TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/2 L510 2163558-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AVG §73
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L510 2163558-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, betreffend seinen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, zu Recht erkannt:

A)

Dem Antrag vom 03.03.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu den Gründen ihrer Ausreise befragt, gab die bP an, sie habe als Fliesenleger mit einem Baumeister gearbeitet; dieser habe seine Aufträge von der Regierung bekommen und sei sie deswegen am 01.07.2015 vom IS bedroht worden. Die Islamisten hätten ihnen auch ihr Haus in XXXX weggenommen. Ihre Rückkehrbefürchtungen äußerte die bP dahingehend, dass der IS sie zur Todesstrafe verurteilt habe; sie hätten behauptet, dass sie mit den ungläubigen Behörden Geschäfte mache. Weiters habe sie einen Drohbrief vom IS erhalten.

Laut Befund der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin des Landesklinikums XXXX vom 25.05.2016 wurde betreffend die bP die Diagnose "Paranoide Schizophrenie (akustische Halluzinationen)" gestellt.

Mit Schreiben vom 17.10.2016 regte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) beim Bezirksgericht XXXX die Bestellung eines Verfahrenssachwalters gemäß § 11 AVG für die bP an.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 19.12.2016, GZ: XXXX , wurde XXXX zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter der bP für die Angelegenheiten Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträger, insbesondere im Asylverfahren, bestellt.

Mit Schreiben vom 07.04.2017 teilte das BFA dem Sachwalter der bP mit, dass aufgrund der Erkrankung der bP eine Einvernahme zum Antrag auf internationalen Schutz nicht vorgesehen sei, weshalb anhand der vorliegenden Aktenlage entschieden werde. Das BFA beabsichtige, der bP subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG zu gewähren; für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Sinne des § 3 AsylG sehe das BFA mangels Vorliegen einer offensichtlichen Verfolgung im Sinne der GFK keinen Grund. Dem Sachwalter wurde die Möglichkeit der Stellungnahme binnen drei Wochen mit dem Hinweis eingeräumt, dass in dem Falle, wenn keine Stellungnahme einlange, ein Bescheid über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergehen werde. Eine Stellungnahme ist nicht aktenkundig.

2. Mit Bescheid des BFA vom 01.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag der bP auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der bP wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 01.06.2018 erteilt.

Das BFA stellte zur Person der bP unter anderem fest, dass diese an paranoider Schizophrenie leide und nicht in der Lage sei, ihre Interessen am Verfahren wahrzunehmen, weshalb sie einen Verfahrenssachwalter zur Seite gestellt bekommen habe. Zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und ihrer Situation im Fall einer Rückkehr stellte das BFA im Wesentlichen fest, dass nicht festgestellt werden habe können, dass die bP den Irak aufgrund einer konkreten Verfolgung oder einer Furcht vor solcher verlassen habe. Eine Rückkehr in ihre Heimat könne der bP derzeit nicht zugemutet werden.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass die niederschriftliche Aussage eines Asylwerbers unzweifelhaft die zentrale Erkenntnisquelle sei. Aufgrund der psychischen Erkrankung der bP hätten ihre Aussagen nicht als Quelle herangezogen werden können, weshalb die Feststellungen rein auf der allgemeinen Lange im Heimatland der bP beruhen würden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA, dass die bP aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, verwertbare Angaben zu einer etwaig vorliegenden Verfolgung im Irak im Sinne der GFK zu machen. Im Fall der bP sei aufgrund ihrer Erkrankung und damit im Zusammenhang stehend der Unmöglichkeit, ihre Aussagen auch nur ansatzweise zu beurteilen, keine Verfolgung feststellbar. Aus der allgemeinen Lage im Irak lasse sich nicht ableiten, dass die bP konkrete Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätte oder einer individuellen Verfolgung ausgesetzt wäre.

3. Mit Schriftsatz vom 29.6.2017 erhob die der bP beigegebene und von ihrem Sachwalter bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides.

In der Beschwerde wird zusammengefasst geltend gemacht, dass es das BFA unterlassen habe, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen. Die bP sei in ihrem subjektiven Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden. Gemäß § 19 Abs 2 AsylG sei ein Fremder zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Die bP leide zwar an einer psychischen Erkrankung, sei jedoch sehr wohl in der Lage, sich zu artikulieren und wäre in der Lage gewesen, ihr asylrelevantes Vorbringen, welches sie bereits in der Erstbefragung vorgebracht habe, zu konkretisieren und glaubhaft darzulegen. Die Mitteilung des BFA an den Sachwalter mit der Möglichkeit zur Stellungnahme reiche nicht aus, um der bP rechtliches Gehör zu verschaffen und hätte der bP die Möglichkeit gegeben werden müssen, ihre Fluchtgründe, auch im Beisein ihres Sachwalters, ausreichend darzulegen. Das BFA habe es außerdem unterlassen, genauere Untersuchungen zum Vorbringen der bP anzustellen. Die bP habe in ihrer Erstbefragung sehr wohl ihre asylrelevante Verfolgung geltend gemacht; sie habe als "Bauunternehmer" im Irak gearbeitet und Bauaufträge für die Regierung durchgeführt, weshalb sie in das Blickfeld des IS geraten sei und nun gesucht werde. Ihre Familie sei vom IS aufgesucht worden und nach dem Aufenthalt der bP befragt und anschließend aus dem Haus vertrieben worden, weshalb die Familie flüchten habe müssen. Der bP werde vom IS eine regierungsfreundliche Gesinnung unterstellt und drohe ihr in ihrem Heimatland unter anderem dadurch Verfolgung. Die Beweiswürdigung des BFA sei mangelhaft, es hätte eine Einvernahme durchgeführt und von der Behörde als Beweismittel herangezogen und ausreichend gewürdigt werden müssen. Die Behörde habe es außerdem verabsäumt, Länderberichte zur Situation der Personen mit psychischer Erkrankung einzuholen. Bei richtiger rechtlicher Würdigung hätte das BFA zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die bP aufgrund ihrer Arbeit und ihrer psychischen Erkrankung eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer politischen Gesinnung sowie der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch Erkrankten ausgesetzt sei.

4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.5.2018, GZ: XXXX , wurde die Sachwalterschaft für die bP als betroffene Person aufgehoben.

5. Mit Schriftsatz vom 24.05.208 stellte die bP einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Mit Bescheid des BFA vom 07.06.2018, Zl. XXXX , wurde der bP eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 01.06.2020 erteilt.

5. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 07.05.2019, GZ: XXXX , wurde die bP wegen dem Vergehen der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 200,- Euro verurteilt.

6. Mit Schriftsatz vom 03.03.2020 stellte die bP einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.11.2020, GZ: L501 2163558-1/15E, wurde der angefochtene Bescheid im Umfang seines Spruchpunktes I. gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Begründend wurde die Entscheidung damit, dass die Behörde relevante Ermittlungen bzw. die Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts unterlassen habe. Die bP sei im Verfahren vor der belangten Behörde nicht einvernommen worden; die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei ausschließlich aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP erfolgt. Sonstige Ermittlungen habe die belangte Behörde nicht durchgeführt.

8. Mit Schriftsatz vom 07.06.2021 brachte die bP eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 und Art 132 Abs 3 B-VG ein und führte begründend aus, dass sie am 03.03.2020 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gestellt habe und dieser am 05.03.2020 beim BFA eingelangt sei. Das Bundesamt habe über den Antrag bis dato nicht entschieden und sei die Entscheidungsfrist des § 73 Abs 1 AVG von sechs Monaten verstrichen. Beantragt werde daher, dass das Bundesverwaltungsgericht in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkenne und die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter verlängere.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die gegenständlichen Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht am 22.06.2021 ohne weitere Stellungnahme vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der bP

Die beschwerdeführende Partei ist Staatsangehöriger des Irak.

Die bP leidet unter paranoider Schizophrenie mit akustische Halluzinationen sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie war bereits mehrfach in stationär psychiatrischer Behandlung in Österreich.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.5.2018, GZ: XXXX , wurde die Sachwalterschaft – auf Antrag der bP – für sie als betroffene Person aufgehoben. Die bP wird intensiv von der Caritas und der Diakonie betreut und unterstützt, weshalb eine zusätzliche Heranziehung eines Sachwalters nicht erforderlich ist. Alle Angelegenheiten der bP können aufgrund der subsidiären Hilfe der Caritas und der Diakonie erledigt werden, ohne dass die Gefahr eines Nachteils für die bP besteht.

1.2. Zum Verfahrenshergang

Die bP stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des BFA vom 01.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag der bP auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der bP wurde gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 01.06.2018 erteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte im Rahmen der Entscheidungsbegründung zusammengefasst fest, dass die bP an paranoider Schizophrenie leidet und nicht in der Lage ist, ihre Interessen wahrzunehmen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Irak in die Obhut ihrer Familie zurückkehren könnte und ist ein soziales Auffangnetz, wie etwa hier in Österreich in Form eines Sachwalters, der ihre Interessen wahrnimmt, im Irak aufgrund der derzeitigen Situation nicht gegeben. Weiters wurde festgestellt, dass ohne jegliches Auffangnetz die Wahrscheinlichkeit, dass die bP in eine lebensbedrohliche Situation gerate, sehr hoch ist und davon ausgegangen werden muss, dass die Abschiebung der bP in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und Art 3 EMRK darstellt.

Nach Antrag der bP auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG mit Bescheid des BFA vom 07.06.2018, Zl. XXXX , bis zum 01.06.2020 verlängert.

Am 03.03.2020 stellte die bP erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

Am 07.06.2021 brachte die bP eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 und Art 132 Abs 3 B-VG ein.

1.3 Zur Situation der bP im Falle einer möglichen Rückkehr in den Irak

Unter Berücksichtigung der festgestellten individuellen Situation der bP und der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wird festgestellt, dass sich die Umstände, welche zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 01.06.2017 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben. Es besteht nach wie vor das reale Risiko, dass die bP im Fall einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage gerät und ihr dadurch eine Verletzung ihrer durch Art 3 EMRK garantierten Rechte droht.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung 14.05.2020):

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

?        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

?        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

?        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

?        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

?        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

?        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

?        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

?        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

?        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

?        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

?        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

SICHERHEITSRELEVANTE VORFÄLLE, OPFERZAHLEN

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

Quellen:

?        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

?        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

SICHERHEITSLAGE NORD- UND ZENTRALIRAK

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).

Gouvernement Ninewa

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in XXXX über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von XXXX , Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

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MENSCHEN MIT BEHINDERUNG ODER BESONDEREN BEDÜRFNISSEN

Der Irak hat internationale Vereinbarungen zum Schutz der Rechte von Personen mit Behinderungen ratifiziert (AA 12.1.2019; vgl. UNAMI 12.2016) und Gesetze und Verordnungen erlassen, welche die Sozial- und Gesundheitssicherheit von Menschen mit Behinderungen garantieren, einschließlich des Schutzes vor Diskriminierung und der Bereitstellung von Wohnraum sowie spezieller Programme zur Pflege und Rehabilitation (USDOS 11.3.2020). Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde 2013 vom Irak ratifiziert (IOM 3.12.2019).

Es fehlen umfassende und zuverlässige Daten über die Prävalenz oder die Arten von Behinderungen im Irak (UNAMI 12.2016; vgl. IOM 3.12.2019). Generell hat das Land eine der weltweit größten Raten an Invaliden (OHCHR 11.9.2019). Schätzungen gehen davon aus, dass die Invalidenrate bei etwa 15% liegt (IOM 3.12.2019). Etwa 25% aller irakischen Haushalte haben mindestens ein Familienmitglied mit einer Behinderung, etwa 20% haben mehr als zwei oder drei bedürftige Angehörige (IOM 4.2019).

Im Jahr 2009 wurde Gesetz 20 erlassen (Änderungen 2015 und 2019), das erstmals Opfern u.a. von Militäroperationen, militärischen Irrtümern und terroristischen Akten Kompensationen zuspricht. Dies gilt auch für teilweise oder vollständige Invalidität. Bei einer Invalidität von 75-100% kann den Opfern entweder eine einmalige Zahlung von 5 Millionen Irakischen Dinar (IQD) (Anm.: ca. 3.883 EUR) oder eine monatliche Zuwendung gewährt werden. Bei einer Invalidität von 50-75% beträgt der Zuschuss 3 bis 4,5 Millionen IQD (Anm.: ca. 2.330-3.494 EUR), bei einer Invalidität von weniger als 50% beträgt der Zuschuss 2,5 Millionen IQD (Anm.: ca. 1.941 EUR) (MRG 21.1.2020). Insgesamt werden Familien von Personen mit Behinderungen vom Staat nur sehr begrenzt unterstützt (UNAMI 12.2016).

Sowohl die irakische Regierung als auch die kurdische Regionalregierung haben Gesetze zur Versorgung von Personen mit Behinderungen verabschiedet: Diese sind für den Irak: die irakische Verfassung von 2005, das Gesetz Nr. 38 über die Betreuung von Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen von 2013 (UNAMI 12.2016; vgl. OHCHR 11.9.2019), das Sozialversicherungsgesetz von 1980, das Sozialschutzgesetz von 2014 (UNAMI 12.2016) und das - bereits erwähnte - Gesetz Nr. 20 von 2009 zur Entschädigung von Opfern militärischer Operationen und terroristischer Angriffe ab 2003 (UNAMI 12.2016; vgl. MRG 21.1.2020). Für die Kurdische Region im Irak (KRI) sind dies der Verfassungsentwurf der Region Kurdistan von 2009 und das Gesetz Nr. 22 über die Rechte und Privilegien von Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen einschlägige Bestimmungen (UNAMI 12.2016) Letzteres Gesetz trägt die Zahl 22/2011. Menschen mit Behinderungen wird Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Schutz gewährt. Im Jahr 2018 erhielten 95.500 Personen mit Behinderungen monatliche Zuwendungen (OHCHR 11.9.2019).

Trotz allem zählen Personen mit Behinderungen zu den gefährdetsten Bevölkerungsgruppen im Irak (UN OCHA 11.2018). Sie sind überproportional vom bewaffneten Konflikt, Gewalt und anderen Notsituationen betroffen (UNAMI 12.2016; vgl. IOM 3.12.2019). Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist nach wie vor weit verbreitet, insbesondere von Menschen mit psychischen Behinderungen und von Frauen mit Behinderungen (CRPD 23.10.2019). Diskriminierung erfolgt aufgrund eines sozialen Stigmas. Behinderte werden häufig gesellschaftlich isoliert und innerhalb der Familie betreut (UNAMI 12.2016). In der Gesellschaft gibt es nur wenig Bewusstsein für Behinderungen (UNAMI 12.2016).

Laut Artikel 16 (1) des Gesetzes 38 von 2013 gibt es eine 5%-Quote für die Beschäftigung von invaliden Personen im öffentlichen Sektor (UNAMI 12.2016; vgl. OHCHR 11.9.2019), die in der Praxis mit 11% überschritten wird (OHCHR 11.9.2019). Insgesamt haben Menschen mit Behinderung aber nur begrenzten Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsdiensten (USDOS 11.3.2020). Im privaten Sektor existieren nur wenige Anstellungsmöglichkeiten (UNAMI 12.2016).

Kinder mit Behinderungen werden zwar in die Lehrpläne integriert (OHCHR 11.9.2019), erleben aber physische und soziale Barrieren beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und sind anfälliger für Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch (UN OCHA 11.2018).

Personen mit psychosoziale Störungen werden im Iraq stigmatisiert. Es wird angenommen, dass die Rate der Personen mit psychosozialen Störungen bei etwa 35,5% liegt, wobei etwa 94% unbehandelt bleiben. Spezialisierte Behandlungszentren existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend. Personen mit psychosozialen Störungen sind besonders gefährdet Opfer von Gewalt oder ausgebeutet zu werden, etwa als Selbstmordattentäter, während Frauen besonders gefährdet sind, Opfer sexueller Ausbeutung und Missbrauchs zu werden (UNAMI 12.2016).

Quellen:

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Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).

Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie XXXX zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.1.2019). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.1.2019).

Wasserversorgung

Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).

Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und Tigris. Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).

Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).

Nahrungsmittelversorgung

Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vgl. FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020). 22,6% der Kinder sind unterernährt (AA 12.1.2019).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020)

Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).

Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019)

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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