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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BDG 1979 §75 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde der S in A, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 29. Mai 1996, Zl. 13 1210/145-IV/1/96, betreffend Karenzurlaub, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin steht als Revidentin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; ihre Dienststelle ist das Finanzamt XY.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 6. März 1996 auf Gewährung eines (weiteren) Karenzurlaubes gemäß § 75 BDG 1979 für die Zeit vom 16. Juni 1996 bis 15. Juni 1997 abgewiesen.
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe sich im Zusammenhang mit der Geburt ihres ersten Kindes am 26. Jänner 1992 vom 28. November 1991 bis 26. Jänner 1994 im Beschäftigungsverbot bzw. im Mutterschaftskarenzurlaub befunden. Am 27. Jänner 1994 habe sie ihren Dienst wieder angetreten, habe aber wegen der Geburt eines zweiten Kindes am 15. Juni 1994 vom 12. April 1994 bis zur Bescheiderlassung infolge Beschäftigungsverbotes bzw. Karenzurlaubes keinen Dienst versehen. Sie sei somit bereits mehr als 4 1/2 Jahre vom Dienst abwesend. Der Vorstand des Finanzamtes XY habe sich in seiner Stellungnahme vom 14. März 1996 gegen die Gewährung des beantragten Karenzurlaubes ausgesprochen, weil nach einer 4 1/2-jährigen Abwesenheit vom Dienst die Neuerungen auf dem Gebiet des Abgabenrechtes sowie auch der verstärkt erfolgte Einsatz von Personalcomputern eine umfangreiche Neueinschulung bzw. Einarbeitung erforderlich machten. Dazu komme, daß auch auf die allgemeine Personal- und Arbeitssituation beim Finanzamt XY Bedacht zu nehmen sei. Die Geschäftsabteilung 2 (Steuerlandesinspektorat) habe sich der Ansicht der Amtsleitung angeschlossen (Stellungnahme vom 25. März 1996).
Mit Erlaß der belangten Behörde vom 17. April 1996 sei der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, daß im Hinblick auf die äußerst angespannte Personalsituation im Bereich der Finanzverwaltung seitens des Bundesministeriums für Finanzen bei der Gewährung von Karenzurlauben durchwegs ein restriktiver Standpunkt eingenommen werden müsse. In den letzten Jahren seien im zunehmenden Maße Planstellen gekürzt worden und durch die prekäre Budgetsituation sei eine weitere Verschärfung auf dem Gebiet der Planstellenbewirtschaftung eingetreten. Im Zuge der einschneidenden Einsparungen auch im Personalbereich sei es keineswegs vertretbar, eine Planstelle durch Gewährung eines langdauernden Karenzurlaubes zu binden und damit eine Arbeitsplatzgarantie über Jahre einzuräumen.
In ihrer Stellungnahme vom 8. Mai 1996 habe die Beschwerdeführerin im wesentlichen vorgebracht, daß es keine Möglichkeit zur Unterbringung ihres Kindes gäbe. Es gäbe weder öffentliche Kinderbetreuung noch Tagesmütter, noch einen Kinderhort. Die Möglichkeit, das Kind in den Kindergarten zu geben, wäre erst ab dem 3. Lebensjahr gegeben. Sie ersuche daher nochmals, ihr den beantragten Karenzurlaub zu gewähren.
Nach Wiedergabe der Rechtslage führt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter aus, wie der Beschwerdeführerin bereits mit dem vorher genannten Erlaß der belangten Behörde mitgeteilt worden sei, hätten die durch das Einsparungsprogramm der Bundesregierung bedingten laufenden Planstellenkürzungen eine derartige Personalknappheit in der Finanzverwaltung bewirkt, daß deren Aufgaben nur mit größter Anstrengung bewältigt werden könnten, wobei die personellen Schwierigkeiten nicht nur in bezug auf einzelne Finanzämter gesehen werden dürften, sondern die gesamte Personalsituation zu berücksichtigen sei. Bei allem Verständnis für die Situation der Beschwerdeführerin könne aus den angeführten Gründen keine Ausnahme gemacht werden und eine Arbeitsplatzgarantie über Jahre hindurch gegeben werden. Da der Gewährung des Karenzurlaubes zwingende dienstliche Gründe entgegenstünden, müsse das Ansuchen der Beschwerdeführerin abgewiesen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf gesetzmäßige Entscheidung über einen Antrag auf Karenzurlaub nach § 75 BDG 1979 durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt.
In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin vor, dem angefochtenen Bescheid mangle es an einer näheren Darstellung der von der Behörde angesprochenen Personalsituation. Insbesondere sei nicht zu ersehen, ob etwa ein höherer Prozentsatz der vorgesehenen Planstellen während des Zeitraumes vom 16. Juni 1996 bis 15. Juni 1997 im engeren oder weiteren Sinn unbesetzt seien oder nicht. Es handle sich vielmehr bei der Begründung um eine nicht nachprüfbare Behauptung. Wenn die belangte Behörde ausführe, in den letzten Jahren seien im zunehmenden Maße Planstellen gekürzt worden und durch die prekäre Budgetsituation sei eine weitere Verschärfung auf dem Gebiet der Planstellenbewirtschaftung eingetreten, so komme dem nicht der Charakter des Außergewöhnlichen zu. Im Hinblick auf den Entfall der Bezüge werde die Budgetsituation durch einen Karenzurlaub nicht erschwert. Wenn die Planstellen selbst gekürzt worden seien und das Problem nicht etwa darin liege, daß vorgesehene Planstellen nicht besetzt werden könnten bzw. daß ihre Inhaber wegen Krankheit oder Karenzurlaub keine Tätigkeit verrichteten, seien dies allgemein vorgegebene Rahmenbedingungen, mit denen die Verwaltung auskommen müsse und innerhalb welcher gesetzlich vorgesehene Institutionen wie der Karenzurlaub ihren Platz finden müßten.
Das Personalwesen der Bundesverwaltung habe im allgemeinen und auch dasjenige der Finanzverwaltung im besonderen ein Ausmaß, das es ohne weiteres erlaube, die durchschnittlich zu erwartenden Karenzurlaube, insbesondere im Zusammenhang mit dem Umstand der Mutterschaft, einzuplanen. Bei mehreren Dutzend Dienstnehmern an einer einzigen Dienststelle dürfe der Ausfall eines einzigen Dienstnehmers nicht zu größeren Problemen führen, wenn man auch noch die Möglichkeit von Dienstzuteilungen von anderen Dienststellen aus berücksichtige. Dem weiteren im Zuge des Verfahrens vertretenen und auch in der Bescheidbegründung wiedergegebenen Argument, daß die Beschwerdeführerin bereits seit mehr als 4 1/2 Jahren vom Dienst abwesend sei und dadurch ein umfangreiches Erfordernis der Neueinschulung bzw. Einarbeitung entstehe, habe die Beschwerdeführerin in ihrer Äußerung vom 8. Mai 1996 entgegengehalten, daß sich diesbezüglich durch ein weiteres Jahr keine wesentliche Änderung ergebe. Darauf sei die belangte Behörde in der Bescheidbegründung nicht eingegangen, sodaß die Beschwerdeführerin wohl davon ausgehen könne, daß die von ihr geäußerte Auffassung behördlicherseits angenommen worden sei.
Als inhaltliche Rechtswidrigkeit bringt die Beschwerde im wesentlichen vor, die "prekäre Budgetsituation" könne nicht jede restriktive Vollzugsmaßnahme rechtfertigen. Soweit sich daraus mittelbar ein Problem im Sinne der behördlichen Argumentation ergebe, sei dieses auf andere Weise zu lösen, als durch Einschränkungen bei der Karenzurlaubsgewährung für junge Mütter. Die belangte Behörde stelle ihre allgemeine diesbezügliche Konzeptsänderung nicht vollständig dar. Es werde nämlich beim ersten Kind ein Karenzurlaub in dem von der Beschwerdeführerin angestrebten Ausmaß nach wie vor gewährt; die restriktive Vorgangsweise greife nur dann Platz, wenn - wie im Beschwerdefall - ein zweites Kind hinzukomme. Das geschehe in Wahrheit völlig unabhängig von der konkreten Personalsituation und sei in jeder denkbaren Weise völlig sinnwidrig. Einer der Hauptfaktoren für die Budgetschwierigkeiten liege in den Pensionslasten. Durch weniger Kinder trete in dieser Beziehung auf Dauer keine Entlastung, sondern eine Verschärfung der Situation ein. Österreich sei hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung nicht mit der Situation von China und anderen Drittweltstaaten im Sinne einer Politik der Förderung der Einkindfamilie zu vergleichen. In Übereinstimmung mit diesen und anderen Aspekten komme in der österreichischen Rechtsordnung keinerlei Bevorzugung der Beschränkung auf ein Kind bzw. überhaupt auf eine geringere Kinderzahl zum Ausdruck. Es würden im Gegenteil eher Familien mit mehr Kindern überproportional begünstigt. Es könne daher denkbarerweise nicht als im Sinne des Gesetzes angesehen werden, daß sich - gerade - der Bund als Dienstgeber diesen Gegebenheiten verschließe. Er handle vielmehr wider die allgemeinen Interessen, wenn er durch eine Verwaltungspraxis Eltern davor abschrecke, ein zweites Kind zu bekommen.
Die von der belangten Behörde vertretene restriktive Gesetzesanwendung sei daher nach allen sachlichen Kriterien kontraindiziert. Nicht einmal eine völlig isolierte und einseitige Beurteilung nach Dienstesinteressen ergebe ein faßbares und relevantes Gegenargument. Speziell sei auch dafür die verhältnismäßig rasche Aufeinanderfolge von Karenzurlauben eher günstiger als Karenzurlaube mit größerem Zeitabstand. Es liege daher hier in Wahrheit der Fall vor, daß eine durch Einsparungspolitik unter Druck geratene Verwaltung diesen Druck an eine der schwächsten Gruppen ihres Bereiches weitergebe, nicht weil das rational begründet sei, sondern weil man die Zeitumstände als günstig für einschränkende Änderungen ansehe.
Gemäß § 75 Abs. 1 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, kann dem Beamten auf sein Ansuchen ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen.
Sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen, liegt die Gewährung eines Karenzurlaubes nach § 75 BDG 1979 demnach im Ermessen der Dienstbehörde. Dem folgend ist daher primär zu prüfen, ob dem beantragten Karenzurlaub zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. Erst wenn im gebundenen Bereich in einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren erhoben worden ist, daß keine zwingenden dienstlichen Gründe gegen den beantragten Karenzurlaub bestehen, ist Platz für eine Ermessensentscheidung gegeben.
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde ihre abweisende Entscheidung ausdrücklich im Hinblick auf das Entgegenstehen von zwingenden dienstlichen Gründen getroffen. Diese zwingenden dienstlichen Gründe werden in den durch das Einsparungsprogramm der Bundesregierung bedingten laufenden Personalkürzungen und in der generellen Personalknappheit in der Finanzverwaltung gesehen. Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin bereits im Hinblick auf die von ihr in Anspruch genommenen Karenzurlaube schon längere Zeit nicht mehr Dienst geleistet hat, und das daraus folgende Ausbildungsdefizit waren für die Entscheidung nicht maßgebend. Mit der allgemeinen Aussage hinsichtlich der generellen Personalkürzungen und der allgemeinen Personalknappheit werden nicht die für den konkreten Einzelfall allein maßgebenden zwingenden dienstlichen Gründe dargestellt. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, daß die ebenfalls erwähnte "prekäre Budgetsituation" nicht als derart zwingender Grund im Sinne des § 75 Abs. 1 BDG 1979 gewertet werden darf, zumal die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt hat, daß im konkreten Fall durch die Karenzierung der Beschwerdeführerin dem Bund überhaupt ein Mehraufwand entstünde, was wohl nur bei außergewöhnlichen Umständen der Fall sein könnte. Die von der belangten Behörde angeführten generellen Sparmaßnahmen stellen daher für sich alleine keine sachverhaltsmäßig taugliche Grundlage für die Annahme der belangten Behörde im gebundenen Bereich ihrer Entscheidung dar. Die belangte Behörde hätte vielmehr, bezogen auf die konkrete Sachlage im Beschwerdefall im Hinblick auf ihre im rechtlich gebundenen Bereich erfolgte Entscheidung, darzulegen gehabt, aus welchen konkreten zwingenden dienstlichen Gründen auf die Arbeitsleistung der Beschwerdeführerin nicht verzichtet werden kann. Derartiges ist weder dem angefochtenen Bescheid noch dem Vorhalt im Parteiengehör zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin ist dadurch an der Verfolgung ihrer Interessen behindert worden; bei einer solchen Sachlage kann der in der Gegenschrift unternommene Versuch der Nachholung der Begründung durch Darstellung der personellen Situation bei der Dienststelle der Beschwerdeführerin die dem angefochtenen Bescheid anhaftende Mangelhaftigkeit nicht beheben. Selbst ausführliche Darlegungen in der Gegenschrift vermögen nämlich fehlende Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen (vgl. beispielsweise Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. April 1983, Slg. N. F. Nr. 11.496/A - nur Rechtssatz).
Die belangte Behörde hat, ausgehend von der unrichtigen Rechtsauffassung, eine generelle Personalknappheit würde bereits einen zwingend dienstlichen Grund im Sinne des § 75 Abs. 1 BDG 1979 darstellen, Erhebungen in die Richtung, ob die Beschwerdeführerin in dem konkreten in Frage stehenden Zeitraum auf ihrem Arbeitsplatz tatsächlich unverzichtbar ist, unterlassen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996120226.X00Im RIS seit
20.11.2000