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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in P, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Mai 1995, Zl. 111.010/2-III/11/94, betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Mai 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 1 AufG dürfe eine Bewilligung nicht erteilt werden, wenn der Unterhalt des Fremden für ihre Geltungsdauer nicht gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei zur Deckung seines Unterhaltes auf das Einkommen seiner Gattin angewiesen, welche Karenzurlaubsgeld in der Höhe von S 289,70 täglich beziehe. Dieses Einkommen reiche nicht aus, um den nach dem Sozialhilferichtsatz für das Bundesland Oberösterreich mit S 9.890,-- zu beziffernden Unterhaltsbedarf einer dreiköpfigen Familie zu decken.
Aufgrund des Aufenthaltes seiner Familie im Bundesgebiet bestünden unabsprechbare private und familiäre Beziehungen des Beschwerdeführers "zu Österreich". Bei Abwägung dieser Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen sei den letzteren aufgrund des nicht gesicherten Lebensunterhaltes Priorität einzuräumen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, die von seiner Gattin für das gemeinsame eheliche Kind bezogene Kinderbeihilfe von monatlich S 1.700,-- als zur Deckung des Lebensunterhaltes der Familie verfügbare Mittel in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens, wonach die Familie des Beschwerdeführers keine Aufwendungen für Unterkunft zu tätigen habe, übersteige das zur Verfügung stehende Monatseinkommen der Gattin des Beschwerdeführers den von der belangten Behörde angenommenen monatlichen Bedarf von S 9.890,--.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der Berechnung des monatlichen Unterhaltsbedarfes einer Person bzw. einer Familie als Orientierungswert der jeweilige Sozialhilferichtsatz des Bundeslandes des angestrebten Wohnsitzes zugrundezulegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zlen. 95/19/0686 bis 0691). Gemäß § 1 der Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung vom 19. Dezember 1994, mit der die Sozialhilfeverordnung 1993 geändert wird, LGBl. Nr. 115/1994, beträgt der Sozialhilferichtsatz bei Personen, die in Haushalts- oder Wohngemeinschaft mit unterhaltsberechtigten Angehörigen leben, für den Haushaltsvorstand S 5.610,--, für die übrigen unterhaltsberechtigten Haushaltsangehörigen, für die kein Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe besteht, S 3.340,--, bei Bestehen eines Anspruches auf gesetzliche Familienbeihilfe bis zum vollendeten 10. Lebensjahr S 1.215,--. Hieraus errechnet sich für die Familie des Beschwerdeführers zuzüglich zu der für das Kind bezogenen Familienbeihilfe - ohne den gemäß § 13 Abs. 2 des O.ö. Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 66/1973 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 2/1984, bei der Bemessung des Richtsatzes unberücksichtigt bleibenden Aufwand für Unterkunft - ein weiterer Unterhaltsbedarf von S 10.165,-- monatlich. Der belangten Behörde kann somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie in ihrem Bescheid davon ausgeht, daß das von der Gattin des Beschwerdeführers bezogene Karenzurlaubsgeld von S 289,70 täglich (auch unter Berücksichtigung des Bezuges von Familienbeihilfe für das Kind) zur Deckung des Unterhaltsbedarfes der gesamten Familie nicht ausreicht. Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG ist daher gegeben.
Würde die Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz mangels Sicherung des Lebensunterhaltes in das durch Art. 8 MRK geschützte Recht des Fremden auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen, so gebietet eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 AufG eine Bedachtnahme auf die privaten und familiären Interessen des Bewilligungswerbers derart, daß eine Versagung der Bewilligung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen notwendig ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. März 1995, B 2259/94, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1996, Zlen. 95/21/0429 bis 0431).
Dem Verwaltungsakt ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer seit 9. September 1992 aufgrund eines gewöhnlichen Sichtvermerkes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß er durch die Anwesenheit seiner Gattin und seines am 19. Oktober 1994 geborenen Kindes familiäre Bindungen in Österreich besitzt. Im angefochtenen Bescheid wurde zwar der Aufenthalt seiner Familie im Bundesgebiet erwähnt, Feststellungen über dessen Dauer und über das Ausmaß der Integration der Familie in Österreich wurden jedoch nicht getroffen, weil die belangte Behörde ihrem Bescheid rechtsirrtümlich die Auffassung zugrundelegte, auch bei Einbeziehung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers in Österreich in ihre Güterabwägung zu keinem anderen Ergebnis gelangen zu können. Die gebotene Rücksichtnahme auf die privaten und familiären Interessen des Fremden in Österreich bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG gestützten abweislichen Entscheidung setzt gerade das Fehlen des gesicherten Lebensunterhaltes voraus. Es kann daher nicht - wie die belangte Behörde offenbar annimmt - den öffentlichen Interessen schon allein deshalb Priorität einzuräumen sein, weil der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Die aus dem Grunde des Art. 8 Abs. 1 MRK zu berücksichtigenden familiären Interessen verbieten hier insbesondere, einen durch die Geburt eines Kindes und infolge des damit verbundenen erhöhten Unterhaltsbedarfes der Familie einerseits sowie durch die mit dem Karenzurlaub verbundene vorübergehende Einkommenseinbuße der alleinverdienenden Mutter andererseits eingetretenen finanziellen Engpaß umgehend zum Anlaß für die Versagung der Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zu nehmen.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. An Stempelgebühren wären lediglich S 270,-- (Eingabengebühr für zwei Beschwerdeausfertigungen von S 240,-- und für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides S 30,--) beizubringen gewesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190233.X00Im RIS seit
02.05.2001