TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/21 Ro 2019/21/0015

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
L08014 Vereinbarungen nach Art 15a B-VG Oberösterreich
L92004 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Oberösterreich
L92404 Betreuung Grundversorgung Oberösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art15a
EURallg
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art1 Abs5
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art10 Abs1
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art2
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art6 Abs1
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art7
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2004 Art8
Grundversorgung Vereinbarung Art15a B-VG OÖ 2013 Art9
GrundversorgungsG OÖ 2006 idF 2016/064
GrundversorgungsG OÖ 2006 §1
MSG OÖ 2011 §13 Abs1 idF 2014/055
MSG OÖ 2011 §13 Abs2
MSG OÖ 2011 §13 Abs4
MSV OÖ 2011
MSV OÖ 2011 §1 Abs1 Z1 idF 2015/115
MSV OÖ 2011 §1 Abs5 Z1 idF 2015/115
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
32013L0033 Aufnahme-RL Art17
32013L0033 Aufnahme-RL Art17 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Dr. Wiesinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der S A K, vertreten durch Dr. Thomas Trentinaglia, Rechtsanwalt in 6370 Kitzbühel, Kirchgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. Juni 2019, LVwG-750426/52/MB, betreffend Angelegenheiten nach dem Oberösterreichischen Grundversorgungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerde in Bezug auf den € 186,- übersteigenden Betrag an „Geldersatzleistung“ abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen, nämlich in Bezug auf die Abweisung des Zinsenbegehrens, wird die Revision abgewiesen.

Das Land Oberösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Aufwandersatzmehrbegehren für den Schriftsatz vom 26. März 2020 wird abgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte nach ihrer Einreise nach Österreich am 29. Oktober 2015 in Linz einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Asylverfahren wurde am 5. November 2015 durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte (§ 51 AsylG 2005) zugelassen. Am 23. November 2015 wurde die Revisionswerberin in die Grundversorgung des Landes Oberösterreich übernommen.

2        Bereits davor, eingehend bei der Oberösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde) am 11. November 2015, hatte die Revisionswerberin den Antrag gestellt, sie in die Grundversorgung nach dem „Oö Landesgrundversorgungsgesetz“ aufzunehmen und ihr unverzüglich die wichtigsten lebensnotwendigsten Versorgungsleistungen - insbesondere die Unterbringung in einer geeigneten Unterkunft - zu gewähren; sie sei auf die Grundversorgung angewiesen, schlafe derzeit bei Bekannten ihrer Schwester, könne dort jedoch nicht dauerhaft bleiben; (auch) sei ihre Nahrungsmittelversorgung nicht gesichert; sie erwarte eine „unverzügliche Entscheidung“.

3        Mit weiterer Eingabe vom 3. Februar 2016 brachte die Revisionswerberin vor, dass ihr seitens der belangten Behörde vom 6. November 2015 „bis zum 24.11.2015“ rechtswidrig die Grundversorgungsleistungen vorenthalten worden seien. Sollte die belangte Behörde nicht in der Lage gewesen sein, die geschuldeten Sachleistungen bereitzustellen, so wäre sie verpflichtet gewesen, für diesen Zeitraum entsprechende Geldleistungen zu erbringen. Diese seien für 18 Tage mit € 541,92 (aliquot berechnet nach der Oö. Mindestsicherungsverordnung: 903,20:30x18) zu bemessen und in diesem Ausmaß der Revisionswerberin zu ersetzen.

4        Die belangte Behörde verweigerte die begehrte Zahlung, woraufhin die Revisionswerberin - wie in der Eingabe vom 3. Februar 2016 für diesen Fall angekündigt - den genannten Betrag mit Klage nach Art. 137 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof geltend machte.

5        Mit Beschluss vom 15. Oktober 2016, A 15/2015, VfSlg. 20.098, wies der Verfassungsgerichtshof diese Klage zurück, weil für die Revisionswerberin eine bescheidmäßige Erledigung ihres Anspruches in Betracht komme.

6        Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss stellte die Revisionswerberin dann an die belangte Behörde ausdrücklich den Antrag festzustellen, dass ihr „für den Zeitraum vom 6.11.2015 bis zum 23.11.2015 Grundversorgungsleistungen nach dem Oö Grundversorgungsgesetz zustehen“. Außerdem beantragte sie, ihr „für diesen Zeitraum eine Geld-Ersatzleistung in der Höhe der Mindestsicherung, und zwar EUR 541,92, zuzusprechen.“

7        Mit Bescheid vom 7. März 2017 wies die belangte Behörde diese Anträge als unbegründet ab.

8        Mit dem im ersten Rechtsgang erlassenen Erkenntnis vom 30. Mai 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) der dagegen erhobenen Beschwerde keine Folge.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154 (im Folgenden auch nur: Vorerkenntnis), dieses Erkenntnis des LVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof ging in dieser Entscheidung mit näherer und für das weitere Verfahren bindender Begründung davon aus, dass der Revisionswerberin ein Geldleistungsanspruch für die ihr nach dem Oö. Grundversorgungsgesetz (Oö. GVG) zu gewährenden, jedoch rechtswidrig (nur faktisch) vorenthaltenen Grundversorgungsleistungen dem Grunde nach zustehe. Der Revisionswerberin stehe zur Verfolgung dieses Zahlungsbegehrens der Verwaltungsrechtsweg offen; ihr Antrag auf Erlassung eines entsprechenden Leistungsbescheides sei daher zulässig. Einer zusätzlichen bescheidmäßigen Feststellung, dass ihr für den fraglichen Zeitraum Grundversorgungsleistungen nach dem Oö. GVG zugestanden hätten, bedürfe es jedoch nicht.

10       Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. Juni 2019 gab das LVwG der gegen den Bescheid vom 7. März 2017 erhobenen Beschwerde „mit der Maßgabe“ statt, dass „als Geldersatzleistung idHv 186 Euro, zahlbar binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution, vom Land Oberösterreich zu leisten ist“. „Darüber hinaus“ werde das Feststellungsbegehren der Revisionswerberin zurückgewiesen.

11       Das LVwG ging in der rechtlichen Beurteilung davon aus, dass sich der ersatzfähige Zeitraum vom 6. bis 22. November 2015 (17 Tage) erstrecke. Zur in diesem Verfahren strittigen Höhe des Geldleistungsanspruchs der Revisionswerberin führte es dann aus, weder in der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU) noch im Oö. GVG seien dafür konkrete Berechnungsgrundsätze enthalten. Die „Sicherstellung des Lebensstandards iSd Art. 17 Abs. 3 Aufnahme-RL“ sei „nicht als zutreffender Maßstab zu erkennen“, weil „der Bewertungszeitraum in der Vergangenheit gelegen“ sei. Der „Geldersatzanspruch“ könne „zu keiner Sicherstellung des Lebensstandards in der Vergangenheit führen“. Vor diesem Hintergrund sei auf Art. 9 GVV (Grundversorgungsvereinbarung - Art. 15a B-VG) zu verweisen, in dem konkrete Leistungen „bewertet“ werden. Demnach ergebe sich anteilig für den zu ersetzenden Zeitraum für Unterbringung, Verpflegung und Taschengeld eine „Geldersatzleistung“ in der Höhe von € 186,- (gemeint: für Unterbringung € 110,- monatlich, für Verpflegung € 180,- monatlich und für Taschengeld € 40,- monatlich, jeweils anteilig für 17 Tage). Für die Zuerkennung von Verzugszinsen sei allerdings „keine Grundlage“ erkennbar. Zudem sei aus dem Vorerkenntnis ersichtlich, dass „das dem Leistungsbegehren zugrunde gelegte Feststellungsbegehren“ als unzulässig zurückzuweisen sei.

12       Weiters sprach das LVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, eine Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zur Klärung näher genannter Rechtsfragen zulässig.

13       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in der der Ausspruch über die Zurückweisung des Feststellungsbegehrens unbekämpft bleibt. Das LVwG hat das Vorverfahren durchgeführt, in dem von der belangten Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

14       Die Revision wendet sich mit näherer Begründung gegen die Annahme des LVwG, wonach für die Höhe des der Revisionswerberin dem Grunde nach zustehenden Geldleistungsanspruchs die im Art. 9 GVG vorgesehenen Kostenhöchstsätze maßgeblich seien. Die genannte Bestimmung diene bloß der staatsinternen Kostenaufteilung und habe keine Außenwirkung. Vielmehr sei aufgrund des unmittelbar anwendbaren Art. 17 Abs. 5 erster Satz der Aufnahme-RL von der Bedarfsorientierten Mindestsicherung als Maßstab für die der Revisionswerberin für 17 Tage (vom 6. November 2015 bis 22. November 2015) zustehende „Geld(ersatz)leistung“ auszugehen. Da Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wie die „Geld(ersatz)leistung“ zu bemessen sei, fehle, sei die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

15       Der Verwaltungsgerichthof hat über die aus dem angeführten Grund zulässige Revision erwogen:

16       Nach Art. 17 Abs. 1 der Aufnahme-RL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen - das sind nach der Begriffsdefinition in Art. 2 lit. g Aufnahme-RL „Unterkunft, Verpflegung und Kleidung in Form von Sach- oder Geldleistungen oder Gutscheinen oder einer Kombination davon sowie Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs“ - in Anspruch nehmen können. Die Mitgliedstaaten sorgen gemäß Art. 17 Abs. 2 Aufnahme-RL dafür, dass diese Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.

17       Vor diesem unionsrechtlichen Hintergrund führte der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154, unter Rn. 18 bis 20, zusammengefasst aus, werden an sich vorgesehene Sachleistungen rechtswidrig vorenthalten, dann lasse dies das Entstehen von Geldleistungsansprüchen zu. Denn werden die „materiellen Aufnahmebedingungen“ nicht als Sachleistung gewährt, so könne das nur so verstanden werden, dass die Behörde von der Option einer Gewährung von Grundversorgung „in Form von Geldleistungen“ Gebrauch machen wolle. In einer Konstellation, wie sie hier vorliege, sei die Annahme, die Behörde habe für die Erbringung von Geldleistungen optiert, zwingend, sodass einem darauf gerichteten Geldleistungsbegehren nichts im Wege stehe.

18       Hinsichtlich der Möglichkeit, die nach der Aufnahme-RL zu gewährenden Leistungen in Form von Geldleistungen (oder Gutscheinen) zu erbringen, ist in deren Art. 17 Abs. 5 Folgendes normiert:

„(5) Wenn die Mitgliedstaaten im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewähren, bemisst sich deren Umfang auf Grundlage des Leistungsniveaus, das der betreffende Mitgliedstaat nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder nach den Gepflogenheiten anwendet, um eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können Antragstellern in dieser Hinsicht eine weniger günstige Behandlung im Vergleich mit eigenen Staatsangehörigen zuteil werden lassen, insbesondere wenn materielle Unterstützung teilweise in Form von Sachleistungen gewährt wird oder wenn das, auf eigene Staatsangehörige anzuwendende, Leistungsniveau darauf abzielt, einen Lebensstandard zu gewährleisten, der über dem nach dieser Richtlinie für Antragsteller vorgeschriebenen Lebensstandard liegen.“

19       Das Oö. GVG enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen, welche Geldleistungen anstelle von Sachleistungen zu gewähren sind. In § 1 Oö. GVG wird lediglich allgemein auf „die in der Grundversorgungsvereinbarung, LGBl. Nr. 93/2004, vorgesehenen Hilfen und Maßnahmen“, die vom Land Oberösterreich hilfs- und schutzbedürftigen Fremden, die ihren Hauptwohnsitz und Aufenthalt in Oberösterreich haben, „zu erbringen“ sind, verwiesen. Das bezieht sich erkennbar in erster Linie auf die in Art. 6 Abs. 1 GVV genannten, im Allgemeinen von der Grundversorgung umfassten Sachleistungen, wie insbesondere Unterbringung, Versorgung mit angemessener Verpflegung, Sicherung der Krankenversorgung, Gewährung eines monatlichen Taschengeldes, sowie auf die in Art. 7 und 8 GVV (fallbezogen aber keine Rolle spielenden) Sonderbestimmungen für unbegleitete minderjährige Fremde und für Massenfluchtbewegungen.

20       Zu dieser Verweisung auf die GVV ist allerdings anzumerken, dass Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG keine Rechte und Pflichten Dritter begründen können, sondern dazu der Transformation bedürfen. Sie binden vielmehr die Vertragspartner (also Bund bzw. Länder) untereinander, was bedeutet, dass (nur) die Organe der jeweils beteiligten Gebietskörperschaften durch die Vereinbarung gebunden werden (vgl. VfGH 9.10.2018, A1/2017, VfSlg. 20.284, Punkt III.A.5.2. der Entscheidungsgründe). In diesem Sinn wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch schon im Vorerkenntnis in Rn. 22 festgehalten, die GVV könne keine Rechte und Pflichten der einzelnen Rechtsunterworfenen begründen. Das findet auch in Art. 1 Abs. 5 GVV seinen Niederschlag, indem es dort heißt, diese Vereinbarung begründe keine Rechtsansprüche für die in Art. 2 GVV als Zielgruppe genannten Fremden. Ohne entsprechenden Transformationsakt, der den Normunterworfenen berechtigt und verpflichtet, entfaltet eine Vereinbarung nach Art. 15a B-VG für den Normunterworfenen somit keine Rechtswirkungen. Geltungsgrund der den Normunterworfenen bindenden Vorschrift ist nach einer solchen Transformation nicht die Vereinbarung nach Art. 15a B-VG, sondern das Gesetz oder die Verordnung, selbst wenn diese nur den Text der Vereinbarung wörtlich übernehmen (vgl. VfGH 17.6.1994, G 231/92, u.a., VfSlg. 13.780, Punkt III.A.2.a. der Entscheidungsgründe, mwN).

21       Das LVwG ging in seinem Erkenntnis für den vorliegenden Fall ohne Weiteres von der Anwendbarkeit der in Art. 9 GVV für bestimmte, im einzelnen genannte Grundversorgungsleistungen festgelegten „Kostenhöchstsätze“ aus, ohne sich mit der soeben erörterten Frage von deren wirksamer Transformation im Oö. GVG zu befassen. Dazu ist Folgendes zu sagen:

22       In den ErläutRV zur Novelle des Oö. GVG mit LGBl. Nr. 64/2016 (Blg. 212/2016, XXVIII. GP 3) wurde zunächst erwähnt, dass die „materiellen“ Grundversorgungsleistungen einem angemessenen Lebensstandard im Sinn (insbesondere) von Art. 17 Abs. 2 der Aufnahme-RL entsprechen und auch tatsächlich angeboten werden müssten. Werde dieses Angebot von den Betroffenen nicht angenommen und eine private Unterbringung gewählt, so würden dafür nur Geldleistungen in der in der GVV vorgesehenen Höhe (Hinweis auf Art. 17 Abs. 5 Aufnahme-RL) ohne durchsetzbaren Rechtsanspruch erbracht.

23       Diese Überlegungen finden aber - offenbar, weil von einem insoweit fehlenden Rechtsanspruch ausgegangen wurde - im Oö. GVG keinen Niederschlag, und zwar weder in der hier maßgeblichen Fassung vor dieser Novelle noch in der Novellenfassung. Im Übrigen wurde vom LVwG nicht berücksichtigt, dass die in Art. 9 GVV für die dort genannten Grundversorgungsleistungen angeführten „Kostenhöchstbeträge“ den Zweck haben, eine Grundlage für die Ermittlung des Umfangs der Kostentragung zwischen Bund und Ländern zu bilden. § 10 Abs. 1 GVV bestimmt nämlich, dass die Gesamtkosten, die in Durchführung der Maßnahmen dieser Vereinbarung entstehen, zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt werden, wobei die Verrechnung aufgrund der tatsächlich geleisteten Beträge, maximal jedoch bis zum Erreichen der in Art. 9 GVV normierten Kostenhöchstsätze erfolgt. Es bedürfte daher einer ausdrücklichen Regelung, dass diese - primär einem anderen Zweck dienenden - „Kostenhöchstbeträge“ für die Höhe jener Geldleistungen maßgeblich sein sollen, die anstelle von entsprechenden Sachleistungen zu zahlen sind. Eine solche Regelung existiert für den Bereich der Grundversorgung durch das Land Oberösterreich nicht. Im Übrigen wird in den erwähnten Gesetzesmaterialien davon ausgegangen, dass (nur) in dem Fall, dass das Angebot einer im Rahmen der Grundversorgung zur Verfügung gestellten Unterkunft nicht angenommen und eine private Unterbringung gewählt wird, lediglich Geldleistungen nach Art. 9 GVV gebühren. Eine solche Konstellation liegt aber im vorliegenden Fall gerade nicht vor, sodass auch von daher nicht zu sehen ist, dass Art. 9 GVV eine taugliche Rechtsgrundlage für die Bemessung der Höhe der der Revisionswerberin zustehenden Geldleistung bilden könnte.

24       Als sachnächste Norm, die eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard iSd Art. 17 Abs. 5 erster Satz Aufnahme-RL gewährleistet, kommt - wie die Revision zutreffend ausführt - das Oö. Mindestsicherungsgesetz (Oö. BMSG) in Betracht, durch deren Leistungen hilfebedürftigen Personen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden soll. Gemäß § 13 Abs. 1 Oö. BMSG idF LGBl. Nr. 55/2014 erfolgt Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - durch laufende monatliche Geldleistungen (Mindeststandards). Nach der aufgrund der Ermächtigung gemäß § 13 Abs. 2 Oö. BMSG erlassenen Oö. Mindestsicherungsverordnung (Oö. BMSV) in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 115/2015 ist diesbezüglich für eine alleinstehende Person in § 1 Abs. 1 Z 1 der Betrag von 903,20 € monatlich vorgesehen. Dieser Betrag wurde auch von der Revisionswerberin als Ausgangspunkt der Berechnung ihres Geldleistungsanspruchs zugrunde gelegt (siehe oben Rn. 3 und in der Revision Seite 12). Allerdings hat das LVwG im angefochtenen Erkenntnis unterstellt, dass die Revisionswerberin im maßgeblichen Zeitraum unentgeltlich bei einer (mit ihrer Schwester befreundeten) palästinensischen Familie untergebracht gewesen sei. Davon ausgehend könnte allerdings auf § 13 Abs. 4 Oö. BMSG iVm § 1 Abs. 5 Z 1 BMSV Bedacht zu nehmen sein, wonach (u.a.) bei alleinstehenden Personen, die keine Aufwendungen für den Wohnbedarf zu tätigen haben, „ihr Mindeststandard um bis zu 149,- € zu verringern“ sei. Diese bisher nicht als relevant erachtete Frage wird im fortgesetzten Verfahren zu erörtern und einer Prüfung zu unterziehen sein.

25       Soweit die belangte Behörde in der Revisionsbeantwortung meint, aus der Regelung im zweiten Satz des Art. 17 Abs. 5 der Aufnahme-RL ergebe sich die Zulässigkeit einer weniger günstigen Behandlung im Vergleich mit österreichischen Staatsbürgern und deshalb sei die Heranziehung des Art. 9 GVV anstelle der Sätze nach der BMSV zur Bemessung des Geldleistungsanspruchs der Revisionswerberin gerechtfertigt, genügt es zu erwidern, dass die genannte, im Unionsrecht ermöglichte Beschränkung keine Umsetzung im nationalen Recht erfahren hat.

26       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes in Bezug auf den € 186,- übersteigenden Betrag aufzuheben.

27       Das Begehren auf Zuspruch von Zinsen wurde vom LVwG schon deshalb zu Recht abgewiesen, weil die Revisionswerberin im Verfahren vor der belangten Behörde keinen Antrag auf Erstattung von Verzugszinsen gestellt hatte. Insoweit war die Revision daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

28       Der Ausspruch über den Aufwandersatz, der nur für die Revision zusteht, beruht auf den §§ 47 VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Dezember 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019210015.J00

Im RIS seit

14.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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