TE OGH 2021/11/16 1Ob207/21d

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Veröffentlicht am 16.11.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N*, geboren am * 2011, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters G*, vertreten durch DDr. Birgit Gorton, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 13. Oktober 2021, GZ 4 R 245/21b-41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 2. August 2021, GZ 2 PS 251/20h-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1. Dass der Stiefvater im vorliegenden Fall Pflegeelternteil iSd § 184 ABGB ist, bezweifelt der leibliche Vater in seinem Rechtsmittel – zu Recht – nicht; ebensowenig, dass diesem im Fall der Verhinderung eines allein obsorgeberechtigten Elternteils (hier der verstorbenen Mutter des Kindes) gemäß § 178 ABGB die Obsorge übertragen werden kann. Eltern, Großeltern und Pflegeeltern haben nach dieser Bestimmung Vorrang vor Dritten (RIS-Justiz RS0123509 [T1]; 4 Ob 79/20a mwN).

[2]       2. Er meint aber, es fehle „höchstgerichtliche Rechtsprechung für die Rechtsfolgen im Fall des Ablebens der alleine mit der Obsorge betrauten Kindesmutter, die den leiblichen Vater des Kindes und ihren Lebensgefährten („Stiefvater“) hinterlässt, und beide gleich gut geeignet sind“. Seine Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass er ein auf dem „viel stärkeren Band der Blutsverwandtschaft“ beruhendes (Vor-)Recht des leiblichen Vaters auf Obsorge vor dem Stiefvater bei gleich guter (Erziehungs-)Eignung unterstellt.

[3]       3. Tatsächlich liegt aber keine erhebliche Rechtsfrage vor, weil der Vater zum einen übersieht, dass oberstes Prinzip bei der Obsorgeentscheidung stets die (beste) Wahrung des Kindeswohls ist, was schon Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 2011/4 – Rechte von Kindern verlangt (vorrangige Erwägung); demgegenüber sind die Interessen der Eltern nachrangig (vgl RS0007101 [T1]; RS0048632 [T15]; RS0115719 ua). Zum anderen lässt sich die von ihm angenommene gleich gute Eignung, worauf er anschließt, dass er zur Obsorge nicht nur bereit, sondern „bestens“ geeignet sei, aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableiten.

[4]       4. Der Vater wird danach zwar als grundsätzlich geeignet beurteilt, gleichzeitig steht aber fest, dass es ihm teilweise nur schwer gelingt, seinen Sohn mit seinen Stärken und Schwächen zu beschreiben, er sich vielmehr selbst beschreibt und sich daher die Frage stelle, in welchem Maße er dem Kind Raum zur Selbstfindung bzw Selbstwert lasse, weiters wurde ein vermeidender Zugang bei der Trauerarbeit festgestellt. Demgegenüber gelingt es – nach dem auch für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten Tatsachen – dem Stiefvater, den Minderjährigen in seinen Stärken und Schwächen inklusive der dazugehörigen Bedürfnisse und Förderbereiche eingehend zu beschreiben, wobei auch die Trauerphase im Haushalt des Stiefvaters altersadäquat durchgeführt wird. Während der Vater aufgrund des Angebots auf seinem (Reiter-)Hof auch am Nachmittag arbeitsmäßig gebunden ist und kaum die Möglichkeit einer zeitnahen Unterstützung durch ihn besteht, hat der Stiefvater bislang die schulischen Agenden des Minderjährigen geregelt, ihn während der Homeschooling-Phasen (mit Ausnahme des 5-wöchigen Aufenthalts im Frühjahr 2020 beim leiblichen Vater) in die Schule gebracht, ihn abgeholt, ihn betreut und unterstützt. Die wirtschaftliche Situation des Stiefvaters ist stabil, beim leiblichen Vater besteht auch derzeit noch ein Unterhaltsrückstand. Damit kann schon grundsätzlich hinsichtlich des Vaters und des Stiefvaters selbst nicht von völlig gleichwertiger Eignung ausgegangen werden.

[5]       5. Im Übrigen kann es angesichts des Vorrangs des Kindeswohls nicht um ein vom Vater offenbar unterstelltes stärkeres und auf Blutsverwandtschaft beruhendes Recht des leiblichen Vaters auf Obsorge bei Ableben der Mutter gehen (zur Ablehnung der Übertragung der Obsorge bloß aufgrund des Statusverhältnisses als leiblicher Vater schon ErläutRV 296 BlgNR 21. GP 52), sondern darum, in welcher Weise das Wohl des Kindes am besten gewahrt ist. Das gemeinsame Aufwachsen von Geschwistern im selben Haushalt ist von großem Wert für die Entwicklung eines Kindes (vgl RS0047845). Der Minderjährige lebt seit seiner Geburt im selben Haushalt wie seine beiden älteren Halbgeschwister aus der ersten Beziehung der Mutter. Das Rekursgericht hat daher zutreffend zur bestmöglichen Wahrung des Kindes nicht bloß Vater und Stiefvater betrachtet, sondern auch das Umfeld, in dem der Minderjährige lebt, miteinbezogen. Während die Beziehung des Minderjährigen zur Lebensgefährtin des Vaters nicht unbelastet ist, sind die beiden Halbgeschwister (die Kinder der Mutter aus der ersten Beziehung) gerade in der gegenwärtigen Situation des tragischen Ablebens der Mutter eine große Stütze für den Minderjährigen. Auch die mittlerweile 18-jährige ältere Schwester und der 16-jährige Bruder haben, während ihr Verhältnis zum leiblichen Vater ihres jüngeren Halbbruders belastet ist, eine sehr gute Beziehung zum Stiefvater.

[6]       Wenn das Rekursgericht insbesondere unter Verweis auf den für die Kinder wichtigen Zusammenhalt der Halbgeschwister im Haushalt des Stiefvaters, der mit dem Kind liebevoll, authentisch und klar umgeht, und ihm im Alltag sinnvoll Grenzen zu setzen vermag, während der Vater das Kind in einen Loyalitätskonflikt gebracht hat, die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes beim Stiefvater – wie das Erstgericht – als besser gewährleistet ansah, kann der Revisionsrekurs dazu keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzeigen.

6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E133568

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00207.21D.1116.000

Im RIS seit

19.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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