Risiko dar. Daraus folgende Prozesse gegen den Sachverständigen seien eine adäquate Folge. Letztlich gehe es im Kern um die Beurteilung von Baumängeln und somit geradezu um Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Errichtung oder Veränderung von (genehmigungspflichtigen) Gebäuden. Mit der Schadenszufügung durch ein unrichtiges Gutachten in einem mit dem Bauvorhaben im Zusammenhang stehenden Mängelprozess realisiere sich ein typisches Bau-(Herren-)Risiko und kein „Jedermann-Risiko“. Der Risikoausschluss des Art 7.1.2.2 ARB sei verwirklicht. Die Klausel sei weder ungewöhnlich im Sinn des § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Die „Klausel-Richtlinie“ gelte gemäß ihres Art 1 Abs 1 nur für Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
[13] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[14] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[16] 1. Im Revisionsverfahren ist die Aktivlegitimation der Klägerin nicht mehr strittig.
[17] 2.1 Nach der der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vorgehenden Geltungskontrolle gemäß § 864a ABGB (RS0037089) ist nur eine Klausel objektiv ungewöhnlich, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also auch nach den Umständen vernünftiger Weise nicht zu rechnen braucht; der Klausel muss somit ein Überrumpelungs- oder Überraschungseffekt innewohnen (RS0014646). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren (RS0014627).
[18] 2.2 Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0016914 [T4, T32]).
[19] 2.3.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbes T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).
[20] 2.3.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; vgl RS0080068).
[21] 3.1 Nach Art 7.1.2.2 ARB besteht unter anderem kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen, die im Zusammenhang mit der Errichtung oder baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung eines im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindlichen Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteils (Wohnung) stehen.
[22] 3.2 Zweck des Ausschlusses ist es, dass ein ganzer, durchaus überschaubarer und auch eingrenzbarer, im Grund erheblicher und typischerweise immer wiederkehrender Lebenssachverhalt vom Versicherungsschutz ausgenommen werden soll, der die allermeisten Versicherungsnehmer nicht, relativ wenige Bauwillige dafür mit erheblichem Kostenrisiko und in fast schon standardisierter Weise und Häufigkeit betrifft (7 Ob 75/18g mwN).
[23] 3.3.1 Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedem Versicherungsnehmer das Wissen zugemutet werden muss, dass einem Versicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer hat daher grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und -einschränkungen zu rechnen (7 Ob 70/21a mwN, vgl RS0016777 [T4]).
[24] 3.3.2 Die Klausel ist weder überraschend nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Die in Rechtsschutzverträgen übliche Klausel findet sich unter der Überschrift „Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?“. Neben dem eben dargestellten Zweck der Klausel ist auch zu berücksichtigen, dass Allgemeine Rechtsschutzbedingungen wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete abdecken; eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist im österreichischen Recht nicht gebräuchlich (vgl 7 Ob 115/19s mwN). Vor diesem Hintergrund vermag die Klägerin eine gröbliche Benachteiligung der Baurisikoklausel mit dem Hinweis auf eine mögliche Deckungslücke nicht zu begründen. Dies gilt umso mehr, als ohndedies die Möglichkeit der Vereinbarung eines Bauherren-Rechtsschutzes besteht.
[25] 3.3.3 Auf die – im Übrigen auch nicht gegebene – Intransparenz der Klausel nach § 6 Abs 3 KSchG kommt die Klägerin in ihrer Revision zu Recht nicht zurück.
[26] 3.4 Davon ausgehend ergibt sich kein wie immer gearteter Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch, sodass sich – entgegen der Ansicht der Klägerin – die Frage nach der Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auf ihre Person als leitversicherte in der vorliegenden Vertragskonstellation nicht stellt.
[27] 4.1 Der Oberste Gerichtshof hatte vergleichbare Bedingungen (Art 7.11 ARB 2000, 2005, 2008) „im Zusammenhang mit der Finanzierung des Bauvorhabens“ bereits zu beurteilen. Er nahm unter Rückgriff auf die deutsche Lehre und Judikatur zum Begriff „im Zusammenhang“ wie folgt Stellung: Selbstverständlich ist wohl, dass nicht jeder auch noch so ferne Zusammenhang mit der Finanzierung ausreicht, sondern zumindest ein ursächlicher Zusammenhang im Sinn der conditio-sine-qua-non-Formel zwischen der Finanzierung und jenen rechtlichen Interessen, die der Versicherungsnehmer mit Rechtsschutzdeckung wahrnehmen will, bestehen muss. Dies allein würde jedoch – entgegen dem Grundsatz, die Risikoausschlussklausel tendenziell restriktiv auszulegen – immer noch zu einer sehr weiten und unangemessenen Lücke des Versicherungsschutzes führen, mit der der verständige durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht zu rechnen braucht. Ein Risikoausschluss kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich die typische Risikoerhöhung, die zur Aufnahme gerade dieses Ausschlusses geführt hat, verwirklicht. Es bedarf – wie im Schadenersatzrecht zur Haftungsbegründung – eines adäquaten Zusammenhangs zwischen Rechtsstreit und Baufinanzierung; es muss also der Rechtsstreit, für den Deckung gewährt werden soll, typische Folge der Finanzierung eines Bauvorhabens sein. Nur eine solche Auslegung der Klausel entspricht dem dafür relevanten Verständnis eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl insbesondere 7 Ob 130/10h, 7 Ob 41/16d; 7 Ob 75/18g; RS0126927).
[28] 4.2 Ein solcher adäquater Zusammenhang mit der hier interessierenden Errichtung bzw baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung von Gebäuden liegt demnach vor, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung einen Bezug zu den für die Errichtung typischen Problemen aufweist (7 Ob 75/18g).
[29] 4.3 Die Klausel umfasst das Baurisiko, für das Auseinandersetzungen typisch sind, die über die im Rahmen eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen geführt werden. Der Ausschluss greift, wenn Anlass des Streits (angebliche) mangelhafte Planungs- oder Baumaßnahmen sind. Eindeutig um Bauplanung oder Bauerrichtung handelt es sich bei Streitigkeiten aus vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Schuldner einer Planungs- oder Bauleistung oder einer diese mitumfassenden Baubetreuung. Unter den Ausschluss fallen insbesondere alle Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schuldner von Planungs- oder Bauleistungen auf Erfüllung dieser Leistungen sowie dabei aufgetretene Leistungsstörungen aller Art, insbesondere Ansprüche auf Gewährleistung wegen Sach- oder Rechtsmängel sowie auf Schadenersatz wegen einer Pflichtverletzung, also bei Verzug, Unmöglichkeit oder Verletzung einer Schutzpflicht. Umgekehrt fällt auch die Rechtsverteidigung wegen Vergütungsansprüchen des Schuldners von Planungs- und Bauleistungen gegen den Versicherungsnehmer unter den Ausschluss, die der Versicherungsnehmer erfahrungsgemäß häufig mit dem Einwand mangelhafter oder sonst unzureichender Leistung bekämpft (7 Ob 41/16d, 7 Ob 75/18g).
[30] 4.4.1 Zu prüfen ist daher nunmehr, ob im vorliegenden Fall der geforderte ursächliche Zusammenhang mit der Errichtung bzw baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung gegeben ist.
[31] 4.4.2 Hier beabsichtigt die Klägerin zwar nicht die Inanspruchnahme der von ihr beauftragten Werkunternehmerin auf Gewährleistung und/oder Schadenersatz aufgrund der angeblichen Leistungsstörung, sondern die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den im Verfahren zwischen der Werkunternehmerin und ihrer Subunternehmerin beigezogenen gerichtlichen Sachverständigen. Sie wirft ihm aber die Erstattung eines unrichtigen Gutachtens vor, das sie zu einem für sie behauptetermaßen ungünstigen Vergleich mit der Werkunternehmerin veranlasst habe und begehrt die Zahlung der Differenz auf die Kosten der Sanierung des von ihr behaupteten von ihm aber unrichtig verneinten Mangels.
[32] Gegenstand des gegen den gerichtlichen Sachverständigen angestrengten Haftpflichtprozesses ist damit aber die Klärung des Vorliegens des von der Klägerin behaupteten Baumangels, sodass die beabsichtigte Rechtsverfolgung einen Bezug zu den für die baubehördlich genehmigungspflichtige Veränderung des Gebäudes typischen Problemen aufweist. Da die Klägerin eine Schadenszufügung durch ein unrichtiges Sachverständigengutachten in dem im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben geführten Gewährleistungs-/Schadenersatzprozesses geltend macht, ist auch im beabsichtigten Verfahren gegen den gerichtlichen Sachverständigen gerade der – nach ihrem Vorbringen – im Zuge der genehmigungspflichtigen Veränderung entstandene Baumangel und letztlich die mangelfreie Leistungserbringung durch die Werkunternehmerin zu beurteilen. Damit realisiert sich in diesem Anspruch das typische Bauherrenrisiko im gleichen Maße wie durch eine unmittelbare Inanspruchnahme der Werkunternehmerin in einem Gewährleistungs-/Schadenersatzverfahren wegen mangelhaft erbrachter Leistungen. Die Vorinstanzen bejahten daher zutreffend den adäquaten Zusammenhang mit der baubehördlich genehmigungsfähigen Veränderung. Die Beklagte berief sich zu Recht auf Leistungsfreiheit infolge Vorliegens des eingewandten Ausschlussgrundes.
[33] 5. Damit war der Revision keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E133904European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00172.21A.1215.000Im RIS seit
22.02.2022Zuletzt aktualisiert am
22.02.2022