Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei M* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2021, GZ 1 R 62/21a-24, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. März 2021, GZ 57 Cg 69/20b-18, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin enthalten 366,30 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist eine zur Unterlassungsklage nach § 28 KSchG berechtigte Institution (§ 29 KSchG).
[2] Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen. Sie bietet ihre Leistungen im gesamten Bundesgebiet an, ihre Kernkompetenz liegt im Bereich der Gesundheitsvorsorge. Sie verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie ihren Verträgen zugrunde legt, konkret die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeld-Versicherung (AVB 1995/Fassung Juli 2012)“ mit folgender Klausel:
„Pflichten des Versicherungsnehmers
§ 10 A) Prämien und Gebühren:
[…]
(2) Hat ein mitversichertes Kind das 18. Lebensjahr vollendet, so sind ab dem nächstfolgenden Monatsersten die Prämien zu bezahlen, die für erwachsene Personen zu entrichten sind.
[…]“
[3] Der Kläger begehrt die Unterlassung der Verwendung dieser Klausel sowie die Unterlassung der Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln, sowie eine Urteilsveröffentlichung im redaktionellen Teil einer Samstagsausgabe der bundesweit erscheinenden „Kronenzeitung“. Da die sogenannte Kinderprämie üblicherweise nur einen Bruchteil der Erwachsenenprämie betrage, bewirke der automatische Tarifwechsel, der nach den Bedingungen (AVB) nicht einmal angekündigt werden müsse, eine erhebliche und spürbare Preiserhöhung für den Versicherungsnehmer, deren Ausmaß jedoch nicht im Vorhinein erkennbar sei. Mangels Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung müsste die erhöhte Prämie, abhängig vom Geburtstag des Kindes, zudem bis zu 15 Monate lang entrichtet werden. Damit sei diese Regelung gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB. Da sich die Klausel als einziger Preiserhöhungstatbestand nicht im Abschnitt „Änderungen der Prämie“ finde, sei sie auch überraschend im Sinn des § 864a ABGB. Weiters müsste die Beklagte dem Versicherungsnehmer gemäß § 178f Abs 3 VersVG die Möglichkeit eröffnen, einen Vertrag mit gleichbleibender Prämie und angemessenen, abgeänderten Leistungen zu wählen. Damit werde auch die wahre Rechtslage im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG verschleiert, weil beim Versicherungsnehmer der unrichtige Eindruck erweckt werde, er müsse die Prämienerhöhung hinnehmen. Im Übrigen würde die Klausel auch sonst gegen das Bestimmtheits- und Vollständigkeitsgebot verstoßen; so blieben vor allem die konkreten Auswirkungen für den Versicherungsnehmer unklar und insbesondere die künftige Prämienhöhe. Zuletzt seien auch die Voraussetzungen nach § 6 Abs 1 Z 5 KSchG zur Entgelterhöhung nicht eingehalten worden.
[4] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie verteidigt ihre Klausel unter Verweis auf § 178f Abs 2 VersVG. Da diese Regelung ausdrücklich einen automatischen Wechsel von einer Kinder- auf eine Erwachsenenprämie erlaube, liege keine gröbliche Benachteiligung vor. Im Übrigen handle es sich bei der Prämienzahlungspflicht um eine Hauptleistung, sodass § 879 Abs 3 ABGB nicht anwendbar sei. Dem Versicherungsnehmer seien zudem die für die Anhebung maßgeblichen Faktoren schon bei Vertragsabschluss bekannt, diese würden auch nicht vom Willen des Versicherers abhängen. Das Gesetz sehe weder eine Verständigungspflicht vor, noch eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit. Der Versicherungsnehmer könne im Übrigen jederzeit, auch schon unmittelbar nach Vertragsabschluss, die Kündigung zum Stichtag der Anhebung erklären. Da eben ein Tarifwechsel und keine Prämienerhöhung vorliege, finde sich diese Bestimmung zutreffend bei den Pflichten des Versicherungsnehmers zur Zahlung von Prämien und Gebühren, weswegen kein Fall des § 864a ABGB vorliege. § 178f Abs 3 VersVG komme mangels Prämienerhöhung ebenfalls nicht zur Anwendung. § 178f Abs 2 VersVG verdränge schließlich auch § 6 Abs 1 Z 5 und § 6 Abs 3 KSchG. Die Angabe der konkreten Prämienerhöhung vorweg sei faktisch unmöglich. Ein einseitiger Ermessensspielraum werde dem Versicherer dadurch nicht eingeräumt, weil die Prämie im Einzelfall durch den jeweils anwendbaren Tarif zu bestimmen sei. Für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer sei eindeutig, dass die Prämie auf Basis des Gesundheitszustands des jungen Erwachsenen berechnet werde. Jedenfalls sei das Veröffentlichungsbegehren überschießend, weil von einem stattgebenden Urteil nur jene Versicherungsnehmer betroffen seien, die mitversicherte Kinder unter 18 Jahren hätten; es sei ausreichend, diesen überschaubaren Kreis mittels Brief oder E-Mail zu verständigen.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Versicherte müsse die „Prämienanhebung“ gemäß § 178f Abs 2 VersVG grundsätzlich hinnehmen, weil er bis zum Erreichen des vereinbarten Lebensalters den Vorteil einer besonders geringen „Kinderprämie“ gehabt habe. Schon aufgrund des Wortlauts von Abs 2 („angehoben“) und Abs 3 („erhöht“) sei davon auszugehen, dass die Möglichkeit der Fortsetzung des Vertrags bei höchstens gleichbleibender Prämie und angemessenen geänderten Leistungen gemäß Abs 3 nur im Fall einer „Prämienerhöhung“ anzubieten sei, nicht aber bei „Anhebung der Prämie“ aufgrund des Erreichens des 18. Lebensjahres. Die Klausel müsse aber auch den Anforderungen der §§ 6 Abs 3 und 6 Abs 1 Z 5 KSchG entsprechen, was hier nicht der Fall sei, weil es bei der kundenfeindlichsten Auslegung der Willkür der Beklagten überlassen bleibe, die Höhe der Erwachsenenprämie bzw den nach Erreichen des 18. Lebensjahres geltenden Tarif festzulegen. Dem Versicherten bzw dem jungen Erwachsenen seien auch die wesentlichen Parameter nicht bekannt. Die Klausel sei daher intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG. Die Verurteilung zur Urteilsveröffentlichung in einer Samstagsausgabe der bundesweit erscheinenden „Kronenzeitung“ sei gerechtfertigt.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Auch wenn es sich bei § 178f VersVG um eine Konkretisierung konsumentenschutzrechtlicher Bestimmungen handle, bedeute dies keinen generellen Ausschluss von § 6 Abs 1 Z 5, § 6 Abs 2 Z 3 und § 6 Abs 3 KSchG sowie § 864a und § 879 Abs 3 ABGB. Es bleibe völlig offen, welche Parameter und Tarife zur Anwendung kommen sollen. Damit entspreche die Klausel in Wahrheit nicht einmal § 178f Abs 2 VersVG und sei intransparent. Bei kundenfeindlichster Auslegung überlasse die Klausel die Wahl einer Tarifgrundlage dem Versicherer und stelle sie somit in sein beliebiges Ermessen. Wegen der Kündigungstermine und -fristen sei es auch nicht möglich, sogleich auf einen weiteren Versicherungsschutz zu verzichten. Vielmehr müsste der Versicherte – unter Umständen 15 Monate lang – weitere Prämien inklusive einer Altersrückstellung bezahlen, die ungewünscht und für ihn jedenfalls zum Teil wertlos sei. Dieses Ergebnis stehe mit den sozialpolitischen Erwägungen des Gesetzgebers des § 178f VersVG und § 879 Abs 3 ABGB nicht im Einklang und verstoße gegen letztere Bestimmung. Der Zweck der Urteilsveröffentlichung sei nicht auf die unmittelbar betroffenen Vertragspartner beschränkt. Die Ermächtigung zur Veröffentlichung in einer auflagenstarken, bundesweit erscheinenden Tageszeitung sei nicht zu beanstanden.
[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu, weil es sich um eine Klausel handle, die für eine Vielzahl von Versicherungsnehmern relevant sei und zur Auslegung des § 178f Abs 2 letzter Satz VersVG und dessen Zusammenspiel mit sonstigen konsumentenschutzrechtlichen Bestimmungen noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[11] 1.1 In § 178f Abs 1 VersVG wird für den Bereich der Krankenversicherung festgelegt, dass eine Vereinbarung, nach der der Versicherer berechtigt ist, die Prämie nach Vertragsabschluss einseitig zu erhöhen oder den Versicherungsschutz einseitig zu ändern, etwa einen Selbstbehalt einzuführen, nur mit den sich aus den folgenden Abs 2 und 3 ergebenden Einschränkungen wirksam sei, dies unbeschadet des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG bzw § 6 Abs 2 Z 3 KSchG. In Abs 2 Satz 1 leg cit werden jene Umstände genannt, die als Faktoren für die Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes vereinbart werden dürfen. In Abs 2 Satz 2 leg cit werden andere Faktoren – so unter anderem bloß vom Älterwerden des Versicherten abhängige Anpassungen – zur Klarstellung ausgeschlossen. Eine ausdrückliche Ausnahme vom Verbot, das Ausmaß der Prämie vom steigenden Alter des Versicherten abhängig zu machen, enthält Abs 2 Satz 3. Danach kann vereinbart werden, dass eine zunächst geringere Prämie ab einem bestimmten Lebensalter des Versicherten auf denjenigen Betrag angehoben wird, den der betreffende Tarif für Versicherte vorsieht, die mit diesem Alter in die Versicherung eintreten; dieses Lebensalter darf nicht über 20 Jahren liegen. § 178f Abs 3 VersVG sieht für den Fall, dass der Versicherer die Prämie erhöht, vor, dass er dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen die Fortsetzung des Vertrags mit höchstens gleichbleibender Prämie und angemessenen geänderten Leistungen anzubieten hat.
[12] 1.1.2 In den Gesetzesmaterialien zu § 178f VersVG (JAB 1722 BlgNr 18. GP S 8) wird unter anderem festgehalten: „Aus sozial- und familienpolitischen Gründen soll die Möglichkeit der prämiengünstigen Mitversicherung von Kindern und Jugendlichen erhalten bleiben. Dem § 178f Abs 2 soll eine entsprechende Ausnahmeregelung für jüngere Versicherte angefügt werden. Sie würde eine Vereinbarung ermöglichen, dass der Versicherte erst ab einem bestimmten Lebensalter, das von vornherein festzusetzen ist und 20 Jahre nicht übersteigen darf, in das ?normale Prämienschema? übernommen wird. Mit Erreichen dieses Lebensalters muss der Versicherte also einen Prämiensprung hinnehmen, der nicht durch die Veränderung der in Abs 2 Z 1 bis 6 genannten Kriterien gerechtfertigt werden kann, er (bzw der zahlende Versicherungsnehmer) hat dafür bis zu diesem Zeitpunkt den Vorteil einer besonders geringen ?Kinderprämie?. Eine gemäß dieser Regelung getroffene Vereinbarung schlägt auch auf das Fortsetzungsrecht nach § 178m durch, hier ist für diesen Fall keine Sonderregelung nötig. Tritt der Fortsetzungsfall ein, bevor das Kind die festgelegte Altersgrenze erreicht hat, so besteht bis zu diesem Alter auch die geringere Prämie, kommt es erst nach dem Erreichen der Altersgrenze zur Fortsetzung der Gruppen- als Einzelversicherung, so ist als Einzelversicherungsprämie naturgemäß die Erwachsenenprämie zu zahlen, so, wie wenn der betreffende Versicherte schon ursprünglich als Einzelversicherter aufgenommen worden und der ?Prämiensprung? eingetreten wäre.“
[13] 1.2 Der Krankenversicherungsvertrag kann daher – in Ergänzung zum Katalog der Änderungsfaktoren gemäß § 178f Abs 2 Z 1 bis 6 VersVG – für die Überschreitung der Altersgrenze eine Anhebung der Prämie auf jenes Maß vorsehen, die von einer Person dieses Alters bei einem Neuabschluss unter Berücksichtigung der Altersrückstellung tarifmäßig zu entrichten wäre (Schauer in Fenyves/Perner/Riedler VersVG 2. Lfg – November 2014, § 178f Rz 20).
[14] 1.2.1 Nach der eindeutigen Gesetzesstelle (arg „unbeschadet“) gilt neben dem § 178f VersVG der § 6 Abs 1 Z 5 und Abs 2 Z 3 KSchG (7 Ob 287/01h). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen: Die in § 178f Abs 1 VersVG genannten Konsumentenschutzbestimmungen (§ 6 Abs 1 Z 5 und § 6 Abs 2 Z 3 KSchG) erfahren eine Konkretisierung und werden ex ante dem Konsumentenschutzgesetz widersprechende Vertragsbestimmungen abschließend geregelt. Diese Gesetzesauslegung widerspricht nicht den Zielsetzungen des Konsumentenschutzgesetzes (7 Ob 287/01h, 7 Ob 206/15t; RS0116376). Bei der ex-ante-Kontrolle der Vertragsklauseln nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG ist vom Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG auszugehen und sofern die im Krankenversicherungsvertrag enthaltene Anpassungsklausel den in § 178f Abs 2 VersVG festgelegten Faktoren entspricht, ist sie nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG auch ohne Aushandlung im Einzelnen wirksam (7 Ob 287/01h). Eine § 178f Abs 2 Z 1 bis 6 VersVG entsprechende Klausel bedarf über § 178f Abs 2 VersVG hinaus keiner weiteren Konkretisierung der darin festgehaltenen Faktoren, um den Bestimmtheitserfordernissen des § 6 Abs 2 Z 5 KSchG zu entsprechen (7 Ob 206/15t).
[15] 1.2.2 Den zitierten Entscheidungen lagen damit jeweils Fälle zugrunde, in denen der Versicherer in den AVB auf die in § 178f Abs 2 Z 1 bis 6 VersVG genannten Faktoren abstellte. Entgegen der Ansicht der Beklagten enthalten sie damit weder eine Aussage zu § 178f Abs 2 dritter Satz VersVG, noch zur (Nicht-)Anwendung des Transparenzgebots nach § 6 Abs 3 KSchG.
[16] 1.2.3 Richtig ist, dass in § 178f Abs 1 VersVG nur die §§ 6 Abs 1 Z 5 und 6 Abs 2 Z 3 KSchG angeführt werden, wobei es sich um jene Bestimmungen des KSchG handelt, denen derselbe Regelungsgegenstand wie § 178f VersVG zugrunde liegt, nämlich die Entgelterhöhung und Leistungsänderung. Die Anwendung des § 6 Abs 3 KSchG, der auf der Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen beruht, ist damit aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Den Anforderungen des Transparenzgebots ist auch bei der Krankenversicherung zu genügen, sodass § 6 Abs 3 KSchG selbstredend – auch ohne ausdrückliche Anführung in § 178f Abs 1 VersVG – neben § 178f VersVG eingeschränkt durch dessen Vorgaben, anzuwenden ist.
[17] In diesem Sinn wurde in den Entscheidungen 7 Ob 287/01h und 7 Ob 206/15t § 6 Abs 3 KSchG auch angewandt. In der erstgenannten Entscheidung wurde die dem Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG entsprechende Klausel als nicht unklar und unverständlich beurteilt. In der Letztgenannten wurde eine das Änderungsangebot nach § 178f Abs 3 VersVG betreffende Klausel als intransparent angesehen.
[18] 1.3 Zusammengefasst bedeutet dies, dass die inkriminierte Klausel dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG entsprechen muss.
[19] 2.1 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Dieses sogenannte Transparenzgebot soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier: AVB) sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden (stRsp RS0115217 [T8], RS0115219 [T9], RS0122169 [T7]). Das Transparenzgebot soll dem Verbraucher ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig sind oder von ihm jedenfalls festgestellt werden können. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]).
[20] Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169 [T2]). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die den Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position – von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten oder ihm unberechtigte Pflichten auferlegen. Daraus kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen einer Klausel für den Verbraucher andernfalls unklar bleiben (vgl RS0115219 [T1, T14, T21, T22]; RS0115217 [T8]).
[21] 2.2 Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“, also im für den Verbraucher ungünstigst möglichen Sinn, zu erfolgen (RS0016590, RS0038205 [T4, T11]).
[22] 2.3 Die inkriminierte Klausel entspricht bereits nicht § 178f Abs 2 letzter Satz VersVG. Die gesetzliche Bestimmung lässt eine Vereinbarung zu, wonach eine zunächst geringere Prämie ab einem bestimmten Lebensalter des Versicherten auf denjenigen Betrag angehoben werden kann, den der betreffende Tarif für Versicherte vorsieht, die mit diesem Alter in die Versicherung eintreten. Dagegen stellt die Klausel allgemein nur auf die von erwachsenen Personen zu entrichtende Prämien und nicht auf einen von der Beklagten für in diesem Alter in die Versicherung Eintretende konkreten Tarif ab. Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass bei kundenfeindlichster Auslegung der Klausel es damit im Belieben der Beklagten steht, irgendeinen Tarif für Erwachsene auszuwählen und willkürlich die Prämienhöhe zu bestimmen.
[23] 2.4 Die Klausel ist damit intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG und bereits aus diesem Grund unwirksam, sodass sich weitere Ausführungen erübrigen.
[24] 3. Zweck der Urteilsveröffentlichung ist es, über die Rechtsverletzung aufzuklären und den beteiligten Verkehrskreisen Gelegenheit zu geben, sich entsprechend zu informieren, um vor Nachteilen geschützt zu sein. An diesen Zwecken gemessen ist die begehrte Veröffentlichung der zu unterlassenden Klausel zweckmäßig und angemessen (RS0121963; vgl auch RS0079820; RS0079764). Dies gilt insbesondere, aber nicht nur für jene Verbraucher, deren Verträgen noch die inkriminierte Klauseln zugrunde gelegt worden sind (RS0121963 [T6]). Gerade bei der Verbandsklage liegt das berechtigte Interesse an der Urteilsveröffentlichung darin, dass der Rechtsverkehr bzw die Verbraucher als Gesamtheit das Recht haben, darüber aufgeklärt zu werden, dass bestimmte Geschäftsbedingungen gesetz- bzw sittenwidrig sind (RS0121963 [T7]). Durch die Aufklärung wird die Aufmerksamkeit für die Verbraucher für die Unzulässigkeit von Vertragsbestandteilen geschärft und es wird ihnen damit erleichtert, ihre Rechte gegenüber dem Unternehmer wahrzunehmen (1 Ob 201/20w).
[25] Dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Aufklärung wird durch Information nur jener Versicherungsnehmer via E-Mail oder Brief, die derzeit Kinder unter 18 Jahren mitversichert hätten, nicht gerecht. Die Ermächtigung zur Veröffentlichung in einer auflagenstarken Tageszeitung ist daher gerechtfertigt.
[26] 4. Der Revision war daher keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E133742European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00177.21M.1124.000Im RIS seit
09.02.2022Zuletzt aktualisiert am
09.02.2022