Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * I* GmbH, *, vertreten durch Tschurtschenthaler Walder Fister Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, und der auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenienten 1. H* GmbH, *, vertreten durch Mag. Georg Luckmann, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, 2. B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, 3. H* GmbH, *, vertreten durch Mag. Thomas Di Vora, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, 4. H*-Ges.m.b.H., *, und 5. Ing. M*, beide vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. DI (FH) K* und 2. Mag. N*, beide *, beide vertreten durch Dr. Josef Goja, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 29.736,91 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. November 2020, GZ 5 R 93/20s-171, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 28. April 2020, GZ 50 Cg 81/15g-163, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Parteien wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahingehend abgeändert, dass es – einschließlich der unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Abweisung durch das Erstgericht – zu lauten hat:
„1. Die Klagsforderung besteht mit 9.116,41 EUR sA zu Recht.
2. Die Gegenforderung besteht mit 2.593,90 EUR zu Recht.
3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 6.522,51 EUR samt 8 % Zinsen aus 7.360 EUR von 18. 12. 2012 bis 1. 1. 2013, aus 19.573,38 EUR von 2. 1. 2013 bis 11. 2. 2013, aus 9.116,41 EUR von 12. 2. 2013 bis 14. 4. 2018, aus 7.016,41 EUR von 15. 4. 2018 bis 18. 4. 2019 und aus 6.522,51 EUR seit 19. 4. 2019 binnen vierzehn Tagen zu Handen des Klagevertreters zu bezahlen.
4. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 23.214,40 EUR samt 8 % Zinsen aus 12.640 EUR von 18. 12. 2012 bis 1. 1. 2013, aus 13.260,50 EUR von 2. 1. 2013 bis 8. 10. 2017, aus 20.620,50 EUR von 9. 10. 2017 bis 14. 4. 2018, aus 22.720,50 EUR von 15. 4. 2018 bis 18. 4. 2019 und aus 23.214 EUR seit 19. 4. 2019 zu bezahlen, wird abgewiesen.
5. Die Kostenentscheidung wird bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten.“
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Erstgericht vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Kauf- und Bauträgervertrag vom 22. 2. 2012 erwarben die Beklagten von der Klägerin, einer Bauträgergesellschaft, Wohnungseigentum an einer Wohnung und zwei Tiefgaragenabstellplätzen in der Wohnungseigentumsanlage „*“ in *. Das Wohnungseigentumsobjekt wurde den Beklagten am 31. 8. 2012 übergeben. Bei den Erst- bis Viertnebenintervenientinnen handelt es sich um bauausführende Unternehmen, der Fünftnebenintervenient war als Planer tätig.
[2] Der Kauf- und Bauträgervertrag sah unter anderem vor, dass ein Teilbetrag von 9 % des vereinbarten Kaufpreises nach Einlangen einer schriftlichen Bestätigung des Baufortschrittprüfers, mit welcher die Fertigstellung des jeweiligen Hauses (Fertigstellung der für die Käufer gewöhnlich nutzbaren Teile der Gesamtanlage) gemäß den Kriterien des BTVG festgestellt wird, zur Zahlung an die Verkäuferin fällig wird, sofern zu diesem Zeitpunkt bereits die Fälligkeit aller vorherigen Raten eingetreten ist und alle diesbezüglichen Voraussetzungen weiterhin aufrecht sind, und dass der Restbetrag von 2 % als Haftrücklass dient.
[3] Die Käufer sollten berechtigt sein, den auf den Haftrücklass entfallenden Kaufpreisteilbetrag zur Sicherung allfälliger Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche aufgrund mangelhafter Leistung für die Dauer von drei Jahren ab der Übergabe des eigentlichen Vertragsgegenstands einzubehalten. Dieser Betrag sollte aber Zug um Zug mit der verbindlichen Übergabe des eigentlichen Vertragsgegenstands vorzeitig zur Zahlung fällig werden, sobald die Verkäuferin eine abstrakte und auf erstes Anfordern fällige Bankgarantie eines zur Geschäftsausübung im Inland berechtigten Bankinstitutes über einen gleich hohen Betrag und mit Laufzeit bis drei Jahre ab Übergabe des eigentlichen Vertragsgegenstands dem Vertragserrichter zu treuen Handen übergibt.
[4] Am 23. 11. 2012 übergab ein Bankinstitut dem Vertragserrichter eine solche abstrakte Bankgarantie in Höhe des Haftrücklasses von 7.360 EUR zu Gunsten der Beklagten. Mit der sechsten Teilrechnung vom 17. 12. 2012 stellte die Klägerin die letzte Kaufpreisrate sowie den durch die Bankgarantie abgelösten Haftrücklass, insgesamt daher 40.480 EUR, in Rechnung. Die Beklagten leisteten am 20. 12. 2012 eine Zahlung von 20.480 EUR, den Haftrücklass von 7.360 EUR und weitere 12.640 EUR behielten sie wegen behaupteter Mängel ein. Zusätzlich forderten sie die Bank mehrfach auf, den Haftrücklassgarantiebetrag an sie auszubezahlen. Die Bank kam dieser Aufforderung im Oktober 2017 nach und belastete die Klägerin mit 7.360 EUR.
[5] Die Beklagten hatten der Klägerin einen Auftrag zur Ausführung diverser Sonderwünsche erteilt. Hiefür wurde den Beklagten mit Rechnung vom 31. 12. 2012 ein Betrag von 12.833,88 EUR verrechnet. Auf diese Rechnung leisteten die Beklagten am 12. 2. 2013 eine Zahlung von 10.456,97 EUR. Der einbehaltene Betrag umfasste den Bauträgerzuschlag von 620,50 EUR, das Planungshonorar von 1.116 EUR sowie weitere 637,41 EUR wegen angeblicher Maßdifferenzen. Letztere konnten nicht festgestellt werden.
[6] Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung am 26. 8. 2015 lagen in der Wohnung der Beklagten Mängel vor, die einen Sanierungsaufwand von zumindest 2.920 EUR erforderten. Außerdem gab es Mängel an allgemeinen Teilen der Liegenschaft mit einem Sanierungsaufwand von zumindest 32.954 EUR, wovon 609,35 EUR auf den Anteil der Beklagten entfielen. Insbesondere waren Mängel an der Wasseraufbereitungsanlage der Wohnanlage vorhanden, die das Leitungswasser als Trinkwasser unbrauchbar machten.
[7] Aufgrund der während des Verfahrens durchgeführten Sanierungsarbeiten bestehen seit 20. 2. 2019 in der Wohnung der Beklagten keine Mängel mehr, noch immer aber solche an allgemeinen Teilen der Liegenschaft. Diese befinden sich konkret an der Außenfassade (Behebungsaufwand 500 EUR/anteilig 9,25 EUR), an den Außenanlagen (Behebungsaufwand 6.486 EUR/anteilig 120 EUR), an der Pseudo-Attika (Behebungsaufwand 240 EUR/anteilig 4,44 EUR), sowie an den Grünflächen (Behebungsaufwand 22.968 EUR/anteilig 425 EUR). Insgesamt beläuft sich der Behebungsaufwand somit auf 30.194 EUR, wovon 558,69 EUR auf die Anteile der Beklagten entfallen.
[8] Eine Zustimmung der Eigentümergemeinschaft zur Geltendmachung der Mängel an den Allgemeinflächen der Anlage durch die Beklagten liegt nicht vor. Vor dem Landesgericht Klagenfurt behängt seit 28. 6. 2019 eine Klage der Eigentümergemeinschaft gegen die (hier) Klägerin, die (primär) ebenfalls auf die Verbesserung der Mängel an den Allgemeinflächen der Wohnungseigentumsanlage gerichtet ist.
[9] Die Klägerin begehrte zuletzt Zahlung von 29.736,91 EUR sA, bestehend aus den aushaftenden Restbeträgen aus der sechsten Teilrechnung vom 17. 12. 2012 (20.000 EUR einschließlich des einbehaltenen Haftrücklasses) und der „Sonderwunschrechnung“ vom 31. 12. 2012 (2.376,91 EUR) sowie dem im Jahr 2017 abgerufenen Garantiebetrag. Die von den Beklagten behaupteten Baumängel seien großteils saniert oder der Klägerin nicht zuzurechnen. Ein Zurückbehaltungsrecht stehe den Beklagten daher nicht mehr zu. Der Abruf der Garantie sei rechtsmissbräuchlich erfolgt.
[10] Die Beklagten wandten ein, es bestünden nach wie vor (näher bezeichnete) zahlreiche Mängel, die sie zur Einrede des nicht erfüllten Vertrags und zur Zurückbehaltung des restlichen Kaufpreises berechtigen würden. Sie seien auch ohne Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen betreffend die an den allgemeinen Teilen der Wohnanlage vorhandenen Mängel berechtigt. Aus der Rechnung über die Sonderwünsche stünden weder Bauträgerzuschuss noch Planungshonorar zu. Die Beklagten wandten überdies diverse Gegenforderungen aufrechnungsweise ein.
[11] Das Erstgericht erachtete die Klagsforderung mit 29.116,41 EUR und die Gegenforderung mit 2.593,90 EUR als zu Recht bestehend und erkannte die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin den Betrag von 26.522,51 EUR sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren wies es ab.
[12] Das Erstgericht traf umfangreiche Feststellungen zu den geltend gemachten Mängeln und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beklagten den Kaufpreisrest zwar zunächst zu Recht einbehalten hätten. Nach den mittlerweile durchgeführten Sanierungsmaßnahmen rechtfertige aber die Summe der auf ihre Miteigentumsanteile entfallenden Kosten zur Behebung der nur an allgemeinen Teilen der Liegenschaft verbliebenen Mängel keinesfalls mehr die Leistungsverweigerung. Der Haftrücklass sei nach der getroffenen vertraglichen Regelung bereits mit der Übergabe der Bankgarantie an den Vertragserrichter zur Zahlung fällig geworden. Auch eine weitere Einbehaltung der gezogenen Haftrücklassgarantie sei nicht gerechtfertigt, zumal die Gewährleistungsfrist bei Abruf der Garantie längst abgelaufen gewesen sei. Allerdings sei von der Rechnung über die Sonderwünsche der verrechnete Bauträgerzuschuss in Abzug zu bringen, weil ein solcher nicht vereinbart worden sei.
[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und änderte über Berufung der Viertnebenintervenientin und des Fünftnebenintervenienten das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es lediglich eine Gegenforderung von 150 EUR als zu Recht bestehend erkannte und der Klägerin einen Betrag von 28.966,41 EUR sA zusprach. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
[14] Zum Zurückbehaltungsrecht der Beklagten führte das Berufungsgericht aus, dass der Oberste Gerichtshof zwar zuletzt bei Mängelbehebungskosten von 2,7 % eines Restwerklohns das Leistungsverweigerungsrecht am Schikaneverbot habe scheitern lassen, aber keine fixe Prozentsatzgrenze anerkenne, ab deren Unterschreitung Rechtsmissbräuchlichkeit anzunehmen sei. Das volle Leistungsverweigerungsrecht bestehe vielmehr dann nicht, wenn von einem Missverhältnis zwischen den vom Gewährleistungsberechtigten verfolgten Interessen an der Leistungsverweigerung und dem Interesse des Werkunternehmers an der Bezahlung des Werklohns für den mängelfreien Teil des Werks auszugehen sei. Dabei sei nicht allein die Höhe der Behebungskosten entscheidend, sondern die Wichtigkeit des Mangels, die nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Interessenabwägung zu beurteilen sei. Die Verneinung des Zurückbehaltungsrechts der Beklagten ab 20. 2. 2019 (neuerliche Befundung durch den Sachverständigen) sei hier im Hinblick auf die weitestgehende Mängelfreiheit nach den durchgeführten Sanierungen an der Wohnungseigentumsanlage „vertretbar“.
[15] Da das Deckungskapital beim Mängelbeseitigungsanspruch an allgemeinen Teilen der Liegenschaft als Gesamtanspruch von jedem einzelnen Wohnungseigentümer nur in dem seinen Anteil entsprechenden Umfang begehrt werden könne, erscheine es sachgerecht, wenn die Wohnungseigentümer im Rahmen ihres Zurückbehaltungsrechts (§ 1052 ABGB) ebenfalls nur den aliquoten – hier 1,85 % betragenden – Verbesserungsaufwand an den allgemeinen Teilen der Liegenschaft dem sie betreffenden Kaufpreisrest entgegenhalten könnten. Der aliquote gesamte Mängelbehebungsaufwand von 558,69 EUR, stehe in einem krassen Missverhältnis zum zurückbehaltenen Kaufpreisrest von 20.000 EUR (inklusive Haftrücklass in Höhe von 7.360 EUR), betrage er doch nur 2,8 % davon. Bei der gebotenen Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls könne die als gering einzuschätzende Wichtigkeit der Behebung der verbliebenen Mängel für die Beklagten die Zurückbehaltung des restlichen Kaufpreises nicht mehr rechtfertigen.
[16] Seinen abändernden Ausspruch über die Gegenforderung begründete das Berufungsgericht damit, dass die vom Erstgericht anerkannte Forderung der Beklagten auf Ersatz der wegen der nicht ordnungsgemäß funktionierenden Wasseraufbereitungsanlage aufgewendeten Mineralwasser- und Wasserbezugskosten nicht aufrechnungsweise eingewandt worden sei. Dem Erstgericht sei insoweit ein Verstoß gegen § 405 ZPO unterlaufen.
[17] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil der Rechtsfrage, ob der einzelne Wohnungseigentümer mit der Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 1052 ABGB) hinsichtlich Mängeln an Allgemeinteilen der Liegenschaft dem Bauträger gegenüber den gesamten Verbesserungsaufwand oder nur den auf ihn entfallenden aliquoten (Mindest-)Anteil entgegenhalten könne, erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme und dazu keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[18] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[19] Die Klägerin, die Zweit- und die Viertnebeninterventin sowie der Fünftnebenintervenient streben in ihren Revisionsbeantwortungen die Zurückweisung der Revision an und beantragen hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[20] Die Revision der Beklagten ist zulässig im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts; sie ist auch teilweise berechtigt.
[21] Die Beklagten machen zusammengefasst geltend, aus der Entscheidung 5 Ob 142/03y sei ableitbar, dass die einzelnen Wohnungseigentümer den dem tatsächlichen Verbesserungsaufwand entsprechenden Gesamtanspruch auf Verbesserung von Mängeln an den allgemeinen Teilen der Wohnungseigentumsanlage einwenden könnten. Auf dieser Grundlage hätten die Beklagten ihr Leistungsverweigerungsrecht keinesfalls schikanös ausgeübt, weil schon der verbliebene Sanierungsaufwand von 30.194 EUR den einbehaltenen Betrag von insgesamt 27.360 EUR übersteige. Doch selbst wenn nur von einer anteiligen Berücksichtigung des Sanierungsaufwands auszugehen wäre, spräche eine Interessenabwägung für die Beklagten und die Zurückbehaltung wäre nicht schikanös. Dazu komme, dass weitere Mängel unberücksichtigt geblieben bzw nicht bewertet worden seien. Zur weiterhin mangelhaften Wasseraufbereitungsanlage lägen auch sekundäre Feststellungsmängel vor.
Hiezu wurde erwogen:
[22] 1. Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[23] 2. Sowohl dem Käufer einer Sache als auch dem Besteller eines Werks ist es zum Schutz seines Gewährleistungsanspruchs (§§ 932, 1167 ABGB) gestattet, den Vollzug der Gegenleistung solange hinauszuschieben, bis der andere Teil seinen Verpflichtungen voll entsprochen hat (RS0019891). Dem Gläubiger steht also neben der aktiven Verfolgung des Anspruchs auf Mängelbeseitigung bis zur völligen Erfüllung der Verbindlichkeit des Schuldners, also bis zur Verbesserung bestehender Mängel, auch das auf der Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags (§ 1052 ABGB) beruhende Leistungsverweigerungsrecht zu. Dadurch soll er die Möglichkeit haben, seinen Gewährleistungsanspruch zu sichern, weil Verbesserungsansprüche mangels Gleich-artigkeit mit Werklohnforderungen (bzw Kaufpreis-forderungen) nicht kompensiert werden können (vgl 1 Ob 93/11z mwN; 5 Ob 191/20d). Das Leistungsver-weigerungsrecht ist ein Sicherungs- und Druckausübungsinstrument, mit dem der Vertragsgegner zur Einhaltung seiner vertraglichen Pflichten angehalten werden kann (RS0018507; RS0021730).
[24] 3. Der Besteller (Käufer) kann nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich den gesamten Werklohn (Kaufpreis) zurückbehalten und nicht nur den der Höhe nach auf die Behebung des Mangels entfallenden Teil des Deckungskapitals (RS0018507; RS0021872 ua).
[25] 4. Das Leistungsverweigerungsrecht steht grundsätzlich auch bei Vorliegen geringfügiger Mängel zu, es sei denn, die Ausübung dieses Rechts artet zur Schikane aus (RS0020161; RS0018507 [T7, T8]; RS0021872 [T4, T9, T10]; RS0021730). Letzteres ist nach der Rechtsprechung nicht nur dann der Fall, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026265). Bei dieser Beurteilung wird einerseits auf das Verhältnis zwischen dem noch offenen Werklohn bzw Kaufpreis und dem Verbesserungsaufwand (und nicht auf dessen Verhältnis zum gesamten Werklohn bzw Kaufpreis) abgestellt (5 Ob 200/02a mwN; 3 Ob 142/08s mwN; jüngst 5 Ob 191/20d; RS0020161 [T6]), ohne dass es eine „fixe Prozentsatzgrenze“ im Verhältnis zwischen (restlichem) Werklohn bzw Kaufpreis und Verbesserungsaufwand gibt (RS0026265 [T6]). Andererseits ist auch auf die Wichtigkeit der Behebung des Mangels für den Besteller (Käufer) Bedacht zu nehmen (5 Ob 108/11k; RS0022044).
[26] 5. Dem Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts steht die Sachlegitimation zur Geltendmachung der Rechte aus seinem individuellen Vertrag mit dem Bauträger auch dann (allein) zu, wenn die Mängel nicht (nur) sein eigenes Wohnungseigentumsobjekt, sondern allgemeine Teile des Hauses betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung können einzelne Wohnungseigentümer solche Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche auch ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer geltend machen (5 Ob 40/18w; RS0082907; RS0119208). Nur wenn und soweit das Vorgehen des einzelnen Eigentümers Gemeinschaftsinteressen beeinträchtigen könnte, ist ein Beschluss der Mehrheit der Gemeinschaftsmitglieder oder eine diesen Mehrheitsbeschluss substituierende Entscheidung des Außerstreitrichters erforderlich (10 Ob 56/19m; RS0108157 [T3, T4 uva]; RS0108158).
[27] 6. Eine solche unterschiedliche Interessenlage könnte insbesondere in der möglichen Wahl zwischen Verbesserungs- und Preisminderungsbegehren liegen (4 Ob 10/16y mwN; 5 Ob 40/18w). Dass hier ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten besteht, ist nicht strittig.
[28] 7. Im Gegensatz zu Geldforderungen, wie dem Begehren auf Ersatz der Verbesserungskosten, auf einen Vorschuss auf das Verbesserungskapital oder dem Preisminderungsbegehren, wo dem einzelnen Wohnungseigentümer nur ein aliquoter, seinem Miteigentumsanteil entsprechender Anspruch zusteht (5 Ob 296/00s; 5 Ob 21/09p; 5 Ob 40/18w), ist der Anspruch auf Mängelbeseitigung an allgemeinen Teilen des Hauses kein teilbarer Anspruch, sondern ein Gesamtanspruch (5 Ob 50/07z; 5 Ob 21/09p; Tanczos/Schoditsch, Zur Qualifikation von Forderungen der Miteigentümer, ecolex 2011, 504; Riedler in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 890 ABGB Rz 5; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas, ABGB4 § 848 Rz 4; differenzierend Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 890 ABGB Rz 58 ff). Damit stellt sich für die Beurteilung, ob die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts die Grenze zur Schikane überschreitet, die auch hier (mit-)entscheidende Frage, ob lediglich der auf den einzelnen Wohnungseigentümer entfallende aliquote Anteil an den Verbesserungskosten oder der gesamte erforderliche Verbesserungsaufwand mit dem zurückbehaltenen Kaufpreisrest in ein Verhältnis zu setzen ist.
[29] 8. Für die Berücksichtigung nur der aliquoten Verbesserungskosten spricht, dass auch der Anspruch auf Beseitigung von Baumängeln an den allgemeinen Teilen der Wohnungseigentumsanlage aus dem Einzelvertrag des Wohnungseigentümers mit dem Verkäufer resultiert und der dort vereinbarte Kaufpreis die Kosten der Errichtung der allgemeinen Teile ebenfalls nur aliquot enthält. Wenn der einzelne Käufer daher auch Anspruch auf Mängelfreiheit aller allgemeinen Teile der Liegenschaft hat, steht dem als Gegenleistung nur der in seinen Kaufpreis eingepreiste aliquote Anteil dieser Errichtungskosten gegenüber.
[30] Dass auch das Deckungskapital nur anteilig gefordert werden kann, unterstützt dagegen diese Sichtweise nicht, weil es sich dabei um eine Geldforderung, also eine teilbare Leistung handelt, während der Mängelbeseitigungsanspruch ein Gesamtanspruch ist, bei dem lediglich zur Bewertung, ob Schikane vorliegt, Geldbeträge herangezogen werden.
[31] 9. Die Berücksichtigung der gesamten Verbesserungskosten dagegen erlaubt dem einzelnen Wohnungseigentümer, die aus seinem Einzelkaufvertrag resultierenden Zahlungspflichten auch dann zu verweigern, wenn die Behebungskosten der offenen Mängel in Summe gegenüber den insgesamt ausstehenden Restkaufpreisen vernachlässigbar wären. Diese Sichtweise würde zwar dazu führen, dass der aushaftende Kaufpreis umso eher nicht bezahlt werden müsste, je geringer der Mindestanteil des spezifischen Wohnungseigentümers wäre. Andererseits könnte es bei einer bloß anteilsmäßigen Berücksichtigung der Mängelbehebungskosten dazu kommen, dass keiner der die Leistung verweigernden Wohnungseigentümer über die „Schikanegrenze“ hinaus käme und der Mangel dann bei voller Leistungspflicht der Erwerber bestehen bliebe.
[32] 10. Das Leistungsverweigerungsrecht dient jedoch den Zwecken des Gläubigers und nicht jenen des vorleistungspflichtigen Schuldners und soll Druck auf den Schuldner ausüben, den Vertrag zu erfüllen. Dieser Zweck käme bei einer Gesamtberücksichtigung des Leistungsverweigerungsrechts verstärkt zur Geltung. Der einzelne Wohnungseigentümer könnte vor allem bei größeren Objekten seinen allgemeine Teile betreffenden Verbesserungsanspruch umso effizienter sichern.
[33] 11. Dafür spricht auch die – bereits in Pkt 5. angeführte – Judikatur, wonach dem Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts die (aktive) Sachlegitimation zur Geltendmachung der Rechte aus seinem individuellen Vertrag mit dem Bauträger auch dann (allein) zusteht, wenn die Mängel nicht (nur) sein eigenes Wohnungseigentumsobjekt, sondern allgemeine Teile des Hauses betreffen, und zwar grundsätzlich auch ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer.
[34] 12. In den bisher das Leistungsverweigerungsrecht von beklagten Wohnungseigentümern bei Mängeln an allgemeinen Teilen betreffenden Entscheidungen (5 Ob 126/00s; 5 Ob 28/02g; 5 Ob 31/02y) musste zwar das hier relevante Problem nicht behandelt werden. Allerdings wurde der Rechtssatz gebildet und fortgeschrieben, dass dem Beklagten jedenfalls so lange das Recht zusteht, die mangelnde Fälligkeit des Entgelts einzuwenden, als nicht feststeht, dass sich die Wohnungseigentümer mehrheitlich auf Preisminderung festgelegt haben, wobei sich die Ausführungen zur Geringfügigkeit in 5 Ob 28/02g offenkundig auf den gesamten Verbesserungsaufwand bezogen.
13. Zwischenergebnis:
[35] Der Senat gelangt daher zur Ansicht, dass der Zweck des Leistungsverweigerungsrechts dafür spricht, bei der Beurteilung, ob dessen Ausübung durch den einzelnen Wohnungseigentümer wegen Mängel an allgemeinen Teilen der Wohnungseigentumsanlage als Schikane zu werten ist, die gesamten Behebungskosten heranzuziehen.
[36] 14. Die Beklagten sind daher weiterhin berechtigt, den Restkaufpreis einzubehalten. Allerdings haben sie sowohl den darin enthaltenen Haftrücklass einbehalten als auch den dafür aus der Garantie abgerufenen Betrag. Eine solche doppelte Einbehaltung entspricht weder dem gesetzlichen Leistungsverweigerungsrecht noch dem Vertrag. Insoweit besteht daher das Klagebegehren mit 7.360 EUR ebenso zu Recht wie im Umfang der um den nicht vereinbarten Bauträgeraufschlag verminderten Rechnung für Sonderwünsche in Höhe von 1.756,41 EUR.
[37] 15. Daher besteht die Klagsforderung insgesamt mit 9.116,41 EUR zu Recht, was zur Prüfung der Gegenforderung für den Trinkwasserbezug führt.
[38] Das Berufungsgericht hat den dafür vom Erstgericht als Compensandoforderung angesehenen Betrag gemäß § 405 ZPO eliminiert, weil eine entsprechende Aufrechnungseinrede nicht erfolgt sei.
[39] Die Beklagten stützen sich insofern im Revisionsverfahren auf eine Überraschungsentscheidung bzw Verletzung der Anleitungspflicht.
[40] Richtig ist, dass die Beklagten in erstinstanzlichen Verfahren in Zusammenhang mit den Trinkwasserbeschaffungskosten – im Gegensatz zu früher eingewandten Gegenforderungen – nicht ausdrücklich von einer Compensandoforderung sprachen, sondern lediglich davon, dass der Betrag „zum Abzug vom einbehaltenen Betrag zu bringen“ sei, bzw ihn in der Aufstellung „der bisher gemachten Abzüge“ anführten.
[41] Im Prozess kann die Aufrechnung als Schuldtilgungseinwand, der sich auf eine (vor oder während des Prozesses) bereits vollzogene (außergerichtliche) Aufrechnung stützt, oder durch prozessuale Aufrechnungseinrede geltend gemacht werden (RS0033915 [T2]). Während die Aufrechnungseinrede im Prozess eine bedingte Erklärung ist, die erst und nur für den Fall wirksam wird, dass eine gerichtliche Entscheidung den Bestand der Hauptforderung bejaht (RS0034013), wird die außergerichtliche Aufrechnung unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung erklärt, setzt also deren Anerkennung voraus und stellt ihr nur die Gegenbehauptung entgegen, dass sie wegen Schuldtilgung nicht mehr bestehe (RS0033970).
[42] Der Erstrichter hat hier das Vorbringen der Beklagten ganz offensichtlich ohnehin als Gegenforderungseinwand aufgefasst und daher keine weitere Aufklärung verlangt. Aus dem Vorbringen ergibt sich jedenfalls klar, dass damit gegenüber dem Klagebegehren ein „Abzug“ wegen eines mängelbedingten Aufwands der Beklagten eintreten sollte. Soweit das Berufungsgericht dieses Vorbringen als prozessuale Aufrechnung unausreichend erachtete, hätte es verbleibende Zweifel am Inhalt der Erklärung zum Anlass einer Anleitung machen müssen (RS0037166 [T8, T13]). Eine Aufhebung des Verfahrens aus diesem Grund erscheint jedoch entbehrlich, haben doch die Beklagten unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass ihr Vorbringen der Vernichtung der Klagsforderung dienen sollte und andererseits nirgends eine insoweit bereits außerprozessual abgegebene Erklärung auch nur angedeutet, sodass mit eine Aufhebung vermeidender, ausreichender Deutlichkeit eine (weitere) prozessuale Aufrechnung gefolgert werden kann.
[43] Damit ist auch die Gegenforderung im Umfang des erforderlichen Trinkwasserbezugs berechtigt. Er wurde schon deshalb nicht verspätet geltend gemacht, weil die Rückwirkung der Aufrechnungserklärung bewirkt, dass die Kompensation selbst dann noch zulässig ist, wenn die Forderung des Aufrechnenden im Zeitpunkt seiner Aufrechnungserklärung bereits verjährt gewesen wäre (RS0034016 [T4–T6]).
16. Ergebnis:
[44] Der Revision ist daher teilweise Folge zu geben und infolge des berechtigten Leistungsverweigerungsrechts der Beklagten nur das Zurechtbestehen der Klageforderung im Umfang des zu Unrecht einbehaltenen Haftrücklasses (da weiterhin Mängel bestehen, ist dagegen der Einbehalt des dafür gestellten Garantiebetrags, der entgegen den Ausführungen des Erstgerichts vereinbarungsgemäß vor Ablauf der Gewährleistungsfrist abgerufen wurde, zulässig), und der um den Bauträgeraufschlag verminderten Rechnung für Sonderwünsche auszusprechen. Die Gegenforderung besteht dagegen sowohl hinsichtlich der unstrittigen Unkosten als auch im Umfang des erforderlichen Wasserbezugs zu Recht.
[45] 17. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat die Kostenentscheidung nach § 52 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO vorbehalten.
Textnummer
E133800European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00034.21W.0127.000Im RIS seit
11.02.2022Zuletzt aktualisiert am
11.02.2022