Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, *, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch E + H Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert: 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert: 4.400 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. März 2021, GZ 30 R 13/21h-18, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. November 2020, GZ 43 Cg 65/19k-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist gemäß § 29 Abs 1 KSchG berechtigt, Unterlassungsansprüche nach § 28 KSchG geltend zu machen.
[2] Die Beklagte betreibt ein Luftverkehrsunternehmen und tritt im Rahmen ihrer österreichweiten Tätigkeit regelmäßig in rechtsgeschäftlichen Kontakt mit Verbrauchern im Sinn des § 1 KSchG. Sie verwendet dabei ihre Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Passagiere und Gepäck („ABB“), die die hier strittigen Klauseln enthalten.
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung der hier strittigen fünf Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern sowie ihr zu untersagen, sich auf diese zu berufen. Weiters erhebt sie ein Veröffentlichungsbegehren. Die Klauseln seien intransparent, sie verstießen teilweise gegen gesetzliche Verbote und gegen die guten Sitten, sie seien ungewöhnlichen Inhalts, teilweise überraschend und für den Verbraucher nachteilig. Die Beklagte habe auf eine Abmahnung nicht reagiert, Wiederholungsgefahr bestehe.
[4] Die Beklagte hielt dem die Rechtmäßigkeit der fünf Klauseln entgegen. Sie seien im Bereich der Luftfahrt branchenüblich und könnten aufgrund der spezifischen Gegebenheiten in diesem Bereich auch nicht transparenter gestaltet werden. Charakteristikum der Flugbranche sei, dass sich der Beförderungsvertrag aus mehreren Dokumenten zusammensetze. Neben den ABB werde den Kunden ein separater Hinweis auf die Tarife gegeben, die ebenfalls Vertragsbestandteil seien. Die ABB der Beklagten dürften daher nicht isoliert betrachtet werden. Das Transparenzgebot dürfe nicht dazu führen, dass der Verwender von AGB vor unlösbare Aufgaben gestellt werde.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Klauseln 1 (Code Share), 3 (Bestimmungen des Luftfrachtführers) und 5 (Erstattungsbetrag bei freiwilliger Erstattung) sowie dem Veröffentlichungsbegehren in diesem Umfang statt. Hingegen wies es das Klagebegehren hinsichtlich der Klauseln 2 (Entgegenstehendes Recht) und 4 (Aufgegebenes Gepäck) ab.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, nicht hingegen der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im gänzlich klagestattgebenden Sinn mit der Maßgabe ab, dass sich der Unterlassungsanspruch nur auf Verbraucher beziehe, deren gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich liege. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die Revision zulässig sei.
[7] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[9] Das Berufungsgericht hat die Darstellung der wesentlichen Grundsätze der Klauselprüfung im Rahmen eines Verbandsverfahrens (zu §§ 28, 29 KSchG, §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 3 KSchG) durch das Erstgericht als zutreffend gebilligt (§ 500a ZPO). Auf diese Ausführungen, die in der Revision nicht in Frage gestellt werden, wird auch hier verwiesen.
1. Klausel 1; Pkt 2.3 Code Share (Abs 2 und 3 ABB)
„Bitte beachten Sie, dass jeder unserer Code Share Partner für die von ihm durchgeführten Flüge/Transporte eigene Bestimmungen vorsieht, die Sie als Passagier betreffen und die von den Bestimmungen für von uns durchgeführte Flüge/Transporte abweichen können – dies betrifft insbesondere Check-in-Zeitbegrenzungen, Gepäckfreimengen/-annahme, Alleinreisende Minderjährige, Beförderung von Tieren, Beförderungsverweigerung, Sauerstoffversorgung, Betriebsunregelmäßigkeiten sowie Ausgleichsleistung im Fall einer Nichtbeförderung. Sie sollten die Bestimmungen unseres jeweiligen Code Share Partners daher vorab aufmerksam lesen und sich mit diesen vertraut machen. Sie finden hier Links zu den Websites unserer Code Share Partner.
Die Bestimmungen unseres jeweiligen Code Share Partners für die von ihm durchgeführten Flüge/Transporte werden in unsere Allgemeinen Beförderungsbedingungen einbezogen und damit Bestandteil des Beförderungsvertrages (?integrierte Bestimmungen?). Soweit die Durchführung von Flügen/Transporten durch unseren Code Share Partner erfolgt, gelangen im Rahmen unserer Allgemeinen Beförderungsbedingungen dessen integrierte Bestimmungen vorrangig zur Anwendung.“
[10] 1.1 Die Beklagte nutzt „Code Share Partner“, um ihr bestehendes Netz zu ergänzen, auszubauen und zu stärken. „Code Sharing“ stellt einen Branchenstandard dar. Vertragspartner des Kunden bleibt die Beklagte, der Code Share Partner übernimmt nur den Flug.
[11] 1.2 Das Erstgericht bejahte die Intransparenz der Klausel. Nicht jeder Verweis auf ergänzende Klauselwerke sei intransparent, im Einzelfall könne aber unklar sein, welche Rechtsfolgen sich aus dem Zusammenwirken der aufeinander bezogenen Bestimmungen ergeben. Die Beklagte stelle zwar einen „Link“ zur Verfügung, um die AGB der Code Share Partner aufzurufen, diese stünden aber nicht alle in deutscher Sprache zur Verfügung. Auch gebe es bei Code Share Partnern Regelungen, wonach eine bestimmte Sprachfassung der AGB im Zweifel vorgehe. Die Aufmachung der AGB differiere von Land zu Land. Insgesamt seien die Anforderungen an einen Durchschnittsverbraucher zu hoch, dass er herausfinden könne, welche Bestimmungen in den AGB allenfalls widersprüchlich seien, welche Version zu gelten habe und welche den anderen vorgehe. Überdies normiere Pkt 9 der ABB, dass für „Ausgleichsleistungen“ die VO (EG) Nr 261/2004 (idF: Fluggastrechte-VO) heranzuziehen sei. Auch Klausel 1 verwende das Wort „Ausgleichsleistung“. Infolge der Vorrangregelung in dieser Klausel könne beim Kunden der Eindruck entstehen, dass Bestimmungen über Ausgleichsleistungen in eigenen oder fremden AGB die Anwendbarkeit der Verordnung verdrängen.
[12] Das Berufungsgericht erachtete diese Begründung als zutreffend.
[13] Die Revision hält dem die Besonderheiten des branchenüblichen Code Sharings entgegen, das für den Konsumenten zahlreiche Vorteile mit sich bringe (höhere Flugfrequenzen, aufeinander abgestimmte Abflugzeiten, durchgehende Gepäckbeförderung). Der Kunde könne dank dieser Klausel die Beförderungsbedingungen der Code Share Partner leicht einsehen. Das Transparenzgebot werde überspannt, forderte man von der Beklagten, sämtliche Code Share Partner aufzulisten, festzulegen, welche konkrete AGB-Bestimmung des jeweiligen Partners die jeweilige Bestimmung in den ABB ersetze und dies auch noch aktuell zu halten. Dies führte erst recht zur Intransparenz der Klausel und sei unzumutbar. Durch die Auflistung von Teilbereichen, in denen es zu abweichenden Regeln kommen könne, werde dem Kunden eine zusätzliche Hilfestellung geboten. Vom Durchschnittskunden, der einen Flug in ein fremdes Land buche, könne man voraussetzen, dass er sich in diesem Land entweder in der Landessprache oder auf Englisch verständigen könne, sodass es der Transparenz der Klausel nicht schade, wenn die Beförderungsbedingungen der Partner zumindest auf Englisch abrufbar seien. Auch bei kundenfeindlichster Auslegung könne man den Code Share Partnern nicht unterstellen, dass diese gesetzwidrig Ansprüche aus der Fluggastrechte-VO verweigern.
[14] 1.3 Dem kann die zutreffende rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen entgegengehalten werden. Das Berufungsgericht hat hervorgehoben, dass nicht der Verweis in der Klausel an sich diese ungültig mache, sondern die daraus resultierende Notwendigkeit, unterschiedliche AGB unterschiedlicher Fluglinien in unterschiedlichen Sprachen miteinander in Zusammenhang zu bringen (vgl RIS-Justiz RS0122040). Der Kunde muss prüfen, ob diese Bestimmungen widersprüchlich sind, um beurteilen zu können, welche AGB vorrangig anwendbar sind. Die Vorteile, die das Code Sharing dem Kunden bringen mag, ändern nichts daran, dass das Transparenzgebot sich nicht mit formeller Textverständlichkeit begnügt, sondern eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung von AGB sicherstellen soll, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden (RS0122169 [T7]). Diesen Anforderungen genügt die beanstandete Klausel nicht:
[15] 1.4 Fremdsprachige AGB sind trotz Sprachunkenntnis des Vertragspartners nach der Rechtsprechung wirksam vereinbart, wenn in der Verhandlungssprache und Vertragssprache auf sie hingewiesen wurde und der Vertragspartner eine uneingeschränkte Annahmeerklärung abgegeben hat (RS0112313). Einen solchen Hinweis enthält die hier beanstandete Klausel nicht. Kriterien dafür, ob dem Adressaten das Verständnis der in einer anderen als seiner Muttersprache oder der Vertragssprache oder sonst geläufigen Sprache übermittelten AGB zugesonnen werden kann, weil ihm etwa auch die Herstellung einer Übersetzung zumutbar ist, sind die Länge, Intensität und Bedeutung der geschäftlichen Beziehung sowie auch die Verbreitung der verwendeten Sprache im betreffenden Kulturkreis. Nach der Rechtsprechung gelten jedoch nicht einmal im Verhältnis zwischen international tätigen Unternehmen AGB in einer anderen Weltsprache (wie zB Englisch) unter allen Umständen; vielmehr wird hier verlangt, dass ein solches Unternehmen der Fassung der AGB in einer Weltsprache wegen mangelnder Sprachkenntnisse unverzüglich widersprechen muss (7 Ob 275/03x; RS0118386). Umso weniger kann von durchschnittlichen Kunden der Beklagten, deren Vertragssprache Deutsch ist, ein Verständnis von in englischer Sprache abgefassten AGB der Code Share Partner der Beklagten verlangt werden.
[16] 1.5 Der Senat verkennt nicht, dass die Anforderungen an die Klarheit und Verständlichkeit nicht überspannt werden dürfen, zumal branchenbedingt bei schwierigen Ordnungsproblemen, wie sie zB im Recht der Finanzdienstleistungen oder im Bauvertragsrecht auftreten können, zwangsläufig eine gewisse Mindestkundigkeit des Verbrauchers unterstellt werden muss, sollen nicht ganze Branchen ihre juristische Kommunikationsfähigkeit verlieren (vgl 9 Ob 15/05d, dort Klausel 1; Krejci in Rummel, ABGB³ § 6 KSchG Rz 210; Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 6 KSchG Rz 88; Schurr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 6 Abs 3 KSchG Rz 41 f). Die Beklagte argumentiert, dass das Code Sharing Vorteile für den Kunden bringe, es jedoch unmöglich sei, die Einbeziehung der AGB ihrer Vertragspartner noch transparenter zu gestalten. Dass sich die Beklagte jedoch aus wirtschaftlichen Gründen zu dieser Vorgangsweise entschlossen hat und dass dies zur Folge hat, dass die Inhalte der Verträge, die sie mit ihren Kunden abschließt, aufgrund der Verflechtung mit den Geschäftspartnern unverständlich werden, ist nicht einer fachlichen (juristischen, technischen etc) Notwendigkeit, auf eine gewisse Art zu kommunizieren, geschuldet. Angeboten werden – auch bei Zusammenarbeit mit den Code Share Partnern – immer nur Flüge.
[17] 1.6 Die Revisionswerberin macht geltend, dass die Verpflichtungen aus der Fluggastrechte-VO das „ausführende“ Luftfahrtunternehmen treffen. Nur konsequent sei es daher, hinsichtlich der Ausgleichsansprüche auf die Bedingungen des Code Share Partners zu verweisen. Dadurch erst werde dem Kunden klar, an wen er sich zur Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen zu wenden habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Hinweis auf die vorrangig anzuwendenden AGB der Code Share Partner der Beklagten auch in diesem Zusammenhang (arg: „… dies betrifft insbesondere … Ausgleichsleistung“) gerade Unklarheit schafft. Denn er wäre entbehrlich, handelte es sich nur um die den Fluggästen aus der Fluggastrechte-VO in jedem Fall entstehenden Ansprüche.
2. Klausel 2; Pkt 2.5 Entgegenstehendes Recht (Abs 1 ABB)
„Im Falle des Widerspruchs zwischen diesen Allgemeinen Beförderungsbedingungen und unseren Tarifen oder dem anwendbaren Recht, gehen diese Tarife bzw. das anwendbare Recht den Allgemeinen Beförderungsbedingungen vor.“
[18] 2.1 Das Erstgericht beurteilte diese Klausel als salvatorisch und rechtskonform.
[19] Das Berufungsgericht untersagte der Beklagten die Verwendung der Klausel. Die Klausel definiere nicht, woraus sich der „Widerspruch“ zwischen den ABB und dem anwendbaren Recht ergebe. Sie umfasse nach ihrem Wortlaut jedenfalls auch missbräuchliche Klauseln. Das bedeute, dass auch missbräuchliche Klauseln durch dispositives Recht ohne Bedachtnahme darauf ersetzt würden, ob ein gänzlicher Wegfall für den Verbraucher Nachteile hätte. Dies stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349, Banco Español de Crédito SA).
[20] Dagegen argumentiert die Revision, dass der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 7 Ob 84/12x, 8 Ob 132/15t und 4 Ob 228/17h ähnliche Klauseln für zulässig erachtet habe. Die Klausel gebe lediglich die Rechtslage wieder und stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH. Der „Tarif“ sei der Preis, der für die Beförderung zu zahlen sei. Die Informationen zum jeweiligen Tarif erhalte der Kunde im Rahmen des Buchungsvorgangs. Überdies hätte das Erstgericht feststellen müssen, dass für den Kunden die Tarifinformationen auch aus der Buchungsbestätigung ersichtlich seien. Für den Kunden sei völlig klar, welcher Tarif gemeint sei und welchen Inhalt er habe. Schließlich bestehe zwischen dem Anwendungsbereich der Klauseln 1 und 2 keine Unklarheit, denn in Klausel 1 gehe es um die Durchführung des Flugs, in Klausel 2 um das dafür zu zahlende Entgelt.
[21] 2.2 Der Oberste Gerichtshof hat jüngst in den Entscheidungen 4 Ob 63/21z (Rz 15 ff und 75 ff) und 9 Ob 27/21t (Rz 11 ff) vergleichbare, in den Beförderungsbedingungen anderer Fluggesellschaft enthaltenen Klauseln für intransparent erachtet, weil sie den Kunden dazu verpflichteten, unterschiedliche Vertragsbestimmungen miteinander zu vergleichen und diese auf einen Widerspruch hin zu überprüfen. Dies widerspreche dem Gebot der Verständlichkeit des Sinns („Sinnverständlichkeit“) einer allgemeinen Vertragsbestimmung im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG. Die Unverständlichkeit der Regelung werde noch dadurch verstärkt, dass völlig unbestimmt auf irgendwelche Widersprüchlichkeiten Bezug genommen werde.
[22] 2.3 Der erkennende Senat teilt diese Rechtsauffassung. Die in der Klausel enthaltene Vorrangregelung zwingt den Kunden dazu, im Einzelfall erstens zu beurteilen, ob die ABB der Beklagten mit deren Tarifen oder dem anwendbaren Recht in Widerspruch stehen (vgl RS0122040 [T24]), und zweitens zu beurteilen, ob im Fall eines solchen Widerspruchs die Tarife der Beklagten und/oder das anwendbare Recht – das in der Klausel verwendete Wort „bzw“ lässt dies offen – vorrangig sind. Darüber hinaus bleibt vor dem Hintergrund der Klausel 1 auch unklar, ob die Tarife der Beklagten den ABB ihrer Code Share Partner vorgehen, oder die – umgekehrte – Vorrangregelung der Klausel 1 zur Anwendung kommt, falls deren ABB im Widerspruch zu den ABB der Beklagten, nicht aber zu deren Tarifen stehen sollte. Da für den durchschnittlichen Kunden ein allfälliger Widerspruch der ABB zu gesetzlichen Bestimmungen nicht durchschaubar und ohne Gerichtsverfahren nicht überprüfbar ist und er auch nicht zu beurteilen vermag, welche dispositiven Normen in einem solchen Fall an die Stelle der gesetzwidrigen Klausel treten, kann er sich aufgrund der Klausel kein klares Bild von seiner Rechtsposition verschaffen. Sie bürdet ihm das Risiko auf, seine Rechte selbst zu ermitteln (4 Ob 63/21z, Rz 22; RS0122045 [T3]). Auch aus diesem Grund fehlt es an einer Grundlage für die von der Revisionswerberin gewünschte Reduktion der Geltung der Klausel auf den sich auf die gesetzlichen Regelungen beziehenden Teil. Darüber hinaus sind nach dem Wortlaut des § 6 Abs 3 KSchG unklare und unverständliche Vertragsbestimmungen unwirksam. Eine geltungserhaltende Reduktion einer solchen intransparenten Klausel findet auch im Individualprozess nicht statt (RS0122168). Die in den Entscheidungen 7 Ob 84/12x (dort Klausel 22), 8 Ob 132/15t (dort Klausel 1 l) und 4 Ob 228/17h (dort Klausel 18) beurteilten Klauseln normierten die Rechtsfolgen für den Fall, dass bereits von der Unwirksamkeit einer Klausel auszugehen sei, weshalb sie mit der hier zu beurteilenden Klausel nicht vergleichbar sind (vgl 4 Ob 63/21z Rz 19 f).
3. Klausel 3; Pkt 2.6 Bestimmungen des Luftfrachtführers (Abs 1 der ABB)
„Sofern in diesen Allgemeinen Beförderungsbedingungen nicht anders geregelt, gehen im Falle des Widerspruchs zwischen diesen Allgemeinen Beförderungsbedingungen und anderen Bestimmungen, diese Allgemeinen Beförderungsbedingungen vor.“
[23] 3.1 Das Erstgericht sah die Klausel als intransparent an. Sie erlege dem Kunden zu weitreichende Verpflichtungen auf, seine Rechte selbst zu erkennen. Der Kunde müsse in allen wirksam vereinbarten Dokumenten prüfen, ob nicht dort festgelegte Bestimmungen durch Klauseln der ABB überlagert oder verdrängt werden. Der Begriff „andere Bestimmungen“ sei unbestimmt. Der Kunde wisse gar nicht, wo er nach solchen anderen Bestimmungen suchen müsste.
[24] Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung. Der Durchschnittsverbraucher verstehe diese Klausel so, dass die ABB der Beklagten allen anderen Bestimmungen vorgehen. Er wisse aber nicht, welche das im Einzelnen jeweils sein könnten. Er wisse auch nicht, ob zwingende Bestimmungen wie die Fluggastrechte-VO von den ABB der Beklagten überlagert werden sollen. Da der rechtsunkundige Verbraucher über die tatsächliche Rechtslage getäuscht werden könne, liege ein Verstoß gegen das Richtigkeitsgebot und damit das Transparenzgebot vor.
[25] Die Revision führt an, dass die Zweifelsregel für den Kunden Klarheit schaffe. Auch bei kundenfeindlichster Auslegung könne nicht unterstellt werden, dass mit „andere Bestimmungen“ zwingende gesetzliche Regelungen gemeint seien. Der Kunde werde daher nicht über die tatsächliche Rechtslage getäuscht.
[26] 3.2 Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Gebot der Vollständigkeit und das Richtigkeitsgebot (RS0115219 [T12]). Aufgrund des Richtigkeitsgebots widersprechen Bestimmungen, die die Rechtslage verschleiern oder undeutlich darstellen, dem Transparenzgebot, zumal dadurch der rechtsunkundige Verbraucher über die tatsächliche Rechtslage getäuscht werden kann (RS0115217 [T31]). Zutreffend haben die Vorinstanzen ausgeführt, dass nicht klar ist, was „andere Bestimmungen“ sein sollen, sodass der durchschnittliche Verbraucher darunter sehr wohl auch zwingendes Recht verstehen könne. „Andere Bestimmungen“ könnten aber etwa auch Bestimmungen aus den AGB der Code Share Partner der Beklagten sein, die jedoch nach Klausel 1 – insofern im Widerspruch zu Klausel 3 – vorrangig wären. Auch in diesem Zusammenhang ist auf die bereits zitierte Rechtsprechung zu verweisen, wonach die in der Klausel enthaltene Vorrangregelung nichts an der Intransparenz ändert, zwingt sie den Kunden doch dazu, im Einzelfall zu beurteilen, ob die ABB der Beklagten zu „anderen Bestimmungen“ in Widerspruch stehen oder nicht (RS0122040 [T24]).
4. Klausel 4; Pkt 8.6.2 (Aufgegebenes Gepäck) der ABB
„Ihr aufgegebenes Gepäckstück wird, soweit möglich, immer auf demselben Flugzeug wie Sie befördert, es sei denn, dass wir entscheiden, die Beförderung aus Sicherheitsgründen auf einem anderen Flug durchzuführen. Sollte Ihr aufgegebenes Gepäck auf einem unserer folgenden Flüge befördert werden, werden wir es Ihnen nach der Ankunft am Bestimmungsort zustellen, ausgenommen das anwendbare Recht erfordert Ihre Anwesenheit bei den Zollformalitäten.“
[27] 4.1 Das Erstgericht erachtete die Klausel nicht als versteckt im Sinn des § 864a ABGB, weil sie unter der Überschrift „Aufgegebenes Gepäck“ zu finden sei. Einleuchtend sei, dass Sicherheitsgründe eine Beförderung im selben Flugzeug verhindern können. Die Bestimmung über das Nachsenden von Gepäck führe zu keiner Benachteiligung des Kunden. Die Begriffe „Sicherheitsgründe“ und „Bestimmungsort“ seien dem durchschnittlichen Flugpassagier einleuchtend. Das Verständnis der Wortfolge „soweit möglich“ ergebe sich aus der Systematik der Klausel selbst und nehme nur Bezug auf die danach normierte Einschränkung. Die Klausel verstoße daher weder gegen § 879 Abs 3 ABGB noch gegen § 6 Abs 3 KSchG. Die Entscheidung der Beklagten, aus Sicherheitsgründen kein Gepäck mitzunehmen, sei sachlich gerechtfertigt. Da die Beklagte umfassend zur Zustellung verpflichtet sei und das Montrealer Übereinkommen Schadenersatzansprüche auslöse, wenn eine verschuldete Verspätung der Zustellung auf Seiten der Beklagten vorliege, sei von einem zulässigen lediglich geringfügigen Leistungsvorbehalt auszugehen, der nicht gegen § 6 Abs 2 Z 3 KSchG verstoße.
[28] Das Berufungsgericht sah auch diese Klausel als unzulässig an. Zwar sei die Klausel keineswegs „versteckt“ im Sinn des § 864a ABGB, sie sei auch sachlich gerechtfertigt. Aufgrund der in ihr enthaltenen Unschärfen sei sie jedoch gröblich benachteiligend. Die Beifügung „so weit möglich“ sei sprachlich von der Wortfolge „es sei denn, dass wir entscheiden“ getrennt. Dies führe bei kundenfeindlichster Auslegung dazu, dass es der Beklagten nach Gutdünken überlassen bleibe, das Gepäck auch aus anderen Gründen auf einem anderen Flug mitzuführen. Aufgrund dieses unbegrenzten Entscheidungsspielraums der Beklagten sei die Klausel auch intransparent und enthalte damit auch eine nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG sachlich nicht gerechtfertigte und keineswegs geringfügige einseitige Einschränkung der Leistungsverpflichtung der Beklagten. Da die Klausel von „einem unserer folgenden Flüge“ spreche, bestehe für den Fall der Beförderung des Gepäckstücks auf einem anderen Flug – etwa durch ein Partnerunternehmen – überhaupt keine Verpflichtung der Beklagten, das Gepäckstück zuzustellen, was ebenfalls gröblich benachteiligend sei.
[29] Die Revision macht geltend, dass sich die Wortfolge „soweit möglich“ auf Sicherheitsgründe beziehe und nicht unabhängig von der Wortfolge „es sei denn“ gelesen werden könne. Die Nichtbeförderung eines Gepäckstücks aus Sicherheitsgründen sei sachlich gerechtfertigt, die Sicherheit der Passagiere gehe immer vor. Die Wortfolge „auf einem unserer folgenden Flüge befördert werden“ benachteilige den Kunden nicht, weil auch im Rahmen des Code Sharing immer die Beklagte Vertragspartner des Kunden bleibe.
[30] 4.2 Aufgrund der hier gebotenen „kundenfeindlichsten“ Auslegung (RS0016590) teilt der erkennende Senat die Rechtsansicht des Berufungsgerichts. Ergänzend ist auszuführen:
[31] 4.3 Die Wendung „soweit möglich“ wäre sprachlich nicht notwendig, um die Einschränkung der Beförderung von Gepäckstücken allein aus Sicherheitsgründen auszudrücken. Dass sie dennoch in die Klausel aufgenommen wurde, ermöglicht erst die Lesart, dass ein Gepäckstück auch aus anderen Gründen als Sicherheitsgründen nicht auf einem Flug mitgenommen wird. Da andere Gründe in der Klausel nicht genannt sind, bleibt es bei kundenfeindlichster Auslegung der Willkür der Beklagten überlassen, in welchen Fällen sie das Gepäck getrennt transportiert. Bereits aus diesem Grund ist die Klausel gröblich benachteiligend, aber auch intransparent, weil nicht klar ist, in welchen Fällen die Beklagte das Gepäck getrennt transportiert. Der durch die Formulierung „soweit möglich“ unbegrenzte und daher sachlich nicht gerechtfertigte Entscheidungsspielraum der Beklagten stellt keine bloß geringfügige einseitige Einschränkung der Leistungsverpflichtung dar, sodass die Klausel auch gegen § 6 Abs 2 Z 3 KSchG verstößt.
[32] 4.4 Gerade die Verwendung des Konjunktivs: „Sollte Ihr aufgegebenes Gepäck auf einem unserer folgenden Flüge befördert werden“ lässt Raum für die Lesart, dass sich die Beklagte die Möglichkeit offen hält, das Gepäck nicht auf einem „unserer“ Flüge zu transportieren. Dabei spielt keine Rolle, ob „unsere“ Flüge nur solche der Beklagten, oder auch ihrer Code Share Partner sein mögen. Auch bei dieser weiteren Lesart des Wortes „unser“ wäre die Beklagte nach dem Wortlaut der Klausel berechtigt, das Gepäck auf einem Flug eines Dritten befördern zu lassen. In einem solchen Fall ist sie jedoch nicht verpflichtet, es dem Kunden an den Bestimmungsort nachzutransportieren.
5. Klausel 5; Pkt 10.2 Erstattungsbetrag bei freiwilliger Erstattung (10.2.1.1 und 10.2.1.2 der ABB)
„10.2 Erstattungsbetrag bei freiwilliger Erstattung
10.2.1.1
- wurde kein Teil des Tickets abgeflogen, wird der bezahlte Flugpreis abzüglich anwendbarer Bearbeitungs- und Stornogebühren ersetzt;
10.2.1.2
- wurde ein Teil des Tickets abgeflogen, wird die Differenz zwischen dem bezahlten Flugpreis und dem Preis für den Teil der Strecke, der abgeflogen wurde, abzüglich anwendbarer Bearbeitungs- und Stornogebühren ersetzt.“
[33] 5.1 Das Erstgericht erachtete die Klausel als nicht gröblich benachteiligend, jedoch als intransparent. Der Ausdruck „anwendbare Bearbeitungsgebühren“ zwinge den Kunden, sich diese aus unterschiedlichen Bestimmungen zusammenzusuchen. Der Beklagten sei es möglich, in anderen Ländern geltende unterschiedliche Gebühren in einer nachvollziehbaren Weise zusammenstellen oder entsprechende konkrete Hinweise in ihre Bestimmung aufnehmen. Überdies sei auch der Begriff „Stornogebühr“ unklar, weil eine klassische Stornogebühr gar nicht verrechnet werde.
[34] Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht. Fluglinien dürften nach der Rechtsprechung – auch des BGH – die unterschiedliche Gestaltung ihrer Tarifsysteme durchsetzen. Auch ein Abweichen vom dispositiven Recht sei zulässig, weil die dispositiven Grundregeln den Erfordernissen der Kalkulation eines Luftverkehrsunternehmens nicht gerecht werden. Ein Ersatz der in § 1168 ABGB vorgesehenen Verpflichtung des Kunden zur Bezahlung des Werklohns abzüglich der ersparten Aufwendungen des Werkunternehmers für den Fall einer aus der Sphäre des Kunden stammenden Nichtinanspruchnahme der Leistung – solche Fälle regle die Klausel – durch die Verpflichtung des Kunden, Bearbeitungsgebühren zu zahlen, könne daher sachgerecht und für sich auch nicht benachteiligend sein. Der Begriff „anwendbare“ Bearbeitungsgebühren setze jedoch eine Nachforschung des Kunden voraus, die zumindest nicht ganz einfach sei. Die Zusammenschau aus Tarif, Buchungsbestätigung und allgemeiner Übersicht überspanne die Anforderungen an den Durchschnittsverbraucher. Dazu komme, dass – selbst wenn man davon ausgehe, dass der Kunde diese Bestandteile herausfinden und in die richtige Beziehung setzen könne – letztlich dennoch Zweifel blieben, ob alles gefunden sei, was „anwendbar“ sei. Die Klausel bräuchte, um nicht intransparent zu sein, zumindest einen klaren Hinweis auf die heranzuziehenden Bestimmungen. Die Intransparenz werde durch die Verwendung des Wortes „Stornogebühr“ noch verstärkt. Im kundenfeindlichsten Sinn verstanden, könnte sich aus einer anderen Bestimmung eine „anwendbare“ Stornogebühr ergeben, die zu den Bearbeitungsgebühren hinzutrete (arg „und“).
[35] Die Revision argumentiert, dass die Beklagte in den allgemeinen Informationen, beim Buchungsvorgang und in der Buchungsbestätigung über die einzelnen Bearbeitungsgebühren informiere. Über einen Link in der Buchungsbestätigung werde der Kunde auf die gegebenenfalls anfallenden Bearbeitungsgebühren hingewiesen. Die Darstellung der unterschiedlichen Gebühren müsse nicht zwingend in den ABB selbst erfolgen, dort müsse es auch keine Verlinkung geben. Dem Kunden könne zugemutet werden, neben den ABB auch noch seine Tarifdetails bzw Buchungsbestätigung durchzusehen. Auch der Begriff „Stornogebühr“ sei für sich genommen nicht intransparent. In Zusammenschau mit den Tarifdetails bzw der Buchungsbestätigung sei für den Kunden klar, welche Gebührenbelastung auf ihn im Fall einer freiwilligen Erstattung zukomme und dass es zu keiner kumulativen Gebührenerstattung komme.
[36] 5.2 Dem ist entgegenzuhalten, dass sich die Höhe der Bearbeitungsgebühr weder aus der Klausel 5 selbst noch aus einem in dieser enthaltenen Hinweis ergibt. Die Revisionswerberin leitet die Zulässigkeit der Klausel ausschließlich aus dem Buchungsvorgang im Einzelfall und den dabei dem Kunden erteilten Hinweisen auf die Bearbeitungsgebühren ab. Darauf ist aber nicht Bedacht zu nehmen, weil im Verbandsprozess weder auf die praktische Handhabung noch auf individuelle Erklärungen oder Vereinbarungen Rücksicht genommen werden kann (RS0121726 [T4]). Dass sich der Kunde anhand von allgemeinen Informationen und Buchungsunterlagen über Bearbeitungsgebühren informieren muss, birgt die Gefahr, dass er durch ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird (vgl etwa RS0115219 [T1]; RS0037107 [T5, T6]). Dazu kommt, dass sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lässt, wo der Kunde Höhe und Anwendungsfälle der Stornogebühren recherchieren könnte. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass sich aus der Formulierung „Bearbeitungs- und Stornogebühren“ für den Kunden der Eindruck ergeben kann, dass Stornogebühren zusätzlich zu Bearbeitungsgebühren zu entrichten seien. Selbst wenn der Kunde die sich aus dem Vorbringen der Beklagten ergebenden Quellen liest, verbliebe eine Unsicherheit über mögliche zusätzliche Stornogebühren. Der Kunde hat keine Möglichkeit, Inhalt und Tragweite der Klausel zu durchschauen (vgl RS0122169 [T2]), sodass sie das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG verletzt.
[37] 6. Die Beklagte erachtet das Veröffentlichungsbegehren allein deshalb nicht für berechtigt, weil bereits der Unterlassungsanspruch nicht zu Recht bestehe. Sie zeigt damit keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Veröffentlichungsbegehrens durch die Vorinstanzen auf.
[38] Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[39] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E133790European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00019.21Y.1214.000Im RIS seit
11.02.2022Zuletzt aktualisiert am
11.02.2022