TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/20 Ra 2020/08/0106

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.01.2022
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
GSVG 1978 §4 Abs1 Z7
VwGG §42 Abs2 Z3 lita

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des W M in L, vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2020, G312 2227900-1/3E, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in einer Angelegenheit des ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Pensionsversicherungsanstalt hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 7. Oktober 2019 nahm die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) das - mit rechtskräftigem Bescheid vom 5. Oktober 2017 abgeschlossene - Verfahren über den Anspruch des Revisionswerbers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wieder auf und lehnte den darauf gerichteten Antrag des Revisionswerbers ab. Den vom 1. August 2017 bis 31. Juli 2019 entstandenen Überbezug an Pension forderte die PVA zurück.

2        Begründend führte die PVA unter Hinweis auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG aus, die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens seien gegeben, weil der Revisionswerber „Pflichtversicherungszeiten nicht bekanntgegeben“ habe.

3        Mit dem in Revision gezogenen - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen - Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid der PVA vom 7. Oktober 2019 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 3. Juli 2017 die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer - mit Stichtag 1. Juli 2017 - beantragt. Im Antragsformular habe er seine selbständige Erwerbstätigkeit auf Basis eines Werkvertrages bekanntgegeben und die Aufgabe dieser Erwerbstätigkeit - für den Fall des Bestehens des Anspruchs auf vorzeitige Alterspension - in Aussicht gestellt. Weiters habe er die Frage nach dem Bestehen einer Ausnahme von der Pflichtversicherung ua. nach dem GSVG verneint.

5        Der Revisionswerber unterliege ua. in den Jahren 2017 bis 2019 der Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung nach dem GSVG aufgrund seiner Gewerbeberechtigung. Mit Schreiben vom 6. September 2017 habe er bei der - damaligen - Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) die Ausnahme von der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 7 GSVG aufgrund Nichterreichung der Versicherungsgrenze beantragt.

6        Aufgrund der Mitteilung des - damaligen - Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger habe die PVA Kenntnis darüber erlangt, dass die SVA mit 13. März 2019 eine Versicherungszeitenänderung durchgeführt und eine Pflichtversicherung des Revisionswerbers für das gesamte Jahr 2017 festgestellt habe. Damit sei die Beendigung der Pflichtversicherung des Revisionswerbers vom 30. Juni 2017 auf den 31. Dezember 2017 abgeändert worden.

7        Das Bundesverwaltungsgericht führte in Folge aus, dem Revisionswerber hätte ab dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG (am 6. September 2017) bewusst sein müssen, dass eine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestehe. Eine diesbezügliche Meldung an die PVA sei von ihm jedoch nicht erstattet worden. Damit habe der Revisionswerber mit Irreführungsabsicht gehandelt, weil er „wider besseres Wissens entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen“ habe, womit die Wiederaufnahme von Amts wegen berechtigt gewesen sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

9        Zur Zulässigkeit der Revision wird ua. vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe die angenommene Irreführungsabsicht des Revisionswerbers damit begründet, dass dieser den Antrag auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG der PVA nicht bekanntgegeben habe. Dies sei jedoch aktenwidrig, weil der Revisionswerber diesen Antrag der PVA offengelegt habe.

10       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11       Das Bundesverwaltungsgericht hat - in Bestätigung des Bescheides der PVA vom 7. Oktober 2019 - ausgesprochen, die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen sei berechtigt, weil der Revisionswerber entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen und daher mit Irreführungsabsicht gehandelt habe, womit der Erschleichungstatbestand gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG verwirklicht sei.

12       Die Verschweigung entscheidungswesentlicher Umstände hat das Bundesverwaltungsgericht (ausschließlich) damit begründet, dass der Revisionswerber das Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG nicht an die PVA gemeldet habe, obwohl er sich ab Stellung des Antrags auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vom 6. September 2017 des Bestehens der Pflichtversicherung bewusst sein habe müssen.

13       Wie die Revision zurecht rügt, ist diese - als dislozierte Feststellung zu wertende - Sachverhaltsannahme des Bundesverwaltungsgerichtes aktenwidrig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit dann vor, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN). Aus der - an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten - Äußerung der PVA zur Beschwerde vom 21. Jänner 2020 ergibt sich, dass der Revisionswerber den Antrag auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vorgelegt hat. Daraus folgt aber, dass er der PVA den aus diesen Antrag ersichtlichen Bestehen der Pflichtversicherung nicht verschwiegen hat.

14       Da die aktenwidrige Feststellung im angefochtenen Erkenntnis für die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Erschleichungstatbestand gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vorliege, wesentlich war (vgl. VwGH 4.6.2021, Ra 2020/22/0287, mwN), belastete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis konnte eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Revisionsvorbringen entfallen.

16       Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

17       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der beantragte Ersatz der Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am 20. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080106.L00

Im RIS seit

17.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten