Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art137 / KlageLeitsatz
Zurückweisung einer Staatshaftungsklage gegen den Bund mangels Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen UnionsrechtSpruch
Die Klage wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Klage und Sachverhalt
1. Der Kläger begehrt in seiner gegen die Republik Österreich (gemeint: den Bund) gerichteten Klage nach Art137 B-VG die Zahlung von € 460.000,– samt 4 % Zinsen seit 1. Jänner 2016 aus dem Titel der Staatshaftung wegen des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes vom 19. Februar 2020, 7 Ob 21/20v.
2. Diesem Beschluss des Obersten Gerichtshofes lag – dem Vorbringen des Klägers zufolge und soweit für den vorliegenden Zusammenhang von Belang – folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger im verfassungsgerichtlichen Verfahren war Kläger in einem Schadenersatzprozess gegen eine Bank, den er in allen Instanzen verlor. Da der Kläger der Auffassung war, dass sein Rechtsanwalt in diesem Verfahren schuldhaft gegen vertragliche Verpflichtungen im Rahmen seines Mandates verstoßen habe, brachte er eine Schadenersatzklage gegen diesen Rechtsanwalt ein. Der Kläger verlor auch diesen Prozess in allen Instanzen, wobei der genannte Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 19. Februar 2020 das Verfahren rechtskräftig beendete.
3. In diesem Beschluss führt der Oberste Gerichtshof das Folgende aus:
"Rechtliche Beurteilung
1. Der Grundsatz des Parteiengehörs fordert, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt sowie überhaupt alles vorbringen kann, was der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs dienlich ist (RS0006048). Eine allenfalls zu Unrecht unterlassene Einvernahme einer anwaltlich vertretenen Partei könnte allenfalls eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens begründen, aber keine Nichtigkeit wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs.
2.1 Abgesehen davon, dass angebliche Verfahrensmängel erster Instanz – hier die Unterlassung der Parteieneinvernahme und der behauptete Verstoß gegen die Erörterungspflicht nach §§182, 182a ZPO –, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden können (RS0042963), ist der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens auch nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen einen Verfahrensgrundsatz abstrakt geeignet ist, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049). Die abstrakte Eignung des Verfahrensmangels hat der Rechtsmittelwerber darzutun (RS0043049 [T6]). Der Rechtsmittelwerber muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar anführen, welche für ihn günstigen und relevanten Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären.
Der Kläger nennt keine konkreten und für die rechtliche Beurteilung relevanten Beweisergebnisse, die seine Einvernahme hätte erbringen können. Er übergeht die vom Erstgericht sehr wohl vorgenommenen Erörterungen.
3.1 Eine Unterlassung ist für den konkreten Schadenserfolg dann ursächlich, wenn die Vornahme einer bestimmten Handlung den Eintritt des schädigenden Erfolgs verhindert hätte und diese Handlung auch möglich gewesen wäre. Die Kausalität ist demnach zu verneinen, wenn der selbe Nachteil auch bei pflichtgemäßen Tun entstanden wäre (RS0022913 [T1]). Die Beweislast dafür trifft den Geschädigten selbst im Fall der Anwendbarkeit des §1298 ABGB (RS0022686). Auch im Rahmen der Anwaltshaftung muss die Pflichtverletzung sowie der Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und schadensbegründendem Prozessverlust vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden (RS0022686 [T20, T22]).
3.2 Der Kläger verlor den Prozess gegen die beklagte Bank, weil die vom Mitarbeiter der Bank – aufgrund eines mit dem Kläger gesondert (direkt) geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrags – für den Kläger vorgenommenen Überweisungen, die sich als Fehlinvestitionen herausstellten, nicht in den Aufgabenkreis fielen, den der Mitarbeiter für die Bank wahrzunehmen hatte, weshalb dessen schädigendes Verhalten nicht der beklagten Bank zugerechnet wurde.
3.3 Der Kläger argumentiert, hätte der Beklagte zeitlich früher eine Strafanzeige gegen den Mitarbeiter und die Bank erstattet, wäre es zur unverzüglichen Sicherstellung sämtlicher Beweise durch die Strafverfolgungsbehörden gekommen, was wiederum für ihn zu einem positiven Ausgang des Verfahrens geführt hätte. Der Kläger ignoriert, dass die – nach Sicherstellung der Unterlagen und Einvernahme der Beteiligten – erfolgte Einstellung des aufgrund der Strafanzeige vom 25. 8. 2016 geführten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gleichfalls auf der Beurteilung beruhte, dass ein Vermögensverwaltungsvertrag zwischen dem Mitarbeiter und dem Kläger bestanden hatte.
3.4 Dazu, dass die beklagte Bank gegen gesetzliche und vertragliche Überwachungs- und Sorgfaltspflichten in eigener Person verstoßen und sich zudem eines untüchtigen Gehilfen nach §1315 ABGB bedient habe, erstattete der Beklagte – entgegen der Ansicht des Klägers – ohnedies konkretes Vorbringen.
4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§510 Abs3 ZPO)."
4. Der Kläger bringt in seiner Klage gemäß Art137 B-VG zusammengefasst vor, er sei in dem Prozess gegen seinen ehemaligen Rechtsanwalt nicht zu Protokoll befragt worden; man habe sich mit der Verlesung von Urkunden zufriedengegeben. Auch habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, es sei nicht verfahrensentscheidend gewesen, dass der ehemalige Rechtsanwalt nicht unverzüglich eine Strafanzeige erstattet habe. Die Entscheidung sei nicht zutreffend, weil der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon ausgehe, dass es bei der Parteienvernehmung auf den persönlichen Eindruck des Gerichtes ankomme. Es handle sich bei der vorliegenden Entscheidung somit um eine Einzelentscheidung zu Lasten des Klägers. Demgegenüber habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt ausgesprochen, dass Zeugen bzw Parteien vor dem erkennenden Gericht zu befragen seien. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes sei daher gleichheitswidrig und verstoße gegen Art6 EMRK, weswegen auch ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege.
II. Zulässigkeit
1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
Wie der Verfassungsgerichtshof zu seiner Zuständigkeit für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches ausgesprochen hat, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl ua EuGH 30.9.2003, Rs C-224/01, Köbler, Slg. 2003, I-10239) vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004, 19.361/2011; VfGH 5.12.2016, A8/2016).
Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage nach Art137 B-VG ist unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist (VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011; VfGH 23.11.2017, A8/2017). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (EuGH 30.9.2003, Rs C-224/01, Köbler, Slg. 2003, I-10239 [Rz 51 ff.]; VfSlg 18.448/2008).
Die klagende Partei im Staatshaftungsverfahren hat daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen, wie etwa auf Grund einer Literaturmeinung und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes, aufgeworfen, wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (VfGH 27.6.2017, A17/2016; 23.11.2017, A8/2017; 26.6.2020, A38/2020).
2. Die vorliegenden Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem rechtswidrigen Verhalten des Obersten Gerichtshofes, nicht zu begründen:
Der Kläger legt in keiner Weise dar, in welcher Hinsicht die Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes einen Verstoß gegen eine klare und präzise Vorschrift des Unionsrechtes darstellen sollte. Es ist darüber hinaus auch nicht zu erkennen, dass der Oberste Gerichtshof eine Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt hätte. Der Kläger führt lediglich einen Verstoß gegen Art6 EMRK ins Treffen; dabei handelt es sich jedoch um keine Bestimmung des Unionsrechtes.
3. Die vorliegende Klage ist daher wegen des Fehlens der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht zurückzuweisen.
III. Ergebnis
1. Die Klage ist zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Klagen, Staatshaftung, EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:A21.2021Zuletzt aktualisiert am
21.02.2022