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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des A B, in G, vertreten durch Mag.a Sarah Moschitz-Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2021, Zl. I412 2207318-1/12E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache den Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Guinea, auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Guinea zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.
2 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 22. September 2021, E 2971/2021-7, die Behandlung der gegen das angefochtene Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat diese über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 22. Oktober 2021, E 2971/2021-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
3 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision rügt im Zulässigkeitsvorbringen die unterlassene Heranziehung aktueller (von nach 2019 stammender) Länderberichte unter Hinweis auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Folge der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 sowie fehlende aktuelle Feststellungen zur Grundversorgung und Wirtschaftslage bzw. grundsätzlich fehlende Feststellungen zur Versorgungslage im Herkunftsstaat. Bei ordnungsgemäßer Ermittlung der aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage hätte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis kommen können, dass dem Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohe oder zumindest die Gefahr bestehe, in eine aussichtslose bzw. existenzbedrohende Lage zu geraten, sodass ihm internationaler Schutz zuzuerkennen gewesen wäre.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen (für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, Rn. 8, mwN). Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa zuletzt VwGH 15.9.2021, Ra 2021/01/0257, Rn. 6, mwN).
9 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN).
10 Diesen Anforderungen wird die Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht. Mit der Behauptung, aus den „frei verfügbaren Berichten“ sei „eine Befeuerung der - vom Revisionswerber vorgebrachten - ethnischen Konflikte“ zu entnehmen, wird die Relevanz nicht in konkreter Weise dargelegt (vgl. im Übrigen zum Begriff „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK jüngst VwGH 26.4.2021, Ra 2020/01/0025, Rn. 14 mwN, sowie zur asylrelevanten „Gruppenverfolgung“ etwa jüngst VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0233, Rn. 19, mwN).
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist jedoch nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
12 Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines realen Risikos iSd Art. 3 EMRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen („in the most extreme cases“) erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen („special distinguishing features“), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. zu alldem VwGH 29.1.2021, Ra 2020/01/0422, Rn. 11 und 12, jeweils mwN).
13 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen hat sich das Verwaltungsgericht mit der Situation des Revisionswerbers im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Bezug auf die dortige Wirtschaftslage und die Grundversorgung auseinandergesetzt. Mit dem bloßen Hinweis, der Herkunftsstaat des Revisionswerbers gelte nach einem näher bezeichneten Länderbericht aus dem Jahr 2020 „als eines der ärmsten Länder der Welt“, legt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen weder die Relevanz des in Bezug auf die Heranziehung nicht aktueller Länderberichte durch das Verwaltungsgericht geltend gemachten Verfahrensmangels noch die Unvertretbarkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Einzelfallprüfung hinreichend dar.
14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. für viele VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN). Die Revision zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht von diesen Grundsätzen abgewichen wäre, nachdem bereits zuvor der Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungsbeschluss vom 22. September 2021, E 2971/2021, in der Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nach Art. 8 EMRK unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine aufzugreifende Rechtsverletzung erblickt hat.
15 Vor diesem Hintergrund werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 13. Jänner 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010387.L00Im RIS seit
18.02.2022Zuletzt aktualisiert am
24.02.2022