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10/11 Vereins- und VersammlungsrechtNorm
EMRK Art3Leitsatz
Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Auflösung einer nicht angemeldeten "Spontanversammlung" gegen den Ball des Wiener Korporationsringes; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Anhaltung des Beschwerdeführers zur Identitätsfeststellung; keine Verletzung des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung infolge "Einkesselung" und Einsatzes einer "Räumkette"Rechtssatz
Keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit:
Hinsichtlich der in der Beschwerde gerügten Auflösung der gegenständlichen Versammlung (eine nicht angemeldete "Spontanversammlung" aus Anlass des Wiener Korporationsringes in der Hofburg) ist, aus verfassungsrechtlicher Sicht, festzustellen, dass diese in nicht zu beanstandender Weise erfolgt ist, hat doch die Behörde auf Basis der Analysen zur ursprünglich geplanten, doch schließlich untersagten Versammlung und der Beurteilung am Ort der "Spontanversammlung" in nachvollziehbarer Weise die Entscheidung getroffen, dass bei deren Abhaltung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu gewärtigen sei. Hieraus folgt, dass die Auflösung der gegenständlichen Versammlung dem VersammlungsG entsprochen hat.
Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit:
Gemäß §14 VersammlungsG sind alle am Versammlungsort anwesenden Personen verpflichtet, selbigen nach Auflösung der Versammlung sogleich zu verlassen. Zur Feststellung des Ungehorsams gegen dieses gesetzliche Gebot reicht es aus, dass ein Anwesender nicht von sich aus diese Verpflichtung erfüllt; ein wie immer gearteter Widerstand ist hier nicht erforderlich. Unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer die Mitteilung der Auflösung der Versammlung rechtswirksam zugegangen ist, konnten die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anbetracht der Gesamtsituation vor Ort mit gutem Grund annehmen, dass sich der Beschwerdeführer durch Nicht-Verlassen des Versammlungsortes einer Verwaltungsübertretung schuldig gemacht hat. Die Annahme der Behörde, der Beschwerdeführer habe §14 VersammlungsG übertreten, erscheint unter den Umständen des konkreten Falls durchaus vertretbar.
Da die Auflösung der Versammlung rechtmäßig erfolgt ist, der Beschwerdeführer den Versammlungsort hienach nicht verlassen hat und da infolgedessen die Annahme der Behörde vor Ort, er hätte eine Verwaltungsübertretung begangen und wäre bei dieser auf frischer Tat betreten worden, durchaus vertretbar erscheint, kann auch in der Anhaltung des Beschwerdeführers und in der Feststellung seiner Identität im Lichte des §35 VStG grundsätzlich keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit erblickt werden.
Was die vom Beschwerdeführer gerügten Modalitäten der Anhaltung betrifft, nämlich die behauptete "Einkesselung" der Versammlungsteilnehmer und die "schleppende Durchführung" der Identitätskontrollen, so kann hierin ebenso wenig eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf persönliche Freiheit erblickt werden. Gemäß der Rsp des VfGH hat die Behörde vor Ort bei Vollzug der Versammlungsauflösung "maßhaltend" zu agieren. Im konkreten Fall liegt allerdings kein Umstand vor, der eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots nahe legen würde. Insb unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das etwa dreistündige Verbleiben des Beschwerdeführers am Versammlungsort nach der Versammlungsauflösung va auf dessen eigenes Verhalten zurückzuführen ist, kann von einem maßhaltenden Agieren der Sicherheitsorgane ausgegangen werden.
Keine Verletzung des Art3 EMRK:
Der VfGH hat im Zusammenhang mit der Auflösung einer Versammlung das Vorliegen einer erniedrigenden Behandlung iSd Art3 EMRK nicht bei jedem physischen Zwangsakt angenommen hat; vielmehr muss qualifizierend zu diesem Akt hinzutreten, dass ihm eine die Menschenwürde beeinträchtigende Missachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Der konkrete Sachverhalt legt allerdings keinesfalls nahe, dass eine derartige Rechtsverletzung stattgefunden hätte. Soweit im konkreten Fall physische Gewalt gegen den Beschwerdeführer selbst zum Einsatz kam, erschöpfte sich diese in einem leichten Stoß, den ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes dem Beschwerdeführer versetzte, als dieser der verbalen Aufforderung, weiterzugehen, nicht nachgekommen ist. Hiedurch erreicht der Zwangsakt aber jedenfalls nicht jene Intensität, auf Grund der er als erniedrigende oder unmenschliche Behandlung zu qualifizieren wäre.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Versammlungsrecht, Verwaltungsstrafrecht, PolizeiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B1436.2010Zuletzt aktualisiert am
16.02.2022