TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W277 2153411-1

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W277 2153412-1/17E

W277 2153411-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX als seine gesetzliche Vertreterin, gegen den Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

II. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) XXXX , geb. XXXX , ist die Mutter des am XXXX geborenen Zweitbeschwerdeführers XXXX (in der Folge: BF2). Die Beschwerdeführer (in der Folge: BF) sind somalische Staatsangehörige.

Der Meldung der XXXX (in der Folge: XXXX ) vom XXXX , XXXX , ist zu entnehmen, dass der BF2 am selben Tag auf der Raststation XXXX geboren wurde. Der Mann der Cousine der BF1, welcher sich vor den Organen des Sicherheitsdienstes XXXX genannt habe, sei darauffolgend mit den BF in das Landesklinikum in XXXX gefahren. Die BF seien am XXXX aus dem Landesklinikum entlassen worden (AS 5).

1. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am XXXX für sich und den mj. BF2 als seine gesetzliche Vertreterin Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Sie wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Hierbei gab Sie an, aus XXXX zu stammen. Ebendort habe sie XXXX Jahre lang die Grundschule besucht. Zuletzt habe sie im Herkunftsstaat in XXXX gelebt.

Die BF1 gehöre dem Stamm der XXXX an. Sie sei nach traditionellem Ritus verheiratet. Ihr Vater XXXX sei verstorben. Ihre Mutter heiße XXXX . Ihr Ehemann namens XXXX und ihre zwei Töchter XXXX , geb. im Jahre XXXX , und XXXX , würden aktuell im Herkunftsstaat leben.

Den Entschluss zur Ausreise habe die BF1 im Jahre XXXX gefasst. Sie sei am XXXX mit einem Boot in den XXXX gefahren. Ebendort habe sie bis XXXX als Krankenschwester gearbeitet. Nachdem der Bürgerkrieg begonnen habe, hätte sie beschlossen den XXXX zu verlassen.

Zu ihren Fluchtgründen aus dem Herkunftsstaat gab die BF1 im Wesentlichen an, dass die Terrorgruppe al Shabaab sie angerufen und aufgefordert habe, sich ihr anzuschließen. Da sie sich geweigert habe, sei sie mit dem Tod bedroht worden (AS 19).

Die Ausreisekosten hätten sich auf XXXX belaufen.

Ihr Sohn, der BF2, habe keine eigenen Fluchtgründe.

2. Am XXXX wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen (AS 51 ff).

Hierbei gab sie an, aus XXXX zu stammen, wo gegenwärtig ihre Schwester lebe. Ihre Eltern seien verstorben. Die BF1 habe zwei ältere Halbgeschwister mütterlicherseits und zwei ältere Geschwister väterlicherseits, welche sie jedoch nicht kenne. Ihr Bruder sei vermisst. Ihre Tante und ihr Onkel väterlicherseits würden im Herkunftsstaat leben. Ihre Tante, von welcher sie im Herkunftsstaat Unterstützung erfahren und zu welcher sie aktuell Kontakt habe, hätte ihr vor einem Jahr von dem Tod ihrer Großmutter erzählt. Zu ihrem Onkel habe sie bis zu ihrer Ausreise aus dem XXXX fernmündlichen Kontakt gehabt.

Die BF habe weiters in XXXX bei ihrem Onkel gelebt. Seit XXXX habe sie abwechselnd in XXXX gelebt.

Im Herkunftsstaat habe sie bei einer Gynäkologin gearbeitet.

Zu den Fluchtgründen brachte sie im Wesentlichen vor, dass sie in XXXX in XXXX am „circa XXXX “ von ihr unbekannten Männern in ein Auto gedrängt worden sei, sie habe jedoch flüchten können. Einen Mann habe sie „vom Sehen“ gekannt, kenne jedoch nicht seinen Namen. Sie habe sinngemäß diese Männer nicht eindeutig der al Shabaab zuordnen können.

Nach diesem Vorfall sei sie insgesamt fünf Mal am Handy mit unterdrückter Nummer angerufen und aufgefordert worden, mit al Shabaab mitzuarbeiten. Sie hätten die BF bedroht und ihr gesagt, dass „es das allerletzte Mal“ wäre. Sie hätten ihr drei Tage Zeit gegeben und ihr gedroht, sie zu töten, wenn sie nicht mitarbeite. Sie wisse nicht, weshalb die Männer nicht ihr Haus aufgesucht hätten. Auch wisse sie nicht konkret, ob es sich bei den Anrufern um jene Männer handle, welche sie in das Auto gedrängt hätten. Weiters gab sie an, dass sie glaublich von einem Mann angerufen worden sei, welcher ihr gesagt hätte, dass er von der al Shabaab sei. Zuvor sei sie von der al Shabaab nicht bedroht worden.

Die BF1 habe vor dem Ende der „Drei-Tages- Frist“ am XXXX Somalia verlassen (Akt BF1, AS 53).

Drei Jahre habe sie im XXXX verbracht habe, wo sie am XXXX ihren Ehemann namens XXXX , geheiratet habe. Ebendort habe sie als Krankenschwester gearbeitet. Am XXXX habe sie den XXXX verlassen.

Ihr Ehemann sei nach Somalia, XXXX , zurückgekehrt und lebe bei seinem Onkel und seinem Bruder in einem kleinen Haus. Er gehe keiner beruflichen Tätigkeit nach und verbringe seine Zeit in dem Geschäft seines Bruders. Er sei Zugehöriger des Clans der XXXX ; sie selbst gehöre dem Clan der XXXX , XXXX , an und habe niemals aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit Probleme gehabt. Auch gäbe es keine Probleme zwischen ihrem und dem Clan ihres Ehemannes.

Für ihren Sohn wolle sie keine eigenen Fluchtgründe geltend machen.

3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wurde den BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia zuerkannt. Weiters wurde ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (AS 187f).

Folgende Feststellungen wurden im Wesentlichen dem Bescheid zugrunde gelegt: Die Identität der BF stehe nicht fest. Die BF1 sei Staatsangehörige Somalias, muslimischen Glaubens und gehöre dem Clan der XXXX und dem Subclan der XXXX an. Sie sei verheiratet und habe einen Sohn im Bundesgebiet, den BF2, welcher somalischer Staatsangehöriger wäre. Die BF seien gesund.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären. Die BF1 hätte als gesetzliche Vertreterin keine eigenen Fluchtgründe für minderjährigen BF2 geltend gemacht.

In der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben der BF1 nicht glaubhaft gewesen wären und sie und ihr Sohn keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei.

4. Das BFA stellte den BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

5. Mit Schriftsatz vom XXXX , erhoben die BF, damals vertreten durch den XXXX , binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. der unter I.3 angeführten Bescheide. Hierbei gaben sie im Wesentlichen an, dass die BF1 dem Clan der XXXX und dem Subsubclan der „Abgab“ zugehörig sei. Sie sei geflüchtet, weil sie einmal von unbekannten Männern entführt und danach telefonisch bedroht worden sei. Diejenigen, welche sie bedroht hätten, hätten sich als Mujaheddin vorgestellt und die BF1 vermute, dass es sich im die al Shabaab Miliz handle.

6. Mit Stellungnahme vom XXXX reichten die BF eine Beschwerdeergänzung nach, in welcher im Wesentlichen moniert wurde, dass das Vorbringen der BF1 entgegen der Behauptung der Behörde glaubhaft gewesen sei (BF1 OZ 6). Die BF1 sei von Vertretern der al Shabaab bedroht und verfolgt worden. Es sei versucht worden, die BF1 zu entführen. Der BF1 sei bei Drohanrufen gesagt worden, dass sie „von der Mujaheddin angerufen werde und sie ihnen beitreten müsse“. Die BF1 habe sich immer gegen die al Shabaab geäußert. Die belangte Behörde habe keine Ermittlungen angestellt, wie die Situation von Personen in XXXX sei, welche sich offen gegen die al Shabaab geäußert hätten. Die BF1 habe ausführlich dargelegt, dass ihr und ihrem Sohn im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohe. Die BF1 werde auch als Zugehörige der Volksgruppe der XXXX , sowie als alleinstehende Frau, die über keinen asylrelevanten Schutz verfüge, verfolgt.

7. Mit Schriftsatz vom XXXX reichten die BF eine Stellungnahme nach, welcher im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass die BF1 sich „ununterbrochen bemühe ihr Sprachniveau unaufhörlich zu steigern“ (BF1 OZ 9). Sie spreche auffallend gut Deutsch und habe am XXXX eine Prüfung auf dem Niveau B1 absolviert. Sie besuche einen „AMS finanzierten Kurs“, der sie in den „(Wieder-) Einstieg ins Berufsleben“ vorbereite. Die BF1 habe zwei minderjährige Töchter im Alter von XXXX , welche bis vor einem Monat bei ihrem Vater gelebt hätten. Da die Umstände ebendort untragbar gewesen wären, seien sie- laut Angaben der BF1, mit der väterlichen Großmutter nach XXXX geflüchtet und würden ebendort unter prekären Umständen leben.

Der BF2 leide unter Aufmerksamkeitsdefizit-bzw. Hyperaktivitätsstörung (in der Folge: ADHS) und bedürfe einer psychiatrischen Behandlung.

Vorgelegt wurden Integrationsunterlagen.

8. Mit Schriftsatz vom XXXX wurde ein an das BFA adressiertes und als XXXX tituliertes Schreiben der XXXX nachgereicht, welchem im Wesentlichen zu entnehmen ist, das die BF1 ihre zwei minderjährigen Töchter namens XXXX nach Österreich „holen möchte“ (BF1 OZ9). Sie versuche den „Spagat zwischen Weiterbildung/Arbeit und Kindererziehung zu meistern“. Die BF1 habe im Herkunftsstaat als Krankenschwester in einem Krankenhaus gearbeitet. In Österreich habe sie eine Sprachprüfung auf dem Niveau B1 erreicht. Ihr sei bewusst, dass ein „aufrechter Arbeitsvertrag mit regelmäßigem Einkommen eine Voraussetzung für den positiven Antrag auf Familienzusammenführung sei. Es habe jedoch wiederholend Probleme mit diversen Kindergarteneinrichtungen des BF2 gegeben. Beispielsweise wären die Öffnungszeiten des Kindergartens nicht mit den Kursangeboten des AMS und Bewerbungsgesprächen vereinbar gewesen. Weiters bedürfe das Verhalten des minderjährigen BF2, bei welchem ADHS diagnostiziert worden wäre, ein intensiveres Betreuungsangebot. Da sie aufgrund seines Verhaltens einen Platz in einem Kindergarten mit flexibleren Betreuungszeiten verloren habe, sei kurzfristig eine Person organisiert worden, welche den BF2 beaufsichtigt hätte, damit die BF1 einen „AMS-Kurs“ besuchen habe können. Mittlerweile besuche er einen Integrationskindergarten in Wien, welcher bis 12 Uhr geöffnet sei. Eine Teilzeitarbeitsstelle, welche sich mit diesen Öffnungszeiten und Fahrtzeiten arrangieren lasse, habe die BF1 noch nicht finden können. Gleichzeitig müsse Mohammed eine Ergotherapie besuchen und sich als Vorschulkind auf den Schulbesuch vorbereiten. Die BF1 habe daher keine Zeit eine Arbeitsstelle zu suchen oder anzutreten. Die besondere Situation des BF2 erschwere es der BF1 als alleinerziehenden Mutter eine Arbeit zu finden.

9. Mit Bescheid vom XXXX wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der BF bis zum XXXX verlängert (BF1 OZ 11).

10. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die BF1 eine Vollmacht zur XXXX vor (BF1 OZ14). Weiters wurde ein als „Ausführlicher Arztbrief“ tituliertes Schreiben von XXXX vom XXXX betreffend BF2 nachgereicht, welchem im Wesentlichen die Diagnose „Va ADHS F90“, Sprachentwicklungsverzögerung, Teilleistungsstörung zu entnehmen ist.

Eine Bestätigung über den Schulbesuch des BF2 für das Schuljahr XXXX wurde dem Schriftsatz beigelegt.

Darüber hinaus wurde dem Schriftsatz betreffend die BF1 folgendes beigelegt:

- Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs vom XXXX ,

- ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 vom XXXX ,

-ein ÖSD- Zertifikat A2 vom XXXX

- eine Antrittsbestätigung vom XXXX an einem Deutschkurs B2,

- eine Bestätigung über die Teilnahme an dem Kurs B2 der XXXX vom XXXX ,

- ein Zeugnis zur Integrationsprüfung vom XXXX ,

- eine Bestätigung über die Teilnahme an dem Kurs B2+ der XXXX vom XXXX ,

- eine Bestätigung über die Teilnahme an dem Kurs IEB Kompetenz-Check der XXXX vom XXXX ,

- eine Bestätigung der Vormerkung zur Arbeitssuche vom XXXX ,

- ein Lebenslauf, welchem unter Anderem zu entnehmen ist, dass die BF1 von XXXX begonnen, jedoch nicht abgeschlossen habe. Weiters habe sie im XXXX und in Somalia als Krankenpflegerin gearbeitet.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somali durch, an welcher die BF1 sowie ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Mit Schreiben vom XXXX langte die Mitteilung beim BVwG ein, dass aus dienstlichen und personellen Gründen kein informierter Vertreter des BFA anwesend sein wird. Das BFA ist folglich nicht erschienen

Die BF1 wurde ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den ins Verfahren eingeführten und ihr mit der Ladung zugestellten Länderberichte Stellung zu nehmen.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung der BF1 auf.

II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der BF

1.1.1. Die BF1 ist eine volljährige, somalische Staatsangehörige, sunnitisch-muslimischen Glaubens und gehört dem Clan der XXXX , Subclan XXXX an. Im Herkunftsstaat lebte sie in XXXX (andere Schreibweise: XXXX ) sowie in XXXX und besuchte XXXX Jahre lang eine Grundschule. Die Eltern der BF1 sind verstorben.

Der BF2 ist der im Bundesgebiet geborene Sohn der BF1.

1.1.2. Die BF1 ist gesund. Der BF2 leidet an keiner akut lebensbedrohlichen Erkrankung.

1.1.3. Die BF1 ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten. Der minderjährige BF2 ist strafunmündig.

1.2. Zu dem Fluchtvorbringen der BF

Die BF1 ist einer konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt.

Der BF2 ist keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung seiner Person im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia bezogen auf den vorliegenden Fall

Aus den ins Verfahren eingeführten, in der Folge als „LIB“ bezeichneten, Länderberichten zur Lage in Somalia ergibt sich Folgendes:

1.3.1. Gebietskontrolle von al Shabaab

Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, S.2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of theSecurity Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed tothe President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992)concerning Somalia [S/2019/858, S.10; vgl. ÖB 3.2020, S.2). Dabei kontrollierte al Shabaab im Jahr 2019 so viel Land, wie schon seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Man rechnet mit 20% des gesamten Staatsterritoriums (USDOS 10.6.2020, S.5). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.5).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation

mit einem Länderexperten). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;

2. Teile von Lower Shabelle um Sablaale;

3. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

4. weites Gebiet rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

5. sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).

1.3.2. XXXX (andere Schreibweise: XXXX )

Die Bezirke XXXX sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Die Stadt XXXX selbst ist unter Kontrolle der Regierung (PGN 2.2021, S.2). XXXX kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Küstenbereich zwischen XXXX ist al Shabaab noch präsent. Allerdings kann dieser Landesteil durch die Gruppe nicht mehr so einfach erreicht werden, als vor der Operation Badbaado (BMLV 25.2.2021).

1.3.3. Bevölkerungsstruktur

Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 2.4.2020- Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.10, Zugriff 15.4.2020).

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85% der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden.

In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA,). In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v.a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig, wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, S.42ff).

Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss. Die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade verfügen in der Stadt über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S.38ff).

Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S.35).

1.3.4. Frauen

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 11.3.2020, S.29/31), bleiben häusliche (USDOS 11.3.2020, S.29/31; vgl. AA 2.4.2020, S.16) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 11.3.2020, S.29/31).

Vergewaltigung ist gesetzlich verboten (AA 2.4.2020, S.16). Die Strafandrohung beträgt 5 - 15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 11.3.2020, S.29). Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften. Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen. Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt. Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers – und die Absolution für den Täter (SIDRA 6.2019b, S.5ff).

Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S.9f). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 2.4.2020, S.16). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S.10). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 11.3.2020, S.34). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition. Vielmehr können jene, die mit traditionellen Normen brechen, den Schutz und die Unterstützung durch Familie und Clan verlieren (LI 14.6.2018, S.10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S.9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S.11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S.11; vgl. LI 14.6.2018, S.8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S.8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80% der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der „runaway marriages“, bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S.26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S.11).

Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich (LI 14.6.2018, S.18f; vgl. FIS 5.10.2018, S.27f). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (LI 14.6.2018, S.18). Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene aber meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S.27f). Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (LI 14.6.2018, S.19). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019, S.9).

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF

2.1.1. Mangels Vorlage von unbedenklichen Originaldokumenten konnte die Identität der BF1 nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich des Namens „ XXXX “ und des Geburtsdatums „ XXXX “ lediglich Verfahrensidentität vorliegt.

Die Identität des BF2 steht aufgrund der Vorlage des Auszuges aus dem Geburtseintrag im Bundesgebiet fest (Akt BF2, AS 67).

Die Feststellungen zur Staats-, Religions- und Clanzugehörigkeit sowie somalischen Herkunft der BF1 gründen sich auf ihre insoweit glaubhaften Angaben im Rahmen der Erstbefragung am XXXX (Akt BF1, AS 11), der Einvernahme vor dem BFA am XXXX (Akt BF1, AS 56) und auf ihren diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bzw. ihren Sprachkenntnissen der somalischen Sprache.

Es haben sich keine Hinweise an den Angaben der BF1 dem Clan der XXXX , Subclan XXXX , anzugehören zu zweifeln (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, in der Folge: NSV S. 16). Ebenso glaubhaft waren ihre Angaben betreffend das Ableben ihrer Eltern (Akt BF1, AS 56; NSV S. 16).

2.1.2. Die BF1 gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie und ihr Sohn gesund sind und an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leiden (NSV, S. 7, S. 8). Die im als „Ausführlicher Arztbrief“ titulierten Schreiben von XXXX vom XXXX diagnostizierte „Va ADHS F90“, Sprachentwicklungsverzögerung, Teilleistungsstörung ist eine Verhaltens- und emotionale Störung, stellt jedoch keine akut lebensbedrohliche Erkrankung dar.

2.1.3. Die Feststellung, dass die BF1 strafgerichtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.2. Zum Fluchtvorbringen

2.2.1. Die Feststellung, dass die BF1 einer konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt ist, ergibt sich einerseits daraus, dass bei einer Gesamtbetrachtung ihrer Angaben ihr Fluchtvorbringen glaubhaft ist. Ihre Schilderungen aufgrund ihrer fortlaufend gegenüber Dritten getätigten Äußerungen gegen die al Shabaab in den Fokus von deren Mitgliedern geraten zu sein, sind plausibel (BF1, AS 60; NSV S.23). Auch waren ihre Angaben nachvollziehbar, nach Bedrohungen im Herkunftsstaat eine Furcht vor den Befürwortern der als Shabaab gefühlt zu haben, zumal ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben folgend ihre Nachbarin namens „ XXXX “ nach deren negativen Äußerungen gegen die Milizen spurlos verschwunden ist (Akt BF1, AS 63, NSV S. 25).

Weiters verfügt die BF1 über keine abgeschlossene Berufsausbildung, wurde vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat von ihren Familienangehörigen finanziell unterstützt, erhält gegenwärtig keine Unterhaltszahlungen für den BF2 und hat auch keine finanziellen Eigenmittel um in XXXX ein von der Unterstützung Dritter unabhängiges Leben führen zu können (NSV S. 18). Vor dem Hintergrund, dass ihre Eltern verstorben sind und die BF über keine männlichen Familienangehörigen im Herkunftsstaat verfügt, welche ihr de facto Schutz vor einer Bedrohung bieten könnten, ist es folglich nachvollziehbar, dass sie bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsort befürchtet, einer Verfolgung durch Mitgliedern der al Shabaab ausgeliefert zu sein, zumal den unter 1.3.2. zitierten Länderberichten folgend XXXX nach wie vor stark von Gewalt betroffen ist und das Gebiet um diese Hafenstadt im Fokus der al Shabaab liegt. Eine Unterstützung der BF1 durch den Clan der XXXX ist zwar nicht denkmöglich, jedoch kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich die BF1 als alleinerziehende Mutter eines minderjährigen Kindes mit deren Hilfe vor einer Gefahr durch die als Shabaab schützen könnte.

Es ist folglich bei einer Rückkehr der BF1 nach XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer ebendort getätigten, negativen Äußerungen gegen die al Shabaab Verfolgungshandlungen ausgesetzt ist.

2.2.2. Die BF1 gab als gesetzliche Vertreterin des im Bundesgebiet geborenen, minderjährigen BF2 im behördlichen Verfahren konstant an, dass dieser keine eigenen Fluchtgründe hätte. Die BF1 hat gegenwärtig keinen Kontakt zu dem Kindsvater und gab weiters an, dass er die traditionelle Ehe ohne die Einbindung der BF1 beendet bzw. geschieden, sowie eine andere Frau geehelicht hätte (NSV S. 14). Das Vorbringen der BF1 in der mündlichen Verhandlung, dass der in XXXX (andere Schreibweise im behördlichen Verfahren: XXXX ) lebende Kindsvater bei einer Rückkehr den Sohn zu sich bzw. ihr wegnehmen würde (NSV S. 25), wurde bislang weder im behördlichen Verfahren noch in der Beschwerde vorgebracht und ist aufgrund ihrer diesbezüglich nicht nachvollziehbaren Schilderungen unzweifelhaft als gesteigertes Fluchtvorbringen zu werten.

Der BF2 ist daher keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung seiner Person im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt. Andere Fluchtgründe wurden von der BF1 als gesetzliche Vertreterin des BF2 weder vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht hervorgekommen.

2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Somalia

Die Feststellungen zur maßgeblichen, aktuellen Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt (folgend: LIB) wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG ebenso kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal auch ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.3. zitiert.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A)

3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

3.1.2. Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen (vgl. VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).

3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

3.1.6. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft. Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).

3.2. Zur BF1

Die BF1 war hinsichtlich ihrer Fluchtgründe aus dem Herkunftsstaat glaubwürdig. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsort ist sie aufgrund ihrer XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die Mitglieder der al Shabaab ausgesetzt. Ihre Furcht vor einer Bedrohung oder Verfolgung ist im Lichte ihrer speziellen Situation und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Herkunftsort objektiv nachvollziehbar.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt aufgrund des ihr zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsort in Somalia nicht in Betracht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Es haben sich keine Hinweise auf das Bestehen von Asylausschlussgründen iSd. § 6 AsylG 2005 ergeben.

Aufgrund des Bestehens einer aktuellen, maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, ist der BF1 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird diese Entscheidung mit der Feststellung verbunden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.3. Zum minderjährigen BF2

3.3.1. Aus § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Ein Familienangehöriger ist gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 der Elternteil eines minderjährigen Kindes.

3.3.2. Im vorliegenden Fall ist der BF2 als Kind der BF1 ein Familienangehöriger § 2 Z 22 lit. c AsylG 2005.

Im Rahmen des Familienverfahrens ist dem BF2 gemäß § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 iVm. §3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Aufgrund der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens ist eine nähere Auseinandersetzung mit den von dem BF2 durch die Kindsmutter BF1 zu seiner eigenen Person geltend gemachten Fluchtgründe, welche im Übrigen-wie unter II.2.2.2. dargelegt- nicht glaubhaft waren, nicht erforderlich (VwGH vom 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

3.4. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Es ist somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.


Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen Flüchtlingseigenschaft individuelle Verhältnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W277.2153411.1.00

Im RIS seit

08.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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