TE Vwgh Beschluss 2022/1/24 Ra 2021/18/0397

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Veröffentlicht am 24.01.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H A, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Februar 2021, I413 2199342-1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 6. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Laufe des Verfahrens (unter anderem) damit begründete, eine heimliche sexuelle Beziehung zu einem kurdischen Mädchen gehabt zu haben, die entdeckt worden sei. Das Mädchen sei von ihrer Familie getötet worden, ihm drohe nun ein „Ehrenmord“.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag auf internationalen Schutz in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Juni 2018 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers zur außerehelichen Beziehung mit einem kurdischen Mädchen aus im Einzelnen dargestellten Gründen als nicht glaubhaft. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens stünde dem Revisionswerber aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in näher bezeichneten Orten der Autonomen Kurdenregion zur Verfügung. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK vor und gelangte zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung des Revisionswerbers seine privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwögen.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 5. Oktober 2021, E 1147/2021-7, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe trotz entsprechender Beweisanträge keine Recherchen vor Ort durchführen lassen und von der Einholung eines länderkundigen Sachverständigengutachtens abgesehen. Zudem habe das BVwG einen vorgelegten ACCORD-Bericht zu gesellschaftlichen und rechtlichen Normen betreffend außerehelichen Geschlechtsverkehr unberücksichtigt gelassen. Der Revisionswerber habe als Kurde und Sunnit keine Möglichkeit, außerhalb Kurdistans zu leben und zu überleben. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung habe das BVwG die Integration des Revisionswerbers nicht entsprechend berücksichtigt. Er arbeite als „selbständiger Pizza-Betreiber“, habe einen „nennenswerten Freundeskreis“ und spreche ausreichend Deutsch.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Im gegenständlichen Fall wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers insoweit, als das BVwG den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen auf „Nachforschungen vor Ort zum Beweis der Richtigkeit des Fluchtvorbringens“ und auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens „zur Frage, ob auch Männer Ehrenmorden zum Opfer fallen können“ nicht nachgekommen sei.

11       Dazu ist zum einen auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht, weil hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegenstehen (vgl. dazu grundlegend VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Der Revisionswerber legte in seinem Beweisantrag und in der vorliegenden Revision nicht dar, welche Nachforschungen vor Ort er angestrebt hatte bzw. anstrebt. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob solche im Lichte der zitierten Rechtsprechung überhaupt zulässig gewesen wären.

12       Zum anderen vermag die Revision die Eignung des beantragten Sachverständigengutachtens, ein anderes Verfahrensergebnis zu bewirken, schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil das BVwG das Fluchtvorbringen zur angeblichen außerehelichen sexuellen Beziehung des Revisionsvorbringens nicht geglaubt hat. Deshalb kommt es auf die vom Sachverständigen zu klärende Frage, ob ihm wegen eines außerehelichen Verhältnisses ein „Ehrenmord“ drohen könnte, nicht an. Auch einer Auseinandersetzung mit dem von der Revision angeführten ACCORD-Bericht zu diesem Thema bedurfte es aus demselben Grund nicht.

13       Wenn die Revision geltend macht, der Revisionswerber könne als Kurde und Sunnit außerhalb der kurdischen Region im Irak nicht überleben, ist ihr zu entgegnen, dass das BVwG ohnedies von einer ungefährdeten Rückkehr des Revisionswerbers in diese Region ausgegangen ist.

14       Zur Rückkehrentscheidung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0304, mwN).

15       Das BVwG hat in der angefochtenen Entscheidung eine Gesamtabwägung der für und gegen einen Verbleib des Revisionswerbers in Österreich sprechenden Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA-VG vorgenommen. Es hat dabei auch die seit kurzem bestehende selbständige Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers sowie dessen Freundeskreis in Betracht gezogen, dem jedoch die weiterhin vorhandenen Bindungen des Revisionswerbers zum Irak, die relativ kurze Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet, seine Integrationsschritte im Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltsstatus und das hohe öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen gegenübergestellt. Dass sich das BVwG bei dieser Abwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entfernt hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

16       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180397.L00

Im RIS seit

15.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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