TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/17 W247 2237967-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.11.2021
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Entscheidungsdatum

17.11.2021

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W247 2237967-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm §§ 7 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 4, sowie 8 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe, sowie dem muslimischen Glauben zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Der BF reiste spätestens am 28.03.2005 als bereits Volljähriger, mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte der BF, wie seine mitreisenden Familienangehörigen, am 28.03.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 30.03.2005 vor dem Bundesasylamt, XXXX im Beisein eines ihm einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen wurde. Dabei gab der BF im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er am 05.02.2005 während seines Aufenthalts in Tschetschenien von russischen Besatzungssoldaten festgenommen und Torturen ausgesetzt worden sei. Man habe ihn zwingen wollen sich zu Mitgliedschaften illegaler Organisationen zu bekennen, von deren Existenz der BF keine Ahnung gehabt habe. Nach 3 Tagen sei der BF von seinem Vater freigekauft worden und hätten sie beschlossen das Land gemeinsam zu verlassen, weil ihre Familie in Russland gefährdet sei.

2. Am 22.05.2006 und am 07.09.2006 wurde der BF neuerlich im Beisein eines ihm einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH vor dem ehemaligen Bundesasylamt niederschriftlich Einvernommen. Am 22.05.2006 gab der BF zusammenfassend zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er die letzten 8 Jahre in XXXX , zuvor jedoch in Tschetschenien gelebt habe. Der BF sei in Tschetschenien drei Mal inhaftiert gewesen, in XXXX habe es auch solche Vorfälle gegeben. Die Inhaftierungen seien im Juni oder Juli 2003 gewesen, wobei maskierte Männer gekommen seien und ihn in der Früh wieder freigelassen hätten. In XXXX sei der BF Anfang Juni 2003 festgenommen worden, wobei sein Kiefer gebrochen worden sei und er eine Gehirnerschütterung erlitten habe. In XXXX sei er außerdem bei seiner Schulabschlussfeier festgenommen worden, weil er Tschetschene sei. Am Abend des 3. Tages sei er von der Polizei freigelassen worden und ins Krankenhaus gegangen, wo er sich 3 Tage lang befunden habe. Unterlagen dazu habe der BF keine mehr. Probleme mit den Behörden in seinem Herkunftsstaat habe der BF nicht gehabt. Es bestünde jedoch das Problem, dass er frühere Widerstandskämpfer erkennen könnte. Derjenige, der den BF in XXXX beim Schulfest verprügelt habe, sei der Sohn des Krankenhausdirektors gewesen, weshalb aus dem Bericht gestrichen worden sei, dass der BF eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Offizielle behördliche Verfolgungsmaßnahmen seien gegen den BF nicht gesetzt worden. Er sei weder an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt gewesen, noch politisch tätig gewesen. Seine Volksgruppenzugehörigkeit hätte alle seine Probleme verursacht. Der BF sei in XXXX aufgewachsen und in die Schule gegangen. Seitens der rechtsschützenden Organe in XXXX sei er immer wieder „hergenommen worden“. In ihrer Straße in XXXX hätten zwei Brüder gewohnt, die Widerstandskämpfer gewesen seien. Der BF vermute, dass er deshalb Probleme gehabt habe. Beispielsweise habe die Polizei den BF gebeten zu dolmetschen. Einmal sei der BF ins Zimmer gekommen und habe einen ca. 30 Jahre alten, geschlagenen Mann gesehen und diesen gefragt, warum er da sei. Der Mann habe gesagt, dass er mit einem Freund zum Markt gegangen sei, wo er festgenommen, geschlagen und eine Gasmaske aufgesetzt bekommen habe. Der Mann habe unterschreiben müssen, dass er bei den Kämpfern mitgearbeitet habe. Polizeimitarbeiter hätten dem BF dann mitgeteilt, dass er falsch übersetzt habe, der BF müsse sagen, was sie hören wollten. Der BF habe daraufhin auch sein Technikpraktikum aufgeben müssen. Am 05.02.2005 sei der BF mit zwei Freunden zu einer Hochzeit nach XXXX gefahren, wobei es zwei Straßen gäbe, um dorthin zu kommen. Der BF habe die Straße über XXXX nehmen wollen, die 15km länger sei, habe sich von seinen Freunden jedoch dazu überreden lassen die andere Straße zu nehmen, wo es weniger Siedlungsgebiete gäbe. Es sei Abend gewesen und der BF habe das Licht eingeschalten. Zwei Autos seien ihnen mit Fernlicht entgegengekommen, wobei sie nicht abgeblendet hätten und der BF gezwungen gewesen sei auf den Gehsteig zu fahren. Bewaffnete Männer seien aus dem Auto ausgestiegen und hätten sie aus dem Auto geholt. Man habe den BF und seine beiden Freunde gezwungen mit dem Gesicht nach unten zu liegen und habe ihnen Säcke über den Kopf gestülpt. Dem BF und seinen Freunden seien Handschellen angelegt worden und habe man sie in die Militärfahrzeuge gebracht. Der BF habe gebeten den Sack über seinen Kopf zu lockern, weil er so fest zugebunden gewesen sei, doch man habe ihm mitgeteilt, dass sie gleich da seien. Der BF habe noch einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, sei fast bewusstlos gewesen und habe keine Luft bekommen, weil der Sack so fest zugebunden gewesen sei. Als sie endlich angekommen seien, seien die Beine des BF eingeschlafen gewesen. Er habe seine Freunde nicht mehr gehört und wisse nicht, was mit ihnen passiert sei. Der BF glaube, dass sie im 3. Stock gewesen seien und habe gespürt, dass seine Freunde auch da gewesen seien. Sie hätten sich breitbeinig hinstellen müssen und habe man dem BF von hinten zwischen die Beine geschlagen. Der BF sei im Anschluss in einem anderen Zimmer an einen Heizkörper gebunden worden. Seitdem habe er ein komisches Gefühl in seinem Daumen. Nach einer Weile sei ein Offizier gekommen und habe gefragt, wo sich der Apparat befinde und wie man eine Stinger schießen könne. Der BF habe gesagt, er sei erst von XXXX gekommen, das könne man in der Autoversicherung nachsehen. Der Offizier habe dem BF gesagt, dass sein Auto verdächtig sei und der BF habe geantwortet, dass tausende Autos wie seines unterwegs seien. Dann habe der Offizier eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche genommen und dem BF gegen den Hals geschlagen. Auch auf den Rücken und gegen seine Unterschenkel habe man den BF geschlagen, sein Arm sei eingeschlafen gewesen. Eine Person sei dann gekommen, habe gesagt, der BF könne die Papiere unterschreiben und könnten sie anschließend einen Tee trinken gehen. Der BF habe verneint, weshalb er weiter geschlagen worden sei. Nach einer Zeit würde man alles unterschreiben, der BF habe jedoch nicht unterschrieben. Er habe nur gedacht, wenn es noch länger dauere, unterschreibe er. Eine andere Person habe den BF vom Heizkörper befreit und ihn aufgefordert zu erzählen, wie er hierher gekommen sei. Der BF habe alles erzählt, auch, dass sie unschuldig seien. Nach drei Tagen in Haft seien sie mit einem Auto in eine Siedlung gebracht worden, wobei sie hin und hergefahren seien, um den BF und seine Freunde zu verwirren. Später habe der BF erfahren, dass sie freigekauft worden seien. Sie seien bei einem Metallwerk freigelassen worden, wo jetzt die Polizeiorganisation XXXX stationiert sei. Das Auto des BF sei dort gewesen, aber alles sei ausgebaut worden. Die Verwandten des BF hätten ihn noch gewarnt, dass sie ihn beim nächsten Mal nicht mehr rechtzeitig freikaufen könnten. Der BF könnte auch spurlos verschwinden.

Bei seiner Einvernahme am 07.09.2006 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er von 1996 bis 2005 mit seiner Familie in XXXX gelebt habe. Seine Schwester habe 2004 an der tschetschenischen Universität in XXXX ihr Studium begonnen. Der BF habe zwischen 2002, 2003, 2004 und 2005 auch zeitweise in Tschetschenien gelebt, wobei er sich im Jahr 2002 etwa 1 ½ Wochen in XXXX , im Jahr 2003 etwa 1 Woche in XXXX bzw. XXXX , im Jahr 2004 maximal zweimal für jeweils 1 Woche in Tschetschenien an verschiedenen Orten aufgehalten habe. Auf Vorhalt, dass der Vater des BF angegeben habe, dass die ganze Familie die Heimat von Tschetschenien aus verlassen habe, der BF jedoch angegeben habe, die Heimat von XXXX verlassen zu haben, vermeinte der BF, dass er Anfang Februar 2005 nach XXXX gekommen sei und von dort aus seine Heimat verlassen habe. Der BF sei jedoch am 05.02.2005 auf der Autostraße zwischen XXXX und XXXX von Mitarbeitern des XXXX festgenommen und nach drei Tagen Haft freigekauft worden. Nachdem der BF sich einen Reisepass besorgt habe, habe er mit seiner Familie am 16.03.2005 Tschetschenien verlassen. Warum er festgenommen worden sei, wisse der BF nicht. Bei den Einvernahmen sei er geschlagen und gefragt worden, wo er gekämpft habe. Wohin er verbracht worden sei, könne der BF nicht sagen, ihm seien Handschellen angelegt worden und seien sie zwei Stunden umhergefahren. Zum Zeitpunkt der Festnahme sei es bereits dunkel gewesen und zwei Freunde des BF seien ebenfalls festgenommen worden. Der BF sei wegen der Stürmung ihrer Wohnung in XXXX im Jänner 2005 nach Tschetschenien gegangen. Auf Vorhalt, dass der BF bei seiner vorherigen Befragung angegeben habe aufgrund einer Hochzeit nach XXXX gefahren zu sein, führte der BF aus, dass es vielleicht ein Missverständnis sei. Er sei wegen seiner Probleme von XXXX nach XXXX gefahren. In XXXX seien sie auf einer Hochzeit gewesen und hätten anschließend nach XXXX fahren wollen, um Geld zu besorgen, wobei sie auf der Rückfahrt von XXXX nach XXXX festgenommen worden seien. Bei der Festnahme seien ihm zwei Fahrzeuge entgegengekommen, wobei eines an ihm vorbeigefahren sei und sich quer zur Straße gestellt habe. Das andere Auto sei dem BF mit eingeschaltenem Fernlicht auf seinem Fahrstreifen entgegengekommen, wodurch der BF sein Auto in den Graben gelenkt habe. Aus den Fahrzeugen seien Maskierte gesprungen, die die Windschutzscheibe des BF zerschlagen und ihn, sowie seine Freunde, aus dem Wagen gezerrt hätten. Ihnen seien Handfesseln angelegt und Säcke über den Kopf gestülpt worden. Es habe sich um Militärfahrzeuge gehandelt. Der BF sei zusammen mit einem seiner Begleiter an einem Heizkörper angehängt gewesen, ein Maskierter und ein Wächter seien hineingekommen und hätten sie aufgefordert die Säcke über den Kopf zu stülpen. Die Entführer hätten sie mit dem Auto weggebracht, wobei die Fahrt 3 Minuten gedauert habe und hätten sie den BF dann bei einem ehemaligen Metallwerk aussteigen lassen. Der BF habe später von Verwandten erfahren, dass er freigekauft worden sei, weil Bekannte bei den Behörden arbeiten würden. Aufgefordert in wenigen Sätzen zusammenzufassen, warum der BF sein Heimatland verlassen habe, gab er an, dass er Angst um sein Leben gehabt habe. Wenn er nochmals festgenommen werden würde, würden seine Verwandten es nicht nochmals schaffen den BF freizukaufen. Bereits 2002 sei der BF einmal in Tschetschenien festgenommen worden, weil er ohne Lenkberechtigung mit dem Auto seines Onkels gefahren sei. Der BF sei jedoch nach 3 Stunden entlassen worden. 2003 sei der BF in Tschetschenien bei einer Kontrolle bei einem Blockposten ebenfalls festgenommen worden. Er habe an der Windschutzscheibe einen Aufkleber, eine russische Fahne, auf dem ein Witz stand, gehabt. Am selben Tag abends sei der BF freigelassen worden.

3. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 30.11.2006, Zl. XXXX , wurde der Asylantrag des BF abgewiesen, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erklärt und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Ausgeführt wurde dabei im Wesentlichen beweiswürdigend, dass die Angaben des BF nicht glaubwürdig und in Verbindung mit den Angaben seiner Eltern, sowie seiner Schwester widersprüchlich gewesen seien.

4. Der dagegen erhobenen Berufung wurde nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 17.01.2008 mit Bescheid des ehemaligen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 14.02.2008, Zl. XXXX , stattgegeben, dem BF gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Begründend führte der ehemalige UBAS zusammenfassend aus, dass das Verfolgungsrisiko auf die Aktivitäten der Familie zurückgehe, während sie sich in XXXX aufhielten. Der BF habe mit seinen Eltern und seiner Schwester gegen Ende des ersten Tschetschenienkrieges die Heimat in XXXX verlassen und in XXXX durch Errichtung eines Betriebes zur Lebensmittelproduktion eine neue Existenz aufgebaut. Im Zuge ihres dortigen Aufenthaltes, der von 1996 bis 2005 gedauert habe, habe die Familie während des zweiten Tschetschenienkrieges tschetschenische Flüchtlinge durch Gewährung von Unterkunft und sonstige Hilfestellung unterstützt. In dieser Unterkunft habe es mehrere Durchsuchungen und Nachforschungen seitens der russischen Behörden gegeben. Der Vater des BF sei auch für Spitzeltätigkeiten angeworben worden, was er seinen Angaben zufolge jedoch ausgeschlagen habe. Es müsse daher angenommen werden, dass diese Aktivitäten der Familie des BF bei den Behörden der Russischen Föderation bekannt seien. Da die Unterstützung der Flüchtlinge als gemeinsame Leistung der Familie zu sehen sei, treffe ein daraus resultierendes Verfolgungsrisiko alle Familienmitglieder. Folglich bestehe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der BF und seine Familienmitglieder im Falle der Rückkehr allein deswegen behördlichen Repressionen und Nachstellungen ausgesetzt seien. Dazu sei im konkreten Fall der Umstand gekommen, dass der BF zu einer gerichtlichen Vorladung in XXXX nicht erschienen sei, sondern die Russische Föderation einige Tage zuvor verlassen habe. Schon aus dem Vorverfahren in der Angelegenheit des gerichtlichen Strafverfahrens habe der BF annehmen können, dass ihm aller Voraussicht nach aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen ein faires Gerichtsverfahren in XXXX nicht zuteilwerden würde. Ausgehend von den Ereignissen, die der BF im Rahmen der Berufsverhandlung habe glaubhaft machen können, sei bei entsprechender Gesamtbetrachtung keineswegs auszuschließen, dass der BF in Hinblick von gewöhnlichen Behördenkontakten wie etwa (Verkehrs-)Kontrollen durch russische Sicherheitskräfte, Aktivitäten des tschetschenischen Widerstandes gegen die Russische Föderation und somit eine politische Gesinnung unterstellt würden, welche als Grund für außergesetzliche Maßnahme (Übergriffe, Misshandlungen, Folter), wie sie in den (damaligen) Länderberichten beschrieben werden, herangezogen werden könnten. Bei einer derartigen Kontrolle sei der BF von russischen Soldaten bereits für 3 Tage festgehalten und schwer misshandelt worden, wobei er erst nach Bezahlung von Lösegeld wieder freigekommen sei. Es sei darauf Bedacht zu nehmen, dass die Einheiten des Militärs und der Sicherheitskräfte gerade in Tschetschenien immer wieder mit weitgehend freier Hand bei sogenannten „Säuberungsaktion“ vorgehen würden und bei verübten Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Terrorbekämpfung kaum gerichtliche Konsequenzen zu befürchten hätten. Dem BF und seiner Familie stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Da der BF und seine Familie aufgrund der ausgeübten Tätigkeiten in das Blickfeld der russischen Behörden geraten seien, gehe das Verfolgungsrisiko von russischen Sicherheitskräften, also staatlicher Seite aus. Es hätten keine Anhaltspunkte erkannt werden können, dass die Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt wäre. Es gäbe daher keine Landesteile in der Russischen Föderation, in welchen die befürchtete Verfolgung und die damit verbundene Bedrohung der Freiheit und körperlichen Unversehrtheit nicht eintreten könnte. Aus dem festgestellten Sachverhalt habe sich ergeben, dass der BF und seine Familie im Falle der Rückkehr durch die russischen Sicherheitskräfte wieder mit einer Verfolgung zu rechnen hätten.

5.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 03.07.2019 wurde dem Vater des BF XXXX , geb. am XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger der Russischen Föderation (IFA: XXXX ) der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde begründete die Aberkennung mit der erneuten, freiwilligen Unterschutzstellung aufgrund der zahlreichen Einreisen und Aufenthalte des Vaters des BF in der Russischen Föderation. Außerdem habe er sich nach der Asylgewährung einen russischen Auslandsreisepass ausstellen lassen und seien die Umstände, welche zur Zuerkennung des Asylstatus geführt hätten, weggefallen.

Der Bescheid des Vaters des BF erwuchs mit 07.08.2019 unbekämpft in Rechtskraft.

5.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.01.2020 wurde der Mutter des BF XXXX , geb. am XXXX , ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation (IFA: XXXX ) der Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ebenfalls aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde ihr der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde begründete die Aberkennung mit der erneuten, freiwilligen Unterschutzstellung aufgrund der zahlreichen Einreisen und Aufenthalte der Mutter des BF in der Russischen Föderation. Außerdem habe sie sich nach der Asylgewährung einen russischen Auslandsreisepass ausstellen lassen und seien die Umstände, welche zur Zuerkennung des Asylstatus geführt hätten, weggefallen.

Der Bescheid der Mutter des BF erwuchs mit 25.02.2020 unbekämpft in Rechtskraft.

6. Mit Aktenvermerk vom 20.05.2020 wurde gegen den BF von Amts wegen ein Asylaberkennungsverfahren eingeleitet.

7. Am 09.07.2020 wurde der BF vor dem BFA zur Prüfung seines Aberkennungsverfahrens niederschriftlich einvernommen. Dort führte er zusammenfassend aus, dass er Tschetschenisch, Russisch und Deutsch spreche, sowie ein bisschen Englisch. Der BF habe keine Deutschkurse oder Deutschprüfungen absolviert, sondern Deutsch „nur so“ während seiner Arbeit gelernt. Der BF habe im Herkunftsstaat von der Geburt bis zur Ausreise in der Stadt XXXX gelebt. Er sei gesund und gehöre der tschetschenischen Volksgruppe, sowie dem islamischen Glauben an. Der BF sei geschieden und habe drei Kinder. Er sei unterhaltspflichtig für seine Kinder und für seine Frau. Seine Eltern und seine Schwester würden „extra leben“, sie seien ebenfalls in Österreich. Der BF habe auf einer Baustelle gearbeitet, dann sei die Polizei gekommen und habe ihn festgenommen, weshalb er 1 ½ Monate im Gefängnis gewesen sei wegen einer Verwaltungsstrafe. Es tue ihm sei leid und er habe seine Arbeit verloren, weil er aufgrund dieser Strafe entlassen worden sei. Davor habe der BF auch schon gearbeitet, aber auch Schulden gemacht. In seiner Freizeit mache der BF nichts Konkretes. Er arbeite und sei zu Hause. Mit kriminellen Sachen und Leuten habe er nichts zu tun. Der BF passe auf seine Kinder auf, wobei er mit ihnen schwimmen gehe, sowie im Park spaziere „und so Sachen“. Der BF sehe seine Kinder nur am Wochenende, weil sie unter der Woche in der Schule seien. Die Kinder würden den BF am Wochenende besuchen, wobei sie jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag bei ihm übernachten würden. Im Gefängnis hätten seine Kinder ihn nicht besucht. Sein ältester Sohn habe den BF mit dem Vater des BF besucht. Dem BF sei es unangenehm gewesen, dass er im Gefängnis sei. Seine Kinder würden den Unterschied zwischen einer Kriminal- und einer Verwaltungsstrafe nicht kennen. Der BF gehe ins Fitnesscenter, in einem Verein sei er nicht und gehe er keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Seine Mutter XXXX , geb. am XXXX , sein Vater, XXXX , geb. am XXXX , seine Schwester XXXX , geb. am XXXX , sein Sohn XXXX , geb. am XXXX , sein Sohn XXXX , geb. am XXXX und seine Tochter XXXX , geb. am XXXX würden im Bundesgebiet leben. Die Kinder seiner Schwester, XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX und XXXX geb. am XXXX , würden ebenfalls in Österreich leben. Bis auf seine Eltern seien alle in Österreich asylberechtigt und Staatsangehörige der Russischen Föderation. Seinen Eltern sei der Asylstatus bereits aberkannt worden, sie seien im Besitz eines „Daueraufenthaltes-EU“. Darüber hinaus verfüge der BF über einen Bruder mütterlicherseits in XXXX , welcher auch zwei Söhne habe. Ihn habe er zuletzt vor 6 Monaten gesehen, weil der BF sich die Fahrt nach XXXX nicht leisten könne. Seine Verwandten in XXXX seien berufstätig. Das Verhältnis zu ihnen sei gut, der BF habe telefonischen Kontakt zu ihnen. Vor dem Gefängnis habe der BF öfter Kontakt mit ihnen gehabt. Der BF sei erst am 07.07.2020 entlassen worden, sonst habe er zwei Mal wöchentlich mit den Verwandten in XXXX Kontakt gehabt. Seine Eltern sehe der BF jeden Tag, weil er ständig bei ihnen sei. Seine Eltern seien schon alt und seine Mutter habe Probleme mit dem Knie. Sie sei am Knie operiert worden und habe noch Schmerzen. Der Vater des BF sitze am Balkon und habe ein Hobby, nämlich Luster zu reparieren. Der BF sei dann im Zimmer und mache was seine Mutter sage, beispielsweise einkaufen und Dinge reparieren. Der BF sitze am PC, weil er momentan Arbeit suche. Als der BF gearbeitet habe, habe er gearbeitet und habe ihm seine Mutter Essen und Jause bereitgestellt, weil der BF gar nicht kochen könne. Auf Vorhalt, dass der BF nach einer AJ-Web Anfrage die letzten Jahre nicht oft gearbeitet habe bzw. dieser nicht lange nachgegangen sei, gab der BF an, dass das richtig sei. Der BF könne in XXXX nur auf Baustellen arbeiten, das habe er nicht immer machen wollen. Er wolle sich selbständig machen, indem er mit einem Bus herumfahre. In XXXX sei er damals selbstständig gewesen. Der BF wolle mit dem Chef dort reden und dort wieder anfangen. Der BF werde ihn anrufen und wenn er das ok gebe, werde der BF anfangen. Dort habe der BF 2016 gearbeitet, es könne auch sein, dass es 2017 gewesen sei, der BF sei jeden Tag von XXXX nach XXXX gependelt. Es sei sehr weit gewesen. Auf Vorhalt, dass die vom BF beschriebene Arbeit im System nicht auftauche, vermeinte der BF, dass es doch 2010, 2011 gewesen sei. Dabei habe der BF glaublich zwei Jahre lang Flugblätter, Werbung, Gratiszeitungen abgeholt und zugestellt. Die Arbeit habe der BF beendet, weil er Geldprobleme gehabt habe und kein Benzingeld mehr gehabt habe. Er habe so viele Strafen zahlen müssen und habe mit seinem Privat-Kleinbus die Arbeit ausgeführt und sei auch hin und her gependelt. Der BF habe das österreichweit gemacht und seiner Arbeit nicht mehr nachgehen können, weil er sich das Benzin nicht mehr habe leisten können. Der BF habe sich geschämt, dass er auf einer Baustelle arbeiten solle, weil er gedacht habe, dort würden nur dumme Leute arbeiten. Er wolle über einen AMS-Kurs eine Ausbildung zum Schweißer machen, gestern habe der BF die Unterlagen dazu abgeholt und heute ausgefüllt.

Der BF hab insgesamt 10 Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss ein zweijähriges Jus-Kolleg ohne Praktikum absolviert, weshalb er nicht als Jurist gearbeitet habe. Der BF habe von 2001 bis 2005 in der Firma seiner Eltern gearbeitet. Es sei eine Teigtaschenfirma gewesen, wobei der BF die fertigen Teigtaschen ausgeliefert und Ware eingekauft habe. Der BF habe Mietrückstände von EUR 900,- und Verwaltungsstrafen zu zahlen. Er habe viele Verwandte, nämlich Onkel und Tanten, mütterlicherseits und väterlicherseits in der Russischen Föderation. Sie würden in XXXX leben, Pension beziehen und hätten alle Kinder, die arbeiten gehen würden. Sie könnten alle dort leben und ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Schwester des BF sei Kleidungsverkäuferin und lebe ebenfalls in XXXX . Sie sei verheiratet und habe einen Sohn. Ihr Mann sei wohlhabend, er betreibe einen Autohandel, weshalb sie dort ausreichend leben würden. Der BF habe zu seinen in der Russischen Föderation lebenden Verwandten täglich Kontakt und würden sie ihn bei seiner Rückkehr aufnehmen. Seit seiner Asylgewährung sei der BF nicht mehr in der Russischen Föderation gewesen und habe er weder einen Auslands- noch einen Inlandsreisepass.

Auf Vorhalt, dass den Eltern des BF der Status der Asylberechtigten bereits aberkannt worden sei, weil sie sich nachweislich unter den Schutz der Russischen Föderation gestellt hätten und nach Mitteilung, dass geplant sei dem BF den Status des Asylberechtigten ebenfalls aufgrund der geänderten Lage abzuerkennen, gab der BF an, dass er das verstehe, aber gesucht werde. Der BF wisse aus dem Internet, dass er gesucht werde. Wenn man seinen Namen eingebe, dann komme eine offizielle Fahndungsliste. In der Folge wurde der Name des BF über eine Googlesuche eingegeben und sein Name auf einer Website gefunden. Befragt dazu, was der BF dazu sage, dass ein Versandhandel von Schuhen auftauche, wenn man auf den Link klicke, gab der BF an, dass er sich das auch nicht erklären könne. Er könne nichts dazu sagen und wisse nicht, wer die Seite erstellt habe. Der BF glaube, dass man die Seite seit 2012 im Internet finde. Ihm sei gesagt worden, dass etwas von ihm aufscheine, wenn man seinen Namen im Internet eingebe. Nachgefragt, wer ihm davon erzählt habe, gab der BF an, dass er einfach seinen Namen im Internet eingegeben habe. Seine Eltern bzw. seine im Herkunftsstaat lebenden Verwandten seien niemals nach dem BF gefragt worden. Auf Vorhalt, wie seine Eltern ohne Befragungen, ohne Probleme in die Russische Föderation gereist seien und sich unter den Schutz ihres Verfolgerstaates gestellt hätten, obwohl die Behörden wüssten, dass die Eltern des BF mit ihm Verwandt seien, vermeinte der BF, dass er selbst nie nach Hause gefahren sei. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF an, dass Leute dort einfach so willkürlich mitgenommen und eingesperrt würden. Der BF sei in Österreich straffällig geworden. Er sei betrunken gewesen und habe Fehler gemacht. Der BF würde gerne alles wieder in Ordnung bringen, doch das könne er nicht. Angefangen habe alles mit der Scheidung, glaublich 2011. Der BF wolle nun „nach der Ordnung“ leben. Sein Verhältnis zu seinen in Österreich lebenden Verwandten sei in Ordnung, normal, wie es üblich sei. Der BF unterstütze seine Eltern täglich und seien sie für ihn sehr wichtig. Er habe keine Lebensgefährtin oder Ehefrau. Der BF habe Bekannte, aber wenig Freunde und sei meistens zu Hause. Er habe mit dem Trinken aufgehört und müsse schauen, dass er wieder weiterkomme. Er wolle eine Arbeit aufnehmen und seine Eltern seien auch sehr wichtig. Befragt dazu, wie er seinen Pflichten als Vater nachkomme, vermeinte der BF, dass er mit seinen Kindern rede, was sie dürften und was nicht. Er gehe mit ihnen spazieren und schwimmen. Der BF wolle, dass sie in einem Sportverein seien. Jetzt seien die Kinder zu Hause, weil Ferien seien und seien sie sehr an den BF gebunden. Sie würden nicht gerne zurück zur Mutter gehen, sondern seien sehr gerne beim BF.

8. Die belangte Behörde stellte am 13.07.2020 eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich des den BF betreffenden im Internet aufgefunden Berichts. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21.07.2020 langte am 23.07.2020 beim BFA ein.

9. Am 06.10.2020 erging durch Zustellung der Polizei neuerlich eine Ladung zur niederschriftlichen Einvernahme des BF vor der belangten Behörde für den 16.10.2020, wobei dem BF die Ladung nicht ausgefolgt werden konnte, da dieser an seinem Hauptwohnsitz nicht angetroffen werden konnte und der BF der jeweiligen Verständigung zwecks dringender Kontaktaufnahme mit der PI nicht nachgekommen ist. Dem Kurzbrief der LPD XXXX vom 15.10.2020 zur Folge, konnte der BF persönlich nicht angetroffen werden, weshalb jeweils eine Verständigung zwecks dringender Kontaktaufnahme mit der Dienststelle hinterlegt wurde. Der BF habe sich mit der Dienststelle jedoch nicht in Verbindung gesetzt, obwohl die hinterlegten Verständigungen vom Hinterlegungsort entfernt worden seien. Erhebungen hätten ergeben, dass der BF an der Wohnung offensichtlich aufhältig sei, den Beamten jedoch nicht die Türe öffne. Bei mehreren Kontrollen seien auch Geräusche und Stimme aus der Wohnung wahrgenommen worden, die jedoch verstummt seien, sobald man sich als Polizei legitimiert habe und seien danach keine Geräusche mehr wahrgenommen worden. Die Türe sei trotz heftigen Klopfens nicht geöffnet worden.

10. Am 16.10.2020 erging eine erneute Ladung zur niederschriftlichen Einvernahme des BF vor der belangten Behörde für den 30.10.2020, die am 19.10.2020 durch Hinterlegung zugestellt wurde, welcher der BF unentschuldigt fernblieb.

11. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.10.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass weitere Ermittlungsschritte in seinem Aberkennungsverfahren gesetzt worden seien und dieser weder zur Einvernahme am 16.10.2020, noch am 30.10.2020 erschienen sei. Es werde beabsichtigt dem BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen, sofern weitere Ermittlungen nichts Anderes erfordern, weshalb der BF um Beantwortung einer Vielzahl an nachfolgenden Fragen binnen einer Woche gebeten wurde. Eine schriftliche Stellungnahme des BF langte nicht ein.

12.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 11.11.2020 wurde dem BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel nach § 57 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 52 FPG nach § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt IV.).

12.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF im Bundesgebiet, zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte aus, dass sich die Lage im Herkunftsstaat des BF seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich geändert habe. Auch die Lage für Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe habe sich wesentlich geändert und stehe fest, dass die Eltern des BF seit Asylzuerkennung mehrmals in die Russische Föderation gereist seien. Die Eltern des BF hätten sich dort ohne Probleme aufhalten können und hätten sich russische Auslandsreisepässe ausstellen lassen. Nach dem BF sei während des gesamten Aufenthaltes seiner Eltern in der Russischen Föderation nicht gefahndet worden. Aufgrund der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation habe festgestellt werden können, dass ein aktuelles Verfolgungsrisiko gegen den BF aufgrund der Entziehung aus dem Gerichtsverfahren in XXXX nicht (mehr) bestehe. Die Strafverfolgungspraxis in der Russischen Föderation unterscheide nicht mehr nach Merkmalen der ethnischen Zugehörigkeit, weshalb der BF ein faires Gerichtsverfahren zu erwarten hätte. Es seien außerdem seit Ausreise des BF aus der Russischen Föderation 15 Jahre vergangen und würden keine Hinweise einer aktuellen Verfolgung mehr festgestellt werden. Stichhaltige Gründe, die gegen eine Rückkehr des BF in die Russische Föderation sprechen würden, seien nicht festgestellt worden, doch verfüge der BF über ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich, wobei eine Rückkehrentscheidung einen nicht gerechtfertigten Eingriff darstellen würde, weshalb eine Rückkehrentscheidung gegen den BF auf Dauer unzulässig sei.

13. Mit eingebrachtem Schriftsatz vom 09.12.2020 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid des BFA, zugestellt am 12.11.2020, hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Begründend wurde beschwerdeseitig im Wesentlichen zunächst der Sachverhalt und der Verfahrensgang erneut dargelegt, insbesondere ausgeführt, dass das geführte Ermittlungsverfahren grob mangelhaft sei, weil die belangte Behörde alleine aus den Reisen der Familie des BF in die Russische Föderation geschlossen habe, dass der BF in der Russischen Föderation keiner Verfolgungsgefahr mehr ausgesetzt wäre. Die Verfolgungsgefahr des BF selbst sei jedoch nur unzureichend geprüft worden. In seiner Einvernahme am 09.07.2020 habe der BF auch angegeben, dass er unabhängig von der Reisetätigkeit seiner Familie weiterhin gesucht werde. Er habe sich einem Gerichtsverfahren wegen der Unterstützung tschetschenischer Flüchtlinge entzogen und drohe ihm bei einer Rückkehr weiterhin Verfolgung. Zum Beweis der Verfolgung habe der BF auch eine entsprechende Website angegeben, auf welcher der Name des BF als von der Polizei gefahndeter Verbrecher aufscheine. Die Behörde habe dazu ausgeführt, dass die Website keine offiziellen Informationen russischer Behörden enthielte, da ein Link auf der Homepage nicht funktioniere. Diesbezüglich würden weitere Ermittlungen der belangten Behörde, ob eine Fahndung des BF durch die russischen Behörden aufrecht sei, fehlen. In der Anfragebeantwortung heiße es dazu, dass es sich bei der vom BF angegebenen Website um eine russische Nachrichtenwebsite handle, welche Nachrichten aus verschiedenen Teilen Russlands liefere und die Fahndung des BF auf einer Website der Region XXXX stamme, was sich mit dem Vorbringen des BF decke. Nach der Anfragebeantwortung sei das Material am 28.11.2011 vom Innenministerium des XXXX Gebietes veröffentlicht worden, was auch dem Vorbringen des BF entspreche. Dass die weiterführenden Links nicht richtig funktionieren, könne verschiedenen Gründen geschuldet sein und widerlege nicht die Echtheit der Fahndungsmeldung. Außerdem gehe aus der Anfragebeantwortung hervor, dass TschetschenInnen vor allem im Strafvollzug mit Diskriminierungen zu rechnen hätten, was auch der Tatsache geschuldet sei, dass russische Veteranen überproportional im Strafvollzug vertreten seien und Tschetschenen gegenüber negativ eingestellt seien. TschetschenInnen seien auch jene Gruppe, welche am häufigsten Misshandlungen im Strafvollzug ausgesetzt sei. Die Zusicherung Russlands diese nicht in ihre Herkunftsregionen in Haft oder Straflager auszuliefern, könne nicht ernst genommen werden. Der BF könne daher, wie die Anfragebeantwortung zeige, bei einer Rückkehr nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren rechnen und wäre asylrelevanter Verfolgung bzw. in eventu einer relevanten Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK ausgesetzt. Die Behörde stütze ihre Feststellungen zur Situation in „Afghanistan“ größtenteils auf unvollständige Länderberichte bzw. werte ihre eigenen Berichte unvollständig. Dazu werde auf mehrere höchstgerichtliche Erkenntnisse verwiesen. Die von der Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte seien nicht dazu geeignet, das Vorbringen des BF abschließend und umfassend beurteilen zu können. Der BF bringe aus diesem Grund ergänzende Länderberichte der schweizerischen Flüchtlingshilfe vor. Darüber hinaus werden verschiedene Ausschnitte des dem Bescheid zugrunde gelegten LIBs zitiert, wonach beispielsweise weiterhin Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus begangen werden. Dem gegenständlichen Bescheid liege auch eine mangelhafte Beweiswürdigung zugrunde. Das BFA habe zwar festgestellt, dass sich die Lage im Herkunftsstaat des BF seit seiner Asylzuerkennung auch für Tschetschenen maßgeblich geändert habe. Die Prüfung der Fluchtgründe des BF, die zu seiner Asylzuerkennung geführt hätten, sei jedoch nur unzureichend erfolgt. Eine Gegenüberstellung der Lage zum Zeitpunkt der Asylzuerkennung und der derzeitigen Lage erfolge im Bescheid nicht und die Würdigung der eingebrachten Länderberichte erfolge nur unzureichend. Die belangte Behörde habe nur unzureichend geprüft, ob die Umstände aufgrund derer der BF als Flüchtling anerkannt worden sei, noch bestünden oder nicht. Insbesondere schließe die belangte Behörde aus der Reisetätigkeit der Eltern des BF unzulässigerweise automatisch darauf, dass eine Verfolgung des BF in der Russischen Föderation nicht mehr vorliege. Die individuelle Prüfung der Änderung der Situation des BF erfolge nur unzureichend. Dem BF sei der Status des Asylberechtigten aufgrund eigener vorgebrachter Verfolgungsgründe zuerkannt worden. Zwar sei auch seine Familie verfolgt worden, weil sie gemeinsam tschetschenische Widerstandskämpfer unterstützt hätten, doch seien beim BF weitere Gründe hinzugetreten, weshalb die Familie, vor allem wegen der Verfolgung des BF, flüchten habe müssen. Der BF habe sich wie der Entscheidung des UBAS zu entnehmen sei einer Gerichtsverhandlung entzogen und sei drei Tage lang von russischen Soldaten festgehalten und misshandelt worden. Weitere derartige Menschenrechtsverletzungen gegen den BF ohne relevante Konsequenzen für die Verantwortlichen seien nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz zu seinen Eltern sei der BF aus Angst vor Verfolgung niemals in seinen Herkunftsstaat zurückgereist und bestehe diese Furch vor Verfolgung weiterhin zu Recht. Bei einer Rückkehr würde der BF voraussichtlich bei der Grenzkontrolle gefasst, von Russland nach Tschetschenien gebracht werden, in Haft kommen und der Folter bzw. der Ermordung ausgesetzt sein. Anders als seine Familie sei der BF auf der Fahndungsliste erwähnt und wäre dieser bei einer Rückkehr in Gefahr. Somit sei aus der Reisetätigkeit der Eltern des BF nicht auf seine bestehende Verfolgung zu schließen. Für die Aberkennung komme es darauf an, ob die Umstände, aufgrund deren der BF als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden und, ob der BF es daher nicht ablehnen könne sich unter den Schutz seines Herkunftsstaates zu stellen. Das geführte Verfahren weise daher Mängel auf, als die belangte Behörde keine ausreichenden Feststellungen dahingehend getroffen habe, ob der BF in der Russischen Föderation unverändert einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt sei. Bei entsprechender Beweiswürdigung wäre die belangte Behörde zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt. Hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung seien keine Änderungen, weder objektiv im Herkunftsstaat, noch subjektiv in der Person des BF eingetreten. Lediglich Familienangehörige des BF seien in den Herkunftsstaat gereist, bei einer Rückkehr drohe dem BF weiterhin Verfolgung. Der BF habe seinen Status nicht von einem Familienangehörigen abgeleitet bekommen, er sei zum Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits volljährig gewesen und würden bei ihm neben den Asylgründen der anderen Familienangehörigen noch weitere eigene Gründe hinzutreten. Es könne daher nicht von der Einschätzung der Verfolgungsgefahr der Familienangehörigen auf eine Verfolgungsgefahr des BF geschlossen werden, sondern wäre eine derartige Einschätzung für den BF individuell vorzunehmen gewesen. Der BF sei bereits seit über 12 Jahren in Österreich asylberechtigt und sei zwar straffällig geworden, doch wurde ihm die Strafe bedingt nachgesehen. Eine Asylaberkennung nach derart langer Zeit wäre demnach unverhältnismäßig und widerspräche dem Prinzip der Rechtssicherheit.

Dem BF drohe im Falle einer Rückkehr eine Verletzung seiner in Art. 2 und Art. 3 EMRK garantierten Rechten. Da der BF den russischen Behörden bekannt sei und verfolgt werden würde, wäre es dem BF auch unmöglich sich offiziell in einer Wohnung anzumelden, was Voraussetzung dafür sei, eine legale Erwerbstätigkeit verrichten zu dürfen und würde dem BF daher eine unzumutbare Lage drohen. Als Tschetschene müsse der BF generell mit Diskriminierung rechnen. Auch im angefochtenen Bescheid hieße es, dass als Kritiker des Regimes gesehene Personen weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt seien. Im gegenständlichen Fall liege auch kein Ausschlussgrund gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG vor und wäre dem BF daher jedenfalls der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; 2.) den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt I. beheben und feststellen, dass dem BF der mit Bescheid des UBAS vom 27.05.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigen nicht abzuerkennen sei und ihm die Flüchtlingseigenschaft zukomme; 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt II. beheben und dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; 4.) in eventu den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen; 5.) falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufgreifen bzw. allenfalls dem BF einen Verbesserungsauftrag erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltenden gemachten Beschwerdepunkt ausführen zu können.

Da sich die Beschwerde lediglich ausdrücklich gegen die Spruchpunkte I. und II. richtete, erwuchsen die Spruchpunkte III. und IV. in Rechtskraft.

14. Die Beschwerdevorlage vom 16.12.2020 und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsbericht (BVwG) am 22.12.2020 ein.

15. Mit Schriftsatz vom 11.12.2020 legte die ARGE Rechtsberatung, die vormalige Rechtsberatungsorganisation des BF, sämtliche Vollmachten in allen anhängigen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht mit 31.12.2020 zurück.

16. Am 03.09.2021 und am 22.09.2021 langte eine Beschwerdenachreichung der belangten Behörde beim BVwG ein.

17. Am 11.10.2021 langte eine neuerliche Beschwerdenachreichung beim BVwG ein, nämlich eine Vollmacht des BF, wonach er seine Schwester Vollmacht erteile in seinem Namen für ihn vor Gerichten, Behörden, BFA tätig zu werden und in ihren Ermessen für den BF zu handeln.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Asylantrags des BF vom 28.03.2005, seiner zahlreichen Einvernahmen im Zuerkennungsverfahren, des Zuerkennungsbescheides des ehemaligen unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) betreffend den BF vom 14.02.2008, Zl. XXXX , der Einvernahme des BF vor dem BFA am 09.07.2020, der eingebrachten Beschwerde vom 09.12.2020 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11.11.2020, sowie der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, der Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem, dem AJ-Web, dem Strafregister der Republik Österreich und insbesondere der im Akt einliegenden Strafurteilen, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen und dem muslimischen Glauben zugehörig. Seine Identität steht fest. Er spricht Tschetschenisch als Muttersprache, Russisch und gut Deutsch.

Der BF ist geschieden und hat mit seiner Ex-Ehefrau drei gemeinsame mj. Kinder, XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX und XXXX , geb. am XXXX . Diese sind ebenfalls russische Staatsangehörige und in Österreich asylberechtigt.

Der BF wurde in XXXX , in Tjumen geboren. Nach seiner Geburt zog der BF mit seiner Familie nach XXXX , in Tschetschenien, wo er mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester bis 1996 gelebt hat. Von 1996 bis kurz vor seiner Ausreise im Jahr 2005 hat der BF mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester in der Stadt XXXX , außerhalb Tschetscheniens, gelebt. Vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation kehrte der BF mit seiner Kernfamilie nach Tschetschenien zurück, von wo aus sie zunächst nach Polen reisten und ebendort Asylanträge stellten, deren Ausgang sie jedoch nicht abwarteten. Am 28.03.2005 reiste der BF mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester nach Österreich ein und stellte er, wie seine Familienmitglieder, an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Der BF ist seit seiner Einreise bis zum jetzigen Zeitpunkt in Österreich aufhältig und kam ihm mit Bescheid des ehemaligen unabhängigen Bundesasylsenats (UBAS) vom 14.02.2008, XXXX , die Flüchtlingseigenschaft zu. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Familie (der BF, seine ältere Schwester und seine Eltern) in XXXX während des zweiten Tschetschenienkrieges Flüchtlinge aus ihrer Heimat unterstützt habe, indem sie ihnen Unterkunft und sonstige Hilfestellung gegeben hätten. Aus diesem Grund seien in ihrer Unterkunft auch mehrmals Hausdurchsuchungen und Nachforschungen durch russische Behörden durchgeführt worden. Der Vater des BF sei von einem ehemaligen russischen Armeeoffizier für Spitzeltätigkeiten angeworben worden, wobei dieser abgelehnt habe. Der BF sei mehrmals festgenommen worden und sei gegen ihn auch ein gerichtliches Strafverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet worden. Diesbezüglich habe am 21.03.2005 eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, zu welcher der BF nicht erschienen sei. Einige Tage vor dem Verhandlungstermin sei die gesamte Familie aus der Russischen Föderation ausgereist. Der BF habe auch glaubhaft von einer Festnahme durch russische Soldaten auf der Straße XXXX in Tschetschenien berichtet, wo er mit zwei Bekannten unterwegs gewesen sei. Dabei sei der BF zwei Tage festgehalten und schwer misshandelt worden. Seine Freilassung sei nach Bezahlung von Lösegeld durch die Familie des BF erfolgt. Seither leide der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Da die Unterstützung der Flüchtlinge als gemeinsame Leistung der Familie zu sehen sei, treffe ein daraus resultierendes Verfolgungsrisiko alle Familienmitglieder und bestehe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass die Familie im Falle ihrer Rückkehr allein deswegen behördlichen Repressionen und Nachstellungen ausgesetzt sei. Der BF sei zudem zu einer gerichtlichen Vorladung in XXXX nicht erschienen und habe er aus dem Vorverfahren bereits schließen können, dass ihm aller Voraussicht nach aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen ein faires Gerichtsverfahren nicht zuteil würde. Bei entsprechender Gesamtbetrachtung sei keinesfalls auszuschließen, dass dem BF und seiner Familie schon anlässlich gewöhnlicher Behördenkontakte Aktivitäten des tschetschenischen Widerstandes und somit eine politische Gesinnung unterstellt würde, welche als Grund für außergesetzliche Maßnahmen, wie in den Länderberichten beschrieben, herangezogen würden. Bei einer Verkehrskontrolle sei der BF auch bereits von russischen Soldaten drei Tage festgehalten, schwer misshandelt und erst nach Bezahlung von Lösegeld freigelassen worden. Die anstandslose Ausstellung von Reisepässen spreche noch nicht gegen eine staatliche Verfolgung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde dem BF und seiner Familie nicht offen, weil sie aufgrund ihrer ausgeübten Tätigkeiten bereits in das Blickfeld der russischen Behörden geraten seien, weshalb das das Verfolgungsrisiko von russischen Sicherheitskräften, also staatlicher Seite ausgehe und seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach die Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt sei. Die strafbare Handlung wegen derer der BF in der Russischen Föderation gesucht werde (Körperverletzung) stellte keinen Asylausschlussgrund dar.

Dem Vater des BF wurde der Asylstatus mit Bescheid vom 03.07.2019, IFA-Zl. XXXX , aberkannt. Dieser erwuchs am 07.08.2019 unbekämpft in Rechtskraft. Der Mutter des BF wurde der Asylstatus ebenfalls mit Bescheid vom 16.01.2020, IFA-Zl. XXXX , aberkannt. Dieser erwuchs am 25.02.2020 unbekämpft in Rechtskraft. Die belangte Behörde stützte sich dabei auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG und führte aus, dass sich die Eltern des BF durch ihre zahlreichen Reisen in die Russische Föderation und die Ausstellung russischer Auslandsreisepässe freiwillig erneut unter den Schutz des Herkunftsstaates gestellt hätten. Die Eltern des BF verfügen nunmehr über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“. Das Verhältnis des BF zu seinen Eltern ist eng, er sieht sie beinahe täglich.

Mit gegenständlichem Bescheid vom 11.11.2020 wurde dem BF sein Asylstatus ebenfalls gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ebenfalls nicht erteilt (Spruchpunkt III.), doch festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und wurde dem BF gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG erteilt (Spruchpunkt IV.). Da sich die gegenständliche Beschwerde lediglich ausdrücklich gegen die Spruchpunkte I. und II. richtet, sind die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides in Rechtskraft erwachsen.

Der BF hat in der Russischen Föderation 10 Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss ein zweijähriges juristisches Kolleg absolviert. Der BF hat im Herkunftsstaat von 2001 bis 2005 im Unternehmen seiner Eltern gearbeitet. Dabei handelte es sich um einen Teigwarenproduktionsbetrieb, wobei der BF fertige Teigwaren ausgeliefert und Ware eingekauft hat. In den letzten 6 Jahren im Bundesgebiet war der BF lediglich einen Monat und eine Woche als Arbeiter angestellt.

Die Eltern, sowie die ältere Schwester des BF und deren vier mj. Kinder leben ebenfalls im Bundesgebiet. Die Schwester des BF und deren Kinder haben ebenfalls den Status von Asylberechtigten in Österreich. Der BF verfügt auch über einen Bruder mütterlicherseits und dessen zweier Söhne in XXXX . Mit ihnen hat der BF etwa zweimal wöchentlich Kontakt.

Im Herkunftsstaat leben noch zahlreiche Onkeln und Tanten des BF mütterlicherseits und väterlicherseits. Sie beziehen Pension und haben alle Kinder. Deren Kinder arbeiten im Herkunftsstaat und können ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten. Der BF hat außerdem eine weitere Schwester, die mit ihrem wohlhabenden Mann, welcher einen Autohandel betreibt, und ihrem Sohn ebenfalls im Herkunftsstaat lebt. Die Schwester des BF arbeitet in der Russischen Föderation als Kleidungsverkäuferin. Der BF hat mit seinen in der Russischen Föderation lebenden Verwandten täglich Kontakt und alle leben in einem eigenen Haus.

Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich straffällig, im Strafregister der Republik Österreich sind folgende Verurteilungen ersichtlich:

01) BG XXXX vom 09.03.2017 RK 10.06.2017

§ 223 (2) StGB

Datum der (letzten) Tat 03.03.2015

Geldstrafe von 60 Tags zu je 4,00 EUR (240,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum 18.12.2018

02) LG XXXX vom 31.08.2017 RK 06.03.2018

§ 50 (1) Z 3 WaffG

§ 223 (2) StGB

§§ 148a (1), 148a (2) 1. 2. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 30.07.2016

Freiheitsstrafe 5 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf BG XXXX RK 10.06.2017

03) LG XXXX vom 05.03.2018 RK 09.03.2018

§ 15 StGB § 269 (1) 3. Fall StGB

Datum der (letzten) Tat 07.09.2017

Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Der ersten strafgerichtlichen Verurteilung des BF lag zugrunde, dass er eine falsche Urkunde, nämlich eine nachgemachte Vollmacht einer Firma zum Beweis seiner Bevollmächtigung durch diese Firma gebraucht hat, indem der BF diese Vollmacht zur Erlangung einer behördlichen Zulassung für zwei PKW einer Versicherungsangestellten vorlegte. Der BF hat sich somit des Vergehens der Urkundenfälschung schuldig gemacht

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als mildernd das Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel, als erschwerend keinen Umstand.

Der zweiten strafgerichtlichen Verurteilung des BF lag zugrunde, dass er eine falsche Urkunde, nämlich eine selbst hergestellte Bestätigung einer Firma über den Verkauf eines PKW, datiert zu einem Zeitpunkt als das Unternehmen infolge rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens und wegen Zahlungsunfähigkeit aufgelöst war, zum Beweis seines Eigentums an jenem Fahrzeug gebrauchte, indem der BF diese Bestätigung Beamten des LVT vorlegte. Außerdem war der BF zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Juli 2016 im Besitz einer Schreckschusspistole, sohin einer Waffe, obwohl ihm das gemäß § 12 WaffG verboten war, indem er diese mit sich führte. Darüber hinaus hat der BF einen Dritten dadurch in einem EUR 5.000,- übersteigenden Wert geschädigt, indem er sich selbst vom Konto des Dritten mittels Online-Banking in vier Tathandlungen, bei einer Tathandlung blieb es beim Versuch, mehrfach Geldbeträge überwies, wobei er ab der dritten Tathandlung gewerbsmäßig handelte. Der BF hat somit das Vergehens der Urkundenfälschung, das Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG und das Vergehen des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs begangen.

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel, das Teilgeständnis und den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend jedoch das Zusammentreffen von drei Vergehen und die zweifache Deliktsqualifikation des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs.

Der dritten und letzten strafgerichtlichen Verurteilung des BF lag zugrunde, dass er zwei Polizeibeamte an seiner Verbringung zur Polizeidienststelle zu hindern versuchte, indem der BF versuchte auf die Polizeibeamten gezielt hinzutreten und einem Beamten zweimal versuchte einen Kopfstoß zu versetzen. Der BF hat sich dadurch des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht.

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als mildern, dass es beim Versuch geblieben ist, als erschwerend jedoch die Tatbegehung während eines offenen Verfahrens.

Der BF hat darüber hinaus zahlreiche Verwaltungsübertretungen begangen. Aus diesem Grund befand sich der BF von 26.05.2020 bis 07.07.2020 in Haft.

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert. Der BF unterliegt in der Russischen Föderation keiner aktuellen Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung seitens der Behörden oder privater Personen.

Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass der BF bei Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Der BF liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation

1.3.1. Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF wird auf die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden, nach wie vor in den fallgegenständlich relevanten Teilen als aktuell anzusehenden, Länderfeststellungen verwiesen, denen sich das Bundesverwaltungsgericht vollinhaltlich anschließt und welche das Bundesverwaltungsgericht in casu seinem Erkenntnis zugrunde legt.

1.3.2. Coronavirus disease (COVID-19) weekly epidemiological update - WHO (World Health Organization) vom 16.11.2021, verweisend auf https://covid19.who.int/table

Nach aktuellem Stand zum Entscheidungszeitpunkt gibt es im ganzen Land 9.145.912 bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus und 257.837 Todesfälle.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts und der Einsicht in die strafgerichtlichen Urteile des BF.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

2.3. Die Feststellungen zur Einreise des BF, seinem Asylzuerkennungsverfahren und dem diesen zugrundeliegenden Vorbringen, beruhen auf dem Verwaltungsakt des BF in seinem Zuerkennungsverfahren, insbesondere dem Zuerkennungsbescheid des ehemaligen UBAS vom 14.02.2008, Zl. XXXX .

2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Volksgruppe, Herkunft, den Sprachkenntnissen und den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat gründen auf seinen insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA am 09.07.2020 und auf den in seinem Vorverfahren gemachten Angaben, sowie auf den in seiner Beschwerde gemachten Angaben. Aufgrund der im Akt einliegenden Kopie des ursprünglichen Inlandsreisepasses des BF, der Tatsache, dass er im Besitz eines Konventionsreisepasses ist und der Identifizierung der Person des BF in den abgeschlossenen Strafverfahren, steht seine Identität fest.

2.5. Die Feststellungen zu den Asylaberkennungsverfahren der Eltern des BF beruhen auf den vom BF vor dem BFA am 09.07.2020 gemachten Angaben und aktuell eingeholten Auszügen der Eltern des BF aus dem zentralen Fremdenregister. Den diesbezüglich getroffenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid wurde auch nicht substantiiert entgegengetreten.

2.6. Die Feststellungen zur Ausbildung des BF und seinen beruflichen Tätigkeiten beruht ebenfalls auf den von ihm vor dem BFA am 09.07.2020 gemachten Angaben. Die Feststellungen zu seinen beruflichen Tätigkeiten ergeben sich ebenfalls aus seiner Einvernahme vor dem BFA am 09.07.2020 in Zusammenschau mit den diesbezüglichen Angaben in seinem Zuerkennungsverfahren, welche sich im Wesentlichen decken. Die Feststellungen zu der vom BF gemachten Arbeitserfahrung in Österreich beruhen auf einem aktuell eingeholten AJ-Web Auszug.

2.7. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF fußen auf einem aktuellen Strafregisterauszug und der Einsicht in die im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteile. Die Feststellung zu den mehrfach begangenen Verwaltungsübertretungen ergeben sich aus den im Verwaltungsakt einliegenden Straferkenntnissen. Die Feststellung zur Verbüßung einer Haft des BF im Bundesgebiet fußt einerseits aus einem ZMR-Auszug, sowie einem Schriftwechsel zwischen der belangten Behörde und einem Beamten der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der LPD XXXX .

2.8. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF beruhen auf seinen im bisherigen Verfahren getätigten Angaben, wonach er gesund sei und keine Medikamente nehme (S. des BFA-Prot. vom 09.07.2020). Die Arbeitsfähigkeit des BF ergibt sich aus der Tatsache, dass er jung und gesund ist.

2.9. Primär ist festzuhalten, dass das BFA ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Dem Beschwerdeführer wurde ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, seine persönlichen Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat geltend zu machen und es kann daher nicht der belangten Behörde angelastet werden, wenn der Beschwerdeführer davon nicht mit Erfolg Gebrauch gemacht haben.

2.10. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.10.1. Die Feststel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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