TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 L524 2134820-1

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Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L524 2134820-1/60E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2016, Zl. 1091458301–151576655, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.10.2017, am 10.12.2019 und am 20.05.2021, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der dritte Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist“.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, stellte am 20.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.10.2015 brachte sie vor, verheiratet zu sein, der Volksgruppe der Araber anzugehören und sunnitische Muslimin zu sein. Sie habe zwölf Jahre die Grundschule besucht. Mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter habe sie am 01.09.2015 den Irak legal verlassen. Hinsichtlich ihres Fluchtgrundes brachte sie vor, sie habe sich in ihrem Land nicht mehr wohlgefühlt, das Leben sei dort sehr anstrengend geworden. Grund seien auch die Unruhen zwischen Schiiten und Sunniten.

2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 30.06.2016 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie habe zwölf Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Sie sei verheiratet und habe eine Tochter. Sie habe auch die drei Kinder ihres Mannes aus erster Ehe großgezogen, diese seien jetzt volljährig. Die Beschwerdeführerin sei auch berufstätig gewesen. Zum Fluchtgrund gab sie an, sie sei verletzt und ihr Mann bedroht worden. Am 15.01.2007 sei ihr Mann entführt und gefoltert und im Dezember 2014 von der Mehdi Miliz angehalten worden. Am 05.01.2015 sei sie zu Hause von einem jungen Mann, der sie nach ihrem Ehemann gefragt hatte, attackiert worden, er habe ihr den Bauch aufgeschnitten. Sie sei operiert worden, habe aber eine starke Entzündung bekommen, so dass sie nochmals in einem privaten Spital habe operiert werden müssen. Nach diesen beiden Vorfällen seien sie nicht mehr bedroht worden, weil sowohl sie als auch ihr Mann ungezogen seien.

3. Mit Bescheid des BFA vom 02.08.2016, Zl. 1091458301–151576655, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak, Autonome Kurdenzone des Nordirak, gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde

5. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 25.10.2017 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur die Beschwerdeführerin sowie ihr Ehemann und ihre Tochter als Parteien teilnahmen. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde.

6. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte der Beschwerdeführerin aktuelle Berichte zur Lage im Irak, zu denen die Beschwerdeführerin am 12.03.2018 eine Stellungnahme abgab.

7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2018, L524 2134820-1/12E, wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der dritte Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird festgestellt, dass Ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist“.

8. Die Beschwerdeführerin erhob gegen dieses Erkenntnis Revision. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 02.08.2018, Ra 2018/19/0147 - 0149, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und die Revision zurückgewiesen.

9. Der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 24.09.2018, E 1034/2018-18, E 1096/2018-18, E 1097/2018-15, insoweit stattgegeben, als das Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, aufgehoben wurde. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Insoweit wurde die Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abgetreten.

10. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 10.12.2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur die Beschwerdeführerin als Partei teilnahm. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde.

11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.02.2020, L524 2134820-1/36E, wurde die Beschwerde gemäß § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der dritte Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird festgestellt, dass Ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist“.

12. Der gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 03.12.2020, Ra 2020/20/0094 bis 0096, stattgegeben und das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

13. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 20.05.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur die Beschwerdeführerin als Partei teilnahm. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung unentschuldigt nicht teil.

II. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist irakische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitische Muslimin. Die Beschwerdeführerin hat 14 Jahre die Schule besucht und war danach als Sekretärin und Buchhalterin berufstätig. Im Jahr 2006 ist sie in Pension gegangen.

Die Beschwerdeführerin ist seit XXXX .1999 mit XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2134819-1, verheiratet und hat mit ihm eine Tochter, XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2134822-1.

Die Beschwerdeführerin verließ am 01.09.2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer damals minderjährigen Tochter legal über den Flughafen Bagdad den Irak. Am 20.09.2015 stellte die Beschwerdeführerin nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Auch ihr Ehemann und ihre Tochter stellten jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin hat zwei Schwestern und drei Brüder, die im Irak leben. Bis zum Zeitpunkt der Ausreise der Beschwerdeführerin lebten ihre Geschwister und ihre Mutter in Bagdad. Die Beschwerdeführerin lebte selbst in Bagdad und zwar im Bezirk XXXX . Die Beschwerdeführerin verfügt über ein soziales Netz in Bagdad.

Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in derselben Asylwerberunterkunft. Sie bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin hat Deutschkurse besucht und am 02.03.2020 die Integrationsprüfung aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau A2) und zu Werte- und Orientierungswissen bestanden. Sie ist für einen im Juni 2021 beginnenden Deutschkurs auf dem Niveau B1 angemeldet. Die Beschwerdeführerin ist gesund. Sie ist strafrechtlich unbescholten.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2018, L524 2134820-1/12E, hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl erwuchs in Rechtskraft. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin, eine Bedrohung durch eine schiitische Miliz wegen der Tätigkeit des Ehemannes für eine amerikanische Firma, wurde für nicht glaubhaft erachtet. Das gegenständlich Verfahren betrifft daher (nur) den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Zur Lage im Irak:

Der Irak hat zwischen 38 und 40 Millionen Einwohner, von denen beinahe 60 Prozent jünger als 25 Jahre alt sind. Etwa 70 Prozent der Einwohner leben in städtischen Gebieten. In der Hauptstadt Bagdad, der größten Stadt des Landes, leben zwischen sechs und sieben Millionen Menschen. Die Städte Basra und Mossul haben jeweils mehr als zwei Millionen Einwohner. In Erbil, Kirkuk, Suleymania und Hilla leben jeweils mehr als eine Million Menschen. Der größte Teil der Einwohner lebt im Norden und Osten des Landes sowie im Zentralirak. Die größten städtischen Gebiete befinden sich entlang des Euphrat und des Tigris. Der Großteil des Westens und des Südens des Irak ist Wüste und dünn besiedelt bzw. unbewohnt.

Etwa 97 Prozent der Bevölkerung sind Moslems, davon gehören 55 bis 60 Prozent der schiitischen Glaubensrichtung an, die überwiegend Araber sind, und ca. 40 Prozent der sunnitischen Glaubensrichtung. Etwa 60 Prozent der sunnitischen Moslems sind Araber, ca. 37,5 Prozent sind Kurden und der Rest sind Turkmenen. Schiiten leben überwiegend im Süden und Osten des Landes und stellen die Mehrheitsbevölkerung in Bagdad dar. In den meisten Teilen des Landes gibt es schiitische Gemeinden. Sunniten bilden die Mehrheit im Westen und im Zentralirak. Kurden sind die Mehrheitsbevölkerung in der Autonomen Region Kurdistan (KRI) im Norden des Landes.

Gemischte sunnitisch-schiitische Viertel in Bagdad gibt es in den Bezirken Rusafa und Karrada sowie kleinere gemischte Viertel auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya. Schiitische Viertel dominieren die Vororte Sadr City, Abu Dashir und Al Doura. Bedeutenden sunnitische Viertel gibt es in Abu Ghraib, A’adamia, Rusafa, Za’farania, Doura und Rasheed.

Die Verfassung garantiert die Gleichstellung vor dem Gesetz ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Mit dem Wahlgesetz soll eine Vertretung von Frauen im Parlament von mindestens 25 Prozent erreicht werden. Mit der Quote ist es gelungen, Frauen ein gewisses Maß an Vertretung zu verleihen – vor ihrer Einführung besetzten Frauen weniger als 2 Prozent der Sitze im Parlament. Nur 14 Prozent der Frauen arbeiten oder suchen aktiv Arbeit im Vergleich zu 73 Prozent der Männer. 21 Prozent der aktiven Frauen sind arbeitslos im Vergleich zu elf Prozent der aktiven Männer. Der Prozentsatz steigt bei jungen Frauen auf 27 Prozent und ist in städtischen Gebieten deutlich höher als in ländlichen Gebieten, in denen Frauen hauptsächlich in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Im gesamten Irak (einschließlich des KRI) ist die überwiegende Mehrheit der erwerbstätigen Frauen (94 Prozent) im öffentlichen Sektor tätig, vor allem in den Bereichen öffentliche Finanzen, Bildung und Banken. Irakische Frauen führen ungefähr einen von zehn Haushalten – 80 Prozent dieser weiblichen Haushaltsvorstände sind Witwen, geschieden, getrennt oder betreuen kranke Ehepartner.

Der Staat ist verpflichtet, Kinder und Jugendliche zu schützen und zu betreuen und ihnen angemessene Bedingungen für die Entwicklung ihrer Talente und Fähigkeiten zu bieten. Alle Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung von Kindern sind verboten. Die Verfassung garantiert die soziale und gesundheitliche Sicherheit der Kinder, die Grundvoraussetzungen für ein freies und menschenwürdiges Leben sowie ein angemessenes Einkommen und angemessenen Wohnraum. Das Mindestalter für eine Beschäftigung beträgt 15 Jahre im ganzen Land. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit von Personen unter 18 bis sieben Stunden pro Tag und verbietet die Beschäftigung in einer Arbeit, die sich nachteilig auf Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren auswirkt. Zu den Strafen für Verstöße gegen das Gesetz gehört eine Freiheitsstrafe zwischen 30 Tagen und sechs Monaten und eine Geldstrafe von bis zu 1 Mio. IQD, die im Falle einer wiederholten Straftat verdoppelt werden muss.

Artikel 34 der Verfassung garantiert das Recht auf kostenlose Bildung. Sie macht die Grundschulbildung obligatorisch und verpflichtet den Staat zur Bekämpfung des Analphabetismus. Das Bildungsministerium (MoE) und das Ministerium für Hochschulbildung und wissenschaftliche Forschung sind für die Überwachung der Bildung verantwortlich. In der KRI sind das kurdische Bildungsministerium und das kurdische Ministerium für Hochschulbildung und wissenschaftliche Forschung zuständig. Die öffentliche Bildung ist auf allen Ebenen kostenlos. Die Schulpflicht besteht bis zum Ende der 6. Klasse, in der KRI bis zum Ende der 9. Klasse. Bis 2003 gab es keine Privatschulen. Heute sind es ungefähr 1.200 mit Lizenzen des MoE. Privatschulen sind im Vergleich zum unterfinanzierten öffentlichen System oft von hoher Qualität, verlangen jedoch extrem hohe Gebühren, so dass sie nur für die wohlhabende Elite finanzierbar sind. Seit 2017 gibt es im Irak 35 öffentliche und 55 private Universitäten sowie 15 private und 15 öffentliche Universitäten in der KRI. (Australian Government, DFAT Country Information Report Iraq, 17.08.2020)

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt. Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)

Im Juni 2019 wurden die letzten Betonblöcke um die Grüne Zone in Bagdad, der Regierungsbezirk, abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit. Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet. (Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone, Wiener Zeitung, 05.06.2019)

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife.

Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden.

Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops.

Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden. (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019)

Im Juni 2019 wurde das neue deutsch-irakische Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration in Bagdad eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit des Beratungszentrums steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern. (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019)

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten. (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019)

Sicherheitsrelevante Vorfälle bewegen sich seit Dezember 2020 auf einem niedrigen Niveau. Im Februar 2021 ereigneten sich pro Woche 19, 11, 20 sowie 13 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Land. Von den 19 Vorfällen in der ersten Woche ereignet sich nur einer in Bagdad. Von den landesweit elf Todesopfern waren nur zwei Zivilisten, die übrigen waren ISF-Mitglieder und Mitglieder der Hashd al-Shaabi. In der zweiten Woche ereigneten sich drei der elf Vorfälle in Bagdad. Im gesamten Land starben vier Personen bei diesen Vorfällen, allesamt Mitglieder der Polizei und Armee. Von den 20 Vorfällen in der dritten Woche ereigneten sich zwei in Bagdad. Bei allen landesweiten Vorfällen kamen elf Personen ums Leben. Drei davon waren Zivilisten, die übrigen ISF-Mitglieder und Mitglieder der Hashd al-Shaabi. In der letzten Februarwoche ereigneten sich vier der insgesamt 13 Vorfälle in Bagdad. Es starben landesweit 13 Personen, davon waren sechs Zivilisten und die übrigen Mitglieder der Hashd al-Shaabi. (Musings on Iraq, 1. – 28. Februar 2021).

Auch im März bewegten sich die gewaltsamen Vorfälle auf einem niedrigen Niveau. In der ersten Märzwoche gab es 19 sicherheitsrelevante Vorfälle. Davon ereigneten sich drei in Bagdad. Im gesamten Land kamen bei diesen 19 Vorfällen fünf Personen ums Leben, allerdings keine Zivilisten. In der zweiten Märzwoche gab es zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle; einer davon in Bagdad. Von den 13 Todesopfern im gesamten Land waren acht Zivilisten. In der dritten Märzwoche gab es 24 sicherheitsrelevante Vorfälle, wovon drei auf Bagdad entfielen. Von den acht Todesopfern waren drei Zivilisten. In der ersten Märzwoche gab es 14 sicherheitsrelevante Vorfälle, drei davon in Bagdad. Es starben landesweit acht Personen, fünf davon waren Zivilisten. (Musings on Iraq, 1. – 28. März 2021).

In der ersten Aprilwoche kam es zu 16 sicherheitsrelevanten Vorfällen, zwei davon in Bagdad. Landesweit starben drei Zivilisten. Im Beobachtungszeitraum Jänner 2020 bis April 2021 bewegten sich die wöchentlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen zehn und dreißig. Einen deutlichen Anstieg gab es nur im Mai 2020. Hier erreichte der Höchstwert in einer Woche im Mai über 60 Vorfälle, der danach aber nicht wieder erreicht wurde. Bei sicherheitsrelevanten Vorfällen handelt es sich um Schießereien, Entführungen, IEDs (Sprengfallen), Angriffe auf Checkpoints, etc. (Musings on Iraq, 1. – 7. April 2021).

Ende Februar 2021 gab es insgesamt 4,8 Millionen Rückkehrer in acht Gouvernements. Im Zeitraum Jänner bis Februar 2021 kamen 20.250 neue Rückkehrer hinzu. Diese Zahl ist niedriger als in der Periode November/Dezember 2020, wo es 49.152 Rückkehrer gab und einer der niedrigsten Werte seit 2015. Dieser Rückgang kann auf das Schließen von Camps und Bewegungseinschränkungen in Zusammenhang mit dem Coronavirus zurückgeführt werden. In die Gouvernements Ninewa, Anbar und Salah ad-Din kehrten die meisten Personen zurück. 95 Prozent aller Rückkehrer kehren an ihre Wohnadresse zurück, die sich in einem guten Zustand befindet. (DTM Iraq Master List Report 120, January – February 2021)

Das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus läuft seit 30.3.2021. Der Irak hat das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder aufgehoben, u.a. Österreich. Die Region Kurdistan hat das Ein- und Ausreiseverbot für 22 Länder aufgehoben, u.a. Österreich. Alle Landgrenzen sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge offen. Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten. Schulen und Universitäten unterrichten bis auf weiteres, 4 Tage die Woche Online und einen Tag vor Ort. Ministerien sind mit Mindestkapazität und verkürzter Arbeitszeit geöffnet, Maskenpflicht für alle. Einkaufszentren, Supermärkte sind unter Auflagen des Gesundheitskomitees geöffnet. Restaurants, Cafés und Bars sind während des Fastenmonats geschlossen. Ab 15.02 sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten. Moscheen sind geöffnet. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren. Nächtliche Ausgangssperre von 21:00 – 05:00 Uhr. Komplette Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen. (Coronavirus: Situation im Irak, wko 13.04.2021)

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zu ihrer Herkunft, zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu ihrer Schulbildung, zu ihrer Berufstätigkeit, zu ihrer illegalen Einreise sowie zu ihrer Antragstellung zur Erlangung internationalen Schutzes ergeben sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren und den Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zur Integration in Österreich und zu den Deutschkenntnissen ergeben sich aus den vorgelegten Bestätigungen und den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin und zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus einem Strafregisterauszug und einem GVS-Auszug.

Die Beschwerdeführerin äußerte sich widersprüchlich zu ihren im Irak lebenden Verwandten. Einerseits behauptete sie, keinen Kontakt zu haben, gab aber andererseits an, dass es allen Geschwistern gut gehe, was sie aber nur wissen kann, wenn sie Kontakt zur Familie hat (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls vom 10.12.2019). Die Tochter der Beschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2019 an, dass sie sehr wohl mitbekomme, dass ihre Eltern mit den Verwandten im Irak telefonieren (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 10.12.2019, Zl. L524 2134822). In der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2021 behauptete die Beschwerdeführerin erneut, seit nunmehr vier Jahren keinen Kontakt zu den Verwandten im Irak zu haben. Das wäre somit seit ca. Mai 2017 und stimmt daher mit den in der mündlichen Verhandlung vom Dezember 2019 getätigten Angaben nicht überein, wonach sie seit ca. Dezember 2017 keinen Kontakt habe. Auf den Vorhalt der Angaben ihrer Tochter in der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2019 variierte die Beschwerdeführerin bloß die Dauer des Kontaktabbruchs und sprach nun von drei oder vier Jahren. Eine Erklärung für die Angaben ihrer Tochter, wonach die Beschwerdeführerin und ihr Gatte mit den Verwandten im Irak telefonieren, während sie selbst behauptet, keinen Kontakt zu haben, ist dies aber nicht (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 20.05.2021). Auf Grund dieser widersprüchlichen Angaben wird davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin mit der Behauptung, sie habe keinen Kontakt zu ihrer Familie, bloß versucht, sich im Verfahren eine bessere Position zu verschaffen. Es wurde daher die Feststellung getroffen, dass die Beschwerdeführerin Verwandte im Irak hat und dass diese jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Ausreise der Beschwerdeführerin in Bagdad lebten. Aufgrund der langjährigen Aufenthaltsdauer in Bagdad wurde die Feststellung getroffen, dass die Beschwerdeführerin über ein soziales Netz in Bagdad verfügt.

Die Feststellungen zur Lage im Irak stützen sich auf die oben angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

1. Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak mit sich bringen würde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, mit weiteren Nachweisen). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236 mwN).

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 13.12.2017, Ra 2017/01/0187, mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst – wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erkannt hat – eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH vom 17. Februar 2009, C- 465/07, Elgafaji, und vom 30. Jänner 2014, C-285/12, Diakite).

Nach der dargestellten Rechtsprechung sowohl des EGMR als auch des EuGH ist von einem realen Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte einerseits oder von einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts andererseits auszugehen, wenn stichhaltige Gründe für eine derartige Gefährdung sprechen.

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

Nach der ständigen Judikatur des EGMR, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde – obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 5. September 2013, I. gg. Schweden, Nr. 61204/09). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (vgl. VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (vgl. VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden ist (vgl. VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137). Unter Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Fremden (insbesondere zu seinen finanziellen Möglichkeiten und zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld) ist allenfalls weiter zu prüfen, ob ihm der Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich angesichts deren konkreter Kosten und der Erreichbarkeit ärztlicher Hilfsorganisationen möglich wäre (vgl. VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137 unter Hinweis auf VwGH 17.12.2003, 2000/20/0208).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Im gegenständlichen Fall brachte die Beschwerdeführerin keine individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr vor und er gehört auch keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil an, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.

Dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Die Lage der Sunniten stellt sich damit nicht dergestalt dar, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Auch nach den EASO Country Guidance von Jänner 2021 ist aus dem bloßen Umstand, ein sunnitischer Araber zu sein, nicht auf eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zu schließen. Individuelle Umstände, aus denen auf eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung geschlossen werden kann, wurden nicht vorgebracht. Infolge dessen kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer allein wegen des Umstands sunnitischer Araber zu sein, bei einer Rückkehr Folter, erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Nach den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), benötigen Frauen, die von sexueller Gewalt, häuslicher Gewalt oder Zwangsheirat bedroht sind sowie Überlende von Menschenhandel wahrscheinlich internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin gehört keinem dieser Profile an. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, können sich Frauen alleine in Bagdad bewegen, es gibt keine Kleidungsvorschriften und Frauen sind als Unternehmerinnen tätig. Dass die Beschwerdeführerin auf Grund des Umstands, dass sie eine Frau ist, im Fall der Rückkehr in den Irak Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, ist auf Basis der Feststellungen zur Lage von Frauen nicht anzunehmen.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde die Beschwerdeführerin somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059), hat doch die Beschwerdeführerin selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihr im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Nach dem festgestellten Sachverhalt besteht auch kein Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“, welche eine Rückkehr die Beschwerdeführerin in den Irak unzulässig machen könnten.

Betreffend die Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, der Heimatstadt die Beschwerdeführerin, ist mit Blick auf die individuelle Situation die Beschwerdeführerin zunächst auf die Länderfeststellungen in gegenständlichem Erkenntnis zu verweisen. Im Februar 2021 ereigneten sich pro Woche 19, 11, 20 sowie 13 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Land. Von den 19 Vorfällen in der ersten Woche ereignet sich nur einer in Bagdad. Von den landesweit elf Todesopfern waren nur zwei Zivilisten, die übrigen waren ISF-Mitglieder und Mitglieder der Hashd al-Shaabi. In der zweiten Woche ereigneten sich drei der elf Vorfälle in Bagdad. Im gesamten Land starben vier Personen bei diesen Vorfällen, allesamt Mitglieder der Polizei und Armee. Von den 20 Vorfällen in der dritten Woche ereigneten sich zwei in Bagdad. Bei allen landesweiten Vorfällen kamen elf Personen ums Leben. Drei davon waren Zivilisten, die übrigen ISF-Mitglieder und Mitglieder der Hashd al-Shaabi. In der letzten Februarwoche ereigneten sich vier der insgesamt 13 Vorfälle in Bagdad. Es starben landesweit 13 Personen, davon waren sechs Zivilisten und die übrigen Mitglieder der Hashd al-Shaabi. Auch im März bewegten sich die gewaltsamen Vorfälle auf einem niedrigen Niveau. In der ersten Märzwoche gab es 19 sicherheitsrelevante Vorfälle. Davon ereigneten sich drei in Bagdad. Im gesamten Land kamen bei diesen 19 Vorfällen fünf Personen ums Leben, allerdings keine Zivilisten. In der zweiten Märzwoche gab es zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle; einer davon in Bagdad. Von den 13 Todesopfern im gesamten Land waren acht Zivilisten. In der dritten Märzwoche gab es 24 sicherheitsrelevante Vorfälle, wovon drei auf Bagdad entfielen. Von den acht Todesopfern waren drei Zivilisten. In der ersten Märzwoche gab es 14 sicherheitsrelevante Vorfälle, drei davon in Bagdad. Es starben landesweit acht Personen, fünf davon waren Zivilisten. In der ersten Aprilwoche kam es zu 16 sicherheitsrelevanten Vorfällen, zwei davon in Bagdad. Landesweit starben drei Zivilisten. Im Beobachtungszeitraum Jänner 2020 bis April 2021 bewegten sich die wöchentlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen zehn und dreißig. Einen deutlichen Anstieg gab es nur im Mai 2020. Hier erreichte der Höchstwert in einer Woche im Mai über 60 Vorfälle, der danach aber nicht wieder erreicht wurde. Bei sicherheitsrelevanten Vorfällen handelt es sich um Schießereien, Entführungen, IEDs (Sprengfallen), Angriffe auf Checkpoints, etc. Die allgemeine Sicherheitslage ist daher nicht dergestalt, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre.

Es erscheint daher eine Rückkehr die Beschwerdeführerin in den Irak nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation die Beschwerdeführerin insgesamt auch zumutbar. Für die hier zu erstellende Gefahrenprognose ist zunächst zu berücksichtigen, dass es der Beschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak möglich war, offenbar ohne größere Probleme in Bagdad zu leben. Ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ist keine gravierende Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit aus Sicherheitsgründen zu entnehmen.

Die Beschwerdeführerin war im Irak berufstätig und bezog bereits eine Pension. Wenn ihr diese nicht mehr zustehen sollte, kann von ihr erwartet werden, dass sie wieder am Erwerbsleben teilnimmt. Familienangehörige der Beschwerdeführerin leben im Irak. Aus welchen Gründen die Beschwerdeführerin mit einer guten Schulbildung und Berufserfahrung bei einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage sein sollte, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ist nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdeführerin auch über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für den Irak verfügt. Außerdem gibt es ein Beratungszentrum zu Jobs, Migration und Reintegration in Bagdad, an das sich die Beschwerdeführerin wenden kann. Sofern auf das fortgeschrittenen Alter der Beschwerdeführerin verwiesen wurde, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin erst 54 Jahre alt ist und ihr daher eine Teilnahme am Erwerbsleben zugemutet werden kann. Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch vor, wenn sie in Österreich bleiben dürfte, würde sie ihr irakisches Zeugnis als Buchhalterin in Österreich anerkennen lassen wollen und dann arbeiten. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb sie nicht auch im Irak arbeiten können soll.

Es kann sohin nicht erkannt werden, dass der erwerbsfähigen Beschwerdeführerin, die in Bagdad über soziales Netz verfügt und die gemeinsam mit ihrem Ehemann und der volljährigen Tochter in den Irak zurückkehrt, im Falle einer Rückkehr in den Irak (Bagdad) dort die notwendigste Lebensgrundlage entzogen und dadurch die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Im Allgemeinen hat kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105 unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. VfSlg. 18.407/2008 und 19.086/2010).

Die Beschwerdeführerin ist aktuell nicht lebensbedrohlich erkrankt. Sie gehört auch keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an. Vor diesem Hintergrund ergeben sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Rückverbringung der Beschwerdeführerin in den Irak.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde die Beschwerdeführerin somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich des Ehemannes und der nunmehr volljährigen Tochter des Beschwerdeführers liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor. Im vorliegenden Fall war keinem anderen Familienmitglied des Beschwerdeführers der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weshalb eine Zuerkennung dieses Status im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht kam.

2. Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides):

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurde.

Die Entscheidung ist daher gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Irak und somit keine begünstigte Drittstaatsangehörige. Es kommt ihr auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Daher war gegenständlich gemäß § 52 Abs. 2 FPG grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung vorgesehen.

Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung jedoch nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens käme.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Die Beschwerdeführerin hält sich in Österreich mit ihrem Ehegatten und der Tochter auf. Diesbezüglich liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte – im Inland befindliche – Familie betroffen, greift sie allenfalls lediglich in das Privatleben der Familienangehörigen und nicht auch in ihr Familienleben ein. Es wird gegen alle Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weitere Familienangehörige befinden sich nicht im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung stellt demnach keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls noch in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingreifen.

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 unter Hinweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031).

Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich seit September 2015, somit seit ca. fünfeinhalb Jahren, beruht auf einem Antrag auf internationalen Schutz, der sich als nicht berechtigt erwiesen hat und ist auch noch zu kurz, um ihrem Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet ein relevantes Gewicht zu verleihen. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Es sind zudem keine besonderen zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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