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32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
BAO §224 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der G GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 W, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 5. Mai 2021, Zl. RV/7100363/2021, betreffend u.a. Haftung für Kapitalertragsteuer 2010 bis 2012, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Haftung für Kapitalertragsteuer für die Jahre 2010 bis 2012) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Im Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung vom 12. Dezember 2014 wurde u.a. ausgeführt, Rechnungen der P GmbH und der T GmbH an die Revisionswerberin in den Jahren 2010 bis 2012 seien als Deckungsrechnungen zu qualifizieren. Die Abgabenbehörde gehe davon aus, dass die Leistungen durch „Schwarzarbeitskräfte“ erbracht worden seien; vom geltend gemachten Aufwand würden „nach gängiger Verwaltungspraxis“ 50% als fiktiver Aufwand für die „Schwarzarbeitskräfte“ anerkannt. Weiters wurde ausgeführt, auf dem Verrechnungskonto des Gesellschafters seien per 31. Dezember 2009 und 31. Dezember 2010 zahlreiche Umbuchungen vorgenommen worden. Laut Vorhaltsbeantwortung seien beim Abstimmen der Kunden- und Lieferantenkonten „offene“ Kunden und Lieferanten auf Verrechnungskonto ausgebucht worden. Ein Nachweis darüber, wann die tatsächliche Bezahlung erfolgt sei, habe nicht erbracht werden können. Diese Vorgehensweise finde in § 131 Abs. 1 Z 2 BAO keine Deckung. Es erfolge daher eine Zuschätzung in Form eines Sicherheitszuschlages von 10.000 € für die beiden Jahre. Die nicht anerkannten Aufwendungen und der Sicherheitszuschlag stellten verdeckte Ausschüttungen dar. Die Kapitalertragsteuer werde „von den Gesellschaftern getragen“.
2 Mit Haftungsbescheiden vom 19. Oktober 2017 machte das Finanzamt gegenüber der revisionswerbenden Partei (einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) Kapitalertragsteuer für die Jahre 2009 bis 2012 geltend. In der Begründung wurde ausgeführt, der Abzugsverpflichtete hafte dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer. Als Empfänger der Kapitalerträge wurden die beiden (damaligen) Gesellschafter der Revisionswerberin angeführt. Weiters wurde auf den Bericht zur Außenprüfung vom 12. Dezember 2014 verwiesen.
3 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide Beschwerde.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 27. März 2018 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
5 Die Revisionswerberin beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer 2009 Folge und hob den Bescheid auf. Betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer 2010 bis 2012 gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge und änderte die Bescheide ab. Es sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, in den Streitjahren seien O zu 49% und P zu 51% an der Revisionswerberin beteiligt gewesen. Das Bundesfinanzgericht sei in seinem Erkenntnis vom 7. April 2021 davon ausgegangen, dass die in den Jahren 2009 und 2010 vorgenommenen Umbuchungen keine Auswirkungen auf die Höhe der Betriebsergebnisse dieser Jahre gehabt hätten; die Verhängung eines Sicherheitszuschlages sei daher nicht gerechtfertigt. Eine verdeckte Ausschüttung liege insoweit ebenfalls nicht vor. Bezüglich nicht anerkannte Betriebsausgaben sei hingegen von verdeckten Ausschüttungen auszugehen.
8 Das Finanzamt habe (bereits) mit Bescheiden vom 16. Dezember 2014 die Kapitalertragsteuer den beiden Gesellschaftern auch direkt vorgeschrieben. Diese Gesellschafter hätten die Kapitalertragsteuer entrichtet, aber Beschwerde gegen die Bescheide erhoben.
9 O sei im September 2017 verstorben; die Verlassenschaft sei überschuldet gewesen und sei dem A gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt überlassen worden. Das Beschwerdeverfahren sei mit Beschluss vom 8. April 2021 eingestellt worden.
10 Der Beschwerde von P gegen die Bescheide vom 16. Dezember 2014 sei mit Beschwerdevorentscheidung vom 12. April 2021 stattgegeben worden. Die Bescheide, mit denen die Kapitalertragsteuer der Gesellschafterin P direkt vorgeschrieben worden sei, seien ersatzlos aufgehoben worden.
11 Die Revisionswerberin sei durch die Erlassung jener Bescheide, mit denen sie zur Haftung für die Kapitalertragsteuer 2009 bis 2012 herangezogen worden sei, zur Solidarschuldnerin der Kapitalertragsteuer geworden. Die Kapitalertragsteuer sei beiden Gesellschaftern auch direkt vorgeschrieben worden. Dabei sei zu beachten, dass die P betreffende Direktvorschreibung mit Beschwerdevorentscheidung ersatzlos aufgehoben worden sei; die O vorgeschriebene Kapitalertragsteuer sei von diesem getilgt worden, das Rechtsmittelverfahren sei nach seinem Tod eingestellt worden. Die im Zuge der Prüfung bei der Revisionswerberin für die Jahre 2009 und 2010 vorgenommene Verhängung von Sicherheitszuschlägen sei zu Unrecht erfolgt, weshalb insoweit auch das Vorliegen einer verdeckten Ausschüttung zu verneinen gewesen sei. Daraus folge, dass der Beschwerde gegen die Haftungsbescheide insofern Folge zu geben sei, als die der Revisionswerberin zur Haftung vorgeschriebenen Beträge um jene Beträge zu reduzieren gewesen seien, die von O bereits entrichtet worden seien; weiters um jene Beträge, bei denen das Vorliegen einer verdeckten Ausschüttung zu verneinen gewesen sei. Der Haftungsbescheid betreffend Kapitalertragsteuer 2009 sei daher ersatzlos aufzuheben; der Beschwerde gegen die Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer 2010 bis 2012 sei teilweise Folge zu geben.
12 Gegen dieses Erkenntnis, soweit es Kapitalertragsteuer 2010 bis 2012 betrifft, wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. dargelegt, durch Geltendmachung der Haftung werde die zur Haftung herangezogene Person zum Gesamtschuldner. Diese Gesamtschuld erlösche mit der Entrichtung (Hinweis auf VwGH 14.5.1992, 92/16/0013). Die Kapitalertragsteuer sei bereits durch die Gesellschafter entrichtet worden.
13 Das Finanzamt hat sich nach Einleitung des Vorverfahrens am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig und begründet.
16 Gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 ist der Empfänger der Kapitalerträge der Schuldner der Kapitalertragsteuer. Der Abzugsverpflichtete haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer. Nach § 95 Abs. 4 EStG 1988 (idF vor dem StRefG 2015/2016, BGBl. I Nr. 118/2015) ist dem Empfänger der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer ausnahmsweise u.a. dann vorzuschreiben, wenn der Abzugsverpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat (Z 1). Mit dem StRefG 2015/2016 wurde diese Bestimmung durch die Wortfolge ergänzt: „und die Haftung nach Abs. 1 nicht oder nur erschwert durchsetzbar wäre“.
17 Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, werden durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1 BAO) zu Gesamtschuldnern (§ 7 Abs. 1 BAO). Die Entrichtung der Abgabe durch den einen Schuldner befreit den anderen Gesamtschuldner (vgl. VwGH 13.9.1972, 2218/71, VwSlg. 4422/F; 14.5.1992, 92/16/0013; vgl. hingegen bei Zahlung durch den Haftungspflichtigen selbst VwGH 22.3.2000, 99/13/0181). Dabei sind auch Änderungen während des Rechtsmittelverfahrens zu berücksichtigen (vgl. VwGH 28.5.1993, 93/17/0049; 8.9.2020, Ra 2020/13/0029; 10.9.2020, Ra 2020/13/0048).
18 Nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts wurde die Kapitalertragsteuer beiden Gesellschaftern der Revisionswerberin auch direkt vorgeschrieben und von diesen entrichtet. Eine Abgabe gilt solange als entrichtet, als die Entrichtung nicht rückgängig gemacht wird (vgl. Ritz, BAO7, § 205a Tz 13). Auch wenn die Gesellschafter gegen diese Vorschreibung Rechtsmittel erhoben haben und diese Vorschreibung betreffend die Gesellschafterin P mit Beschwerdevorentscheidung aufgehoben wurde (aus welchem Grund diese Aufhebung erfolgte, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht dargelegt), so ergibt sich aber aus den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts nicht, dass - bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - die Entrichtung rückgängig gemacht worden wäre, etwa durch Verbuchung einer entsprechenden Gutschrift am Abgabenkonto der Gesellschafterin P.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher (im angefochtenen Umfang) schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Jänner 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130084.L00Im RIS seit
11.02.2022Zuletzt aktualisiert am
09.03.2022