TE OGH 2022/1/24 15Os140/21h

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Veröffentlicht am 24.01.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 30. August 2021, GZ 607 Hv 4/21z-161, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1./) und des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er am 28. September 2012 in W* * X*

1./ vorsätzlich zu töten versucht, indem er sie von hinten mit einem Holzstiel niederschlug, ihr mehrere Messerstiche „gegen Kopf- und Gesichtsbereich“ sowie gegen den Oberkörper versetzte und ihr den etwa 5 cm dicken Holzstiel in den Mund stieß, wodurch * X* eine Rissquetschwunde im Scheitel-/Hinterkopfbereich, eine Durchstichverletzung im Bereich der Oberlippe, mehrere Schnittverletzungen in der Mundhöhle und an der rechten Wange, zwei Schnittverletzungen an der Zunge, mehrere kleine Schnitte im Gesicht, eine Schnittwunde im Bereich des linken Schlüsselbeins, zwei Schnittverletzungen im Bereich des rechten Unterarms, eine 3,5 cm lange (die Brusthöhle eröffnende) Schnittwunde im Bereich der vorderen Brustkorbhälfte oberhalb der linken Brust, einen Schnitt im Bereich der rechten Brust „erlitt und ihr eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs 1) zugefügt, indem die Tat bei * X* eine posttraumatische Belastungsstörung (Intrusionen, Dissoziationen, depressive und vegetative Symptome, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Suizidgedanken und ein ausgeprägtes Angstgeschehen) zur Folge hatte“;

2./ mit Gewalt gegen eine Person unter Verwendung von Waffen fremde bewegliche Sachen, und zwar ihre Handtasche mit dem darin befindlichen Bargeld von 15.200 Euro, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er sie von hinten mit einem Holzstiel niederschlug, ihr mehrere Messerstiche gegen Kopf- und Gesichtsbereich sowie gegen den Oberkörper versetzte, ihr den etwa 5 cm dicken Holzstiel in den Mund stieß, ihre Handtasche entriss und flüchtete.

[3]       Die Geschworenen hatten die gestellten Hauptfragen 1./ nach dem Verbrechen des (versuchten) Mordes nach §§ 15, 75 StGB und 2./ nach dem Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1 und 143 Abs 1 zweiter Fall StGB bejaht und demgemäß die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 1./ und Bejahung der Hauptfrage 2./ gestellte Eventualfrage 1./ (vgl RIS-Justiz RS0100631; Lässig, WK-StPO § 317 Rz 14) nach den (Erfolgs-)Qualifikationen des § 143 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

[5]       Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert, die Geschworenen hätten zufolge der Anführung der Verletzungen in der Hauptfrage 1./ keine Möglichkeit gehabt, „die Frage nach der Zufügung von Verletzungen mit schweren Dauerfolgen zu bejahen, ohne gleichzeitig den Angeklagten der versuchten Tötung schuldig zu erkennen“. Inhaltlich rügt der Angeklagte unter Hinweis auf seine Verantwortung, er habe dem Opfer „nur Schmerzen und Hautverletzungen zufügen“, es aber „keinesfalls töten wollen“, das Unterbleiben einer gesonderten Frage nach schweren Dauerfolgen im Sinn des § 85 StGB.

[6]            Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt vom Beschwerdeführer die deutliche und bestimmte Bezeichnung einerseits der vermissten Fragen, andererseits jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, vorliegend somit eines die begehrten Fragen indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0117447; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Beruft sich der Angeklagte dabei auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse, darf der Nachweis der Nichtigkeit nicht auf Grundlage isoliert herausgegriffener Teile derselben geführt werden, sondern ist das jeweilige Verfahrensergebnis in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766).

[7]            Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, indem sie die in Richtung eines bewaffneten Raubes geständige Verantwortung des Angeklagten vernachlässigt (ON 146 S 3–12) und somit gerade kein Tatsachensubstrat aufzeigt, das für einen bloß mit Misshandlungs- oder Verletzungsvorsatz ohne gleichzeitigen Raubvorsatz getätigten gewaltsamen Angriff auf das Opfer spräche. Weshalb aber trotz der beim Eintritt schwerer Verletzungsfolgen einsetzenden höheren Strafdrohung beim Raub (echte) Idealkonkurrenz zwischen § 84 oder § 85 StGB und dem Verbrechen des Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB oder nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Fall StGB eintreten sollte (vgl RIS-Justiz RS0092713; zur stillschweigenden Subsidiarität gestufter Erfolgsqualifikationen vgl RIS-Justiz RS0092697, RS0126577; 15 Os 61/08x) und demzufolge die gewünschte Eventualfrage indiziert gewesen sein sollte (§ 312 Abs 2 StGB; RIS-Justiz RS0100788; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 4, 16, 25, § 314 Rz 1, 3 und § 317 Rz 9), lässt die Beschwerde offen.

[8]            Der den Tötungsvorsatz leugnenden Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung trug der Schwurgerichtshof dadurch Rechnung, dass er eine Eventualfrage nach den (Erfolgs-)Qualifikationen des § 143 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB stellte und die Geschworenen instruierte, diese Frage nur im Fall der Verneinung der Hauptfrage 1./ und Bejahung der Hauptfrage 2./ zu beantworten und gegebenenfalls auch eine der beiden Folgen zu streichen (Rechtsbelehrung S 21 ff).

[9]            Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) wendet der Beschwerdeführer weiters ein, die Geschworenen hätten im Fall einer allfälligen Verneinung der Hauptfrage 1./ zugleich den Eintritt der darin angeführten Verletzungsfolgen verneint, sodass eine daran anschließende Bejahung der gerade für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 1./ gestellten Eventualfrage 1./ per se zu einem „unauflösbaren Widerspruch“ im Wahrspruch geführt hätte. Diese Beschwerdeauffassung basiert auf der augenscheinlichen Hypothese, die Verneinung einer Frage durch die Geschworenen wäre mit einer Verneinung sämtlicher in dieser Frage enthaltener Sachverhaltselemente gleichzusetzen. Ein solcher Ansatz würde im Ergebnis bedeuten, dass in Fällen allfälliger Überschneidung von Tatbestandselementen der nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung in Betracht kommenden strafbaren Handlungen stets nur eine einzige Frage gestellt werden könnte. Weshalb die Bestimmungen der StPO ein solches Verständnis des Fragesystems begründen sollten, lässt die Beschwerde nicht erkennen (siehe aber insbesondere § 312 Abs 2, §§ 314, 317 StPO).

[10]     Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

[11]     Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E133760

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00140.21H.0124.000

Im RIS seit

10.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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