TE Vfgh Erkenntnis 2021/12/15 E3242/2021

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §4a, §57
FremdenpolizeiG 2005 §61
Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens-RL) Art33
Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-RL) Art20, Art34
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines in Griechenland als Schutzberechtigter anerkannten Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Ermittlungen zur Versorgung in Griechenland auf Grund der sich aus den Länderberichten ergebenden allgemeinen Situation von Schutzberechtigten in Griechenland; keine Feststellungen betreffend die Sicherstellung einer Unterkunft, von Nahrungsmitteln oder sanitären Einrichtungen im Falle einer Rückkehr

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Afghanistans. Ihm wurde am 27. März 2020 in Griechenland der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Am 10. August 2020 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und brachte zu seinem Aufenthalt in Griechenland befragt die dort allgemein schlechte Lage für Asylwerber vor.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 7. April 2021 gemäß §4a AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben hat, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, ordnete die Außerlandesbringung gemäß §61 Abs1 Z1 FPG an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Griechenland gemäß §61 Abs2 FPG 2005 zulässig ist.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23. Juli 2021 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr keine Verletzung seiner nach Art3 EMRK bzw Art4 GRC gewährleisteten Rechte drohe und führt dazu aus:

"Zu der wirtschaftlichen Situation de[s] BF und der in der Beschwerde eingewendeten schwierigen wirtschaftlichen Situation von Schutzberechtigten in Griechenland ist auszuführen, dass sich die Situation de[s] BF in Griechenland nicht von jener der griechischen Bevölkerung selbst unterscheidet, da allgemein bekannt in Griechenland der Arbeitsmarkt angespannt und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Daraus kann jedoch noch nicht abgeleitet werden, dass de[m] BF in Griechenland eine Art3 EMRK widersprechende Behandlung widerfahren ist, zumal der BF selbst nicht angegeben hat, dass er Probleme mit der Existenzsicherung gehabt habe.

Dem BF kommt in Griechenland als anerkannter Flüchtling ein Aufenthaltsrecht zu, laut Mitteilung der griechischen Behörden konnte dem BF sein Aufenthaltsrecht noch nicht zugestellt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF im Falle einer geordneten Rücküberstellung von Österreich nach Griechenland Behördenkontakt hat und im Zuge dessen die Ausstellung seines Aufenthaltsrechtes in die Wege leiten kann. Es wird nicht verkannt, dass, wie die Beschwerde aufzeigt, in Griechenland für Schutzberechtigte administrative Hürden bestehen, die jedoch auch im Wesentlichen für die griechische Bevölkerung selbst bestehen, wie etwa Kapazitätsprobleme im Hinblick auf de[n] gesundheitlichen Sektor, etc. Nochmals ist zu betonen, dass sich für Schutzberechtigte in Griechenland die allgemeine Lebenssituation in etwa gleich darstellt wie für die griechische Bevölkerung selbst und sind nach den Feststellungen in Griechenland auch diverse NGOs verfügbar, die Unterstützung bei der Bewältigung solcher Hürden anbieten.

Im konkreten Fall spricht der BF auch die Sprache Englisch, sodass jedenfalls davon auszugehen ist, dass er sich in Griechenland auf einem eingeschränkten Niveau auch verständlich machen kann, selbst wenn er griechisch nicht versteht."

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt werden. Darin wird unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der alarmierenden Berichtslage zu den Lebensbedingungen Schutzberechtigter in Griechenland auseinandergesetzt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §4a AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu Art33 Abs2 lita der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl 2013 L 180, 60, hat eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz, weil bereits von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist, allerdings dann zu unterbleiben, wenn die Lebensverhältnisse, die die antragstellende Partei in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würde, sie der ernsthaften Gefahr aussetzten, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art4 GRC bzw des diesem entsprechenden Art3 EMRK zu erfahren (EuGH 13.11.2019, Rs. C-540/17 ua, Hamed ua, Rz 43; ferner bereits EuGH 19.3.2019, Rs. C-297/17 ua, Ibrahim ua, Rz 101).

Das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie zuvor auch die befasste Behörde – trifft demnach die Verpflichtung "auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen", die einer Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz entgegenstehen (EuGH, 19.3.2019, Rs. C-163/17, Jawo, Rz 90, und EuGH, Ibrahim ua, Rz 88).

Diese "Schwachstellen" sind nur dann im Hinblick auf Art4 GRC bzw Art3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen (EuGH, Jawo, Rz 91 mit Verweis auf EGMR 21.1.2011 [GK], Fall M.S.S./Belgien und Griechenland, Appl 30696/09), indem etwa "die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre" (EuGH, Jawo, Rz 92, und EuGH, Ibrahim, Rz 90).

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Entscheidung, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr keine gegen Art4 GRC bzw Art3 EMRK verstoßende Behandlung drohen werde, weitgehend auf die Gleichstellung zwischen griechischen Staatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen und weist zudem pauschal auf Hilfsangebote von NGOs sowie auf die Englischkenntnisse des Beschwerdeführers hin. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren auch nicht angegeben, dass er seine Existenz während seines Aufenthalts in Griechenland nicht habe sichern können, sondern nur allgemein auf die schlechte Lage verwiesen, sodass er eine ihm konkret drohende Gefahr nicht dargetan habe.

2.3. Diese Begründung steht in einem deutlichen Spannungsfeld zu den allgemein die Situation für Schutzberechtigte in Griechenland beschreibenden, vom Bundesverwaltungsgericht auch wiedergegebenen Länderinformationen der Staatendokumentation (Stand 4. Oktober 2019, letzte Kurzinformation vom 19. März 2020), in denen zusammengefasst deren Situation folgendermaßen beschrieben wird:

"Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch oft mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. In der Praxis besteht für Flüchtlinge immer noch kein gesicherter Zugang zu Unterbringung, Lebensmittelversorgung, medizinischer und psychologischer Behandlung oder zum Arbeitsmarkt. Auf dem Festland sind Fälle bekannt, in denen anerkannte Flüchtlinge inoffiziell für einige Monate weiter in den Unterbringun[g]szentren bleiben durften und Bargeld erhielten wie Asylbewerber. Jedoch wurden für sie keine weiteren Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie erhielten keinen Zugang zu entsprechenden Informationen oder Unterstützung bei der Integration (Pro Asyl/RSA 8.2018).

Besondere staatliche Hilfsangebote für anerkannte Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem bestehen nicht. […]

Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern (AIDA 3.2019; vgl Pro Asyl/RSA 30.8.2018; UNHCR 4.2019). […] Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung (AA 6.12.2018). Voraussetzung für den Leistungsbezug allgemeiner Sozialhilfe ist das Einreichen verschiedener Dokumente (Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherungsnummer, Bankverbindung, Steuererklärung über das Online-Portal Taxis-Net), wobei der Nachweis des dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland durch die inländische Steuererklärung des Vorjahres nachzuweisen ist. Dabei sind Unterlagen grundsätzlich online und in griechischer Sprache einzureichen, staatlicherseits werden keine Dolmetscher gestellt (AA 7.2.2018). Bei der Beschaffung der genannten Dokumente stoßen jedoch die Betroffenen in der Praxis auf zahlreiche Schwierigkeiten (Pro Asyl/RSA 30.8.2018; vgl UNHCR 4.2019). […]

Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung besteht derzeit auch für die griechische Bevölkerung noch nicht (AA 26.9.2018a; vgl AIDA 3.2019). In der Praxis wird Schutzberechtigten, die als Asylwerber in einem Flüchtlingslager oder in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) untergebracht waren, gestattet, nach ihrer Anerkennung für weitere 6 Monate in der gleichen Unterkunft zu bleiben (Pro Asyl/RSA 8.2018). Wohnraum wäre grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmark[t] zu beschaffen (AA 6.12.2018). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw durch anerkannte Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (AA 26.9.2018a). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (AIDA 3.2019; Pro Asyl/RSA 8.2018). Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht. […]"

2.4. Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vorgebrachte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, "Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland" aus April 2021) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr keine reale Gefahr einer Art3 EMRK widrigen Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl VfGH 25.6.2021, E599/2021, unter Bezugnahme auf das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird bzw in diesem Zusammenhang administrative Hürden zu bewältigen haben wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit der Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.

3. Indem das Bundesverwaltungsgericht sohin in entscheidenden Punkten die notwendige Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl VfGH 25.6.2021, E599/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt. Die als "ERV-Zuschlag" geltend gemachten Kosten in der Höhe von € 4,10 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (vgl zB VfGH 13.12.2017, E3939/2017).

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Außerlandesbringung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3242.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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