TE Vwgh Beschluss 2022/1/19 Ro 2019/08/0015

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Veröffentlicht am 19.01.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der H Gesellschaft m.b.H. in B, vertreten durch Dr. Erich Greger und Dr. Günther Auer, Rechtsanwälte in 5110 Oberndorf, Salzburger Straße 77, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019, L510 2005890-1/37E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Gebietskrankenkasse, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Zur Vorgeschichte des Revisionsfalles wird auf das Erkenntnis vom 14. Jänner 2013, 2010/08/0069, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof einen Bescheid der damals als Rechtsmittelbehörde zuständigen Landeshauptfrau von Salzburg aus dem Jahr 2010 betreffend die Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen im Zusammenhang mit der Beschäftigung von 14 im einzelnen genannten Dienstnehmern (LKW-Fahrern) durch die revisionswerbende Partei im Zeitraum von 1. Jänner 2003 bis 31. Dezember 2005 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob.

2        Im fortgesetzten Verfahren verpflichtete die Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) die revisionswerbende Partei mit Bescheid aus dem Jahr 2013 abermals zur nachträglichen Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen, einem Beitragszuschlag und Verzugszinsen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen diesen Bescheid - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an Terminen im Jahr 2015 und im Jahr 2019 - mit der Maßgabe der Abänderung des Betrages der zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge (auf EUR 25.832,04), des Beitragszuschlages (auf EUR 5.338,26) und der Verzugszinsen (auf EUR 4.445,38) ab. Da die ursprünglich errechneten Beiträge bereits entrichtet worden seien, ergebe sich ein Guthaben von EUR 1.810,61.

4        Begründend hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, die Nachverrechnung der Sozialversicherungsbeiträge habe zu erfolgen, weil die von den 14 Dienstnehmern (LKW-Fahrern) der revisionswerbenden Partei im Zeitraum von 1. Jänner 2003 bis 31. Dezember 2005 geleisteten Überstunden nicht ordnungsgemäß abgerechnet worden seien. Strittig sei das wahre Ausmaß der Einsatzzeiten der LKW-Fahrer. Die revisionswerbende Partei habe im ersten Rechtsgang nur unzureichende Tachografenscheiben bzw. sonstige Beweismittel vorgelegt. Dass deshalb eine Schätzung grundsätzlich zulässig sei, habe der Verwaltungsgerichtshof bereits im genannten Erkenntnis vom 14. Jänner 2013 ausgesprochen; aufgehoben habe er den damals bekämpften Bescheid lediglich deshalb, weil die rechnerische Richtigkeit der Beitragsnachverrechnung aus dem Bescheid nicht nachvollziehbar gewesen sei. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die neuerliche Beitragsvorschreibung habe die revisionswerbende Partei zwar zusätzliche Tachografenscheiben vorgelegt, dies allerdings wieder nur lückenhaft. Daher sei die neuerliche Berechnung abermals teilweise aufgrund einer - „erweiterten“ und im Detail erläuterten - Schätzung vorgenommen worden.

5        Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (zur - von der Revision übernommenen - Zulassungsbegründung vgl. unten).

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die Salzburger Gebietskrankenkasse hat - nach Einleitung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht - eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Auch in der ordentlichen Revision hat die revisionswerbende Partei von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern sie der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder sie andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. VwGH 25.3.2019, Ro 2018/08/0014, mwN).

11       Die Revision begründet ihre Zulässigkeit zunächst - in wörtlicher Übernahme aus der Zulassungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts - mit dem Vorbringen, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob es zulässig ist, dass Beitrags- und Verzugszinsenberechnungen einer Gebietskrankenkasse mit den Prüfern zur Verfügung stehender Prüfsoftware durchgeführt werden dürfen, obwohl der Prüfer nach Eingabe der Beitragsgrundlage keinen Einfluss mehr auf den Rechenvorgang hat, weil im Hintergrund das Programm rechnet und sich insbesondere die Verzugszinsen aufgrund deren gänzlicher Berechnung durch das Programm im Nachhinein nicht auf ihre rechnerische Richtigkeit überprüfen lassen.“ Ergänzend bringt die Revision in eigenen Worten vor, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse ein Bescheid einer Überprüfung zugänglich sein, was bedeute, dass sämtliche von einer Gebietskrankenkasse vorgeschriebenen Beträge aufgrund der Inhalte des Bescheides rechnerisch überprüft werden können müssten; dies sei im vorliegenden Fall - wie selbst das Bundesverwaltungsgericht ausführe - nicht der Fall.

12       Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 erster Satz, zweite Variante B-VG („weil ... eine solche Rechtsprechung fehlt“) ist das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Rechtsfrage; eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt vor, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt (vgl. etwa VwGH 9.6.2015, Ro 2014/08/0083, mwN).

13       Die Frage, ob die Organe der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde eine bestimmte „Prüfsoftware“ zur Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen und Verzugszinsen einsetzen dürfen, ist für sich betrachtet keine (konkrete) Rechtsfrage, von der die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängt.

14       Der mit dieser Frage verknüpfte Vorwurf der Revision, die „vorgeschriebenen Beträge“ - „insbesondere die Verzugszinsen“ - könnten nicht aufgrund der „Inhalte des Bescheides“ rechnerisch überprüft werden, worin eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege, geht wiederum völlig darüber hinweg, dass im vorliegenden Fall erst im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht, während dessen die revisionswerbende Partei weitere Tachografenscheiben vorgelegt hatte, eine Neuberechnung dieser Beträge erfolgte. Das angefochtene Erkenntnis führt in der Begründung eingehend aus, in welcher Weise diese Neuberechnung vorgenommen wurde - nämlich angesichts der immer noch bloß lückenhaft vorliegenden Aufzeichnungen über die Einsatzzeiten der LKW-Fahrer abermals teilweise aufgrund einer „erweiterten“ Schätzung. Auch wie die Verzugszinsen berechnet wurden, legt die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses offen. Dass damit von den Anforderungen an eine Schätzung gemäß § 42 Abs. 3 ASVG oder an die Nachvollziehbarkeit der errechneten Beträge (vgl. jeweils das erwähnte im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis VwGH 14.1.2013, 2010/08/0069) abgewichen worden wäre, tut die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht dar.

15       Die Revision begründet ihre Zulässigkeit weiters - ebenfalls in wörtlicher Übernahme aus der Zulassungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts - mit dem Argument, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob es zulässig ist, dass eine Gebietskrankenkasse Unterlagen wie Beitragsvorschreibungen, den Prüfbericht, Anlagen mit bezeichneten jährlichen Beitragsgrundlagen der Dienstnehmer vor und nach der GPLA-Prüfung, bereits zuvor ergangene Bescheide und ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zum integrierenden Bestandteil ihres Bescheides erklärt.“ Das Bundesverwaltungsgericht habe es als „zumindest problematisch“ erachtet, „dass dadurch ein Bescheid nicht nur über einen Spruch, sondern gegebenenfalls über mehrere teils auch mit sich im Widerspruch stehende Sprüche verfügt“.

16       Auch mit diesem Vorbringen wird keine (konkrete) Rechtsfrage dargelegt, von der die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängt. Dafür ist nämlich nicht der Bescheid der Gebietskrankenkasse zu beurteilen, sondern das angefochtene Erkenntnis; dieses legt in seinem Spruch neu berechnete, vom Spruch des bei ihm bekämpften Bescheides abweichende Beträge nachzuverrechnender Sozialversicherungsbeiträge, eines Beitragszuschlages und von Verzugszinsen fest. Eine Bezugnahme auf andere „Unterlagen“ findet sich in diesem Spruch nicht.

17       Darüber hinaus bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Beweismittel (Urkunden) vom Bundesverwaltungsgericht unmittelbar auszuwerten seien oder - wie es im vorliegenden Fall geschehen sei - Tachographenscheiben an die belangte Behörde ausgefolgt werden dürften, um sie von dieser auswerten zu lassen. Eine solche Vorgangsweise würde - so die Revision - zu dem absurden Ergebnis führen, dass im Rahmen der Beweisführung nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern faktisch die belangte Behörde selbst über die Richtigkeit der von ihr erlassenen Bescheide entscheiden würde. Es fehle auch Rechtsprechung, ob in solchen Fällen, insbesondere wenn sich das Verwaltungsgericht nicht in der Lage sehe, selbst die Beweismittel auszuwerten, zwingend kassatorisch zu entscheiden sei.

18       Dem ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 27. Dezember 2018, Ra 2015/08/0095 und 0096, eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 28 Abs. 3 VwGVG in einer - mit der hier vorliegenden vergleichbaren - sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheit wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben hat. Dem Argument, das Bundesverwaltungsgericht verfüge über keine hinreichenden Mittel (Daten, EDV-Programme), um eine exakte Berechnung der nachzuentrichtenden Beträge selbst vorzunehmen, entgegnete der Verwaltungsgerichtshof, es sei dem Bundesverwaltungsgericht unbenommen, sich insbesondere der - sofern benötigten - Expertise der beim Bundesverwaltungsgericht belangten Behörde zu bedienen. Nichts anderes hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall getan: Es hat die erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten weiteren Tachographenscheiben der bei ihm belangten Behörde zur Auswertung übermittelt und der revisionswerbenden Partei zu den Ergebnissen der Ermittlungen der belangten Behörde - insbesondere im Zuge eines weiteren Verhandlungstermines - Parteiengehör gewährt. Mit dieser Vorgangsweise hat es das Bundesverwaltungsgericht keineswegs der bei ihm belangten Behörde überlassen, über die Rechtmäßigkeit ihres Bescheides selbst zu entscheiden.

19       Schließlich bringt die Revision vor, sie sei auch deshalb zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, „inwieweit eine Abänderung eines Bescheides bei Abweisung der Beschwerde zulässig ist und wie sich dies auf die eigene Begründungspflicht des Verwaltungsgerichts auswirkt“, legt aber auch mit diesem Vorbringen - das keinen nachvollziehbaren Bezug zum vorliegenden Revisionsfall herstellt - keine konkrete Rechtsfrage dar, von der die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängt.

20       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2019080015.J00

Im RIS seit

17.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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