Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* N*, vertreten durch Dr. Karin Prutsch und Mag. Michael F. Damitner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei E* Ö*, vertreten durch Mag. Philipp Wieser, Rechtsanwalt in Graz, wegen 49.199,60 EUR sA und Feststellung (Streitwert 7.200 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 4.189,96 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. September 2021, GZ 2 R 173/21k-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Versäumungsurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. März 2021, GZ 23 Cg 115/20y-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Klagsstattgebung im Ausmaß von 4.189,96 EUR sA und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 49.199,60 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden aus dem Vorfall vom 20. 8. 2018. Teil des Zahlungsbegehrens ist – neben Schmerzengeld und pauschalen Unkosten – ein mit 41.899,60 EUR bezifferter Anspruch auf Verdienstentgang. Dazu brachte der Kläger vor, dass er seit September 2018 einen monatlichen Verdienstentgang von zumindest 2.094,98 EUR habe und sich sein bisheriger Verdienstentgang „für den Zeitraum September 2018 bis März 2020“ sohin mit dem eingeklagten Betrag errechne. Die „seit März 2020“ bestehenden sowie die laufenden Verdienstentgangsansprüche würden gesondert geltend gemacht werden.
[2] Der Beklagte erstattete keine Klagebeantwortung.
[3] Das Erstgericht erließ antragsgemäß ein Versäumungsurteil.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge. Es wies ein Zahlungsbegehren von 500 EUR sA unbekämpft ab, weil dem Kläger bei Addition der einzelnen Positionen seines Zahlungsbegehrens ein offenkundiger Rechenfehler unterlaufen sei. Im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Zum (allein revisionsgegenständlichen) Verdienstentgang führte das Berufungsgericht aus, dass bezüglich dessen zeitlichen Umfangs „ein gewisser auf einer sprachlichen Ungenauigkeit beruhender Widerspruch“ bestehe. Da der Kläger erklärt habe, die „seit März 2020“ (also ab 1. März 2020) bestehenden Ansprüche auf Verdienstentgang gesondert geltend zu machen, sei allerdings damit klargestellt, dass er im vorliegenden Verfahren nur Verdienstentgang von September 2018 bis einschließlich Februar 2020 geltend mache.
[5] Mit der nur gegen die Klagsstattgebung im Umfang eines Zahlungsbegehrens von 4.189,96 EUR sA gerichteten außerordentlichen Revision begehrt der Beklagte die Abweisung des Klagebegehrens in diesem Umfang; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[6] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Schlüssigkeitsprüfung eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[8] Der Beklagte argumentiert, dass das Berufungsgericht der Klage im Umfang der Anfechtung wegen Unschlüssigkeit nicht stattgeben hätte dürfen. Der Kläger begehre nach Ansicht des Berufungsgerichts Verdienstentgang für einen Zeitraum von 18 Monaten, sein Zahlungsbegehren in der Position Verdienstentgang entspreche allerdings dem 20-fachen des behaupteten monatlichen Verdienstentgangs.
Dazu hat der Senat erwogen:
[9] 1. Ob eine Klage schlüssig ist, hängt grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt daher nur bei einer krassen Fehlbeurteilung der Schlüssigkeit durch das Berufungsgericht vor (RS0037780 [insb T5]). Eine solche vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier vor:
[10] 2. Die Auslegung des Vorbringens des Klägers ist insoweit nicht zu beanstanden, als das Berufungsgericht davon ausging, dass nur Verdienstentgang für den Zeitraum von 1. 9. 2018 bis 29. 2. 2020 – sohin für 18 Monate – Gegenstand der Klage sein sollte. Unter Berücksichtigung seines Vorbringens zum Bestehen eines monatlichen Verdienstentgangs von 2.094,98 EUR hat der Kläger jedoch (rechnerisch insoweit nachvollziehbar) Verdienstentgang für 20 Monate (20 x 2.094,98 = 41.899,60) begehrt. Somit zeigt der Beklagte zutreffend auf, dass das Begehren des Klägers auf Verdienstentgang im Umfang der Anfechtung (2 x 2.094,98 = 4.189,96) unschlüssig geblieben ist.
[11] 3. Eine sofortige Abweisung des noch strittigen Zahlungsbegehrens kommt nicht in Betracht, weil nach ständiger Rechtsprechung dem Kläger vor Abweisung eines unschlüssigen Klagebegehrens Gelegenheit zur Verbesserung zu geben ist (RS0117576, RS0037166).
[12] 4. Der außerordentlichen Revision ist daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.
[13] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E133887European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00196.21V.1214.000Im RIS seit
18.02.2022Zuletzt aktualisiert am
18.02.2022