TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/4 B986/94, B1102/94, B1109/94, B1149/94

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Veröffentlicht am 04.10.1994
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art3
Flüchtlingskonvention Genfer, BGBl 55/1955 Art33
FremdenG §37
FremdenG §54

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Feststellung des Nichtvorliegens eines Refoulement-Verbotes für Kosovo-Albaner hinsichtlich Rest-Jugoslawien; Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch diese Feststellung wegen der im erstinstanzlichen Bescheid erfolgten Beschränkung dieser Feststellung auf Slowenien in einem Fall; Verletzung im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung iSd Art3 EMRK unterworfen zu werden, durch die Unterlassung von Ermittlungen zur aktuellen Situation von zum Wehrdienst einberufenen, geflüchteten Kosovo-Albanern in Rest-Jugoslawien beim Abspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung; keine Verletzung des Art3 EMRK durch die Feststellung des Nichtvorliegens von Gründen für die Unzulässigkeit einer Zurückweisung oder Zurückschiebung im Sinne des §37 Abs2 FremdenG (Gefahr für Leben oder Freiheit); keine Verletzung des Art3 EMRK durch die Entscheidung über das Nichtvorliegen eines Refoulement-Verbotes hinsichtlich Ungarns, Sloweniens und der Slowakei; keine Glaubhaftmachung einer konkreten Gefahr der durch Art3 EMRK verpönten Behandlung oder Strafe in diesen Staaten; Bekämpfbarkeit von Verletzungen der EMRK seitens dieser Staaten in Straßburg

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführer sind, soweit durch die angefochtenen Bescheide festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in "Serbien ('Jugoslawische Föderation')" (B986/94) bzw. in "Jugoslawien" (B1102/94, B1109/94, B1149/94) im Sinne des §37 Abs1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992, bedroht sind, in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, der Erstbeschwerdeführer (B986/94) überdies im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Insoweit werden die angefochtenen Bescheide aufgehoben.

2. Der Erstbeschwerdeführer (B986/94) ist ferner durch die Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, er sei in "Serbien ('Jugoslawische Föderation')" im Sinne des §37 Abs2 des Fremdengesetzes bedroht, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Dieser Bescheid wird auch insoweit aufgehoben.

II. Im übrigen werden die Beschwerden abgewiesen.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit jeweils S 9.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Über die Beschwerdeführer,

Staatsangehörige der "Bundesrepublik Jugoslawien" (im folgenden: Restjugoslawien) albanischer Abstammung (Kosovo-Albaner), waren jeweils befristete Aufenthaltsverbote gemäß §18 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), verhängt worden. Unter dem 14. Februar 1994 stellten alle Beschwerdeführer durch denselben Rechtsvertreter gemäß §54 FrG Anträge auf Feststellung der Unzulässigkeit ihrer Abschiebung nach Restjugoslawien. Mit Schriftsätzen vom 4. März 1994 wurden Anträge gemäß §54 FrG hinsichtlich Ungarn und Slowenien, mit Schriftsätzen vom 22. März 1994 hinsichtlich Albanien und Rumänien und mit Schriftsätzen vom 25. April 1994 hinsichtlich Makedonien eingebracht (jeweils alle Beschwerdeführer). Die Beschwerdeführer zu B1102/94 und zu B1109/94 stellten unter dem 22. März 1994 weiters Anträge gemäß §54 FrG hinsichtlich der Slowakei.

Aufgrund dieser Anträge stellte die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung (B986/94) bzw. die Bundespolizeidirektion Salzburg (B1102/94, B1109/94, B1149/94) jeweils fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der jeweilige Antragsteller

a)

in Slowenien (B986/94)

b)

in "Jugoslawien" und Ungarn (B1102/94)

c)

in "Jugoslawien", Ungarn und der Slowakei (B1109/94) sowie

d)

in "Jugoslawien", Ungarn und Slowenien (B1149/94) iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei.

Die dagegen von den Beschwerdeführern rechtzeitig erhobenen Berufungen wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg mit Berufungsbescheiden vom 13., 25., 26. und 27. Mai 1994 jeweils ab und bestätigte die bekämpften Bescheide; zu B986/94 mit der Abänderung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in "Serbien ('Jugoslawische Föderation')" oder Slowenien iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei.

2. Gegen diese Berufungsbescheide wenden sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in welchen die Verletzung der gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, aber auch die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg hat die Verwaltungsakten vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, welche in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden wurden, erwogen:

A. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht seien (alle Beschwerdeverfahren):

1. Die Beschwerdeführer bringen - nach Darstellung der politischen Verhältnisse in Restjugoslawien und unter Berufung u. a. auf einen Bericht der "International Helsinki Federation for Human Rights" - im wesentlichen vor, es sei offenkundig, daß den Beschwerdeführern aufgrund ihrer albanischen Abstammung bei einer Abschiebung nach Restjugoslawien wegen Wehrdienstverweigerung unmenschliche Bestrafung und Behandlung, weiters Inhaftierung sowie in der Haft die Folter sowie allenfalls sogar der Tod drohe. Die belangte Behörde habe sich dennoch mit den konkreten politischen Verhältnissen in Restjugoslawien bzw. im Kosovo überhaupt nicht auseinandergesetzt. Sie habe die Beschwerdeführer dadurch in den genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (s. oben Pkt. I.2.) verletzt.

2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).

In den vorliegenden Fällen hat die belangte Behörde indes nicht die Sachentscheidung verweigert. Die Beschwerdeführer behaupten lediglich, die belangte Behörde habe sich mit ihrem Vorbringen betreffend die politischen Verhältnisse in Restjugoslawien nicht entsprechend auseinandergesetzt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist jedoch eine solche Auseinandersetzung erfolgt. Art83 Abs2 B-VG gewährleistet aber nicht die Gesetzmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Verwaltungsaktes; vielmehr wird die Zuständigkeit der Behörde und damit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine unrichtige behördliche Entscheidung allein (s. dazu unten Pkt. II.A.3.1.3.) nicht berührt (VfSlg. 10379/1985).

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ist insofern nicht erfolgt.

2.2. In dem zu B986/94 bekämpften Berufungsbescheid hat die belangte Behörde jedoch auch festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei. Dies, obwohl der erstinstanzliche Bescheid sowohl nach der Formulierung seines Spruches als auch nach seiner Begründung ersichtlich nur eine Feststellung gemäß §54 FrG hinsichtlich Slowenien getroffen hatte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter insbesondere auch dann verletzt, wenn die Berufungsbehörde in einer Angelegenheit entschied, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz war (VfSlg. 8176/1977, 8886/1980, 10343/1985). Dies ist hier - wie dargelegt - der Fall.

Im Verfahren zu B986/94 wurde der Beschwerdeführer daher, soweit durch den angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3.1.1. Das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird durch den Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates verletzt, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt aber auch vor, wenn ein Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (vgl. auch VfGH 2.7.1994, B2233/93).

3.1.2.1. Die angefochtenen Bescheide stützen sich insbesondere auf §37 iVm. §54 FrG.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfSlg. 13314/1992, VfGH 19.6.1993, B1084/92, 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1774/93, 2.7.1994, B2233/93), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (EGM 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314ff. (319); 20.3.1991, Cruz Varas u.a., EuGRZ 1991, 203ff. (211); 30.10.1991, Vilvarajah u. a., ÖJZ 1992, 309ff. (309); vgl. auch die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte 15.3.1984, Memis, EuGRZ 1986, 324ff. (325); 5.4.1993, ÖJZ 1994, 57ff. (58)).

§54 FrG sieht im Zusammenhang mit Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ("Refoulement-Verbot") iS des §37 Abs1 FrG ein besonderes Verfahren vor (vgl. VfGH 4.10.1993, B364/93). Ein Bescheid, mit dem gemäß §54 FrG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §37 Abs1 FrG in einen bestimmten Staat festgestellt wird, betrifft - im Gegensatz etwa zu einem Bescheid, mit dem die Erteilung eines Sichtvermerkes versagt wird (VfSlg. 11044/1986), zu einem Bescheid, mit dem einem Antrag auf Asylgewährung nicht stattgegeben wird (VfSlg. 13314/1992) oder zu einem Bescheid, mit dem ein Aufenthaltsverbot verhängt wird (VfGH 18.12.1993, B2091/92) - den Schutzbereich des Art3 EMRK (VfGH 2.7.1994, B2233/93).

3.1.2.2. Die §§37 und 54 FrG lauten:

"Verbot der Abschiebung, Zurückschiebung und

Zurückweisung

§37. (1) Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

(2) Die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

(3) Ein Fremder der sich auf eine der in Abs1 oder 2 genannten Gefahren beruft, darf erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem er Gelegenheit hatte, entgegenstehende Gründe darzulegen. In Zweifelsfällen ist die Behörde vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen.

(4) Die Abschiebung eines Fremden in einen Staat, in dem er im Sinne des Abs2 bedroht ist, ist nur zulässig, wenn der Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder wenn er nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet (Art33 Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge).

(5) Das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs4 ist mit Bescheid festzustellen. Dies obliegt in den Fällen des §5 Abs1 Z3 des Asylgesetzes 1991 der Asylbehörde, sonst der Sicherheitsdirektion.

(6) Die Abschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer einstweiligen Maßnahme durch die Europäische Kommission für Menschenrechte oder die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

...

Feststellung der Unzulässigkeit

der Abschiebung in einen bestimmten Staat

§54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß §37 Abs1 oder 2 bedroht ist.

(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

(3) Über Berufungen gegen Bescheide, mit denen die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat festgestellt wurde, ist binnen Wochenfrist zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."

3.1.2.3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen werden in den Beschwerden nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß der vorliegenden Beschwerdefälle nicht entstanden (vgl. VfGH 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, 16.6.1994, B1774/93, 18.6.1994, B1912/93, 2.7.1994, B2233/93).

3.1.3. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide könnten diese das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nur verletzen, wenn sie auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruhen oder wenn der Behörde bei der nach §54 iVm. §37 Abs1 FrG vorzunehmenden Prognose grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

3.1.3.1. Ein derart grober Verfahrensfehler liegt hier vor:

Die belangte Behörde stützt die Abweisung der gegen die erstinstanzlichen Bescheide erhobenen Berufungen darauf, daß "Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991" besagten, Albaner aus dem Kosovo würden aufgrund von Zweifeln an ihrer Loyalität und Zuverlässigkeit kaum mehr zum Militärdienst einberufen bzw. nicht im Kriegsgebiet eingesetzt. Gemäß dem in Restjugoslawien geltenden Strafrecht seien für Refraktion bzw. Desertion Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zu zehn Jahren, theoretisch auch die Todesstrafe möglich. Es müßten aber der "Zustand der allgemeinen Mobilmachung" und "eine drohende Kriegsgefahr" herrschen, damit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen Deserteure und Refrakteure gegeben sei. Der "Zustand der allgemeinen Mobilmachung" sei am 4. Oktober 1991 ausgerufen worden, er habe allerdings nur bis Ende April 1992 gedauert.

3.1.3.2. Die Einberufung zum Militärdienst bzw. die strafrechtliche Verfolgung wegen Desertion und Refraktion stellt nun gewiß in aller Regel keine Folter oder unmenschliche Strafe oder Behandlung iS des Art3 EMRK dar (vgl. sinngemäß für den Bereich des Asylrechts VwGH 29.6.1994, 93/01/0377). Die angefochtenen Bescheide stützen sich zur Hauptsache auf die im Abs2 des §37 FrG umschriebenen Gründe, währenddem auf die - hier maßgeblichen - Gründe des Abs1 dieser Bestimmung nur am Rande eingegangen wird. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß der belangten Behörde dadurch sowie durch den weiteren Umstand, daß sie sich in ihren Entscheidungen vom Mai 1994 primär auf "Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991" stützte, ein grober Verfahrensfehler iS der oben zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. oben Pkt. II.A.3.1.1.) unterlaufen ist. Angesichts der sich laufend verändernden Verhältnisse in Restjugoslawien, welches (anders als die im folgenden unter Pkt. II.B. genannten Staaten) der EMRK nicht beigetreten ist, genügt eine Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Refoulement-Verbotes anhand von vor drei Jahren erhaltenen "Informationen" - deren Quellen überdies im Dunkeln geblieben sind und sich deshalb einer Überprüfung entziehen - den Anforderungen des Art3 EMRK nicht.

3.1.4. Die Beschwerdeführer wurden deshalb durch die angefochtenen Bescheide, soweit festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 FrG bedroht seien, in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

3.1.5. Die angefochtenen Bescheide waren sohin (vgl. zu B986/94 auch oben Pkt. II.A.2.2.) insoweit aufzuheben.

Der zu B986/94 bekämpfte Bescheid war auch hinsichtlich des Ausspruches, daß der Beschwerdeführer in "Serbien ('Jugoslawische Föderation')" nicht iS des §37 Abs2 FrG bedroht sei (s. Pkt. II.A.2.2.), wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben.

3.2. Soweit jedoch zu B1102/94, B1109/94 und B1149/94 ausgesprochen wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs2 FrG bedroht seien, erweisen sich die Beschwerden aus folgenden Erwägungen als unbegründet:

Der Abs1 des §37 FrG dient der Konkretisierung des durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, Abs2 aber der innerstaatlichen Durchführung der durch die Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs (vgl. auch Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fremdenpolizeirecht (1993) 24ff. und 141f.). Vorläuferbestimmung des §37 FrG war §13a Fremdenpolizeigesetz (im folgenden: FrPolG); dieser war mit der FrPolG-Novelle BGBl. 190/1990 in das FrPolG eingefügt worden. Im diesbezüglichen Initiativantrag 322/A, II-9754 BlgNR XVII. GP, war eine solche Regelung noch nicht vorgesehen gewesen, vielmehr geht sie auf einen Vorschlag des zuständigen Ausschusses des Nationalrates zurück. Wie es im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten heißt, hat dieser es für erforderlich erachtet, den einem Asylwerber oder einem Flüchtling durch die Genfer Flüchtlingskonvention gewährten Schutz ausdrücklich im FrPolG zu verankern (s. den Ausschußbericht 1213 BlgNR XVII. GP, 7ff.). Dementsprechend wurde in §13a Abs1 Z1 und §13a Abs2, erster Satz, FrPolG (entspricht inhaltlich im wesentlichen §37 Abs2 iVm. Abs4 und 5 FrG) festgelegt, daß bei Zurückweisung oder Zurückschiebung Art33 Z1 der Genfer Flüchtlingskonvention ausnahmslos gelten und daß eine Abschiebung nur unter den Voraussetzungen des Art33 Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention zulässig sein soll (Seite 9 des Ausschußberichtes). "Weiters war auf die Anforderungen, die sich aus sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben (vgl. Art3 UN-Folterkonvention, Art3 EMRK und Art7 UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte), zur Klarstellung im Gesetzestext selbst Bedacht zu nehmen", heißt es im genannten Ausschußbericht weiter (dies betrifft die dem §37 Abs1 FrG im wesentlichen entsprechende Regelung in §13a Abs1 Z2 und §13a Abs2, zweiter Satz, FrPolG). In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FrG, 692 BlgNR XVIII. GP, wird zu §37 wiederum ausgeführt, daß diese Bestimmung "das im geltenden Recht im §13a des Fremdenpolizeigesetzes enthaltene Refoulementverbot" enthält, "an dem inhaltlich keine Änderung vorgenommen wurde".

Nun ist offenkundig, daß die gemäß §37 Abs2 FrG umschriebenen Gefahren an sich auch jenen Grad und jene Schwere erreichen können, wie sie in §37 Abs1 FrG umschrieben sind. Wie immer aber das Verhältnis von Abs1 zu Abs2 des §37 FrG zu sehen ist, der Realisierung der durch Art3 EMRK übernommenen Verpflichtung dient allein schon die Feststellung gemäß §54 iVm.

§37 Abs1 FrG. Es bedarf dazu nicht der zusätzlichen Bedachtnahme auf eine Feststellung iS des §37 Abs2 FrG, um den Schutzbereich des durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu wahren. Deshalb verletzt die jeweilige Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §54 iVm.

§37 Abs2 FrG die Beschwerdeführer nicht in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, weshalb die Beschwerden in diesem Umfang abzuweisen waren.

B. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Ungarn (B1102/94, B1109/94, B1149/94), in Slowenien (B986/94, B1149/94) sowie in der Slowakei (B1109/94) iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht seien:

1. Hinsichtlich dieser Staaten wird in den angefochtenen Bescheiden insbesondere festgehalten, daß diese Vertragsstaaten der Konvention vom 28. Juli 1951 sowie des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und somit verpflichtet seien, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fallen, gegen die Rückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Beide Verträge seien in den genannten Staaten innerstaatlich umgesetzt. Allein aus diesem Grund sei ein Abschiebungsschutz gewährleistet. Die Behauptung der Beschwerdeführer, daß sie aus den genannten Staaten nach Restjugoslawien weitergeschoben würden, sei durch keine auf den individuellen Fall bezogenen Angaben belegt. Wenn seitens der Behörden der genannten Staaten eine Prüfung vorgenommen werde, ob die Beschwerdeführer nach Restjugoslawien gebracht werden könnten, so bedeute alleine diese Prüfung, daß der Refoulement-Schutz effektiv sei, und könne darin keine Bedrohung iS des §37 Abs1 oder 2 FrG erblickt werden. Auch eine allfällige Inhaftierung sei nicht als unmenschliche Behandlung iS des §37 FrG zu werten, zumal auch in anderen Rechtsstaaten gegen illegal aufhältige Fremde zur Feststellung der Person und bis zur Klärung, ob eine Abschiebung möglich sei, die Festnahme angeordnet werden könne.

2. Die Beschwerdeführer bringen in ihren Beschwerden im wesentlichen vor, sie wären bei einer Abschiebung in die genannten Staaten von der Weiterschiebung nach Restjugoslawien bedroht, weshalb eine Abschiebung in diese Staaten nichts weiter als eine "verdeckte" Abschiebung nach Restjugoslawien wäre. Somit stünde auch einer Abschiebung in diese Staaten das Refoulement-Verbot des Art3 EMRK entgegen.

3. Der Verfassungsgerichtshof vermag indes in diesem Punkt keine in die Verfassungssphäre reichenden Rechtswidrigkeiten der angefochtenen Bescheide zu erkennen.

Die Beschwerden versuchen vornehmlich darzutun, daß die genannten Staaten ihren aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Verpflichtungen nicht (voll) nachkommen; das ist aber aus der Sicht des Art3 EMRK nicht aufzugreifen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann nämlich hier die Feststellung des Nichtvorliegens von Gefahren iS des §37 Abs2 FrG im Zusammenhang mit Art3 EMRK unberücksichtigt bleiben (vgl. oben Pkt. II.A.3.2.).

Was jedoch die Feststellung gemäß §37 Abs1 FrG betrifft, hat Ungarn am 6. November 1990 die EMRK unterzeichnet und am 5. November 1992 ratifiziert. Weiters wurden Erklärungen gemäß Art25 und 46 EMRK abgegeben und somit das Recht auf eine Individualbeschwerde an die Europäische Kommission für Menschenrechte und die obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte anerkannt (s. die Kundmachung BGBl. 527/1994, vgl. weiters EuGRZ 1992, 219). Gleiches gilt für Slowenien (Unterzeichnung am 14. Mai 1993 (vgl. EuGRZ 1993, 228), Ratifikation und Abgabe der Erklärungen gemäß Art25 und 46 EMRK am 28. Juni 1994). Die Slowakei hat erklärt, sich auch weiterhin an die EMRK (inklusive der Erklärungen nach Art25 und 46) gebunden zu erachten. Das Ministerkomitee des Europarats hat auf der 496. Tagung der Ministerdelegierten daher beschlossen, daß die Slowakei mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1993 Vertragspartei der EMRK ist (s. die Kundmachung BGBl. 527/1994, vgl. weiters EuGRZ 1993, 483; vgl. zu den genannten Staaten auch EuGRZ 1994, 317 und 350f.). Damit ist aber zunächst davon auszugehen, daß seitens dieser Staaten die EMRK, insbesondere auch deren Art3 beachtet wird, zumal behauptete Verletzungen der EMRK durch Organe dieser Staaten mit Beschwerde in Straßburg bekämpft werden könnten.

Der belangten Behörde kann ferner aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Auffassung gelangte, daß die Beschwerdeführer stichhaltige Gründe für die Annahme, daß sie in diesen Staaten konkret Gefahr liefen, einer durch Art3 EMRK verpönten Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, nicht glaubhaft machen konnten. Ungeachtet dessen, daß das Vorliegen solcher konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen ist, ist für diese Beurteilung der Umstand nicht unmaßgeblich, daß bislang gehäufte Verstöße der umschriebenen Art gegen Art3 EMRK (vgl. Art3 Abs2 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. 492/1987, wonach bei der Feststellung, ob stichhaltige Gründe für die Annahme drohender Folter vorliegen, auch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß im betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht) durch die genannten Staaten gegenüber Kosovo-Albanern nicht bekanntgeworden sind. Es war deshalb auch aus diesem Blickwinkel dem Beschwerdevorbringen nicht beizutreten.

Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie in den vorliegenden Fällen davon ausging, daß die Beschwerdeführer in den genannten Staaten nicht iS des §37 Abs1 FrG bedroht seien.

4. Die Beschwerdeführer wurden daher durch die angefochtenen Bescheide, soweit festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Ungarn (B1102/94, B1109/94, B1149/94), in Slowenien (B986/94, B1149/94) sowie in der Slowakei (B1109/94) iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht seien, nicht in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Die Beschwerdeverfahren haben auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer insoweit in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wären.

Die Beschwerden waren daher insoweit abzuweisen (vgl. auch Pkt. II.A.3.2.).

III.1. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953, wobei eine Kürzung vorzunehmen war, da die Beschwerdeführer nicht zur Gänze durchgedrungen sind. Im zugesprochenen Betrag ist jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.500,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Refoulement-Verbot, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B986.1994

Dokumentnummer

JFT_10058996_94B00986_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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