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L83009 Wohnbauförderung Wien;Norm
AVG §69 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 13. September 1993, Zl. MA 50-B/28/93, betreffend Wohnbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50 (im folgenden: MA 50), nahm mit Bescheid vom 18. Februar 1993 mehrere abgeschlossene Wohnbeihilfeverfahren der Beschwerdeführerin gemäß § 69 Abs. 1 und 3 AVG wieder auf und sprach aus, daß der Beschwerdeführerin ab 1. März 1990, 1. März 1991 und 1. März 1992 keine Wohnbeihilfe gebühre und daß sie zur Rückzahlung der empfangenen Wohnbeihilfe in Höhe von S 41.828,-- verpflichtet sei. Grund der Wiederaufnahme war, daß die Beschwerdeführerin den monatlichen Unterhalt, den sie von ihrem geschiedenen Gatten seit 1. Jänner 1990 laufend bezog, erst anläßlich des am 26. Jänner 1993 eingelangten Verlängerungsantrages bekanntgegeben habe.
Aufgrund ihrer Anträge vom 23. Februar 1990,
13. Jänner 1991 und 5. Jänner 1992 wurde der Beschwerdeführerin Wohnbeihilfe gemäß §§ 20 ff des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes (LGBl. Nr. 18/1989) gewährt. Im Verwaltungsakt befindet sich beim Antrag aus 1990 ein Formular, welches mit den Worten "Beilage zum Antrag auf Wohnbeihilfe Erklärung über weitere Einkommen" überschrieben ist und folgenden Text enthält: "Hiermit erkläre ich, daß ich und die mit mir im gemeinsamen Haushalt wohnenden Familienangehörigen außer dem (den) auf dem (den) beigelegten Einkommensnachweis(en) angegebenen Einkünften keine - folgende Einkünfte gemäß § 2 bzw. § 29 EStG 1988, bzw. allfällige ausländische Einkünfte (die umseitig angeführten Hinweise habe ich zur Kenntnis genommen) beziehe(n):" Das Wort "folgende" ist durchgestrichen; im unmittelbar darunter dafür vorgesehenen Raum für die Unterschrift ist keine Unterschrift der Beschwerdeführerin enthalten. Allerdings befindet sich darunter auf derselben Seite folgender weiterer Text: "Ich ersuche um Überweisung der Wohnbeihilfe auf mein Girokonto - an die Hausverwaltung - per Post. Darunter befindet sich in dem dafür vorgesehenen Feld die Unterschrift der Beschwerdeführerin. Die oben genannten, laut Formular auf der Rückseite abgedruckten Hinweise lauten wie folgt:
"H I N W E I S E
Zu den Einkünften des § 2 EStG 1988 zählen:
1)
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
2)
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
3)
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
4)
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
5)
Einkünfte aus Kapitalvermögen
(z.B. Zinsen aus Darlehen, Anteilen, Einlagen, Guthaben bei Banken, Hypotheken)
6)
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
7)
sonstige Einkünfte im Sinne des § 29, darunter sind z.B. Alimente, Firmenpensionen, Unterstützungsbeiträge der Eltern etc. zu verstehen."
Anläßlich der Antragstellung vom 26. Jänner 1993 unterfertigte die Beschwerdeführerin die diesem Antrag beigeschlossene Erklärung auch unmittelbar unter dem Text über die Einkünfte gemäß § 2 EStG und legte den Scheidungsvergleich vom 27. Februar 1980 vor, wonach sich ihr Gatte verpflichtet hatte, einen (wertgesicherten) monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 4.800,-- seit 1. Jänner 1980 zu leisten.
Am 16. Februar 1993 wurde mit der Beschwerdeführerin eine Niederschrift aufgenommen, wonach sie zur Kenntnis nahm, daß der neben ihrem jeweiligen Einkommen von ihrem geschiedenen Gatten ab März 1990 (richtig: 1980) bezogene monatliche Unterhalt von S 4.800,-- bei der Wohnbeihilfenberechnung anzurechnen sei und die Wohnbeihilfe ab diesem Zeitpunkt neu berechnet werden müsse. Weiters nahm sie laut diesem Aktenvermerk zur Kenntnis, daß die zu Unrecht bezogene Wohnbeihilfe bis längstens 29. Februar 1996 zurückzuerstatten sei. Die Niederschrift unterschrieb sie "mit Vorbehalt".
Gegen den darauf ergangenen, eingangs genannten Bescheid der MA 50 erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie folgendes wörtlich ausführte:
"Ich habe in gutem Glauben Wohnbeihilfe bezogen, da ich bei jeder Antragstellung und Verlängerung den Vergleich meiner Scheidung beim Wohnungsbeihilfenreferat vorgelegt habe. Ich fühle mich daher nicht schuldig, Wohnbeihilfe unberechtigterweise bezogen zu haben."
Bei einer Vernehmung am 22. Februar 1993 bekräftigte sie diese Darstellung. Auf der Übersendungsnote der Berufung samt dem zugehörigen Akt durch die MA 50 befindet sich folgende nicht unterfertigte Bemerkung der Fachabteilung: "Da die Berufungswerberin berufstätig war, bestand für die MA 50 keine Veranlassung, sie nach einem eventuellen Unterhalt, den sie erhält, zu fragen. Sie selbst hat seit dem Antrag vom 23.2.1990 mit Sicherheit NICHT darauf hingewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Bescheid der MA 50 mit der Maßgabe bestätigt, daß die Leistungsfrist für die Rückzahlung bis 30. September 1996 verlängert wurde. Begründend wurde ausgeführt, daß Alimentationsleistungen in die Einkommensbemessung einzubeziehen seien. Die Beihilfenverfahren der letzten drei Jahre waren gemäß § 69 Abs. 1 und 3 AVG wieder aufzunehmen, weil erst durch die Vorlage des Scheidungsvergleiches am 26. Jänner 1993 die wahren Einkommensverhältnisse bekannt wurden und dieses neue Beweismittel geeignet war, einen anderen Bescheid herbeizuführen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährung der Wohnbeihilfe sowie in ihrem Recht darauf verletzt, daß die Wiederaufnahme nur unter den Voraussetzungen des § 69 AVG erfolge.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wird der Mieter einer Wohnung, deren Errichtung im Sinne des ersten Hauptstückes des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes, LGBl. Nr. 18/1989 (hier in der zuletzt durch die Novelle LGBl. Nr. 39/91 geänderten Fassung; im folgenden: WWFSG), gefördert wurde, durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet, so ist ihm gemäß § 20 Abs. 1 dieses Gesetzes auf Antrag mit Bescheid Wohnbeihilfe zu gewähren, soferne er ausschließlich diese Wohnung zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendet. Das der Beihilfenbemessung zugrundezulegende Familieneinkommen erfaßt gemäß der Begriffsbestimmung im § 2 Z. 15, Z. 14b leg. cit. auch die nicht steuerpflichtigen Bezüge, die freiwillig oder an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person geleistet werden (§ 29 Abs. 1 zweiter Satz EStG 1988). Gemäß § 26 Abs. 5 WWFSG ist dem Antrag auf Gewährung von Wohnbeihilfe der Nachweis des Einkommens anzuschließen.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, daß Alimentationsleistungen für die Bemessung der Wohnbeihilfe heranzuziehen sind und macht auch nicht geltend, daß bei Kenntnis der Behörde von diesen Beträgen ein anderer Bescheid nicht zu erlassen gewesen wäre. Sie behauptet aber, daß die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG nicht vorliegen, weil keine unverschuldete Unkenntnis auf seiten der Behörde vorlag.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. ist die Wiederaufnahme zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Nach herrschender Lehre und Judikatur (siehe die Nachweise bei Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz. 590) kann die Behörde wegen des Hervorkommens neuer Tatsachen und Beweise nur dann von Amts wegen die Wiederaufnahme verfügen, wenn sie an der Nichtberücksichtigung im wiederaufzunehmenden Verfahren kein Verschulden trifft.
Ein die amtswegige Wiederaufnahme ausschließendes Verschulden der Behörde erkennt die Beschwerdeführerin darin, daß sie bei der Antragstellung im Jahre 1988 in einem Formular den Scheidungsvergleich im Zusammenhang mit der Angabe ihrer persönlichen Verhältnisse durch die Worte "27.2.1980 BG Fünfhaus 1 Sch n/80" angeführt habe.
Abgesehen davon, daß die Anführung dieser Geschäftszahl des Gerichtes nicht zwingend auf eine noch immer aktuelle Unterhaltsleistung schließen läßt, kann es der Behörde nicht zum Nachteil gereichen, daß sie bei späteren Antragstellungen, bei denen durch den oben wiedergegebenen Hinweis nach Alimentationsleistungen gefragt wurde, nicht in alten Akten nach Indizien dafür suchte, ob Anhaltspunkte für ein weiteres Einkommen vorlagen. Allein diese Angabe aus 1988 vermag ein Verschulden der Behörden an der Unkenntnis jedenfalls nicht zu begründen.
Die Beschwerdeführerin hat allerdings in der Berufung vorgebracht, daß sie BEI JEDER ANTRAGSTELLUNG (also auch seit der durch das Gesetz LGBl. Nr. 18/1989 diesbezüglich geänderten Rechtslage) den Vergleich vorgelegt habe. Mit dieser Behauptung hat sich die belangte Behörde nicht weiter auseinandergesetzt, sondern allein unter Bedachtnahme auf die Aktenlage festgestellt, daß lediglich der Antrag, die Einkommens- und Arbeitsbescheinigung und die Einkommenserklärung der Antragstellung angeschlossen waren. Damit blieb im Gegensatz zu den Beschwerdeausführungen der Sachverhalt zwar nicht ergänzungsbedürftig im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG, allerdings zeigt die Beschwerde richtig auf, daß dem angefochtenen Bescheid eine Auseinandersetzung der Behörde mit diesem Sachvorbringen fehlt.
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die Berufungsbehörde war daher gehalten, bei Beurteilung der Wiederaufnahmevoraussetzung der unverschuldeten Unkenntnis durch geeignete Erhebungen die Sachbehauptung der Beschwerdeführerin einer Überprüfung zu unterziehen und in ihrer Entscheidung eine entsprechende Beweiswürdigung vorzunehmen. Da sie dies unterließ, verstieß sie gegen die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG; der Verfahrensfehler ist durchaus geeignet, einen anderen Bescheid herbeizuführen, weil, sollte sich die Behauptung als richtig darstellen, von einer unverschuldeten Unkenntnis der Behörde hinsichtlich der Einkommensverhältnisse keine Rede mehr sein könnte. Die Behörde wäre, sollten ihr tatsächlich die Scheidungsvergleiche vorgelegt worden sein, ohne weiteres imstande gewesen, die wahren Einkommensverhältnisse zu ermitteln.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
In Anbetracht der klaren Rechtslage und der nur mehr offen gebliebenen Tatfrage konnte die Entscheidung durch einen gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994050025.X00Im RIS seit
20.11.2000