Entscheidungsdatum
13.12.2021Norm
B-VG Art 130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde des A, vertreten durch C, Rechtsanwalt in ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich, betreffend der Festnahme des Beschwerdeführers am 21.5.2021 und dessen Anhaltung im Polizeianhaltezentrum *** bis in den Morgen des 22.5.2021, zu Recht erkannt.
I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde teilweise Folge gegeben und die am 21.5.2021, um ca. 21:20 Uhr vor dem Lokal „B“ vorgenommene Festnahme und Anhaltung bis zum Ende des Gespräches mit dem Amtsarzt im Polizeianhaltezentrum *** für rechtmäßig, die Aufrechterhaltung der Anhaltung nach dem Gespräch mit dem Amtsarzt bis in die Morgenstunden für rechtswidrig erklärt.
II. Die Anträge des Beschwerdeführers und der belangten Behörde auf Kostenersatz nach § 35 VwGVG werden mangels Obsiegens einer Partei abgewiesen.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Gang des Verfahrens:
Mit Eingabe vom 29.6.2021 brachte der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein. Darin brachte er vor:
„Der Beschwerdeführer erachtet sich sowohl durch Festnahme, im Besonderen aber durch die weitere Anhaltung in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
Zur Begründung wird ausgeführt wie folgt:
Vorauszuschicken ist, dass der 21.5.2021 glaublich der dritte Tag nach den ersten Öffnungsschritten in der Gastronomie war, wobei damals noch eine Sperrstunde von 22:00 Uhr einzuhalten war. Dessen ungeachtet hatte D von der belangten Behörde nichts Besseres zu tun, als bereits um 21:00 Uhr Gäste im Lokal des Beschwerdeführers bzw. dessen Unternehmens mit Hinweis auf die Sperrspunde zum Heimgehen aufzufordern.
Der zugegebenermaßen leicht alkoholisierte Beschwerdeführer fühlte sich dadurch naturgemäß in seinem ohnedies über mehrere Monate komplett geschlossenen Unternehmensbetrieb gestört und hat vielleicht in seiner Wortwahl etwas „überreagiert“. Wenn man nun berücksichtigt, dass ihm angelastet wird, einen Exekutivbeamten an der Schulter berührt zu haben bzw. „in aggressiver Weise mit einem Weinglas gefuchtelt zu haben“ (dem Beschwerdeführer entzieht sich, wie man in aggressiver Weise mit einem Achtel herumfuchtelt) erweist sich, dass die Festnahme als völlig überzogene Maßnahme angesehen werden muss. Dies unabhängig davon, dass dem Beschwerdeführer nicht erinnerlich ist, ob die Festnahme überhaupt angedroht wurde.
Beweis: Einvernahme des Beschwerdeführers,
Einvernahme der Zeugin E, ***, ***,
Festzuhalten ist, dass dem Beschwerdeführer nach der Festnahme keine Möglichkeit eingeräumt wurde, wahlweise einen Verteidiger oder auch eine Vertrauensperson zu kontaktieren. Das diesbezügliche Vorgehen der Beamten der belangten Behörde ist eklatant rechtswidrig. Auf die diesbezüglichen Bestimmungen des VStG wird verwiesen.
Ungeachtet dessen, konnte allerdings der Vertreter des Beschwerdeführers mit dem rechtskundigen Beamten der belangten Behörde Herrn F in Kontakt treten (der Vertreter des Beschwerdeführers wurde von der Gattin des Beschwerdeführers, die ebenfalls im Lokal anwesend war, über die Festnahme informiert und war klar, dass der Beschwerdeführer nur in das Polizeianhaltezentrum *** gebracht worden sein konnte) und hat dort angeboten, den Beschwerdeführer von einer nüchternen Person abholen und nach Hause bringen zu lassen. Von einer Maßnahmenbeschwerde war zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Rede.
Eine solche wurde erst zum Thema, als mitgeteilt wurde, dass die weitere Anhaltung zur Vermeidung weiteren verwaltungsstrafrechtlichen Verhaltens notwendig sei. Für den Beschwerdeführer ist nicht ersichtlich welches verwaltungsstrafrechtliche Verhalten er zu Hause in seinem Bett hätte setzen sollen. Tatsache ist, dass der Vertreter des Beschwerdeführers mit dem Beschwerdeführer auch persönlich bekannt ist und auch dafür gesorgt hätte, dass dieser eben nach Hause kommt.
Es erweist sich daher vor allem die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers nach dem Anruf seines Vertreters gegen 22:00 Uhr des 21.5.2021 als vollkommen außerhalb jeden Verhältnisses, wobei bemerkt wird, dass der Beschwerdeführer zunächst noch nicht einmal in eine reguläre Zelle, sondern ein „Loch“ ohne Toilette und nur mit einer „Turnmatte“ gesteckt wurde.
Beweis: Einvernahme des Beschwerdeführers
Einvernehme des Zeugen C, Rechtsanwalt, ***, ***
…“
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 3.9.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers und der Zeugen E, D, G und H, sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:
Am 21.5.2021 führte die Polizei aufgrund der Öffnung der Gastronomie Kontrollen mit dem Schwerpunkt Einhaltung der Corona-Maßnahmen in *** durch. Der Beschwerdeführer war an diesem Tag in seinem Lokal als Besucher zu Gast und deutlich alkoholisiert. Es kam an diesem Tag zu mehreren Kontrollen seitens der Polizei. Bei der letzten Kontrolle gegen 21:20 Uhr begann der Beschwerdeführer die Beamten zu beschimpfen. Die Beamten hielten den Beschwerdeführer vorerst für einen alkoholisierten Gast und beachteten diesen nicht. Sie nahmen Kontakt mit dem Kellner des Lokals auf, um mit diesen über den Standort der Stehtische und die Einhaltung der 2 Meter-Regel zu reden. Als die Beamten mit dem Kellner zu den Stehtischen gingen fing der Beschwerdeführer wieder an auf die Polizei zu schimpfen. Diesmal wurde der Beschwerdeführer erstmalig abgemahnt sein Verhalten einzustellen. Der Beschwerdeführer packte einen Beamten am Weg zu den Stehtischen bei der Schulter. Dabei wurde dem Beschwerdeführer angedroht, dass er festgenommen wird, wenn er sein Verhalten nicht einstellt. Der Beschwerdeführer verharrte jedoch in seinem Verhalten und ging weiter auf die Beamten zu. Bei einer Stufe der Terrasse stürzte der Beschwerdeführer auf die Beamten hinunter. Dabei fiel auch ein Weinglas zu Boden. Die Beamten werteten diesen Sturz als „Angriff“, zumal der Beschwerdeführer absichtlich in die Knie ging damit er nicht aufgefangen werden konnte. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer separiert von den Gästen des Lokals und in der gegenüberliegenden Einfahrt wurden ihm aufgrund der Gegenwehr Handfesseln angelegt. In der Folge wurde der Beschwerdeführer in das Polizeianhaltezentrum *** verbracht. Da sich der Beschwerdeführer auch im Polizeianhaltezentrum nicht beruhigte und immer wieder gegen die Türe hämmerte, wurde der Amtsarzt und der Journaldienst eingeschalten. Letztlich wurde der Beschwerdeführer dann in eine besonders gesicherte Zelle verbracht. Dies da die Angst bestand, dass der Beschwerdeführer sich oder andere verletzen könnte. Erst nach dem Amtsarzt beruhigte sich der Beschwerdeführer und wurde der Beschwerdeführer in eine normale Zelle verlegt. Am nächsten Morgen wurde der Beschwerdeführer aus dem Polizeianhaltezentrum entlassen.
Der festgestellte Sachverhalt basiert auf folgender Beweiswürdigung:
Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer am Abend des 21.5.2021 als Gast alkoholisiert in seinem Lokal zu Besuch war. Ebenso unstrittig ist, dass er bei der letzten Kontrolle der Polizei die Beamten beschimpfte. Auch wenn er selbst keine Wahrnehmung mehr zu einer Abmahnung hatte, gaben alle einschreitenden Beamten übereinstimmend an, dass er mehrmals abgemahnt wurde und ihm die Festnahme angedroht wurde. In der Folge ging der Beschwerdeführer schimpfend auf die Beamten zu und dürfte über eine Stufe gestolpert sein und in Richtung Beamten gefallen sein. Dabei wurde auch ein Weinglas beschädigt. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus allen Zeugenaussagen und der Aussage des Beschwerdeführers. Die Beamten werteten diesen Sturz als Angriff. Auch wenn das Gericht bei nachträglicher Beurteilung davon überzeugt ist, dass der Beschwerdeführer die Beamten damals nicht angreifen wollte, ergibt sich aus objektiver Sicht, dass die Beamten zu Recht von einem möglichen Angriff ausgingen – ging der Beschwerdeführer am Schluss doch absichtlich noch in die Knie, um sich möglichst schwer zu machen - und daher den Beschwerdeführer festnahmen, fixierten und in die gegenüberliegende Einfahrt brachten. Während der Festnahme wehrte sich der Beschwerdeführer weiterhin, sodass letztlich Handschellen angelegt werden mussten. Die anschließende Verbringung in das Polizeianhaltezentrum *** verlief ohne Probleme. Im Polizeianhaltezentrum hämmerte der Beschwerdeführer gegen die Türe, schrie laut und ließ sich nicht beruhigen. Deshalb wurde er in eine besonders gesicherte Zelle verbracht. Dort tobte er sich ca. 2 Stunden aus. Erst im Gespräch mit dem Amtsarzt wurde der Beschwerdeführer etwas ruhiger. Als der Beamte H den Beschwerdeführer dann anbot, dass er seinen Anwalt anrufen könne, begann der Beschwerdeführer erneut zu diskutieren, nicht aber zu schreien oder ein aggressives Verhalten zu setzen. Letztlich wurde der Beschwerdeführer bis in die Morgenstunden im Polizeianhaltezentrum angehalten.
Die Aussagen der Beamten sind im Wesentlichen übereinstimmend und beschreiben alle den Beschwerdeführe als alkoholisiert, belehrungsresistent, laut und auf die Polizei schimpfend. Ebenso gaben alle Beamten an, dass der Beschwerdeführer sich nicht beruhigen ließ und selbst im Polizeianhaltezentrum stundenlang gegen die Türe hämmerte und schrie. Dazu wurde auch ein Video in der Verhandlung vorgeführt. Der Beschwerdeführer bestritt nicht, dass er gegen die Polizei schimpfte und alkoholisiert war. Er räumte auch ein, dass er abgemahnt worden sein könnte und sich bei der Festnahme gewehrt haben könnte. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass ihm ein Anruf mit seinem Anwalt verweigert worden sei, wird dieser Behauptung kein Glaube geschenkt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass ihm ein Telefonat mit seinem Anwalt mehrmals angeboten wurde, er diese jedoch vermutlich nicht einmal aufgrund der Alkoholisierung und des emotionalen Ausnahmezustandes wahrnahm. Dies ergibt sich schon daraus, dass zu diesem Zeitpunkt die Beamten längst in Kontakt mit dem Vertreter des Beschwerdeführers standen, da dessen Frau diesen schon verständigt hatte und kein Grund ersichtlich ist, weshalb die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vertreter unterbunden werden hätte sollen. Der emotionale Ausnahmezustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Schilderung, dass er im subjektiven Glauben war, dass er möglicherweise in der Zelle vergessen werde. Das Gericht geht davon aus, dass dies der Beschwerdeführer damals tatsächlich so wahrnahm und deshalb eine Panikattacke erlitten hat. Dies erklärt auch, warum er für ca. 2 Stunden gegen die Türe hämmerte und durchgehend schrie. Durch dieses Verhalten konnte auch der Amtsarzt erst nach ca. 2 Stunden zu dem Beschwerdeführer. Zu diesem Zeitpunkt beruhigte sich dann der Beschwerdeführer. Erst als dem Beschwerdeführer dann nochmals angeboten wurde, er könne mit seinem Vertreter telefonieren, fing er wieder an zu diskutieren. Dies aber nicht mehr in einer aggressiven Art.
Rechtlich folgt:
Gemäß § 35 Z. 3 VStG dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.
Gemäß § 36 Abs. 1 VStG ist jeder Festgenommene unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben oder aber, wenn der Grund der Festnahme schon vorher wegfällt, freizulassen. Die Behörde hat den Angehaltenen unverzüglich zu vernehmen. Hat er von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers Gebrauch gemacht, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine erhebliche Gefährdung der Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln verbunden wäre; eine solche Beschränkung des Rechts auf Beiziehung eines Verteidigers ist schriftlich festzuhalten. Die Anhaltung darf keinesfalls länger als 24 Stunden dauern.
Gemäß Abs. 3 leg. Cit. ist dem Festgenommenen ohne unnötigen Aufschub zu gestatten, einen Angehörigen (§ 36a AVG) oder eine sonstige Person seines Vertrauens zu verständigen und Kontakt mit einem Verteidiger aufzunehmen und diesen zu bevollmächtigen. Einem Festgenommenen, der nicht österreichischer Staatsbürger ist, ist ferner zu gestatten, die konsularische Vertretung seines Heimatstaates unverzüglich von der Festnahme zu verständigen und mit dieser Kontakt aufzunehmen. Bestehen gegen eine Verständigung durch den Festgenommenen selbst Bedenken, so hat die Behörde die Verständigung vorzunehmen.
(4) Der Angehaltene darf von Angehörigen (§ 36a AVG), von seinem Verteidiger sowie von den konsularischen Vertretern seines Heimatstaates besucht werden. Für den Brief- und Besuchsverkehr gilt § 53c Abs. 3 bis 5 sinngemäß.
§ 40 SPG ermächtigt zur Durchsuchung von Festgenommenen, wobei die Personendurchsuchung gemäß § 40 Abs 4 erster Teilsatz SPG zwischen der Durchsuchung der Kleidung und der (äußeren) Besichtigung des Körpers unterscheidet; bei der Durchsuchung eines Festgenommen kann auch ein vollständiges Entkleiden verlangt werden. Die Durchsuchung von Menschen ist allerdings nicht Selbstzweck. Sie ist darauf gerichtet sicherzustellen, dass die untersuchte Person während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die anderer gefährdet. An diesem Zweck ist die notwendige Intensität der Durchsuchung zu messen. Liegt ein entsprechendes Gefährdungspotential bei der festgenommenen Person vor, kann das auch ein vollständiges Entkleiden rechtfertigten. Mit abnehmendem Gefährdungspotential wird jedoch eine mit der Personendurchsuchung einhergehende Entkleidung unverhältnismäßig (vgl auch etwa VwGH vom 29.07.1998, Zl 97/01/0102, vom 07.10.2003, Zl 2001/01/0311).
§ 4. (1) Anhalteordnung: Die Häftlinge sind unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung ihrer Person anzuhalten.
(1a) Hafträume müssen so gelegen und eingerichtet sein, dass darin Häftlinge menschenwürdig angehalten und gesundheitliche Gefährdungen vermieden werden können; sanitäre Einrichtungen müssen so gestaltet sein, dass sie Häftlinge auch in Gemeinschaftshaft auf menschenwürdige Weise benützen können.
(2) Häftlinge haben ihre eigene Kleidung zu tragen. Werden sie zu Hausarbeiten herangezogen oder ist ihre Kleidung etwa aus hygienischen Gründen nicht mehr verwendbar, so ist ihnen die notwendige Kleidung zur Verfügung zu stellen.
(3) Die Anhaltung der Häftlinge erfolgt grundsätzlich in Gemeinschaftshaft. Häftlinge, an denen Schubhaft vollzogen wird (Schubhäftlinge), Häftlinge, an denen eine Verwaltungsfreiheitsstrafe vollzogen wird (Verwaltungsstrafhäftlinge), und Häftlinge, die auf Grund einer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus eigenem oder in Vollziehung eines richterlichen Haftbefehls vorgenommenen Festnahme angehalten werden (Verwahrungshäftlinge), sind nach Möglichkeit getrennt voneinander anzuhalten. Frauen sind von Männern, Minderjährige von Erwachsenen getrennt zu verwahren. Wünsche eines Häftlings, mit bestimmten anderen Häftlingen gemeinsam oder nicht gemeinsam angehalten zu werden, sind nach Möglichkeit ebenso zu berücksichtigen wie Wünsche auf Anhaltung in einer Nichtraucherzelle.
(4) Schubhäftlinge unter sechzehn Jahren dürfen nur angehalten werden, wenn eine ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechende Unterbringung und Pflege gewährleistet ist. Wurde auch gegen einen Elternteil oder Erziehungsberechtigten eines minderjährigen Schubhäftlings die Schubhaft verhängt, so sind beide gemeinsam anzuhalten, es sei denn, daß das Wohl des Minderjährigen eine getrennte Anhaltung verlangt.
(5) Zur Verständigung der Aufsichtsorgane sind in den Hafträumen geeignete Einrichtungen vorzusehen.“
§ 5b. (1) Anhalteordnung: Gegen Häftlinge, bei denen
1. Fluchtgefahr,
2. die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen,
3. die Gefahr eines Selbstmordes oder der Selbstbeschädigung besteht oder
4. von denen sonst eine beträchtliche Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung ausgeht,
sind die erforderlichen besonderen Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen.
(2) Als besondere Sicherheitsmaßnahmen kommen, wenn nicht gemäß § 5 vorgegangen wird, insbesondere in Betracht:
1. die häufigere Durchsuchung des Häftlings, seiner Sachen und seiner Zelle;
2. die nächtliche Beleuchtung der besonders gesicherten Zelle über ein Nachtlicht hinaus;
3. die Entziehung von Einrichtungs- oder Gebrauchsgegenständen oder Bekleidungsstücken, deren Missbrauch zu befürchten ist;
4. die Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle, aus der alle Gegenstände entfernt sind, mit denen der Häftling Schaden anrichten oder sich selbst schädigen kann.
(3) Soweit über einen Häftling Maßnahmen nach Abs. 2 Z 4 verhängt werden, ist er für die Dauer der Maßnahmen vom Recht auf Besuchsempfang und auf Telefongespräche, ausgenommen Rechtsvertretung oder Vertrauensperson, ausgeschlossen. Er ist jedoch unbeschadet der besonderen Überwachung durch Aufsichtsorgane unverzüglich und danach für die Dauer der Maßnahme in regelmäßigen Abständen, von einem Arzt zu untersuchen.
(4) Eine besonders gesicherte Zelle muss über ausreichende Luftzufuhr und ausreichende Beleuchtung verfügen; das Anschlagen der Anhalteordnung kann unterbleiben. Dem in einer solchen Zelle Untergebrachten sind eine Matratze und ein Löffel zur Einnahme der Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen, soweit dagegen keine Bedenken bestehen.
(5) Besondere Sicherheitsmaßnahmen sind nur soweit und solange aufrechtzuerhalten, als dies das Ausmaß und der Fortbestand der Gefahr, die zu ihrer Anordnung geführt hat, unbedingt erfordern. Die Unterbringung eines Häftlings in einer besonders gesicherten Zelle ist nur zulässig, wenn seine Gefährlichkeit für sich selbst, andere Personen oder Sachen die Unterbringung in einem anderen Haftraum nicht gestattet. Fallen die Gründe weg, die zur Anordnung einer solchen Maßnahme geführt haben, so ist die Maßnahme unverzüglich aufzuheben.
(6) Die Anordnung besonderer Sicherheitsmaßnahmen steht dem dienstführenden Aufsichtsorgan zu. Dieses hat jede solche Anordnung so bald wie möglich, spätestens am nächsten Werktag dem Kommandanten zu melden. Der Kommandant hat unverzüglich über die Aufrechterhaltung der besonderen Sicherheitsmaßnahme zu entscheiden.“
Höchstgerichtliche Judikatur:
Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (Hinweis VfGH E 25.11.1985, VfSlg Nr 10681).(Erkenntnis des VwGH vom 23.11.2020, Zl. 2020/03/0106)
Bei der Festnahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste der Verwaltungsstrafrechtspflege nach § 35 VStG muß zwischen der eigentlichen Festnahme und der darauffolgenden Anhaltung unterschieden werden. Deren Voraussetzungen sind in § 36 Abs 1 VStG geregelt. Eine rechtmäßig ausgesprochene Festnahme rechtfertigt somit noch nicht eine andauernde Freiheitsentziehung. (Erkenntnis des VwGH vom 27.10.1997, Zl. 93/10/0107)
Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 normiert, dass der Freiheitsentzug zu seinem Zweck nicht "außer Verhältnis" stehen darf und legt damit ein Verbot der Unverhältnismäßigkeit fest. Unter anderem muss der Freiheitsentzug insofern erforderlich sein, als kein weniger eingreifendes Mittel zur Verfügung steht. Ein Freiheitsentzug ist derart unzulässig, wenn sein Ziel durch nicht oder weniger belastende Maßnahmen erreicht werden könnte. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit macht daher auch hier bei Vorhandensein mehrerer geeigneter potenzieller Maßnahmen die Wahl der am wenigsten belastenden Maßnahme erforderlich (VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0069). Eine Maßnahme kann nur dann als erforderlich zur Erreichung des damit verfolgten Zieles gesehen werden, wenn gelindere (weniger eingriffsintensive) Mittel sich als nicht zielführend erweisen. (Erkenntnis des VwGH vom 2.10.2020, Zl. 2020/03/0075)
Bei der Durchsuchung von Kleidern festgenommener oder verhafteter Personen und der daran anschließenden Abnahme von Effekten handelt es sich um einen aus dem besonderen Gewaltverhältnis über derartige Personen den Sicherheitsbedürfnissen nach Vermeidung von Gefahren von dem Festgenommenen (etwa Selbstbeschädigung), aber auch von Gefahren für die während der Haft mit ihm in Berührung kommenden Personen notwendigen organisatorischen Akt, der nicht den strafprozessualen Regeln über die Personendurchsuchung unterliegt. Sie hat ihre Rechtsgrundlage in der Verordnung des Justiziministers vom 19.11.1883, RGBl Nr 152 (Hinweis OGH 10.10.1930, SSt 10 77). Bei der Personendurchsuchung nach der Verhaftung handelt es sich um eine dem Begriff der Festnahme innewohnende Folgemaßnahme, die keiner weiteren Rechtfertigung bedarf (Hinweis E 25.10.1982, 82/10/0117, VwSlg 10870 A/1982).
Im gegenständlichen Fall:
Der Beschwerdeführer schimpfte unstrittig die Polizeibeamten bei der Kontrolle seines Lokals. Dies stellt eine Verletzung des öffentlichen Anstands gemäß NÖ PolizeistrafG dar und kann auch als Verstoß gegen § 82 Sicherheitspolizeigesetz ausgelegt werden. Der Beschwerdeführer wurde auch deshalb abgemahnt und wurde ihm die Festnahme angedroht im Falle, dass er sein Verhalten nicht einstellt. Da er sein Verhalten nicht einstellte wurde er letztlich gemäß § 35 Abs. 3 VStG festgenommen. Voraussetzung für eine Festnahme gemäß § 35 Abs. 3 VStG ist, dass der Beschwerdeführer auf frischer Tat betreten wurde (erfüllt durch das Beschimpfen der Polizei) und er trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen versucht. Dadurch, dass der Beschwerdeführer nach der Abmahnung weiter die Polizei beschimpfte und sogar noch auf diese zu ging verharrte er in der strafbaren Handlung. Somit waren die Voraussetzungen für eine Festnahme gemäß § 35 Abs. 3 VStG gegeben und erfolgte die Festnahme zu Recht.
Umstände, die die Festnahme unverhältnismäßig erscheinen lassen würden, zeigten sich im Verfahren nicht. Vielmehr war davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weiter gegen die Polizei geschimpft hätte und somit die Amtshandlungen der Polizei erschwert hätte. Ein gelinderes Mittel, um die Beschimpfungen seitens des Beschwerdeführers zu unterbinden war nicht gegeben.
Die darauffolgende Anhaltung erfolgte gemäß § 36 VStG. Gemäß dieser Bestimmung ist der Festgenommene unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben oder aber, wenn der Grund der Festnahme schon vorher wegfällt, freizulassen. Die Behörde hat den Angehaltenen unverzüglich zu vernehmen. Hat er von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers Gebrauch gemacht, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine erhebliche Gefährdung der Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln verbunden wäre; eine solche Beschränkung des Rechts auf Beiziehung eines Verteidigers ist schriftlich festzuhalten. Die Anhaltung darf keinesfalls länger als 24 Stunden dauern.
Aufgrund des Zustandes des Beschwerdeführers und des Umstandes, dass er schrie und gegen die Zellentüre hämmerte, wurde gemäß § 5b Anhalteordnung seine Verlegung in eine besonders gesicherte Zelle angeordnet. Gemäß § 5 Abs. 2 Z. 3 Anhalteordnung ist die Entziehung von Einrichtungs- oder Gebrauchsgegenständen oder Bekleidungsstücken, deren Missbrauch zu befürchten ist, zulässig. Deshalb wurden dem Beschwerdeführer seine Sachen und Teile der Bekleidung abgenommen, da die Beamten eine Selbstgefährdung vermuteten. Der Amtsarzt konnte mit dem Beschwerdeführer erst gegen Mitternacht sprechen. Wie lange der Amtsarzt mit dem Beschwerdeführer gesprochen hat, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer war nach dem Gespräch jedenfalls ruhiger und stellte kein aggressives Verhalten mehr zur Schau. Dies wird auch dadurch belegt, dass er anschließend in eine „normale“ Zelle verbracht wurde.
Zu diesem Zeitpunkt bestand jedoch kein Grund mehr die Anhaltung weiterhin aufrecht zu erhalten. Der Beschwerdeführer hat sich beruhigt und schimpfte nicht mehr. Vielmehr bot sich sein Vertreter an ihn vom Polizeianhaltezentrum abzuholen und nach Hause zu bringen. Dass der Beschwerdeführer wieder in das Lokal gegangen wäre ist nicht anzunehmen, da dieses bereits zugesperrt hatte und auch keine Gäste mehr zugegen waren. Somit konnte davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer keine weiteren strafbaren Handlungen – weshalb er festgenommen wurde - mehr setzen würde, sondern vielmehr vom Vertreter nach Hause gebracht werden würde. Dass noch eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer geplant gewesen sei, wurde seitens der belangten Behörde nicht einmal vorgebracht, bzw. sind auch keine Gründe ersichtlich, weshalb eine solche nicht unmittelbar nach dem Amtsarzt erfolgte. Es erwies sich daher die weitere Anhaltung nach dem Amtsarzt als nicht mehr rechtmäßig, da die Gründe für die Festnahme ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlagen.
Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
Die Kostenentscheidung gemäß § 35 VwGVG geht von einem bloß teilweisen Obsiegen der jeweiligen Partei hinsichtlich der in Rede stehenden, als Einheit zu wertenden Amtshandlung aus. Ein Kostenersatz findet in diesem Fall nicht statt, weil eine Anwendung von § 35 Abs 2 und 3 nur bei gänzlichem Obsiegen in Frage kommt (vgl VwGH 31.01.2013, 2008/04/0216 mit weiteren dementsprechenden Judikaturhinweisen zur inhaltsgleichen "Vorgängerbestimmung" des § 79a AVG).
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Festnahme; Anhaltung; Verhältnismäßigkeit;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.41.001.2021Zuletzt aktualisiert am
15.02.2022