TE OGH 1964/3/11 1Ob22/64

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Veröffentlicht am 11.03.1964
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schuster als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lassmann, Dr. Bachofner, Dr. Pichler und Dr. Leidenfrost als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. L* R*, vertreten durch Dr. Leopold Bestermann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. M* F*, vertreten durch Dr. Werner Delphin, Rechtsanwalt in Leoben, wegen 150.000 S sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. November 1963, GZ 2 R 278/63-74, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Juli 1963, GZ 22 Cg 19/62-62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.469,22 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, ein * Rechtsanwalt, belangte im vorliegenden, seit 2. 11. 1960 anhängigen Prozess die Beklagte, die in * wohnhafte Gattin bzw nunmehr Witwe eines Industriellen und Alleininhaberin der prot. Firma „W*“ in Wien XX., auf Honorarzahlung, wobei er nach mehrfachen Ausdehnungen und Einschränkungen letzten Endes einen Betrag von 150.000 S samt 4 % Zinsen seit 11. 3. 1960 begehrte. Er brachte im Wesentlichen vor, er habe die Beklagte bzw deren im Jahr 1961 dann verstorbenen Gatten Dr. hc. Ing. R* F* anwaltlich vertreten, eine Vereinbarung über eine Pauschalierung der Vertretungskosten oder über eine Honorierung unter dem Satz des Rechtanwaltstarifs sei nicht zustandegekommen; die Beklagte habe seinen Anspruch auch anerkannt; im Jahre 1961 sei zwischen ihm und der Beklagten zwar ein außergerichtlicher Vergleich zustandegekommen, doch habe sie ihn nicht eingehalten, weshalb er nach fruchtlosem Ablauf einer gesetzten angemessenen Nachfrist davon zurückgetreten sei.

Die Beklagte wendete ein, es seien besondere Vereinbarungen über die Honorierung des Klägers abgeschlossen worden; er habe selbst im Jahre 1954 vorgeschlagen, seine laufenden Leistungen sollten mit einem monatlichen Pauschalbetrag von 1.000 S honoriert werden; schließlich sei aber vereinbart worden, dass er ein Drittel der tarifmäßigen Gebührenansprüche bekommen solle; überdies sei es aber im Jahr 1961 zum außergerichtlichen Vergleich gekommen, weshalb der Kläger Ansprüche, die über den Rahmen des Vergleichs hinausgehen, nicht mehr geltend machen könne; ein Anerkenntnis des Anspruchs des Klägers sei sonst nie erfolgt.

Der Erstrichter fällte im ersten Rechtsgang zunächst ein Teilurteil, mit dem er dem Kläger einen Betrag von 88.900 S sA mit der Begründung zusprach, aus den beiderseitigen Parteierklärungen über den Vergleichsabschluss ergebe sich Spruchreife in Ansehung dieses Teilbetrags. Diese Entscheidung wurde aber vom Berufungsgericht aufgehoben (ONr 22 und 29).

Im zweiten Rechtsgang sprach der Erstrichter dem Kläger nunmehr den schließlich begehrten Betrag von 150.000 S sA zu. Die Begründung seines Urteils lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Kläger habe zu den Eheleuten Dr. F* private Beziehungen gehabt und habe sie beide anwaltlich vertreten; am 30. 6. 1956 habe eine Abrechnung stattgefunden, die damals abgerechneten Leistungen des Klägers seien von den Eheleuten Dr. F* auch bezahlt worden; mit der vorliegenden Klage begehre der Kläger sein Honorar für Leistungen in der Zeit vom 1. 7. 1956 bis zur Beendigung des Vertretungsverhältnisses im März 1960 sowie für die Vertretung der Eheleute Dr. F* in drei in den Jahren 1955 und 1956 anhängig gewordenen Rückstellungsverfahren, über die er aber erst bei Beendigung des Vertretungsverhältnisses mit der Gesamtaufstellung vom 10. 3. 1960 abgerechnet habe; bezüglich der nunmehr in Rechnung gestellten Leistungen sei kein Pauschalhonorar vereinbart worden; die Klagsansprüche seien von der Beklagten nicht anerkannt worden, auch nicht von ihrem Syndikus, dem Zeugen Dr. M*; dieser wäre dazu auch nicht bevollmächtigt gewesen und die Beklagte habe auch nicht das äußere Bild einer diesbezüglichen Bevollmächtigung geschaffen; die Beklagte sei Alleinerbin nach ihrem Gatten, ihr Erbschein sei vom Amtsgericht Eschweiler am 10. 5. 1962 ausgestellt worden; von dem im Juni 1960 (gemeint: Juni 1961, richtig: zu Pfingsten 1961) abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleich sei der Kläger rechtswirksam zurückgetreten; er habe nämlich mit Schreiben vom 16. 6. 1961 (Beilage ./H) erklärt, er könne einer von der Beklagten begehrten Stundung der Vergleichserfüllung nur bei Zahlung weiterer 1.000 DM zustimmen; mit Schreiben vom 17. 7. 1961 (Beilage ./J) habe er ihr eine Nachfrist unter Androhung des Rücktritts und des Wiederauflebens der Gesamtforderung bis 31. 7. 1961 gesetzt und diese auf Verlangen der Beklagten bis 9. 8. 1961 verlängert (Beilage ./K); sodann sei er vom Vergleich zurückgetreten; er könne deshalb auf seine ursprüngliche Forderung zurückgreifen; laut Sachverständigengutachten wäre für die erbrachten Leistungen ein Betrag von 159.616,90 S angemessen; gegen den Zuspruch des schließlich begehrten Betrags von 150.000 S bestünden also keine Bedenken; die von der Beklagten behaupteten Teilzahlungen hätten teils etwas anderes betroffen, teils seien sie vom Kläger selbst berücksichtigt worden, teils seien sie unbewiesen geblieben.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Wie schon im Aufhebungsbeschluss des ersten Rechtsgangs leitete es aus den unter SZ VII/215 und SZ XXVIl/141 veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs und den Ausführungen Wolff's in Klang2, VI, S 276, ab, auch von einem Vergleich könne zurückgetreten werden, zumal § 918 ABGB dies nicht ausschließe; die sogenannte Bereinigungwirkung des Vergleichs sei bis zu einem gewissen Grad Vertragsinhalt und deshalb könne aus ihr nicht auf Unzulässigkeit eines Rücktritts vom Vergleich geschlossen werden; erfolge aber ein solcher Rücktritt, lebe die ursprüngliche Forderung wieder auf; der Kläger habe also zu beweisen gehabt, dass ihm die Forderung zustehe, während der Beklagten alle ihre Einreden wieder zu Gebote gestanden seien; in letzterem Belange sei aber dem Erstrichter beizupflichten, dass sie unstichhältig gewesen seien; wenn in der Berufung weiters eingewendet worden sei, dass über das Vermögen der Beklagten das Ausgleichsverfahren eröffnet und der bei der Tagsatzung vom 25. 7. 1962 geschlossene Ausgleich auch bestätigt worden sei, müsse der Beklagten, soweit es sich um die Berücksichtigung der Quote handle, entgegengehalten werden, dass darauf mangels Einwendung in erster Instanz nicht Bedacht genommen werden könne; der Kläger habe zwar seine Forderung im Ausgleich angemeldet, dies sogar mit einem das Klagebegehren übersteigenden Betrag, sie sei aber laut Anmeldungsverzeichnis bestritten worden, ein Exekutionstitel sei also noch nicht geschaffen worden; auch ein Urteilsbeisatz, dass die Erfüllung im Rahmen des Ausgleichs zu erfolgen habe, sei nicht erforderlich, weil der Ausgleich auf Bezahlung der 85%igen Quote binnen acht Tagen nach Bestätigung gelautet habe und die Bestätigung am 14. 8. 1962 erfolgt sei; die Fälligkeit sei deshalb im Zeitpunkt der Fällung des Urteils erster Instanz (31. 7. 1963) längst gegeben gewesen.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird von der Beklagten aus dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag angefochten, es im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern oder aufzuheben und die Rechtssache an eine der Unterinstanzen zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Welchen Inhalt der zu Pfingsten 1961 kurz nach dem Tod des Gatten der Beklagten in * abgeschlossene Vergleich hatte, haben die Unterinstanzen im Einzelnen nicht festgestellt, doch kann mit Rücksicht darauf, dass der Kläger die Darstellung der Beklagten bei ihrer Parteienvernehmung ausdrücklich als richtig bekundete (S 123 und S 194), der Kläger sollte in Deutschland 10.000 DM und in Österreich 25.000 S erhalten, wozu noch der Ersatz seiner Reisespesen in Höhe von 1.250 S kommen sollte, von diesem Sachverhalt ausgegangen werden, zumal die Beklagte in ihrer Revision dies selbst anregt. Ein Zahlungstermin wurde nicht genannt, Raten wurden nicht erwähnt, ein Rücktritts- und Wiederauflebensvorbehalt wurde nicht erklärt. Die Beklagte glaubte damals, wie sie ebenfalls selbst bekundete, die zur Vergleichserfüllung nötigen Mittel auf einmal aufbringen zu können, und wollte „baldmöglichst“ zahlen, womit alle Ansprüche des Klägers gegen sie selbst und ihren verstorbenen Mann bereinigt werden sollten.

Mit den Revisionsausführungen will die Beklagte nun in erster Linie dartun, von einem gültig zustandegekommenen Vergleich gebe es keinen Rücktritt, zumindest dann nicht, wenn es sich um einen Vergleich mit Novationscharakter handle; die durch die 3. Teilnovelle zum ABGB für den Rücktritt von Verträgen im Allgemeinen geschaffenen Erleichterungen seien hier unanwendbar, weil ein Rücktritt dem Zweck des Vergleichs und der durch §§ 1385 ff ABGB normierten erhöhten Sanktion seiner Wirkung widerspreche; bei Fehlen einer Resolutivbedingung im Vergleich selbst sei ein Zurückgreifen auf den urspringlichen Anspruch unmöglich, ein Erfüllungsverzug dürfe nicht zur Vereitelung der Bereinigungswirkung des Vergleichs herangezogen werden; am Novationscharakter des zu Pfingsten 1961 geschlossenen Vergleichs könne kein Zweifel bestehen, habe doch die Beklagte nicht als Nachfolgerin nach ihrem Gatten, sondern als unmittelbare Schulderin ein Versprechen abgegeben, wobei Form, Ort und z.T. sogar die Währung für die Erfüllung geändert worden seien; im vorliegenden Fall sei ein Rücktritt vom Vergleich aber nicht nur unzulässig, sondern auch unmöglich, weil bei Anwendbarkeit des § 918 ABGB auch § 921 ABGB anwendbar sein müsse, der Kläger aber niemals einen Bereicherungsanspruch erheben könne.

Tatsächlich beruht die heutige Fassung des § 918 ABGB auf den Bestimmungen der 3. Teilnovelle. Vorher war bei Nichterfüllung eines Vertrags nach bürgerlichem Recht prinzipiell keine Rücktrittsmöglichkeit gegeben; wenn nichts anderes vereinbart war, bestand nach § 919 alter Fassung nur der Anspruch auf Erfüllung und Schadenersatz (vgl dazu die Darstellung der Redaktionsgeschichte der §§ 918–921 ABGB, durch Gschnitzer in Klang). Die Bestimmung des § 1380 ABGB, über den Vergleich ist hingegen seit Inkrafttreten des ABGB, unverändert geblieben. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene relative Seltenheit von Entscheidungen zur Frage der Zulässigkeit und Möglichkeit eines Rücktritts vom Vergleich erklärt sich demnach zunächst einmal aus der bis zur 3. Teilnovelle allgemein für Verträge, daher auch für den Vergleich, geltenden gesetzlichen Regelung, dann aber auch daraus, dass in der Praxis des Geschäfts- und Rechtslebens in Vergleiche auch seither häufig ausdrückliche Rücktritts- und Wiederauflebensklauseln eingebaut werden, ohne dass daraus aber Zuverlässiges für die Beurteilung der durch die 3. Teilnovelle geschaffenen Rechtslage für den Fall abgeleitet werden könnte, dass eine derartige Klausel im Vergleich nicht aufscheint.

Der Beklagten kann darin beigepflichtet werden, dass die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung SZ XXVII/141 hier nur in beschränktem Maß heranziehbar ist, weil nicht übersehen werden kann, dass sie sich bloß auf eine nicht eingehaltene Ratenvereinbarung bezog und zudem in I. Instanz ein Versäumungsurteil ergangen war. Auch die in der Revision erwähnte Entscheidung vom 17. 11. 1954, EvBl 1955, Nr 23, mag hier von untergeordneter Bedeutung sein. In SZ VII/215 und in der Entscheidung vom 19. 3. 1952, 1 Ob 174/52, wurde die Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 918 ABGB auf den Vergleich aber jedenfalls bejaht. So hat der Oberste Gerichtshof bereits in letzterer Entscheidung ausgeführt: „Ein Vergleich ist nach Lehre und Rechtsprechung ein zweiseitig verbindlicher entgeltlicher Vertrag, in dem die Parteien an die Stelle einer streitigen und zweifelhaften Verbindlichkeit eine neue setzen ... Ist aber ein Vergleich ein zweiseitig verbindlicher und entgeltlicher Vertrag, so finden auf ihn auch die sonstigen Bestimmungen über entgeltliche Verträge, also auch die Vorschriften der §§ 917 ff ABGB Anwendung. Wenn daher ein Teil den angeschlossenen Vergleich nicht erfüllt, steht dem andern Teil das Recht zu, von diesem Vertrag unter Setzung einer angemessenen Nachfrist zurückzutreten.“

Da die jetzige Fassung der §§ 918–921 ABGB in Anlehnung an die §§ 325, 326 DBGB entstand (vgl auch dazu Gschnitzer aaO), liegt es nahe, hier auch die deutsche Literatur und Judikatur heranzuziehen. Sie folgert zumindest überwiegend schon aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 326 und 779 DBGB, auch von einem Vergleich sei mit Wirkung einer Wiederherstellung der Rechtslage quo ante der Rücktritt nach Setzung einer angemessenen Frist zulässig und möglich (vgl Staudinger-Kober zu § 779 DBGB unter II/2 a, Palandt-Gramm zu dieser Gesetzesstelle durch Hinweis auf §§ 320 ff, insbesonders § 326 DBGB; insbesonders Soergel-Siebert, Anm 28 zu § 779 und die dort zitierte Judikatur so etwa RG/LZ 1931, 1069, RAG/JW 1935, 1350, BGH 16, 392). Ältere Entscheidungen stellen wenigstens gelegentlich auf die Parteienabsicht ab (vgl zB die bei den erwähnten Autoren, aber auch bei Enneccerus-Lehmann, § 198 unter II, zitierte Entscheidung des RG vom 8. 7. 1918, RG 93, 290), wobei naturgemäß auch die Bestimmung des § 157 DBGB von besonderer Bedeutung wird, Verträge seien so auszulegen, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. So wurde in RG 93, 290, etwa die Zusage sofortiger Zahlung eines verhältnismäßig kleinen Teilbetrags der geltend gemachten Forderung als Indiz dafür gewertet, dass der im Vergleich zugestandene Abstrich ihres größten Teils nur für den Fall wirklich sofortiger Zahlung des Vergleichsbetrags erfolgt sei, was praktisch wohl auf die Annahme einer konkludent vereinbarten Rücktritts- und Wiederauflebensklausel hinauslief.

Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof keine Veranlassung, von dem schon in SZ VII/215 und 1 Ob 174/52 eingenommenen, auch von Wolff (in Klang2 zu § 1380 ABGB unter 4) vertretenen Standpunkt abzugehen, dass auch beim Vergleich – wie bei jedem anderen Vertrag – der Rücktritt nach § 918 ABGB mit der Wirkung der Wiederherstellung der Rechtslage quo ante zulässig ist, wenn eine solche Möglichkeit nicht etwa durch Vereinbarung ausgeschlossen wurde. Mit dem Hinweis auf die bei dieser Ansicht zu besorgenden Auswirkungen auf gerichtliche Ausgleiche ist für einen Erfolg der Beklagten nichts zu gewinnen, weil für den Bereich des Ausgleichs und des Zwangausgleichs in den § 53 Abs 2 AusglO und § 156 Abs 4 KO Sonderbestimmungen bestehen, die noch dazu – sofern nichts anderes im Ausgleich bestimmt wurde – grundsätzlich ebenfalls das Wiederaufleben nach Nachfristsetzung vorsehen.

Im vorliegenden Fall kommt aber noch Folgendes dazu: Da die Beklagte, die nach ihrer Darstellung glaubte, den zur Vergleichserfüllung benötigten Betrag auf einmal aufbringen zu können, und „baldmöglichst“ zahlen wollte, keinerlei Vorbehalt für den Fall gemacht hat, dass sie dies nicht werde tun können, konnte sich der Kläger nach Treu und Glauben unter Bedachtnahme auf die Übung redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) darauf verlassen, die ihm im Vergleich zugesagten Leistungen würden sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub (§ 904 ABGB) erbracht werden. Dabei fällt noch besonders ins Gewicht, dass er sich bei der Vereinbarung der Beträge von 10.000 DM + 25.000 S – der Reisespesenersatz von 1.250 S bleibt hier naturgemäß außer Betracht – auf eine sehr beträchtliche Reduktion seiner tarifmäßigen Honoraransprüche eingelassen hat, die zu Pfingsten 1961 mit 148.373,60 S eingeklagt waren (S 32). Gewiss hatte ihm die Beklagte entgegengehalten, aufgrund von Sondervereinbarungen habe er gar keinen Anspruch auf tarifmäßige Honorierung, sondern – höchstens – auf ein Drittel des tarifmäßigen Betrags. Vergleichsweise sollte der Kläger etwa 60 % des eingeklagten – und (wie sich später zeigte) keineswegs überhöhten – Honorars erhalten. Haben nun auch damals beide Teile nachgegeben, was ja das Wesen eines Vergleichs ausmacht, ist doch nach Treu und Glauben und den Gepflogenheiten redlichen Geschäftsverkehrs anzunehmen, dass hier ein auch von den Vergleichspartnern akzeptierter untrennbarer Zusammenhang dahin bestand, der beiderseitige Rechtsstandpunkt bleibe aufrecht, falls die Vergleichsbeträge nicht wirklich sogleich bezahlt würden. Von einer im Sinn eines Ausschlusses der Rücktrittsmöglichkeit auszulegenden Vereinbarung kann diesmal also keine Rede sein. Dem entspricht letzten Endes auch die Parteienaussage der Beklagten selbst: „Nach dem Sinn des außergerichtlichen Vergleichs sollten die vereinbarten Zahlungen erfolgen zum Ausgleich aller Ansprüche des Klägers ...“ (S 123). Die Bereinigungswirkung ist in einem solchen Fall eben an die vereinbarte bzw nach den Gepflogenheiten des redlichen Verkehrs zu erwartende unverzügliche Vergleichserfüllung, nicht schon an den Vergleichsabschluss geknüpft. Der Oberste Gerichtshof kommt darum zum Ergebnis, dass der Kläger nach Setzung einer angemessenen Nachfrist mit der Wirkung der Wiederherstellung der vor dem Vergleichsabschluss bestandenen Rechtslage vom Vergleich zurücktreten konnte. Dass die Nachfrist unangemessen gewesen wäre, behauptete die Beklagte gar nicht.

Unter diesen Umständen braucht nicht näher untersucht zu werden, ob der Fall in den bisher erörterten Belangen nicht überhaupt nach deutschem Recht zu beurteilen wäre. Dies könnte deshalb in Betracht kommen, weil der Vergleich in Deutschland geschlossen wurde und auch dort Rechtswirkungen erzeugen, ja sogar zum weitaus überwiegenden Teil dort erfüllt werden sollte. Auch die Frage der Zulässigkeit des Rücktritts vom Vergleich wäre dann unmittelbar nach deutschem Recht zu beurteilen. Welche Staatsbürgerschaft die Beklagte hatte, wurde zwar nicht festgestellt – der Kläger ist offenbar Österreicher –, wäre aber unerheblich (vgl dazu Walker/Verdroß-Droßberg/Satter in Klang2 zu §§ 33–37 ABGB unter IV, A, 3). Nach deutschem Recht ergäbe sich die Rücktrittsmöglichkeit aus §§ 326 und 779 DBGB unmittelbar, die zumindest nach Treu und Glauben anzunehmende Koppelung des Honorarnachlasses mit der wirklich sofortigen Zahlung aus § 157 DBGB und die Verpflichtung zu letzterer aus § 271 DBGB, der praktisch dem § 904 ABGB entspricht.

Unter diesen Umständen braucht auf die Frage nicht eingegangen zu werden, ob die Art, wie die Beklagte bzw der Zeuge Dr. M* in ihrem Interesse sich im Sommer 1961 bei den Bemühungen, den Kläger zu weiterem Zuwarten zu bewegen, verhielt (Beilagen ./H, ./J und ./K), nicht etwa auf eine ausdrückliche Bekräftigung der Rücktritts- und Wiederauflebensklausel hinauslief.

Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Darlegungen, dass die Beklagte aus dem * Vergleich von Pfingsten 1961 nichts für einen Revisionserfolg ableiten kann.

Was sie aber – höchst kursorisch – sonst noch gegen den Anspruch des Klägers vorbringt, kann kaum als eine dem Gesetz entsprechende Ausführung des Revisionsgrundes nach § 503 Z 4 ZPO angesehen werden. Sie geht dabei nämlich nicht von den Feststellungen der Unterinstanzen, sondern von einem Sachverhaltsbild nach ihren Wünschen und zwar in dem Sinn aus, es sei sowohl der Wille des Klägers als auch jener ihres Mannes wie ihr eigener gewesen, dass der Kläger seine Tätigkeit zu wesentlich „günstigeren“ Bedingungen als nach dem Anwaltstarif entfalten werde. Richtig ist, dass die Sachverhaltsermittlung im vorliegenden Fall weitgehend durch Auslegung der vorgelegten Korrespondenz erfolgte. Die Urkundenauslegung wäre, soweit dabei nicht auch Zeugen- und Parteienaussagen mitberücksichtigt wurden, im Rahmen der Rechtsrüge angreifbar gewesen. Die Revision enthält Angriffe in dieser Richtung aber nicht und eine allgemeine Überprüfung der Ausführungen des Berufungsgerichts an Hand der von ihm herangezogenen Urkunden lässt seine Schlussfolgerungen keinesfalls als unlogisch erkennen.

Soweit die Beklagte schließlich meint, bei hohem Streitwert und ständiger Geschäftsverbindung rechneten Anwälte stets ermäßigt ab, macht sie in tatsächlicher Hinsicht in unzulässiger Weise einen neuen Einwand geltend. Der Vollständigkeit halber sei hier aber festgehalten, dass durch das Sachverständigengutachten hervorgekommen ist, dass die Ansätze des Klägers – mit Rücksicht auf die persönliche Beziehung zum verstorbenen Gatten der Beklagten – ohnehin vielfach und bedeutend unter jenen des Tarifs lagen. Im Übrigen lässt sich aus einem solchen, in der Praxis vielleicht nicht selten gezeigten Entgegenkommen keinesfalls ein Rechtsanspruch auf Honorarermäßigung ableiten.

Was die Nichtberücksichtigung des Ausgleichsverfahrens und seiner Ergebnisse betrifft, erachtet sich die Beklagte nicht für beschwert. Es kann hier auf die zutreffende Begründung des Urteils der II. Instanz verwiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E133563

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0010OB00022.64.0311.000

Im RIS seit

21.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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