TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/24 Ra 2021/20/0367

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Veröffentlicht am 24.01.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des M M in W, vertreten durch Mag. Oliver Rößler, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021, W174 2172645-2/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. November 2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Mit Erkenntnis vom 12. August 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den diesen Antrag abweisenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde rechtskräftig ab.

3        Nachdem der Revisionswerber nach Frankreich ausgereist war und dort am 24. September 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, wurde er am 18. März 2021 nach Österreich rücküberstellt.

4        Am 18. März 2021 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

5        Mit Bescheid vom 14. Juni 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wies die Behörde in der Sache ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, erklärte seine Abschiebung nach Afghanistan für zulässig, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

6        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 9. August 2021 ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei eine Rückkehr in seine Heimatregion aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage nicht möglich. Es ging jedoch von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif aus. Diese Einschätzung traf das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage des „in der Beschwerde zitierten“ Länderinformationsblattes für Afghanistan der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

Zu I.:

Ungeachtet dessen, dass der Revisionswerber in seinem Zulassungsvorbringen festhält, das angefochtenen Erkenntnis „seinem gesamten Inhalt nach zu bekämpfen“, finden sich darin aber keine Ausführungen hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde betreffend die Zurückweisung des Antrages auf Gewährung des Status des Asylberechtigten, sodass die Revision in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig zurückzuweisen war.

Zu II.:

10       Zulässig und begründet erweist sich die Revision in Bezug auf die Bekämpfung der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die rechtlich darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 15.11.2021, Ra 2021/20/0373, mwN).

12       Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im angefochtenen Erkenntnis vom 9. August 2021 für seine Feststellungen zur Situation in Afghanistan (und damit auch dazu, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative insbesondere in den afghanischen Städten Herat und Mazar-e Sharif zumutbar sei) auf das „in der Beschwerde zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Version 4, Stand 11.6.2021“ gestützt.

13       Der Revisionswerber verweist zu Recht darauf, dass sich seit Herausgabe dieses Länderinformationsblattes die Situation in Afghanistan in maßgeblicher Weise verändert hatte, sodass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Berücksichtigung aktueller - in der Revision näher bezeichneter und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses auch dem Bundesverwaltungsgericht zugänglicher - Berichte (im Besonderen lagen im Entscheidungszeitpunkt bereits diverse weitere, auf aktuelle Ereignisse in Afghanistan Bezug nehmende Informationen der Staatendokumentation vor; vgl. etwa die von ihr herausgegebenen Kurzinformationen vom 19. Juli 2021 und vom 2. August 2021) zu anderen Feststellungen und aufgrund dieser auch zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können.

14       Schon deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung in Bezug auf die Frage, ob dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Auf das weitere Vorbringen in der Revision war sohin nicht mehr einzugehen.

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG - zur Gänze, weil die rechtlich von der Verweigerung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - aufzuheben.

16       Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021200367.L00

Im RIS seit

21.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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