TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/1 V65/93, V9/94

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Veröffentlicht am 01.10.1994
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
PflanzenschutzmittelverbotsV §4 Abs2
PflanzenschutzmittelG §10
ChemikalienG §14 Abs1
VfGG §57 Abs1 zweiter Satz

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der PflanzenschutzmittelverbotsV betreffend das Verbot der Herstellung, Inverkehrsetzung und Verwendung von Atrazin oder atrazinhältigen Zubereitungen mangels Zuständigkeit des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie zur Erlassung eines generellen Verbots von nach dem PflanzenschutzmittelG weiter zugelassenen Pflanzenschutzmitteln; Derogation der allgemeinen Verbotsermächtigung des ChemikalienG durch die speziellere gesetzliche Ermächtigung des PflanzenschutzmittelG zur Aufhebung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft

Spruch

I. Die zu V65/93 gestellten Anträge werden zurückgewiesen.

II. §4 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über ein Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Pflanzenschutzmitteln, BGBl. Nr. 97/1992, wird gemäß Art139 Abs1 B-VG als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Der Bund (Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie) ist schuldig, den antragstellenden Gesellschaften zuhanden ihrer Vertreter die mit S 36.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit ihren auf Art139 B-VG gestützten Anträgen begehren die antragstellenden Gesellschaften, §4 Abs2, in eventu §4 Abs2 erster Satz, in eventu §4 Abs2 und §4 Abs1 letzter Satz, in eventu §4 Abs2, §4 Abs1 letzter Satz und §4 Abs3 der Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über ein Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Pflanzenschutzmitteln, BGBl. 97/1992, (im folgenden: Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung) als gesetzwidrig aufzuheben.

1.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Chemikaliengesetzes, BGBl. 326/1987 idF BGBl. 325/1990 (im folgenden: ChemG), lauten:

   §14 ChemG:

              "Generelle Verbote und Beschränkungen

   §14. (1) Soweit es zur Vermeidung von Gefahren für das Leben

oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt erforderlich ist, hat der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie nach Anhörung der Chemikalienkommission durch Verordnung festzulegen, daß

1. bestimmte gefährliche Stoffe, gefährliche Zubereitungen oder gefährliche Fertigwaren nicht, nur in bestimmter Beschaffenheit, Menge, Aufmachung, Verpackung oder Kennzeichnung, nur für bestimmte Zwecke oder nur mit Beschränkungen hergestellt, in Verkehr gesetzt oder verwendet werden dürfen,

2. Herstellungs- oder Verwendungsverfahren, bei denen bestimmte gefährliche Stoffe oder gefährliche Zubereitungen anfallen, verboten werden,

3. für bestimmte Stoffe oder Zubereitungen, die gefährlich im Sinne des §2 Abs5 Z9 bis 15 sind, auch Bestimmungen des III. Abschnittes anzuwenden sind.

(2) Soweit es zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen oder der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen im Sinne des §1 Abs1 erforderlich ist, kann der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie nach Anhörung der Chemikalienkommission durch Verordnung Herstellungs- oder Verwendungsbeschränkungen für bestimmte gefährliche Stoffe, gefährliche Zubereitungen oder gefährliche Fertigwaren erlassen, wenn für denselben Zweck andere Stoffe, Zubereitungen oder Fertigwaren verfügbar sind, deren Herstellung, Verwendung oder Beseitigung das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt nicht oder nur in geringerem Maße gefährdet.

(3) Anstelle der in Abs1 und 2 angeführten Verordnungsbestimmungen können auch einschlägige ÖNORMEN durch Verordnung für verbindlich erklärt werden."

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über ein Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Pflanzenschutzmitteln, BGBl. 97/1992, lauten:

"§1.(1) Pflanzenschutzmittel im Sinne dieser Verordnung sind Stoffe und Zubereitungen, die dazu bestimmt sind,

1.

Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse (Abs2) vor Schadorganismen (Abs3) zu schützen,

2.

Flächen oder Gewässer von Pflanzenwuchs freizumachen oder freizuhalten (Totalherbizide),

3.

den Pflanzenwuchs in Gewässern zu regulieren,

4.

das Wachstum von zu schützenden Pflanzen oder zu schützenden Pflanzenerzeugnissen zu regulieren, ohne ihrer Ernährung zu dienen (Wachstumsregulatoren),

5.

anderen Pflanzenschutzmitteln zugesetzt zu werden, um ihre Eigenschaften oder Wirkungen zu verändern (Pflanzenschutzmittelhilfsstoffe).

...

§2.(1) Stoffe und Zubereitungen mit Stoffen, die in der Anlage 1 genannt sind, dürfen als Pflanzenschutzmittel nicht verwendet werden.

(2) Pflanzenschutzmittel, die aus einem in Anlage 1 genannten Stoff bestehen oder einen solchen Stoff enthalten, dürfen weder hergestellt noch in Verkehr gesetzt werden.

(3) Vom Verbot des Abs2 ausgenommen ist die Ausfuhr in die in der Staatenverordnung, BGBl. Nr. 5/1989, genannten Staaten, sofern Bestimmungen des jeweiligen Einfuhrstaates nicht entgegenstehen. Die Mitteilungspflicht des §16 Abs4 ChemG bleibt unberührt.

...

§4.(1) Atrazin und Zubereitungen, die Atrazin enthalten, dürfen nicht für die in §1 Abs1 Z2 und 3 angegebenen Zwecke verwendet werden. Für andere Zwecke dürfen sie bis 31. Dezember 1993 nur bis zu einer jährlichen Menge von 0,5 kg Atrazin pro Hektar verwendet werden.

(2) Ab 1. Jänner 1994 dürfen Atrazin und Zubereitungen, die Atrazin enthalten, nicht hergestellt, in Verkehr gesetzt oder verwendet werden. §2 Abs3 ist anzuwenden.

(3) In der Kennzeichnung von Atrazin und von Zubereitungen, die Atrazin enthalten, ist auf das Verbot der Verwendung als Totalherbizid und auf die Beschränkung des Abs1 zweiter Satz hinzuweisen. Dieser Kennzeichnungspflicht haben Hersteller und Importeure von Atrazin ab 1. Mai 1992, alle sonstigen Inverkehrsetzer ab 1. August 1992 nachzukommen."

1.2. Die Zulässigkeit ihrer Anträge begründen die antragstellenden Gesellschaften wie folgt:

Die antragstellenden Gesellschaften stellen Atrazin bzw. atrazinhältige Produkte her und bringen diese in Verkehr. Durch §2 Abs4 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung sei es ihnen ab dem 1. Jänner 1994 verboten, Atrazin oder Zubereitungen, die Atrazin enthalten, herzustellen, in Verkehr zu setzen oder zu verwenden. Damit werde unmittelbar nachteilig in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaften eingegriffen, die Anträge seien daher zulässig.

1.3. Inhaltlich begründen die antragstellenden Gesellschaften ihre Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen im einzelnen wie folgt:

1.3.1. Verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Erlassung eines generellen Verbotes oder einer generellen Beschränkung von bestimmten gefährlichen Stoffen, gefährlichen Zubereitungen und gefährlichen Fertigwaren durch eine Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie sei die Anhörung der Chemikalienkommission. Diesbezüglich äußern die antragstellenden Gesellschaften das Bedenken, "daß die Chemikalienkommission - entgegen §14 Abs1 ChemG - nicht in entsprechender Weise mit jener Fassung der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung befaßt wurde, in der bereits das Verbot von Atrazin enthalten war".

Weiters sei "entgegen der klaren Anordnung des §45 Abs2 ChemG ... der Wissenschaftliche Ausschuß nicht zur fachlichen Beratung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie herangezogen" worden. Dem Wissenschaftlichen Ausschuß sei nie die Möglichkeit geboten worden, zur geplanten Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung eine fachlich fundierte Stellungnahme abzugeben oder anders an der Erstellung der fachlichen Grundlagen für diese Verordnung mitzuwirken. Auch aus diesem Grund sei die Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung in einem gesetzwidrigen Verfahren erlassen worden.

1.3.2. Die Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung stütze sich auf §14 Abs1 ChemG, BGBl. 326/1987. Die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen ergebe sich auf Grund ihrer mangelnden inhaltlichen Deckung in §14 Abs1 ChemG.

Inhaltliche Voraussetzung für eine Verordnung nach §14 Abs1 ChemG sei, daß diese Maßnahme "zur Vermeidung von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt erforderlich ist". Bei den betroffenen Stoffen müsse es sich um "gefährliche Stoffe, gefährliche Zubereitungen oder gefährliche Fertigwaren" im Sinne des ChemG handeln. Diese - nach Ansicht der antragstellenden Gesellschaften verfassungsrechtlich unbedenkliche - Gesetzesbestimmung sei verfassungskonform so zu interpretieren, daß der Verordnungsgeber "im Einzelfall bei der Erlassung von Verordnungen das zur Zielerreichung adäquate Mittel, dh. das gelindeste Mittel einzusetzen" habe. Das aus dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes abzuleitende "Verhältnismäßigkeitsprinzip" gebiete, daß das vom Gesetzgeber verfolgte, im öffentlichen Interesse liegende Ziel zu den zur Zielerreichung eingesetzten Mitteln verhältnismäßig sein müsse. Mit der Bestimmung des §14 Abs1 ChemG habe der Gesetzgeber diesem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot Rechnung getragen, indem er durch die im §14 Abs1 ChemG normierten Voraussetzungen für die Erlassung einer Verordnung den Spielraum für Beschränkungen oder Verbote präzisiert. "Aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot folgt, daß ein generelles Verbot bestimmter Wirkstoffe nur 'ultima ratio' sein darf, also nur dann gesetz- und verfassungsmäßig ist, wenn dieses generelle Verbot tatsächlich 'erforderlich' ist und gelindere Maßnahmen zum Schutz vor Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt nicht ausreichen."

Einem in der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung ausgesprochenen generellen Verbot habe daher ua. eine für das einzelne Produkt konkrete Prüfung vorauszugehen, ob und inwieweit dieses Produkt überhaupt geeignet ist, Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt hervorzurufen, und ob ein Verbot zur Vermeidung entsprechender Gefahren notwendig sei bzw. ob der Schutzzweck auch durch andere - gelindere - Maßnahmen erreicht werden könne.

Angesichts dieser Interpretation des §14 Abs1 ChemG erweise sich das in §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung normierte generelle Verbot der Herstellung, des Inverkehrsetzens und der Verwendung von Atrazin und atrazinhältigen Zubereitungen ab dem 1. Jänner 1994 als gesetzwidrig: Angesichts der - von den antragstellenden Gesellschaften durch verschiedenste Publikationen, Gutachten und Stellungnahmen ausführlich dargestellten - toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften von Atrazin stelle dieses keine Gefahr für Mensch, Leben und Umwelt dar. Auf Grund des Verhältnismäßigkeitsprinzips hätte der Verordnungsgeber kein generelles Verbot von Atrazin, sondern lediglich Beschränkungen, etwa in der Form gebietsspezifischer Regelungen oder durch begrenzte Anwendungsmengen, verfügen dürfen.

Als "gelindere Mittel" für Beschränkungen von Atrazin seien etwa die §§33 f Wasserrechtsgesetz sowie die darauf gestützte Grundwasserschwellenwertverordnung für Grundwasserinhaltsstoffe, BGBl. 502/1991, oder die auf §34 Abs2 Wasserrechtsgesetz gestützten Grundwasserschongebiet-Verordnungen (etwa die Verordnungen LGBl. für die Steiermark 86-92/1990 idF LGBl. 92/1991 und LGBl. 12/1992), Maßnahmen nach dem Pflanzenschutzmittelgesetz, BGBl. 476/1990, heranzuziehen.

1.3.3. Das in §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung normierte generelle Verbot der Herstellung, des Inverkehrsetzens unter Verwendung von Atrazin und atrazinhältiger Zubereitungen sei auch angesichts der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz über den Gehalt an Pestiziden im Trinkwasser (Trinkwasser-Pestizidverordnung), BGBl. 448/1991, bedenklich. §2 Abs1 dieser - auf §10 Abs1 Lebensmittelgesetz 1975 gestützten - Verordnung lege Grenzwerte für Atrazin im Trinkwasser fest, normiere also kein generelles Verbot des Inverkehrbringens von Trinkwasser, in dem Rückstände von Atrazin enthalten sind. Gemäß §2 Trinkwasser-Ausnahmeverordnung, BGBl. 384/1993, könnte überdies die Anwendung der in der Trinkwasser-Pestizidverordnung festgelegten Grenzwerte ausgesetzt werden, "sofern die ortsübliche Trinkwasserversorgung nicht anders sichergestellt werden kann".

1.3.4. Gemäß der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung, BGBl. 626/1992, ende die Zulassung verschiedener Pflanzenschutzmittel, in denen der Wirkstoff Atrazin enthalten sei, erst mit Ablauf des 31. Juli 1997. Herstellung, Verwendung und Inverkehrsetzen dieser Mittel sei daher bis zu diesem Zeitpunkt rechtlich zulässig.

1.3.5. Im übrigen seien atrazinhältige Zubereitungen nicht als gefährliche Stoffe iSd §2 ChemG einzustufen, weshalb die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des §14 Abs1 ChemG überhaupt nicht vorlägen.

1.3.6. Der Verordnungsgeber habe auch keine entsprechende Risiko-Nutzen-Analyse für Atrazin angestellt: Atrazin sei - jedenfalls bei Einhaltung eines bestimmten Grenzwertes - kein Risiko für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt, weise im Vergleich zu Alternativprodukten eine hohe Umweltverträglichkeit auf und sei bezüglich der Wirkung auf Mensch und Umwelt weitaus besser erforscht als entsprechende Alternativprodukte.

2. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie beantragt in seinen Äußerungen, die vorliegenden Verordnungsprüfungsanträge mangels Antragslegitimation zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

2.1. Die direkte Betroffenheit der antragstellenden Gesellschaften durch jene Bestimmungen der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung, die lediglich die Verwendung von Atrazin beschränkten oder untersagten, sei "nur zum Teil erkennbar", da diesbezüglich in den Anträgen keine Ausführungen enthalten seien, die innerbetriebliche Manipulation von Atrazin, welches zum Export in näher bezeichnete Staaten bestimmt ist, zulässig sei und die antragstellenden Gesellschaften durch ein Verbot der außerbetrieblichen (landwirtschaftlichen) Verwendung von Atrazin überhaupt nicht betroffen seien. Die Anträge seien daher jedenfalls in bezug auf die Anfechtung des §4 Abs1 zweiter Satz Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung unzulässig.

Gemäß §4 Abs2 letzter Satz

Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung sei es auch nach dem 1. Jänner 1994 noch zulässig, Atrazin für die Ausfuhr in die in der Staatenverordnung, BGBl. 5/1989, genannten Staaten herzustellen und in Verkehr zu setzen. Atrazin werde weiters nicht generell verboten, die Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung beziehe sich nur auf bestimmte gefährliche Stoffe in Pflanzenschutzmitteln.

Hinsichtlich der vorliegenden Anträge sei es im übrigen für die antragstellenden Gesellschaften auch zumutbar, einen Feststellungsbescheid zu erwirken, da dies "als notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung angesehen werden muß und daher zulässig und auch zumutbar ist". Das rechtliche Interesse an der bescheidmäßigen Feststellung der Auswirkungen der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung liegt nach Ansicht des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie darin, daß die Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung generelle Maßnahmen für den Umgang mit Atrazin und bestimmten Zubereitungen, die Atrazin enthalten, festlegt. Die Wirkung dieser Maßnahmen gegenüber den antragstellenden Gesellschaften, die über aufrechte Zulassungsbescheide für Pflanzenschutzmittel, die Atrazin enthalten, verfügen, sei daher "einer bescheidmäßigen Klärung würdig".

Insgesamt seien daher die vorliegenden Individualanträge zur Gänze, jedenfalls aber hinsichtlich der Bestimmung des §4 Abs1 zweiter Satz Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung unzulässig.

2.2. Inhaltlich verteidigt der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie die angefochtenen Bestimmungen der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung wie folgt:

2.2.1. Hinsichtlich des Zustandekommens der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung führt der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie aus, daß die Chemikalienkommission in ihrer 11. Sitzung am 16. März 1990 jenen Entwurf der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung beraten habe, welcher auch die nun angefochtenen Regelungen in bezug auf Atrazin enthielt. Auch habe der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie - der seiner Ansicht nach gemäß §45 ChemG nicht verpflichtet sei, den Wissenschaftlichen Ausschuß anzuhören - den Wissenschaftlichen Ausschuß mit dem Entwurf der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung befaßt und auch zur Beurteilung dieser Verordnung herangezogen.

Verfahrensfehler beim Zustandekommen der angefochtenen Verordnung liegen somit nach Ansicht des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie nicht vor.

2.2.2. Atrazin und Zubereitungen, die Atrazin enthalten, seien auf Grund der vorhandenen wissenschaftlichen Daten und praktischen Erfahrungen nach objektiven Beurteilungen "als umweltgefährlich im Sinne des §2 Abs5 Z11 ChemG einzustufen". Atrazin selbst sei darüber hinaus auch "mindergiftig" im Sinne des §2 Abs5 Z8 ChemG und stehe im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Durch die Verwendung von Atrazin seien bereits Belastungen der Umwelt entstanden, "die die Qualität einer konkreten Gefahr für die Umwelt erreicht haben. Über das Trinkwasser ist auch eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen gegeben."

   "Solche konkreten Gefahren liegen nach den aus der

österreichischen Gesamtrechtsordnung erschließbaren Wertungen

vor, wenn ein - positiviertes - Ziel des Umweltschutzes gefährdet

wird. Ein solches Ziel ist schon die Reinhaltung der Umwelt

(Boden, Luft, Wasser) an sich, nicht nur - wie die Antragsteller

versuchen, glaubhaft zu machen - die Verhinderung der Entstehung

von toxikologisch oder ökotoxikologisch nicht mehr vertretbaren

Umweltbelastungen. Daß die Reinhaltung der Umwelt an sich im

öffentlichen Interesse gelegen ist - ja sogar ein Staatsziel ist

- ergibt sich schon aus dem ... Bundesverfassungsgesetz über den

umfassenden Umweltschutz, BGBl. Nr. 491/1984, aber auch aus dem im Umweltrecht generell verankerten Vorsorgegedanken.

   Aber selbst wenn man die - ... - nicht haltbare Auffassung der

Antragsteller vertritt, ist davon auszugehen, daß die angefochtenen Bestimmungen der VerbotsV nicht gesetzwidrig sind. Die angefochtenen Maßnahmen erweisen sich nämlich auch dann als erforderlich, wenn man (nur) toxikologisch oder ökotoxikologisch unvertretbare Gefährdungen von Mensch oder Umwelt abwehren will.

Atrazinkonzentrationen wirken sich ökotoxikologisch nach dem heutigen Wissensstand bei ungefähr 3 bis 5 Mikrogramm pro Liter Wasser nachteilig (letal) auf empfindliche Arten aus, was die Antragsteller auch gar nicht in Abrede stellen.

Eine Gefährdung durch Atrazin und Zubereitungen, die Atrazin enthalten, ist auch durch die Verunreinigung von Trinkwasser mit Atrazin gegeben. Diese Wertung ist aus der geltenden österreichischen Rechtsordnung, nämlich der Trinkwasser-Pestizidverordnung, BGBl. Nr. 448/1991, und der Trinkwasser-Ausnahmeverordnung, BGBl. Nr. 384/1993, erschließbar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bereits Konzentrationen ab dem Grenzwert von 0,1 Mikrogramm (wie in der Trinkwasser-Pestizidverordnung verankert) gesundheitlich bedenklich sind oder erst etwas höhere. Nach allen fachlichen Bewertungen (etwa durch die WHO oder die EPA), die ja auch die Antragsteller erwähnt haben, ist nämlich ein Wert von über 2 bzw. 3 Mikrogramm als bedenklich einzustufen. Auch dieser Wert ist bei Proben in Österreich erheblich überschritten worden.

Sowohl Oberflächen-, Grundwasser und Trinkwasser werden durch Atrazin nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und nach praktischen Erfahrungen verunreinigt und belastet. Somit ist eine konkrete Gefahr für die Gesundheit und die Umwelt gegeben. Eben dieser Grund war einer der maßgeblichen Gründe, durch die VerbotsV Beschränkungen und Verbote betreffend Atrazin und weitere bestimmte gefährliche Totalherbizide sowie andere Pflanzenschutzmittelwirkstoffe festzulegen.

Eine materielle Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen kann daher nicht erkannt werden."

3. In Repliken bzw. einer "ergänzenden Stellungnahme" im Verfahren zu V65/93 wiederholen die Antragsteller im wesentlichen ihre Antragsvorbringen sowohl zur Zulässigkeit der Anträge als auch zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen und verweisen auf weitere Unterlagen, Gutachten und Feldversuche. Insbesondere sei die Bewertung von Atrazin als gefährlich im Sinne des §14 Abs1 ChemG durch den Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie nicht fachlich fundiert. Die Behauptung, daß Gefahren für Menschen und Tiere bei Atrazin in den gefundenen Konzentrationen "zumindest größtenteils nachgewiesen" seien, wie der Bundesminister in seiner Äußerung meint, lasse sich nach Auffassung der Antragsteller auf fachlich-wissenschaftlicher Grundlage nicht beweisen und sei auch in den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Aktenunterlagen nicht belegt. Falsch sei,

"daß die WHO und EPA Konzentrationen von Atrazin von 2-3 Mikrogramm pro Liter als bedenklich einstufen. Bei diesen Werten handelt es sich vielmehr um Richtwerte, die sowohl für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch für die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA bei lebenslanger Aufnahme als unbedenklich gelten; sie tragen mit den berücksichtigten Sicherheitsfaktoren dem Vorsorgeprinzip Rechnung. Werden sie kurzfristig überschritten, kann noch lange nicht von einer Gefährdung gesprochen werden.

Im letzten Bericht über Atrazin hat die EPA ausdrücklich eine Menge von 3 Mikrogramm Atrazin pro Liter als für die Gesundheit des Menschen ungefährlich bezeichnet: Bis zu dieser Menge kann jeder Mensch sein ganzes Leben hindurch Atrazin täglich ohne jegliche Gesundheitsgefährung aufnehmen (vgl. EPA, National Primary Drinking Water Regulations; Final Rule, January 30, 1991). Dasselbe gilt auch für die WHO, die ebenfalls eine lebenslängliche tägliche Aufnahme von 2 Mikrogramm pro Liter als für die Gesundheit unbedenklich ansieht. Beide Werte liegen um das Zwanzig- bis Dreißigfache höher als der politisch motivierte Grenzwert der EU von 0,1 Mikrogramm pro Liter."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Anträge zu V65/93 sind zurückzuweisen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. zB. VfSlg. 10606/1985, 11162/1986, 12331/1990) dargetan hat, ist ein unmittelbar durch eine Verordnung bewirkter und (deswegen) die Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn die Verordnung die (rechtlich geschützten) Interessen der betreffenden Person bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt.

Die angefochtene Bestimmung des §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung verbietet die Herstellung, das Inverkehrsetzen und die Verwendung von Atrazin und von Zubereitungen, die Atrazin enthalten, ab 1. Jänner 1994. Der Antrag zu V65/93 wurde jedoch am 28. Juli 1993 beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Zum Zeitpunkt der Antragstellung waren die antragstellenden Gesellschaften sohin (noch) nicht aktuell betroffen.

Bei den von den antragstellenden Gesellschaften ins Treffen geführten, vorgeblich bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden negativen Wirkungen des (erst ab 1. Jänner 1994 geltenden) Verbots handelt es sich um faktische, wirtschaftliche Wirkungen, die keinen Eingriff im Sinne des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG begründen. Abgesehen davon, daß von den antragstellenden Gesellschaften nicht dargetan wird, in welche der von ihnen abgeschlossenen, langfristigen Verträge bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung durch das zukünftige Atrazinverbot eingegriffen wurde, zieht die faktische Unmöglichkeit, "über den in §4 Abs2 VerbotsV (mit 1.1.1994) festgesetzten Zeitpunkt hinaus wirksame Verträge über die Herstellung, das Inverkehrsetzen oder die Verwendung von Atrazin oder atrazinhältigen Zubereitungen abzuschließen", ebenfalls keinen rechtlich im Sinne des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erheblichen Eingriff nach sich. Umso weniger begründet die von den antragstellenden Gesellschaften ins Treffen geführte Notwendigkeit, zum Zeitpunkt der Antragstellung "weitreichende Dispositionen (bezüglich Produktion, Lagerhaltung und Bestelleingängen) für die Zukunft (zu) treffen", eine rechtliche Betroffenheit im Sinne des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG.

Der - zu V65/93 eingebrachte - Antrag auf Aufhebung von §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung war sohin mangels aktueller Betroffenheit der antragstellenden Gesellschaften zurückzuweisen.

2. Zurückzuweisen sind ferner die zu V65/93 gestellten Eventualanträge auf Aufhebung des §4 Abs2 erster Satz, des §4 Abs2 und §4 Abs1 letzter Satz sowie des §4 Abs2, §4 Abs1 letzter Satz und §4 Abs3 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung.

Wie die antragstellenden Gesellschaften selbst ausführen, richten sich die von ihnen geltend gemachten Bedenken lediglich auf das in §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung ausgesprochene Verbot. Da der Verfassungsgerichtshof die lediglich in eventu vorgetragene Meinung der antragstellenden Gesellschaften nicht teilt, daß die beiden Sätze des §4 Abs2 dieser Verordnung trennbar sind, oder daß die Bestimmung des §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung in einem untrennbaren Zusammenhang mit den anderen, in den Eventualanträgen mitangefochtenen Bestimmungen steht, selbständige rechtliche Bedenken gegen die in den Eventualanträgen über §4 Abs2 der Verordnung hinausgehenden Vorschriften aber nicht vorgetragen wurden, war der Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmungen schon gemäß §57 Abs1 zweiter Satz VerfGG 1953 zurückzuweisen, weil insoweit keine "gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im einzelnen" dargelegt wurden.

3. Hingegen erweist sich der zu V9/94 gestellte Antrag auf Aufhebung des §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung als zulässig:

Der Verfassungsgerichtshof hat seit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG setzt voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigt sind, und daß dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht, Rechtsschutz gegen die von ihm als rechtswidrig erachtete generelle Norm zu erlangen.

Kein Zweifel kann daran bestehen, daß §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung kraft seiner ab 1. Jänner 1994 geltenden Anordnung, Atrazin und atrazinhältige Zubereitungen nicht (mehr) herzustellen, in Verkehr zu setzen oder zu verwenden, ab dem genannten Zeitpunkt aktuell in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaften eingreift, weil diese auf Grund entsprechender Gewerbeberechtigungen und pflanzenschutzrechtlicher Zulassungsbescheide atrazinhältige Produkte erzeugen und vertreiben.

Da es entsprechend der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht zumutbar ist, durch Übertretung der Verordnungsbestimmung, gegen die die antragstellenden Gesellschaften Bedenken hegen, ein Strafverfahren zu provozieren, um die Frage der allfälligen Gesetzwidrigkeit des §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, ein anderer Weg, einen auf die genannte Verordnungsbestimmung gestützten Bescheid zu erwirken, für die antragstellenden Gesellschaften aber von vornherein ausscheidet, ist der von ihnen gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestellte Antrag auf Aufhebung des §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung zulässig.

Entgegen der Meinung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie beseitigt die Möglichkeit der Erwirkung eines im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Feststellungsbescheides - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur (VfSlg. 10842/1986, 11402/1987, 12227/1989, VfGH 17.3.1994, G128/92) ausgesprochen hat - die Zulässigkeit eines Individualantrages nach Art139 Abs1 B-VG dann nicht, wenn - wie hier - der einzige Zweck des Feststellungsbescheides darin bestehen würde, damit ein Mittel zu gewinnen, um die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung bestehenden Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

4. Der Antrag, §4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung als gesetzwidrig aufzuheben, ist auch in der Sache berechtigt:

Die antragstellenden Gesellschaften rügen zu Recht, daß §14 Abs1 des ChemG, auf den sich die Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung in ihrem Einleitungssatz ausdrücklich beruft, keine hinlängliche gesetzliche Grundlage für das durch §4 Abs2 dieser Verordnung ausgesprochene Verbot bietet, Atrazin und atrazinhältige Zubereitungen herzustellen, in Verkehr zu setzen oder zu verwenden.

§14 Abs1 ChemG enthält eine allgemeine, generalklauselartig umschriebene Ermächtigung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie, für gefährliche Stoffe, gefährliche Zubereitungen oder gefährliche Fertigwaren im Sinne der §§2 und 3 des ChemG entweder Beschränkungen für ihre Herstellung, das Inverkehrsetzen oder ihre Verwendung ("... nur in bestimmter Beschaffenheit, Menge, Aufmachung, Verpackung oder Kennzeichnung, nur für bestimmte Zwecke ...") oder ein Verbot zu verordnen, soweit dies zur Gefahrenvorsorge ("für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt") erforderlich ist.

Daß diese Verordnungsermächtigung - jedenfalls im Grundsatz - auch für Pflanzenschutzmittel im Sinne des PMG und für deren Inhaltsstoffe als Bestandteil dieser Pflanzenschutzmittel gilt, läßt sich sowohl §3 Abs4 als auch §63 Abs1 Z2 ChemG entnehmen: §3 Abs4 ChemG läßt durch die ausdrückliche Aufzählung der nicht für Pflanzenschutzmittel geltenden Vorschriften des ChemG, in der §14 Abs1 ChemG fehlt, erkennen, daß die Verordnungsermächtigung des §14 Abs1 ChemG auch für Pflanzenschutzmittel gelten soll. Dies wird bestätigt durch die Vollziehungsklausel des §63 Abs1 Z2 ChemG, derzufolge dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie die Vollziehung des §14 ChemG im Einvernehmen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten "und - soweit sich die Vorschriften auf Pflanzenschutzmittel beziehen - dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft" obliegt.

Trotz dieser unbestreitbaren Anwendbarkeit des - vor dem PMG in Kraft getretenen - §14 Abs1 ChemG auf Pflanzenschutzmittel kann dieser Vorschrift kein Sinngehalt zukommen, demzufolge die Vorschriften des PMG unterlaufen würden. Wenn und insoweit §14 Abs1 ChemG und das PMG voraussetzungs- und inhaltsgleiche Ermächtigungen zum Verbot von Pflanzenschutzmitteln enthalten, ist davon auszugehen, daß nach den allgemeinen Derogationsregeln, die der gesamten Rechtsordnung implizit zugrundeliegen, im Verhältnis der allgemeinen, für alle gefährlichen Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren geltenden Verordnungsermächtigung des §14 Abs1 ChemG und einer entsprechenden Bestimmung des PMG dieses als späteres und überdies speziell nur für Pflanzenschutzmittel geltendes Gesetz jenem vorgeht. Schon wegen der notwendigen verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen verbietet sich auch die Annahme zweier nebeneinander und gleichzeitig geltender inhalts- und voraussetzungsgleicher gesetzlicher Verbotsermächtigungen an zwei verschiedene Verwaltungsorgane, weil derartige miteinander konkurrierende Zuständigkeitsbestimmungen das verfassungsrechtliche Gebot strikter Zuständigkeitsgrenzen, wie es sowohl dem Art18 Abs1 und 2 B-VG als auch Art83 Abs2 B-VG zu entnehmen ist, zuwiderlaufen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß dem jeweils anderen Verwaltungsorgan eine Einvernehmenskompetenz bei Erlassung der Verbotsverordnung durch das dafür vom Gesetzgeber für zuständig erklärte Verwaltungsorgan eingeräumt wurde.

Der Verfassungsgerichtshof übersieht dabei nicht, daß in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Bundesgesetz BGBl.

759/1992, mit dem das ChemG geändert wird (520 BlgNR 18. GP,

S. 8), ausgeführt wird, daß die in §3 Abs4 ChemG nicht

ausdrücklich ausgenommenen "übrigen Bestimmungen des

Chemikaliengesetzes ... zum Pflanzenschutzmittelgesetz nicht in

Widerspruch (stehen), sondern ... vielmehr eine unverzichtbare

Ergänzung dar(stellen): So zB §14 ChemG, der auch eine Ermächtigung zum Verbot von Bestandteilen von Pflanzenschutzmitteln darstellt und als solche hinsichtlich zahlreicher Wirkstoffe bereits in Anspruch genommen wurde (Verordnung BGBl. Nr. 97/1992), ...".

Der Verfassungsgerichtshof verweist dagegen auf seine bereits in anderem Zusammenhang (VfGH 10.12.1993, G167/92 ua., S. 51) getroffene Feststellung, daß die in §3 ChemG zutage tretende

"Praxis des Gesetzgebers, ... gleiche Worte in verschiedenen

Gesetzen mit unterschiedlichem Sinngehalt ... zu verwenden und

eine Mehrzahl von (Umweltschutz-)Gesetzen mit einander teilweise überschneidenden Anwendungsbereichen und Schutzzwecken zu erlassen", "für die Klarheit und das Verständnis der Rechtsordnung sicherlich abträglich" ist, mag daraus gegen die betreffenden Vorschriften auch noch kein verfassungsrechtlicher Vorwurf entspringen. Der Verfassungsgerichtshof ist nunmehr der Auffassung, daß der Rechtsanwender davon auszugehen hat, daß bei zwei in ihrem sachlichen Geltungsbereich einander teilweise überschneidenden Gesetzen, wie dem ChemG und dem PMG, die spätere und speziellere Gesetzesbestimmung im Umfang ihres zeitlichen und sachlichen Geltungsbereiches der früheren und allgemeineren Gesetzesvorschrift derogiert, gleichgültig welche Meinung dazu abstrakt in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines Gesetzes geäußert wird.

§4 Abs1 PMG gestattet ausdrücklich das Inverkehrbringen zugelassener Pflanzenschutzmittel. Dieses "Inverkehrbringen" von Pflanzenschutzmitteln umfaßt gemäß §3 PMG ebenso wie das "Inverkehrsetzen" eines gefährlichen Stoffes nach §2 Abs9 ChemG das Vorrätighalten (zum Verkauf), das Feilhalten, das Verkaufen und jedes sonstige Überlassen im geschäftlichen Verkehr, mag auch das "Inverkehrsetzen" gemäß §2 Abs9 ChemG darüber hinaus auch noch das zu Erwerbszwecken erfolgende Einführen, Ausführen und Ankündigen (einschließlich der Werbung) mitumschließen. Die bescheidmäßige Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nach §8 Abs1 PMG hat ua. zur Voraussetzung, daß das Pflanzenschutzmittel bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung "keine unmittelbar schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben und zu keinen Beeinträchtigungen führen kann, mit denen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, insbesondere über die Nahrung, über die Nahrungskette oder über das Trinkwasser verbunden sind" sowie "zu keinen unvertretbaren Beeinträchtigungen der Umwelt führen kann". Entspricht die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels dieser Zulassungsvoraussetzung nicht oder nicht mehr, so ist sie gemäß §10 Abs1 PMG durch Bescheid aufzuheben. Im übrigen ist die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gemäß §10 Abs3 PMG auch durch Verordnung aufzuheben oder abzuändern, "wenn dies nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Vermeidung von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt erforderlich ist ...". Auch auf die vor dem Inkrafttreten des PMG nach dessen Vorgängervorschriften zugelassenen Pflanzenschutzmittel sind die Bestimmungen des §10 PMG über die Aufhebung der Zulassung gemäß §35 Abs4 PMG anzuwenden. Die Zulassung dieser früher zugelassenen Pflanzenschutzmittel erlischt ferner innerhalb der Fristen des §35 Abs3 PMG, die der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft gemäß §35 Abs8 PMG für jedes Pflanzenschutzmittel - mit konstitutiver Wirkung (VfGH 8.3.1994, V120/92 ua.) - kundzumachen hat. Gestützt auf diese Verordnungsermächtigung wurde im §2 im Verein mit der Anlage 2 der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung, BGBl. 626/1992, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, welche den Wirkstoff Atrazin enthalten, (erst) mit Ablauf des 31. Juli 1997 für erloschen erklärt.

Mit den dargestellten Vorschriften des PMG ist ein auf §14 Abs1 ChemG gestütztes "generelles Verbot" (- vgl. die Überschrift zu §14 Abs1 ChemG -) eines nach dem PMG zugelassenen Pflanzenschutzmittels unvereinbar. Ebenso wie etwa die speziellen Vorschriften über die Kennzeichnung und Verpackung von Pflanzenschutzmitteln in den §§14 und 15 PMG (insbesondere die Verordnungsermächtigungen gemäß §14 Abs4 und §15 Abs2 PMG) es ausschließen, daß die Verordnungsermächtigung des §14 Abs1 Z1 ChemG vom Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hinsichtlich der dort ebenfalls ausdrücklich genannten "Verpackung oder Kennzeichnung" für Pflanzenschutzmittel in Anspruch genommen wird, ist es angesichts der speziellen Vorschriften des PMG über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sowie insbesondere über die Aufhebung der Zulassung gemäß §10 PMG, die an dieselben tatbestandlichen Voraussetzungen wie eine Verordnung nach §14 Abs1 ChemG (- nämlich an die Erforderlichkeit zur Vermeidung von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt, vgl. §10 Abs3 PMG -) gebunden ist, ausgeschlossen, daß die mit der Zulassung von Stoffen und Zubereitungen als Pflanzenschutzmittel verbundene Erlaubnis zum Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels durch ein Verbot nach §14 Abs1 ChemG widerrufen wird. Insoweit derogieren vielmehr die speziellen gesetzlichen Ermächtigungen, für die zum Verkehr zugelassenen Pflanzenschutzmittel die Zulassung durch Bescheid oder durch Verordnung aufzuheben, "wenn dies nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Vermeidung von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt erforderlich ist", gemäß §10 Abs1 und 3 PMG der allgemeinen Verbotsermächtigung für gefährliche Stoffe nach §14 Abs1 ChemG, die an die gleichen Voraussetzungen geknüpft ist. Es ist dem Gesetzgeber nicht zusinnbar, daß er zwei verschiedene Verwaltungsbehörden dazu ermächtigt, ein und dieselbe Verwaltungsmaßnahme zu verfügen.

Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, daß die Verordnungsermächtigung des §14 Abs1 ChemG nicht nur auf das Inverkehrsetzen, sondern auch auf die Herstellung gefährlicher Stoffe zielt. Gleichwohl erscheint es ihm undenkbar, §14 Abs1 ChemG einen Inhalt zu unterstellen, wonach zwar darauf gestützt die Herstellung eines Pflanzenschutzmittels in Österreich verboten werden könnte, das jedoch auf Grund seiner - aufrechten - Zulassung gemäß §23 PMG importiert und sodann nach dem PMG in Verkehr gebracht werden dürfte.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob aus §3 Abs4 in Verbindung mit §63 Abs1 Z2 ChemG die Anordnung des Gesetzgebers zu entnehmen ist, daß Verordnungen nach §14 Abs1 ChemG für Pflanzenschutzmittel Beschränkungen ("in bestimmter Beschaffenheit, Menge, Aufmachung, für bestimmte Zwecke" uä.) enthalten dürfen, wenn diese für die Herstellung, das Inverkehrsetzen oder die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln zur Vermeidung von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt erforderlich sind und dafür das PMG keine speziellen Vorschriften oder Verordnungsermächtigungen (wie zB für die Verpackung von Pflanzenschutzmitteln in §15 Abs2 PMG) enthält. Ein generelles Verbot bestimmter, weiter zugelassener Pflanzenschutzmittel auszusprechen, ist jedoch nicht der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie gemäß §14 Abs1 ChemG, sondern ausschließlich der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft durch Aufhebung der Zulassung des betreffenden Pflanzenschutzmittels gemäß den Abs1 oder 3 des §10 PMG (unter Wahrung der Einvernehmenskompetenz gemäß §38 Abs1 Z2 und 3 PMG) zuständig.

§4 Abs2 der Pflanzenschutzmittelverbotsverordnung war sohin schon deswegen aufzuheben, weil das Verbot, ab 1. Jänner 1994 Atrazin und Zubereitungen, die Atrazin enthalten, weder herzustellen noch in Verkehr zu setzen oder zu verwenden, nicht gemäß §14 Abs1 ChemG vom Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie (sei es auch im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft gemäß §63 Abs1 Z2 ChemG) ausgesprochen werden durfte. Auf die sonstigen, von den antragstellenden Gesellschaften vorgetragenen Bedenken gegen die angefochtene Verordnungsbestimmung brauchte der Verfassungsgerichtshof angesichts dieses Prozeßergebnisses nicht mehr einzugehen.

5. Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG, die Verpflichtung zum Prozeßkostenersatz auf §61a VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 6.000,- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, Pflanzenschutz, Chemikalien, Derogation, lex specialis, Auslegung verfassungskonforme, Verordnungserlassung, lex posterior, Behördenzuständigkeit, Determinierungsgebot, Einvernehmen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V65.1993

Dokumentnummer

JFT_10058999_93V00065_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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