Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Eisner und die Hofrätin Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2021, W242 2223354-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (Mitbeteiligter: M A in G, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in 8055 Seiersberg-Pirka, Mitterstraße 177),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I., soweit damit über die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV. und, VII. des Bescheides vom 13. August 2018 entschieden wurde, sowie in seinen Spruchpunkten A) II. bis A) IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 4. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab bei der Erstbefragung unter Angabe falscher Identitätsdaten an, russischer Staatsangehöriger zu sein und aus Tschetschenien zu stammen. Er werde in Russland verfolgt, weil er Moslem sei. Weiters habe er zu seiner in Österreich aufhältigen schwangeren Ehefrau wollen.
2 Im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Mitbeteiligte an, im Jahr 2009 „den Islam angenommen“ zu haben. Er halte sich „an die Sunna“, was Aufmerksamkeit erweckt habe. Seit 2009 oder 2010 seien „Leute“ zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten „überprüfen“ wollen. Es werde auch „immer versucht, einem etwas anzuhängen“. Im Jahr 2013 sei „das Ganze ernst“ geworden. Er sei ohne Haftbefehl und ohne Beweismittel für mehrere Tage festgehalten worden. Kurz vor seiner Ausreise hätten „diese Leute“ erfahren, dass er eine in Europa lebende Frau geheiratet habe. Nach der Hochzeit seien sie zu ihm gekommen und hätten ihm „die Dokumente“ abgenommen. Sie hätten ihm gesagt, er dürfe „prinzipiell die Republik“ nicht verlassen. Tue er dies trotzdem, würden sie ihn aufspüren und er „bekomme“ ein Strafverfahren. Es gäbe genug ungelöste Fälle, die man ihm „in die Schuhe schieben“ könnte. Manchmal hätten diese Leute in sozialen Netzwerken Accounts eröffnet und dort falsche Nachrichten deponiert. Wenn der Mitbeteiligte zum Training gefahren sei, seien sie ihm gefolgt und hätten gedroht, ihn einzusperren. Ende November 2013 hätten sie seinen Nachbarn, der ihm den Islam nähergebracht habe, aufgesucht und erschossen. Sie hätten eine Liste mit Namen von Polizisten hinterlassen und behauptet, dass der Nachbar die Polizisten hätte umbringen wollen. Anschließend sei der Mitbeteiligte von seinem Bruder nach Belgorod gebracht worden. Nach seiner Abreise hätten die Leute seinen Bruder belästigt, weshalb seine Mutter im Mai 2017 nach Kasachstan ausgereist sei. Über Nachfrage gab der Mitbeteiligten an, die „Leute“, von denen er spreche, seien „von der Polizei“.
3 Am 21. Dezember 2018 erlangte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Kenntnis davon, dass gegen den Mitbeteiligten ein Strafverfahren geführt wurde, weil er (unter anderem) im Verdacht stand, ab dem Jahr 2013 aktiv bei der Terrororganisation „Islamischer Staat“ gekämpft zu haben. Aus der entsprechenden Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres geht auch hervor, dass der Mitbeteiligte, der international gesucht werde, eigentlich einen anderen Namen trage und aus Kasachstan stamme. Einer weiteren dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zugegangenen Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres zufolge habe der Mitbeteiligte gegenüber den die Erhebungen durchführenden Beamten zugestanden, dass seine „Asylgeschichte“ erfunden sei.
4 Am 13. Februar 2019 wurde der Mitbeteiligte neuerlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Er gab an, bis 2013 in Kasachstan gelebt zu haben. Er sei immer wieder vom Geheimdienst überprüft worden und habe befürchtet, dass nach seiner Abreise eine Fahndung nach ihm eingeleitet werde. Daher habe er in Österreich falsche Daten angegeben. Seinen kasachischen Reisepass habe er vernichtet. Er sei nach Österreich gekommen, weil hier seine Ehefrau und seine Tochter lebten. In Kasachstan könne er kein ordentliches Gerichtsverfahren erwarten. Es werde auf einer Internetseite aufgefordert, ihn bei Interpol zu melden. Er werde beschuldigt, ein Terrorist zu sein und „Leute zu etwas aufgerufen“ sowie angeworben zu haben. Er habe aber keine Terrorakte gesetzt. Im Jahr 2013 habe sich der Krieg in Syrien immer weiter entwickelt und das Komitee der Staatssicherheit habe ein halbes Jahr zuvor begonnen, ihn vorzuladen. Es sei häufig vorgekommen, dass Leute mit solchen Vorladungen „nie wieder rausgekommen“ seien. Er habe sehr viele dieser Vorladungen erhalten und drei- bis viermal seinen Aufenthaltsort sowie seine Telefonnummer geändert. Sie hätten ihn aber immer wieder gefunden und ihm Fragen zu seiner Religion gestellt, weshalb er sich schließlich einen Pass besorgt habe und ausgereist sei. Er sei nicht misshandelt worden und es habe „auch keine direkte Bedrohung“ gegeben, sondern „eine indirekte in Form von Anspielungen“.
5 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Juni 2019 wurde über den Mitbeteiligten - aufgrund in diesem Urteil näher beschriebener, in der Zeit von August 2013 bis November 2015 in Syrien „und allenfalls anderen Orten“ begangener strafbarer Handlungen - eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren wegen der Begehung der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB, der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und terroristischer Straftaten nach § 15, § 278c Abs. 1 Z 1 iVm § 75 StGB verhängt.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 13. August 2019 sowohl betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn - gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) - eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Kasachstan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und gewährte - gestützt auf § 55 Abs. 1a FPG - keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Weiters sprach die Behörde aus, dass der Mitbeteiligte gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 21. Dezember 2018 verloren habe (Spruchpunkt IX.) und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid nach § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt VIII.).
7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 23. Juni 2021 als unbegründet ab, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I., III., IV. und IX. dieses Bescheides gerichtet hatte [Spruchpunkt A) I.]. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des bei ihm angefochtenen Bescheides wies das Verwaltungsgericht mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a erster Satz iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht zuerkannt werde [Spruchpunkt A) II.]. Weiters änderte es den Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, dass festgestellt werde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Mitbeteiligten nach Kasachstan gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 unzulässig sei [Spruchpunkt A) III.]. Den Spruchpunkt VI. änderte es dahin, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 Abs. 2 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt wurde [Spruchpunkt A) IV.]. Den Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides hob das Bundesverwaltungsgericht ersatzlos auf [Spruchpunkt A) V.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei [Spruchpunkt B)].
8 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht unter der Überschrift „Feststellungen“ - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der Verurteilung sei zugrunde gelegen, dass sich der Mitbeteiligte zwischen August 2013 und November 2015 an der Terrorvereinigung „Emirat Kaukasus“, einer tschetschenisch-separatistischen radikalislamisch-sunnitischen Gruppierung sowie an der Terrororganisation „IS-Islamic-State“ beteiligt habe.
9 Der Mitbeteiligte sei im August 2013 nach Syrien in die Stadt Atmeh gereist. Dort habe er sich in einem Ausbildungscamp für angehende Kämpfer gegen das syrische Regime in körperlicher Fitness, Kampftechnik, Taktik, Nahkampftechnik, Waffenhandhabung und islamischer Religion unterrichten lassen. Zwischen September 2013 und Jänner 2014 habe er sich nach seiner Ausbildung in der nordwestlich von Aleppo gelegenen Stadt Haritan der Gruppe „Jaish al-Muhajireen wal-Ansar“ („JAMWA“) angeschlossen. Diese habe den „syrischen Flügel“ des „Emirat Kaukasus“ gebildet und im syrischen Bürgerkrieg zunächst die Terrororganisation „Islamischer Staat in Syrien und Irak“ („ISIS“) unterstützt. Der Mitbeteiligte habe bis Jänner 2014 aktiv an Kampfhandlungen gegen die syrische Armee teilgenommen. Zwischen Jänner 2015 und März 2015 sei er erneut nach Syrien gereist, um „JAMWA“ zu verstärken. Bis Ende März 2015 habe er rund um die Stadt Aleppo wiederum aktiv an Kampfhandlungen gegen die syrische Armee teilgenommen. Am 19. November 2015 habe er auf seinem sozialen Profil von „vContact“ mit dem Namen „M[...] A[...]“ mindestens vier unbekannten Personen glorifizierende Fotos über seine Erlebnisse und die Kampfhandlungen in Syrien sowie die Terrororganisationen „IS“ und „Emirat Kaukasus“ bereitgestellt, um deren Gedankengut zu verbreiten und diese Personen als Gleichgesinnte für die genannten Terrororganisationen zu gewinnen.
10 Durch diese Handlungen habe sich der Mitbeteiligte - so das Bundesverwaltungsgericht erkennbar in wörtlicher Wiedergabe eines Teiles des Schuldspruches (B./) aus dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Juni 2019 - zumindest zwischen August 2013 und November 2015 in Syrien und allenfalls anderen Orten an der international agierenden terroristischen Vereinigung „IS“ als Mitglied in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikalislamischen Gottesstaat zu errichten und deren terroristische Straftaten zur Erreichung dieses Ziels gefördert habe. Die genannte Vereinigung sei, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohten, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet gewesen. Sie habe seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betrieben, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung getötet und vertrieben, sich deren Vermögen angeeignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausgebeutet. Diese Vereinigung habe durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang angestrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, eingeschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaues, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.
11 Der Mitbeteiligte habe als Mitglied der „JAMWA“ im Oktober/November 2013 in der Nähe von Atmeh auch einen Frontstützpunkt gegen syrische Regierungstruppen verteidigt und in einem Häuserkampf mit seinem Sturmgewehr in Richtung der verschanzten Soldaten geschossen. Diese Taten seien geeignet gewesen, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens und eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens in Syrien, zumindest in der Provinz Aleppo, herbeizuführen. Zudem habe der Mitbeteiligte dabei mit dem Vorsatz gehandelt, die nicht den Zielen der terroristischen Vereinigung „IS“ folgende, regierungstreue Zivilbevölkerung Syriens und die syrische Regierung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen des syrischen Staates in der Provinz Aleppo, nämlich zumindest Polizeidienststellen, zur Unterlassung der Ausübung der Exekutivgewalt zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen (Grund-)Strukturen des syrischen Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören.
12 Das Strafgericht habe bei der Strafzumessung als mildernd das umfassende Geständnis gewertet, weil der Mitbeteiligte von ihm begangene terroristische Straftaten eingestanden habe, von denen die Strafverfolgungsbehörden keine Kenntnis gehabt hätten; weiters, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei und den bis dahin ordentlichen Lebenswandel. Als erschwerend habe das Gericht das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen berücksichtigt.
13 Der Mitbeteiligte vertrete nach wie vor eine radikalislamische Ideologie und zeige hinsichtlich seiner Straftaten keine Reue.
14 Zu den vorgebrachten Fluchtgründen und zu einer Gefährdung im Fall der Rückkehr des Mitbeteiligten in den Herkunftsstaat führte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Feststellungen wörtlich aus:
„Der Beschwerdeführer ist in Kasachstan nicht der Gefahr ausgesetzt, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe mit der Anwendung von physischer und oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Kasachstan der Gefahr ausgesetzt, wegen seines Aufenthaltes in Syrien, seiner Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und der aktiven Teilnahme an Kampfhandlungen in Syrien erneut strafrechtlich verfolgt und verurteilt zu werden.
Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Kasachstan auch der Gefahr der Folter sowie der unmenschlichen und erniedrigenden Strafe oder Behandlung ausgesetzt.“
15 In seinen beweiswürdigenden Erwägungen ging das Bundesverwaltungsgericht - mit näherer Begründung - davon aus, dass die Angaben des Mitbeteiligten zu „periodischen“ Kontrollen durch die kasachische Polizei nicht glaubwürdig seien. Er habe eine ihm in Kasachstan drohende Verfolgung aus religiösen Gründen nicht glaubhaft gemacht. Auch sonst hätten sich im gesamten Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er dort aus Gründen der Rasse, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe verfolgt werde.
16 Sodann führte das Bundesverwaltungsgericht weiter aus:
„Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Doppelbestrafungsverbot in Kasachstan vom 23.03.2021 geht hervor, dass in der kasachischen Verfassung, im Strafgesetzbuch und im Strafverfahrensgesetz ausdrücklich normiert ist, dass dort niemand wegen desselben Gesetzesverstoßes mehrfach bestraft werden darf. Allerdings ist der Begriff ‚derselbe Gesetzesverstoß‘ eng auszulegen und bezieht sich nur auf solche Straftaten, die unter denselben Artikel, Paragraf, Absatz oder dieselbe Ziffer des in der kasachischen Rechtsordnung festgelegten Straftatbestandes subsumiert werden können. Erfasst derselbe Sachverhalt hingegen auch einen anderen Artikel, Paragraf oder Absatz bzw. eine andere Ziffer, kann nach dem kasachischen Strafrecht dennoch eine gesonderte strafrechtliche Verfolgung stattfinden.
Weiters ergibt sich aus der genannten Anfragebeantwortung, dass das Doppelbestrafungsverbot zwar dann Anwendung findet, wenn der Betroffene in einem anderen Staat wegen dort begangener Straftaten verurteilt wird, allerdings lässt sich den Ausführungen nicht entnehmen, ob dies auch dann gilt, wenn der Betroffene - wie im vorliegenden Fall - in einem anderen Staat wegen Straftaten verurteilt wurde, die er weder in Kasachstan noch in dem Staat, der ihn verurteilte, beging.
Vor dem Hintergrund der restriktiven Auslegung des Gesetzesverstoßes und der daraus resultierenden Möglichkeit, dass die vom Beschwerdeführer verwirklichten strafbaren Handlungen in Kasachstan unter einen Straftatbestand subsumiert werden, der nicht Gegenstand des in Österreich geführten Strafverfahrens war, sowie des Umstandes, dass das Doppelbestrafungsverbot laut der vorliegenden Länderinformationen nur auf Verurteilungen eines anderen Staates Anwendung findet, wenn die zugrundeliegenden Straftaten auch in diesem Staat begangen wurden, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Kasachstan wegen der in Österreich abgeurteilten Straftaten erneut einer strafrechtlichen Verfolgung sowie einer damit zusammenhängenden Untersuchungs- bzw. Strafhaft ausgesetzt wäre.“
17 Im Weiteren befasste sich das Verwaltungsgericht mit den in Kasachstan herrschenden Haftbedingungen und den Rechten von Beschuldigten in dort abgeführten Strafverfahren. Es verwies auch darauf, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien das Auslieferungsbegehren abgelehnt habe, weil das Strafverfahren in Kasachstan nicht den Grundsätzen des Art. 3 und Art. 6 EMRK entspreche und die dort zu erwartende Strafe nicht in einer Weise vollstreckt werden würde, die mit Art. 3 EMRK in Einklang stünde.
18 In seiner rechtlichen Begründung legte das Bundesverwaltungsgericht dar, weshalb der Mitbeteiligte den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verwirklicht habe und ihm infolgedessen der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Im Übrigen - so das Verwaltungsgericht am Ende seiner Erwägungen zu diesem Spruchpunkt - lasse sich aber auch aus seinem Vorbringen „- wie beweiswürdigend dargelegt - keine asylrelevante Verfolgung ableiten“.
19 In den weiteren rechtlichen Erwägungen, weshalb dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei, befasste sich das Bundesverwaltungsgericht - erkennbar aufbauend auf jene Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung, wonach eine Rückführung des Mitbeteiligten in sein Heimatland wegen eines dann dort stattfindenden strafgerichtlichen Verfahrens und der in dessen Rahmen gegebenen Verhältnisse zur Verletzung von Art. 3 EMRK führen werde - nur noch mit der Frage, ob im gegenständlichen Fall § 8 Abs. 3a AsylG 2005 der Zuerkennung von subsidiärem Schutz entgegenstehe. Das wurde letztlich vom Bundesverwaltungsgericht bejaht.
20 Auf Basis seiner weiteren Überlegungen gelangte das Bundesverwaltungsgericht sodann zum weiteren Ergebnis, dass gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen, aber unter einem gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 festzustellen sei, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Kasachstan unzulässig sei. Der Mitbeteiligte wäre in Kasachstan als Beschuldigter in einem strafrechtlichen Verfahren der Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt, weil dort gegen islamischen Extremismus, der im Fall des Mitbeteiligten Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung bilde, besonders streng vorgegangen werde, Folter sowie Misshandlungen in Haftanstalten in Kasachstan trotz des bestehenden Folterverbots gängige Praxis seien und die österreichischen Behörden eine Auslieferung wegen der Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK bereits abgelehnt hätten.
21 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Erhebung einer Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen sei. Der vorliegende Fall sei „vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln“. Die im Einzelfall vorgenommene Gefährdungsprognose und Interessenabwägung seien nicht revisibel.
22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision.
23 Nach Vorlage der Revision samt der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
25 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht bleibe in Bezug auf eine dem Mitbeteiligten drohende Doppelbestrafung - obgleich es sich maßgeblich auf die in den Feststellungen zitierten Passagen des Länderinformationsblattes und eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23. März 2021 stütze - widersprüchlich. Es gehe daraus hervor, dass in der kasachischen Verfassung, im Strafgesetzbuch und im Strafverfahrensgesetz ein Doppelbestrafungsverbot ausdrücklich normiert sei, demzufolge dort niemand wegen desselben Gesetzesverstoßes mehrfach bestraft werden dürfe. Weiters ergebe sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, dass das Doppelbestrafungsverbot auch dann Anwendung finde, wenn der Betroffene in einem anderen Staat wegen dort begangener Straftaten verurteilt worden sei. Auch das Bundesverwaltungsgericht erachte den Bericht der Staatendokumentation nicht als vollständig, weil sich daraus nicht entnehmen lasse, ob das Doppelbestrafungsverbot auch dann gelte, wenn der Betroffene - wie hier - in einem anderen Staat wegen Straftaten verurteilt worden sei, die er weder in Kasachstan noch in dem Staat, der ihn verurteilt habe, begangen gehabt habe. Es liege somit ein wesentlicher Begründungsmangel vor. Nach den Ausführungen der Staatendokumentation sehe das kasachische Strafrecht grundsätzlich ein Doppelbestrafungsverbot vor, das nur unter bestimmten Ausnahmen nicht zum Tragen komme. Dass im vorliegenden Fall vom Vorliegen dieser Ausnahmetatbestände auszugehen sei, habe das Verwaltungsgericht aber lediglich auf Mutmaßungen gestützt. Drohe dem Mitbeteiligten aber im Heimatland keine Strafverfolgung, bestehe keinesfalls die reale Gefahr, er werde in einem solchen Verfahren oder im Rahmen einer daraus resultierenden Haft eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte erleiden.
26 Die Revision ist teilweise zulässig. Sie ist im Umfang ihrer Zulässigkeit auch begründet.
27 Zum Anfechtungsumfang
28 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt zwar aus, sich mit seiner Revision (nur) gegen die Spruchpunkte A) II. bis A) V. zu wenden. Jedoch ergibt sich anhand der Ausführungen in der Revision - und im Übrigen mit Blick darauf, dass ausdrücklich auch der Spruchpunkt A) IV. der Anfechtung unterzogen wird - unzweifelhaft, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anstrebt, sämtliche weiteren, sich auf den seiner Ansicht nach unzutreffenden Ausspruch über die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz gründende Beschwerdeentscheidungen zu bekämpfen. Darauf war bei der Bestimmung des Umfanges der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses Bedacht zu nehmen.
29 Zur teilweisen Zurückweisung der Revision
30 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
31 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.
32 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
33 Was nun den rechtlich nicht vom Spruchpunkt A) II. abhängenden Spruchpunkt A) V. des angefochtenen Erkenntnisses (Aufhebung des behördlichen Ausspruches über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde) anlangt, ist festzuhalten, dass sich in der Revision kein konkret darauf Bezug nehmendes Vorbringen findet.
34 Hinsichtlich des Spruchpunktes A) V. werden sohin von der revisionswerbenden Behörde keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
35 Zur Aufhebung
36 Eingangs ist anzumerken, dass (auch) die Zulässigkeit einer inhaltlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine Amtsrevision voraussetzt, dass die revisionswerbende (Amts-)Partei ein aufrechtes rechtliches Interesse an einer solchen Entscheidung hat. Demnach wird auch eine Amtsrevision bei nachträglichem Wegfall des rechtlichen Interesses der Amtspartei (infolge Beendigung der Rechtswirkungen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes) gegenstandslos. Liegt ein rechtliches Interesse schon bei Revisionserhebung nicht (mehr) vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG (mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung) zurückzuweisen (vgl. zum Ganzen VwGH 2.7.2018, Ro 2017/12/0006, mwN).
37 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geht wie das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Mit Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses wurde der vom Mitbeteiligten gestellte Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.
38 Anders als zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das insoweit die Antragsabweisung auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gestützt hatte, sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Antragsabweisung auf § 8 Abs. 3a erster Satz iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 gestützt werde.
39 § 8 AsylG 2005 sieht folgendes Prüfschema vor:
40 Es ist zunächst nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 - in den Konstellationen der Z 1 (Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) oder der Z 2 (dem Fremden wurde der Status des Asylberechtigten aberkannt) - zu klären, ob eine Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
41 Darauf aufbauend sieht § 10 Abs. 1 Z 3 und Z 4 AsylG 2005 vor, dass - wenn kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird - eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist. An die Erlassung der Rückkehrentscheidung (in den hier genannten Fällen nach § 52 Abs. 2 Z 2 und Z 3 FPG) knüpft das FPG wiederum die dort näher geregelten weiteren Aussprüche, insbesondere jenen nach § 52 Abs. 9 FPG (nach dem mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen ist, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist).
42 Für den Fall, dass aber ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 oder aus den Gründen des § 8 Abs. 3 AsylG 2005 (weil eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht) oder § 8 Abs. 6 AsylG 2005 (weil der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann) abzuweisen ist, ordnet § 8 Abs. 3a AsylG 2005 an, dass eine Abweisung auch dann zu erfolgen hat, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, weil dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt nach § 8 Abs. 3a letzter Satz AsylG 2005 sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
43 Somit legt das Gesetz in Bezug auf bestimmte Gründe, die zur Versagung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen können, ausdrücklich eine Prüfreihenfolge fest. Eine nach § 8 Abs. 1 (oder Abs. 3 oder Abs. 6) AsylG 2005 ausgesprochene Versagung zieht nach dem Gesagten nicht dieselben Rechtsfolgen nach sich wie eine solche, die nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 erfolgt (vgl. zur ähnlich gelagerten Prüfreihenfolge im Fall der auf § 9 AsylG 2005 gestützten Aberkennung von früher gewährtem subsidiären Schutz VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005; in Bezug auf die Prüfreihenfolge bei der Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 8 AsylG 2005 dem folgend - mit dem Hinweis auf die Übertragbarkeit der in Ro 2019/18/0005 angestellten Erwägungen - VwGH 22.10.2020, Ro 2020/20/0001).
44 Vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Prüfreihenfolge und der unterschiedlichen Rechtswirkungen, die davon abhängen, ob einem Fremden die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einerseits aus in § 8 Abs. 1, Abs. 3 oder Abs. 6 AsylG 2005 oder andererseits aus in § 8 Abs. 3a AsylG 2005 genannten Gründen verweigert wird, ist der revisionswerbenden Behörde im vorliegenden Fall ein rechtliches Interesse daran, dass vorrangig eine auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gestützte Versagung des Begehrens auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgt, nicht abzusprechen.
45 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist mit seinem in der Sache erstatteten Vorbringen im Recht, dass sich die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, der Mitbeteiligte sei im Herkunftsstaat im Fall seiner Rückkehr (evident gemeint: nach Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Jahren) wegen der in Österreich abgeurteilten Taten der Gefahr eines weiteren Strafverfahrens und infolge einer deswegen vorgenommenen Inhaftierung einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt, nicht auf die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu stützen vermag.
46 In Bezug auf ausländisches Recht gilt der Grundsatz „iura novit curia“ nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei aber auch hier die Mitwirkung der Beteiligten erforderlich ist, soweit eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht (vgl. etwa VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288, mwN).
47 Das Bundesverwaltungsgericht hat - anhand einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - festgestellt, dass in Kasachstan ein Doppelbestrafungsverbot bestehe, das in der kasachischen Verfassung, im kasachischen Strafgesetzbuch und im kasachischen Strafverfahrensgesetz ausdrücklich festgeschrieben sei. Danach dürfe niemand für denselben Gesetzesverstoß mehrfach bestraft werden. Bereits begonnene Strafverfahren seien zu beenden, wenn bereits ein abschließendes Gerichtsurteil zum selben Gesetzesverstoß existiere. Bürger Kasachstans, die eine Straftat außerhalb Kasachstans begangen hätten, dürften für diese Straftat nur dann in Kasachstan strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie nicht bereits in jenem Land strafrechtlich verfolgt würden, wo die Straftat begangen worden sei. „Derselbe Gesetzesverstoß“ sei restriktiv zu interpretieren und müsse exakt denselben Artikel/Paragrafen/Absatz/Ziffer des Strafgesetzbuches betreffen. Sollten die Gesetzesverstöße zwei unterschiedliche Artikel/Paragrafen/Absätze/Ziffern betreffen, seien diese Gesetzesverstöße separat strafgerichtlich zu verfolgen.
48 Diese Feststellungen zum kasachischen Recht sind nicht ausreichend, um die hier in Rede stehende Frage einer Beurteilung unterziehen zu können, ob gegen den Mitbeteiligten in Kasachstan ein weiteres Strafverfahren wegen der in Österreich bereits zur Verurteilung gelangten strafbaren Handlungen geführt werden würde.
49 Zum einen enthalten diese Feststellungen nur eine Aussage für den Fall, in dem ein Staatsangehöriger von Kasachstan in jenem Land strafrechtlich verfolgt wurde, in dem er die Straftat begangen hatte. Das liegt hier aber nicht vor, weil der Mitbeteiligte in Österreich für in Syrien und „allenfalls anderen Orten“ - nach den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten, oben wiedergegebenen strafbaren Handlungen aber evident nicht im Bundesgebiet - begangene Straftaten verurteilt wurde.
50 Zum anderen bleibt unklar, was konkret mit der Aussage, es sei „derselbe Gesetzesverstoß“ restriktiv zu interpretieren und er müsse exakt denselben Artikel/Paragrafen/Absatz/Ziffer des (kasachischen) Strafgesetzbuches betreffen, gemeint ist. Es stellt sich für den Verwaltungsgerichtshof als offenkundig dar, dass andere Staaten sich bei der Formulierung ihrer gesetzlichen Bestimmungen regelmäßig nicht den - überdies: „exakten“ - Wortlaut der in Kasachstan geltenden Normen zum Vorbild nehmen. Zudem liegt die Annahme nahe, dass sich Verurteilungen außerhalb Kasachstans wegen nicht in Kasachstan begangener Straftaten - wie auch im vorliegenden Fall geschehen - regelmäßig nicht auf kasachisches Recht gründen. Demnach scheint sich die in den Feststellungen enthaltene Aussage auf jene Konstellationen zu beziehen, in denen - ausnahmsweise aufgrund von Kollisionsregeln oder sonstigen nationalen Anordnungen - in einem anderen Staat kasachisches Strafrecht zur Anwendung gelangt (anhand der vorliegenden Anfragebeantwortung lässt sich jedoch auch eine solche Aussage nicht mit der erforderlichen Sicherheit treffen).
51 Eine abschließende Beurteilung, ob der Mitbeteiligte trotz der in Österreich erfolgten Verurteilung auch in Kasachstan eine Strafverfolgung und Verurteilung wegen derselben Taten zu erwarten hat, lassen die vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen somit - entgegen den Behauptungen des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung - nicht zu.
52 Um im vorliegenden Fall eine dem Gesetz entsprechende Beurteilung vornehmen zu können, bedarf es daher weiterer Feststellungen zum kasachischen Recht und der tatsächlichen Anwendung desselben in Kasachstan. In diesem Zusammenhang ist - im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtslage - angesichts der vom Bundesverwaltungsgericht angestellten Überlegungen zum Verständnis des kasachischen Rechts zu betonen, dass die Feststellung des Inhalts ausländischen Rechts dem Tatsachenbereich zuzuordnen ist. Das gilt mithin auch für die Frage, wie dieses Recht im dortigen Land ausgelegt wird oder auszulegen ist und wie es dort angewendet wird.
53 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach dem Gesagten seine Entscheidung über die Versagung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher in diesem Punkt sowie in den rechtlich davon abhängenden Aussprüchen, die ihre Grundlage verlieren, wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
54 Für das fortzusetzende Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht - sollte nach Ergänzung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalts neuerlich in Erwägung zu ziehen sein, nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 vorzugehen - auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2021, Ra 2021/20/0246 (EU 2021/0007), und das beim Gerichtshof der Europäischen Union aufgrund des damit unterbreiteten Ersuchens um Vorabentscheidung (hier: betreffend die Frage 2.) zu C-663/21 anhängige Verfahren hingewiesen.
Wien, am 19. Jänner 2022
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021200310.L00Im RIS seit
21.02.2022Zuletzt aktualisiert am
24.02.2022