TE Vwgh Beschluss 2021/12/21 Ra 2021/21/0328

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §28
AsylG 2005 §5 Abs1
AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs2
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §61 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §61 Abs1 Z2
FrPolG 2005 §61 Abs4
MRK Art3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2021, W212 2245979-1/6E, betreffend Behebung einer Anordnung zur Außerlandesbringung (mitbeteiligte Partei: R O, derzeit unbekannten Aufenthalts), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, wurde am 16. August 2021, nachdem er beim versuchten Grenzübertritt nach Deutschland zurückgewiesen worden war, gemäß § 39 FPG festgenommen. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme gab der Mitbeteiligte an, sich von Italien kommend auf der Durchreise nach Deutschland befunden zu haben. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. August 2021wurde gegen ihn gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-Verordnung iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet.

2        Nachdem das BFA im Hinblick auf einen entsprechenden „EURODAC-Treffer“ ein Konsultationsverfahren mit Malta eingeleitet hatte, stimmte dieser Staat mit Schreiben vom 19. August 2021 der Rückübernahme des Mitbeteiligten nach der Dublin III-Verordnung zu. Daraufhin sprach das BFA mit Bescheid vom 23. August 2021 aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde (Spruchpunkt I.); mit Spruchpunkt II. dieses Bescheides erließ das BFA gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG eine Anordnung zur Außerlandesbringung und stellte fest, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Malta zulässig sei.

3        Am 25. August 2021 stellte der Mitbeteiligte aus dem Stand der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

4        Mit Schriftsatz vom 30. August 2021 erhob er gegen Spruchpunkt II. des Bescheides vom 23. August 2021 Beschwerde, in der er die Asylantragstellung in Malta bestritt und darüber hinaus insbesondere drohende Verletzungen des Art. 2 und 3 EMRK durch eine Abschiebung nach Malta behauptete. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 3. September 2021 brachte er außerdem vor, dass der Bescheid im bekämpften Umfang schon im Hinblick auf seinen noch nicht erledigten Antrag auf internationalen Schutz ersatzlos zu beheben wäre.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. September 2021 hob das Bundesverwaltungsgericht in Erledigung der Beschwerde den bekämpften Spruchpunkt des Bescheides des BFA auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass sich der bekämpfte Bescheid und das Ermittlungsverfahren des BFA „in besonders gravierender Weise als mangelhaft“ erwiesen hätten. Der Einwand des Mitbeteiligten, dass der Bescheid ersatzlos zu beheben sei, treffe hingegen nicht zu; die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis von Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz sei nicht auch auf Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu übertragen. Dafür spreche die Regelung des § 61 Abs. 4 FPG, wo ausdrücklich vorgesehen sei, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung außer Kraft trete, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen werde.

7        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA. Zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird vorgebracht, dass die Rechtsfrage zu klären sei, ob die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung zulässig sei, wenn der Fremde einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der voraussichtlich gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 verbunden mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung zurückzuweisen sei. Nach Auffassung des BFA sei auf diesen Fall die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend Anträge auf internationalen Schutz während eines laufenden Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu übertragen.

8        Mit dieser Auffassung ist das BFA zwar im Recht:

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, Rn. 12, klargestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Rückkehrentscheidung nämlich mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „zu verbinden“, nach § 52 Abs. 2 FPG hat sie „unter einem“ zu ergehen; sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, vorwegzunehmen.

10       Diese Überlegungen lassen sich auf eine Konstellation wie die hier vorliegende übertragen, in der ein Antrag auf internationalen Schutz während eines Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung gestellt wird. Da die Anordnung zur Außerlandesbringung - ebenso wie bei anderen Fällen der negativen Erledigung eines Antrags auf internationalen Schutz die Rückehrentscheidung - gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG mit der nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückweisenden, eine Zuständigkeit Österreichs zur Antragsprüfung verneinenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „zu verbinden“ ist und ihre Voraussetzung die vorrangig im (Zulassungs-)Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zu klärende Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für die Prüfung des Antrags ist, gilt auch hier, dass die Erlassung der aufenhaltsbeendenden Maßnahme vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem auch eine behauptete Unzulässigkeit der Abschiebung in den zuständigen Dublin-Staat unter dem Gesichtspunkt insbesondere des Art. 3 EMRK zu prüfen wäre, nicht zulässig ist. Ein anhängiges Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung wäre einzustellen, und eine - wie hier - bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Anordnung zur Außerlandesbringung wäre vom Bundesverwaltungsgericht ersatzlos zu beheben (vgl. idS nochmals VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, nunmehr Rn. 13).

11       Dass § 61 Abs. 4 FPG das Außerkrafttreten der Anordnung zur Außerlandesbringung vorsieht, „wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AyslG 2005 zugelassen wird“, steht dem nicht entgegen. Diese Bestimmung ändert nichts daran, dass bei gleichzeitiger Anhängigkeit von zwei Verfahren, in denen eine Anordnung zur Außerlandesbringung zu erlassen ist, jenes vorrangig ist, in dem über einen in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden ist.

12       Allerdings war das Verfahren über den vom Mitbeteiligten in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz im Zeitpunkt der Einbringung der Revision, wie in dieser selbst vorgebracht wird, bereits erledigt: Der Antrag wurde demnach nämlich mit durch Rechtsmittelverzicht am 28. September 2021 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des BFA vom 21. September 2021 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, wobei unter einem gemäß § 61 Abs. 1 FPG eine Anordnung zur Außerlandesbringung mit dem Zielstaat Malta erlassen wurde. Ausgehend davon ist das hier gegenständliche Verfahren zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung nicht fortzuführen, sondern vom BFA - bei dem es infolge der Zurückverweisung durch den angefochtenen Beschluss wieder anhängig ist - einzustellen. Es bedarf somit nicht der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch den Verwaltungsgerichtshof, um der Rechtsposition des revisionswerbenden BFA, nicht in Bindung an die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts zur Erlassung eines Ersatzbescheides verpflichtet zu sein, zum Durchbruch zu verhelfen.

13       Damit fehlte es aber von Anfang an einem Rechtsschutzbedürfnis des BFA. In einem solchen Fall ist die Revision zurückzuweisen (vgl. etwa mit näherer Begründung - ebenfalls betreffend eine Amtsrevision - VwGH 24.6.2015, Ra 2015/10/0027, unter Hinweis u.a. auf VwGH 19.12.2014, Ro 2014/02/0115), was somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung ohne weiteres Verfahren mit Beschluss auszusprechen war.

Wien, am 21. Dezember 2021

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210328.L00

Im RIS seit

16.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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