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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des A M A A, vertreten durch Mag. Dr. Erhard Buder, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelderstraße 94/15, dieser vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2020, L502 2230290-1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Jordaniens, stellte am 17. Jänner 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, Mitglieder des Stammes der „Bani Hassan“ hätten ihn bedroht, weil sie ihm (fälschlicherweise) vorgeworfen hätten, eine Frau belästigt zu haben.
2 Mit Bescheid vom 10. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Jordanien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG - soweit hier relevant - aus, der Revisionswerber habe eine Verfolgung durch die Bani Hassan nicht glaubhaft machen können. Es würden auch keine Anhaltspunkte für die Annahme einer unzureichenden Versorgungssituation im Herkunftsstaat vorliegen. Der Revisionswerber sei selbsterhaltungsfähig und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Eine Beeinträchtigung am rechten Arm des Revisionswerbers liege bereits seit seiner Kindheit vor und habe ihn auch bisher nicht von einer Lebensführung in Jordanien abgehalten. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat reale Gefahr laufe, eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu erleiden. Betreffend die Rückkehrentscheidung gelangte das BVwG nach Durchführung einer Interessenabwägung zur Einschätzung, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das private Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die vorliegende Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, den Länderfeststellungen des Bescheids des BFA, die offenbar auch dem Erkenntnis des BVwG zugrunde gelegt worden seien, fehle es an der gebotenen Aktualität. Diese würden keine Grundlage für eine Auseinandersetzung mit den Fluchtgründen des Revisionswerbers, nämlich der Verfolgung durch einen Clan, bieten.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt auch für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen (vgl. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/19/0342, mwN).
Es reicht in diesem Zusammenhang aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0245, mwN).
8 Auch wenn die Revision zwar zu Recht rügt, dass das angefochtene Erkenntnis keine (eigenen) Feststellungen zur Lage in Jordanien im konkreten Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG enthalte, vermag sie nicht aufzuzeigen, dass diesem Verfahrensmangel fallbezogen Relevanz zukommt, zumal zwischen dem erstinstanzlichen Bescheid und dem Erkenntnis des BVwG lediglich zwei Monate lagen. Die Revision legt mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht dar, welche Feststellungen auf Basis welcher Erhebungen bzw. Berichte zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.
9 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit darüber hinaus gegen die Rückkehrentscheidung. Das BVwG habe die Umstände, dass der Revisionswerber unbescholten sei, Deutsch lerne und ein Unternehmen gegründet habe, aber auch, dass er gesundheitlich beeinträchtigt sei, bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht entsprechend gewürdigt.
10 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2021/19/0047, mwN).
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 15.6.2021, Ra 2021/19/0071, mwN).
12 Im vorliegenden Fall hat das BVwG die entscheidungswesentlichen und auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände in seine Interessenabwägung miteinbezogen.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang den Gesundheitszustand des Revisionswerbers anführt, ist auf die auf Art. 8 EMRK abstellende (aus der Judikatur des EGMR übernommene) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch bereits festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0047, mwN).
13 Der Revisionswerber brachte im Verfahren zwar vor, an einer partiellen Lähmung seines rechten Arms zu leiden, jedoch auch, dass diese derzeit keine Behandlung erfordere. Dass er deswegen in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt wäre, hat er nicht behauptet.
Ausgehend davon legt die Revision daher mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht dar, dass die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. Jänner 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020190189.L00Im RIS seit
09.02.2022Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022