Entscheidungsdatum
11.01.2022Index
10/11 Vereinsrecht VersammlungsrechtNorm
VersammlungsG 1953 §6Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerden der Frau Mag. A. B., C.-gasse, Wien
A) gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde und
B) gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Verwaltungsbehörde durch die Nicht-Untersagung bzw. verabsäumte Auflösung sogenannter „Corona-Demos", nämlich entsprechender Versammlungen am 10.4., 20.11., 27.11., 4.12. und 11.12.2021 in Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Die Beschwerden werden als unzulässig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Begründung
1. Mit Schriftsatz vom 21.12.2021 erhob die Einschreiterin folgende Beschwerden:
„Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde gem. Artikel 130 Abs. 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz (B- VG) und wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze gem. Artikel 130 Abs. 2 Z 1 B-VG hinsichtlich folgender Versammlungen (sogenannte „Corona-Demos"):
26.11.2021 Eisenstadt
1.12.2021 Eisenstadt
16.11.2021 Wels
1.12.2021 Linz
8.12.2021 Linz
27.11.2021 Graz
1.12.2021 Graz
10.4.2021 Wien
20.11.2021 Wien
27.11.2021 Wien
4.12.2021 Wien
11.12.2021 Wien
Belangte Behörden:
Landespolizeidirektion Wien
Landespolizeidirektion Burgenland
Landespolizeidirektion Oberösterreich
Landespolizeidirektion Steiermark
Rechtsgrundlagen: Versammlungsgesetz 1953
„§ 6.
(1) Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.
(2) Eine Versammlung, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient und den anerkannten internationalen Rechtgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen, den demokratischen Grundwerten oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderläuft, kann untersagt werden.
§ 13.
(1) Wenn eine Versammlung gegen die. Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§16 Abs. 1 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen.
(2) Desgleichen ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten
Versammlung vom Abgeordneten der Behörde oder, falls kein solcher entsendet wurde, von der Behörde zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt.
§ 14.
(1) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen.
(2) Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden.
Die belangten Behörden haben es entgegen ihrer ausdrücklichen Verpflichtung unterlassen, die gegenständlichen Versammlungen gem. § 6 Versammlungsgesetz zu untersagen. Die Behörde hat hinsichtlich der Untersagung eine Prognoseentscheidung zu treffen. Die gegenständlichen Versammlungen wurden maßgeblich von einschlägig auch der Behörde bekannten Rechtsextremisten und Neofaschisten organisiert und angeführt. Bei vorangegangenen von bekannten Rechtsextremisten organisierten Versammlungen zum gleichen oder ähnlichen Thema kam es wiederholt zu antisemitischen Übergriffen, Übertretungen des Verbotsgesetzes, teils gewaltsamen Ausschreitungen und Übergriffen gegen Medienvertreter*innen, was den belangten Behörden bekannt sein musste und auch tatsächlich bekannt war. Deshalb musste die Behörde zur Prognose kommen, dass die gegenständlichen Versammlungen gem. § 6 Abs. 1 Versammlungsgesetz zu untersagen sind.
Darüber hinaus haben es die belangten Behörden unterlassen, die Auflösung der gegenständlichen Versammlungen gem. § 13 Abs. 2 Versammlungsgesetz zu verfügen, obwohl sich die oben genannten gesetzwidrigen Vorgänge ereigneten und die Versammlungen einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter angenommen haben und die belangten Behörden haben dort, wo teilweise die Auflösung verfügt wurde und dort, wo teilweise die Versammlung untersagt wurde, es trotz Ungehorsams unterlassen, die Auflösung gem. § 14 Versammlungsgesetz durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug zu setzen.
Die angeführten Rechtsverletzungen durch die belangten Behörden stellen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und eine Gefährdung der Bevölkerung dar.
Insbesondere durch wiederholte Übergriffe und Drohungen gegen Gesundheitseinrichtungen und Beschäftigte des Gesundheitswesens aus den gegenständlichen Versammlungen und das Zulassen der gegenständlichen Versammlungen in unmittelbarer Nähe von Gesundheitseinrichtungen sind auch die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gefährdet. Insofern besteht eine individuelle Betroffenheit meiner Person und meiner Angehörigen.
Bei Versammlungen, die antifaschistische, soziale oder ökologische Anliegen zum Inhalt haben, sind seit vielen Jahren sehr häufig Untersagungen, Auflösungen und Zwangsmittel, sehr häufig rechtswidrig und mit Polizeigewalt gang und gäbe. Die im Vergleich dazu ungleichen Prognoseentscheidungen durch die Behörde und unterlassenen Zwangsmittel bei den gegenständlichen Versammlungen verursachen Verängstigung und Vertrauensverlust. Teilweise wurde sogar polizeilich gewaltsam gegen Menschen vorgegangen, die sich gegen die gegenständlichen rechtsextremen Versammlungen versammelten. Es entsteht dadurch der Anschein, dass die belangten Behörden und die Exekutive rechtsextreme Versammlungen inhaltlich unterstützen und verteidigen. Das ist bedrohlich, verängstigend und erschüttert das Vertrauen in die Einhaltung verfassungsrechtlicher Prinzipien, insbesondere des rechtsstaatlichen Prinzips, durch staatliche Organe."
Aus dem Schriftstück ist ersichtlich, dass die Einschreiterin einen Ausspruch des Gerichts anstrebt, wonach die Nichtuntersagung der genannten Versammlungen bzw. deren verabsäumte Auflösung rechtswidrig gewesen seien.
2. Das Verwaltungsgericht Wien hat dazu erwogen:
2.1. Was die Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde anbelangt, so ist aus der gesamten Eingabe kein Antrag der Beschwerdeführerin ersichtlich, über den von der belangten Behörde nicht entschieden worden wäre. Offenkundig ist ihr Ziel jedoch ein anderes:
Ihrer Ansicht nach scheint die Verletzung der Entscheidungspflicht darin zu liegen, dass die belangte Behörde die betreffenden Versammlungen nicht untersagt bzw. nicht aufgelöst habe, im Ergebnis also darin, dass die Behörde nicht die – aus der Sicht der Beschwerdeführerin – „richtige" Entscheidung getroffen habe. Damit strebt sie dasselbe an wie in der Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Verwaltungsbehörde nach Art. 130 Abs. 2 Z 1 B - VG; dazu im Folgenden.
2.2. Gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B - VG können durch Bundes- oder Landesgesetz sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze vorgesehen werden. Eine solche Gesetzesbestimmung ist § 88 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl Nr. 566/1991, welcher lautet:
„Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der
Sicherheitsverwaltungen in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist."
Gemäß § 2 Abs. 2 SPG besteht die Sicherheitsverwaltung aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten. Grundsätzlich steht der Einschreiterin daher eine Beschwerde zu, sollte sie bei der Besorgung der Versammlungsangelegenheiten in ihren Rechten verletzt worden sein.
Wie die Beschwerde allerdings zeigt, geht es der Einschreiterin nicht um die Verletzung ihrer subjektiven Rechte; sie schildert auch keine Sachverhalte, aufgrund derer ihrer subjektiven Rechte verletzt worden seien könnten. Vielmehr äußert sie in allgemeiner Form die Ansicht, die von ihr genannten Versammlungen stellten eine Gefährdung der Bevölkerung und der öffentlichen Sicherheit dar, zumal sie maßgeblich von notorischen Rechtsextremisten und Neofaschisten organisiert und angeführt würden und auch in der Vergangenheit zur Übertretung des Verbotsgesetzes, gewaltsamen Ausschreitungen und Übergriffen gegen Medienvertreter geführt hätten. Gleichzeitig ortet sie eine Ungleichbehandlung, indem die Behörden Versammlungen mit antifaschistischen, sozialen und ökologischen Anliegen häufig untersagt bzw. aufgelöst hätten, insbesondere auch solche, die sich gegen die genannten, von Rechtsextremen angeführten Corona-Demonstrationen richteten. Die Behörde lege daher gesetz- und verfassungswidriger Weise ungleiche Maßstäbe bei der Vollziehung des Versammlungsrechts an.
Die angeführten Gründe mögen durchaus ihre Berechtigung haben, sie vermögen aber der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das österreichische Rechtssystem kennt keine Popularbeschwerde gegen unrichtige oder ungleiche Rechtsanwendung. Insbesondere ist auch die Beschwerde gemäß § 88 Abs. 2 SPG nicht als solche konzipiert, sondern setzt die Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers oder der Beschwerdeführerin voraus. Die Beschwerden waren daher, soweit sie sich gegen Fehlverhalten der Landespolizeidirektion Wien richten, als unzulässig, im Falle der Versammlung vom 10.4.2021 überdies als verspätet, zurückzuweisen.
3. Was die gegen die Landespolizeidirektionen Burgenland, Oberösterreich und Steiermark gerichteten Beschwerden anbelangt, so werden diese gemäß § 6 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG an die jeweils zuständigen Landesverwaltungsgerichte weitergeleitet.
4. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Untersagung; Versammlung; subjektives Recht; VerhaltensbeschwerdeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.013.18098.2021Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022