TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/17 Ra 2021/02/0236

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Veröffentlicht am 17.01.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §17
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober sowie Dr. Koprivnikar als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der H AG in B, vertreten durch die Eisenberger Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Schloßstraße 25, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. September 2021, W158 2135043-1/29E, betreffend Vorschreibung von Beiträgen für den Abwicklungsfinanzierungsmechanismus für das Jahr 2015 gemäß BaSAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzmarktaufsichtsbehörde, weitere Partei: BM für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1.1. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 24. November 2015 wurde der revisionswerbenden Partei, einem Bankinstitut, u.a. gemäß §§ 123, 125 und 126 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (BaSAG), der Delegierten Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission vom 21. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zu Abwicklungsmechanismen, ABl. 2014 L 11/44 (DelVO), und der Beitragsparameterverordnung (BeiPaV), BGBl. II Nr. 341/2015, ein Beitrag zum Abwicklungsmechanismus für das Jahr 2015 in Höhe von rund € 5,9 Millionen vorgeschrieben.

2        1.2. Aufgrund der von der revisionswerbenden Partei erhobenen Vorstellung leitete die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren gemäß § 57 Abs. 3 AVG ein und wies im weiteren Verlauf mit Vorstellungsbescheid vom 6. Juni 2016 die Vorstellung ab.

3        2.1. Die von der revisionswerbenden Partei gegen diesen Vorstellungsbescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) zunächst mit Erkenntnis ohne Durchführung der von der revisionswerbenden Partei in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4        Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. April 2021, Ra 2021/02/0018, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil das Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte.

5        Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof u.a. Folgendes aus:

„Der vorliegende Fall betrifft unzweifelhaft Angelegenheiten der ‚Durchführung des Rechts der Union‘ iSd Art. 51 Abs. 1 GRC, hat das BVwG doch die DelVO angewendet und ‚dienen‘ die Bezug habenden Bestimmungen des BaSAG z.B. dem ‚Wirksamwerden‘ der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 1093/2010, ABl. Nr. L 225 vom 30.7.2014 (vgl. näher Art. I ‚Umsetzungshinweis‘ des BaSAG). Das BaSAG ist daher unionsrechtskonform auszulegen. Folglich kommen schon deshalb die in Art. 47 GRC festgelegten Garantien, die sich inhaltlich an Art. 6 und Art. 13 EMRK orientieren, zum Tragen (vgl. erneut VwGH 8.4.2019, Ra 2018/03/0081, mwN).

In der Sache ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die der revisionswerbenden Partei vorgeschriebenen Beiträge rechtskonform vorgeschrieben wurden. Dabei hatte die revisionswerbende Partei in ihrer Beschwerde gegen die verwaltungsbehördliche Entscheidung sowie in ihrer Äußerung zu einer Stellungnahme der FMA u.a. damit argumentiert, dass die Beitragsberechnung für sie mangels Bekanntgabe der notwendigen Daten nicht nachvollziehbar sei; überdies sei die Beitragsvorschreibung aus näheren Gründen nicht im Einklang mit der DelVO ergangen. Das BVwG traf in der Folge Feststellungen zu den von der revisionswerbenden Partei selbst gemeldeten Parametern; setzte sich jedoch in der Folge bei seiner rechtlichen Beurteilung u.a. nicht mit dem Urteil des EuG vom 23.9.2020, T 414/17, auseinander, welches hinsichtlich einer vergleichbaren Beitragsvorschreibung (auf europäischer Ebene) zum Schluss gekommen war, dass die Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen nicht so extensiv ausgelegt werden könne, dass dadurch das Begründungserfordernis ausgehöhlt würde.

[...] Die Frage, inwiefern einer Partei Akteneinsicht zu gewähren ist und sie die ihr vorgeschriebenen Beiträge nachvollziehen können muss, ist eine wesentliche Rechtsfrage, die nicht bloß hochtechnischer Natur ist. Schon im Hinblick darauf ist die Sichtweise des BVwG, in der Beschwerde seien keine Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen worden, die eine mündliche Verhandlung erfordert hätten, nicht nachvollziehbar.

[...] Die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG lagen vielmehr fallbezogen nicht vor.

[...] Bei Missachtung der Verhandlungspflicht im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 8.4.2019, Ra 2018/03/0081, mwN).“

6        Im fortgesetzten Verfahren führte das Verwaltungsgericht erneut keine mündliche Verhandlung durch. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss gab es vielmehr der Beschwerde der revisionswerbenden Partei Folge, hob den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde auf und wies die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an die belangte Behörde zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7        Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG aus, im Verfahren sei strittig, wieweit der revisionswerbenden Partei Akteneinsicht zu gewähren sei bzw. ob damit aufgrund der Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen das Begründungserfordernis ausgehöhlt würde. Zu dieser Frage habe die belangte Behörde keine Ermittlungen getätigt, sondern nur ausgeführt, der revisionswerbenden Partei sei in den gesamten Vorstellungsakt Einsicht gewährt worden. Das Verwaltungsgericht halte an seiner Meinung fest, dass die Daten der anderen Institute für den Vorstellungsbescheid maßgeblich gewesen seien. Der Vorwurf der revisionswerbenden Partei, es seien ihr nicht alle Ergebnisse des Beweisverfahrens zur Gänze zugänglich gemacht worden, treffe daher unverändert zu. Aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes habe sich das Verwaltungsgericht mit der Entscheidung des EuG vom 23. September 2020, T-414/17, auseinanderzusetzen. Das Verwaltungsgericht sei aus näheren Gründen der Ansicht, dass den Überlegungen des EuG nicht vollinhaltlich gefolgt werden könne. In eine ähnliche Richtung gehe auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag in den verbundenen Rechtssachen C-584/20 und C-621/20, denen die Rechtsmittel der Kommission und des Einheitlichen Abwicklungsausschusses gegen diese Entscheidung des EuG zu Grunde lägen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) sei diesen Erwägungen in seinem Urteil vom 15. Juli 2021, C-584/20, im Wesentlichen gefolgt. Die DelVO stehe daher in keiner Weise der Möglichkeit entgegen, in allgemeiner und anonymisierter Form ausreichende Informationen offenzulegen, um es einem Institut zu ermöglichen, nachzuvollziehen, auf welche Weise seine individuelle Situation bei der Berechnung seines im Voraus erhobenen Beitrags zum Einheitlichen Abwicklungsfonds in Anbetracht der Situation aller anderen betroffenen Institute berücksichtigt worden sei. Das Verwaltungsgericht schließe sich den Ausführungen des EuGH an. Es obliege der belangten Behörde, die zur Berechnung des Beitrags verwendeten Informationen zu den betreffenden Instituten in allgemeiner und anonymisierter Form an die revisionswerbende Partei zu übermitteln. Der revisionswerbenden Partei sei daher im fortgesetzten Verfahren zumindest teilweise Akteneinsicht zu gewähren. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht liege nicht im Interesse der Raschheit. Es ergebe sich ein umfangreicher Ermittlungsbedarf, der in seiner Dimension einer Neudurchführung des Ermittlungsverfahrens gleichkomme. Die Bindungswirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes stehe der Aufhebung und Zurückverweisung nicht entgegen. Im Übrigen sei das Verwaltungsgericht unverändert der Ansicht, dass die Erlassung eines Mandatsbescheides durch die belangte Behörde zulässig gewesen sei. Den verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken der revisionswerbenden Partei werde aus näheren Gründen „nicht beigetreten“.

8        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat zur Zahl Ra 2021/02/0231 ebenfalls eine außerordentliche Revision gegen diesen Beschluss erhoben. Sowohl die revisionswerbende Partei als auch die belangte Behörde beantragen in ihren Revisionen jeweils die Aufhebung dieses Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

9        Im vorliegenden Revisionsverfahren erstattete die belangte Behörde dennoch eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

10       Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, der Beschluss weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als zulässig. Sie ist auch begründet.

11       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

13       Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass etwa eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. VwGH 4.10.2021, Ra 2021/03/0051, mwN).

14       Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof im vorherigen Rechtsgang klargestellt, dass die Frage, inwiefern einer Partei Akteneinsicht zu gewähren sei und sie die ihr vorgeschriebenen Beiträge nachvollziehen können müsse, eine wesentliche Rechtsfrage sei, die nicht bloß hochtechnischer Natur sei (vgl. VwGH 6.4.2021, Ra 2021/02/0018). Die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG lagen demnach fallbezogen im ersten Rechtsgang nicht vor.

15       Das Verwaltungsgericht hat diese mündliche Verhandlung im fortgesetzten Verfahren jedoch nicht durchgeführt (zur Bindungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vgl. § 63 Abs. 1 VwGG). Vielmehr hat es in seinem aufhebenden Beschluss ausgeführt, strittig sei im Verfahren die Frage der Akteneinsicht. Dazu ergäbe sich im Verfahren ein „umfangreicher Ermittlungsbedarf, der in seiner Dimension einer Neudurchführung des Ermittlungsverfahrens“ gleichkomme, zumal die Akteneinsicht wie auch die sich daraus möglicherweise ergebenden notwendigen Berechnungen besonders umfangreich seien.

16       § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erlaubt es dem Verwaltungsgericht, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen, sofern die Behörde „notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.

17       Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch in seinem Erkenntnis vom 6. April 2021, Ra 2021/02/0018, ausgeführt hat, ist die Frage der Gewährung der Akteneinsicht eine Rechtsfrage. Eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde kam daher im Revisionsfall aus diesem Grund von Vornherein nicht in Betracht.

18       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Jänner 2022

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020236.L00

Im RIS seit

17.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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