Entscheidungsdatum
25.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W124 2210098-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. In der am selben Tag erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zu seiner Person an, am XXXX in Bangladesch, geboren zu sein.
Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte er an, er fürchte, im Herkunftsstaat von der regierenden Partei getötet zu werden, da sein Vater für die Gegenpartei Jamaat-i-Islami tätig sei.
1.2. Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: Bundesamt) an den Angaben des BF zu seinem Alter Zweifel hatte, beauftragte es ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Thema „Volljährigkeitsbeurteilung“.
Das diesbezügliche Gutachten vom XXXX kommt aufgrund der durchgeführten multifaktoriellen Befunderhebung (Anamnese, körperliche Untersuchung und radiologische Bildgebung) zu dem Schluss, dass der BF im Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz ein Mindestalter von 18,15 Jahren aufgewiesen hat. Das daraus errechnete fiktive Geburtsdatum ist der „ XXXX “.
1.3. Am XXXX erfolgte unter Beiziehung des Dolmetschers XXXX eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt, im Rahmen welcher er zu seinem Alter, zu seiner Familie sowie zu seiner Schulbildung befragt wurde.
Ferner wurde dem BF eine Kopie des Gutachtens zur Volljährigkeitsbeurteilung ausgehändigt. Mit Schriftsatz vom XXXX bezog der BF im Wege seiner Vertretung hierzu Stellung.
1.4. Am XXXX erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt, im Rahmen welcher er zu seiner Person angab, der Volksgruppe der Bengalen anzugehören und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zu bekennen. Er selbst habe nie mit den Behörden des Herkunftsstaates Probleme gehabt, seine Familie jedoch schon. Sein Vater sei im Februar XXXX verstorben.
Zu seinen Fluchtgründen führte er an, sein Vater sei Mitglied der Partei Jamaat-i-Islami gewesen. Mitglieder der Regierungspartei hätten aus diesem Grund im Haus seiner Familie randaliert. In dieser Zeit sei der BF auch schwer verletzt worden, weshalb er operiert werden habe müssen. Sein Vater habe sich bemüht, den BF aus dem Land zu bringen. Sie hätten im Herkunftsstaat nicht auf die Straße gehen können, da sie dort bedroht worden seien. Ferner seien sie auch misshandelt worden. Die Regierungspartei habe niemanden neben sich haben wollen. Die Familie vermute, dass die Regierungspartei etwas mit dem Verschwinden seines Bruders zu tun habe. Im Fall der Rückkehr würde man den BF ebenso verschwinden lassen.
1.5. Am XXXX erfolgte eine weitere Einvernahme des BF vor dem Bundesamt, im Rahmen welcher er neuerlich zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat, zu seinem Leben in Österreich sowie zu seinen Flucht- und Verfolgungsgründen befragt wurde und unter anderem ausführte, dass neben seinem Vater auch sein ältester Bruder politisch aktiv gewesen sei und für die Partei Jamaat-i-Islami als Sekretär gearbeitet habe. Über seinen ältesten Bruder habe seine Familie keine Informationen mehr. Die Familie denke, dass er von der Gegenpartei ermordet worden sei.
1.6. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ihm eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise eingeräumt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde betreffend die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids festgehalten, dass der BF eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft machen habe können. Auf Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen sei in Bangladesch überdies nicht von einer generellen Schutzunfähigkeit des Staates oder einer flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Sympathisanten der Partei Jamaat-i-Islami lediglich aufgrund ihrer politischen Gesinnung auszugehen. Im gesamten Verfahren hätten sich auch keine Hinweise auf eine begründete Verfolgung des BF aus anderen, in der GFK genannten Gründen ergeben. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Staatsangehörige von Bangladesch, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien ebenso wenig gegeben, handle es sich beim BF doch um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden können. Ferner sei er in Bangladesch sozialisiert worden, habe dort die Schule besucht und verfüge nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte.
Das Erkenntnis ist am XXXX in den elektronischen Verfügungsbereich der Vertretung des BF gelangt. Die gegen das Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , XXXX , zurückgewiesen. Folglich ist das Erkenntnis am XXXX in Rechtskraft erwachsen.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1. Am XXXX stellte der BF den verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Rahmen welcher er zur Begründung seines Antrags anführte, nachdem er die negative Entscheidung am XXXX erhalten habe, habe er seinen Bruder, welcher in Singapur lebe, kontaktiert. Zwei bis drei Tage später habe ihn sein Bruder angerufen und habe ihm von einem Telefongespräch mit seiner in Bangladesch wohnhaften Ehefrau, also der Schwägerin des BF, berichtet. Demnach habe die Ehefrau seines Bruders erzählt, die Polizei würde nach dem BF suchen. Ferner werde der BF von der Partei Jamaat-i-Islami gesucht und solle daher auf keinen Fall zurückkehren. Sein ältester Bruder sei Anhänger der Partei Jamaat-i-Islami gewesen. Die Partei habe bei der Polizei Anzeige erstattet und behauptet, sein Bruder, der seit langem nicht auffindbar sei, habe Selbstmord begangen. Der BF werde als Zeuge angeführt und solle dies bestätigen. Er könne dazu jedoch nichts sagen, da er in Österreich gewesen sei und sich noch immer hier aufhalte. Sollte er nach Bangladesch zurückkehren, werde er sofort von der Sicherheitsbehörde inhaftiert werden, wenn er angebe, dass er in einem anderen Land um Asyl angesucht habe. Würde er es nicht angeben, so würde man behaupten, dass er lüge. Wenn er die Wahrheit sage, drohe ihm darüber hinaus, dass er von Anhängern der Partei Jamaat-i-Islami getötet werde.
Abgesehen davon wolle er angeben, dass er homosexuell sei und seit drei Jahren eine Beziehung mit XXXX , geboren am XXXX , führe. Sie würden in einem gemeinsamen Haushalt leben. Ferner sei der BF in Vereinen für Homosexuelle tätig.
Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, seinen Antrag zurückzuweisen, da entschiedene Sache vorliege. Die Verfahrensanordnung wurde dem BF am XXXX ausgehändigt.
2.2. Am XXXX erfolgte unter Beiziehung des Dolmetschers XXXX sowie in Anwesenheit einer Rechtsberaterin die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt. Die Rechtsberaterin führte in der Einvernahme an, dass eine Rechtsberatung nicht stattgefunden habe, da der BF den Dolmetscher nicht verstehen habe können.
Der Dolmetscher führte auf Nachfrage an, seine Erstsprache sei Bengali. Er sei in Bangladesch geboren und aufgewachsen. Befragt, ob er den BF sowie den Zeugen verstanden habe, wenn sie sich bei der Rechtsberatung unterhalten haben, führte er an, er habe beide verstanden. Der BF habe mit ihm kein Wort gesprochen. Er habe dem Zeugen gesagt, dass er sagen soll, er verstehe den Dolmetscher nicht. In der Folge führte der Dolmetscher weiter an, selbst, wenn der BF einen anderen Dialekt spreche, so müsste er nachfragen, was er gesagt habe. Der Dolmetscher bekräftigte darüber hinaus, er sei sich sicher, dass sie ihn absichtlich nicht verstehen würden.
In weiterer Folge führte der BF auf Deutsch an, dass er den Dolmetscher nicht verstehe und seine Deutschkenntnisse nicht ausreichen würden, um die Belehrung über seine Mitwirkungspflichten zu verstehen. Daraufhin beantwortete der BF keine der an ihn adressierten Fragen.
Abschließend beantragte die Rechtsberaterin die Zulassung des Verfahrens wegen des Vorbringens des BF, wonach er homosexuell sei. Weiter wurde ausgeführt, der BF habe in der Einvernahme darauf hingewiesen den Dolmetscher nicht verstehen zu können. Eine Rechtsberatung habe aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten nicht durchgeführt werden können. Es werde daher beantragt, eine Einvernahme unter Beiziehung eines anderen Dolmetschers durchzuführen.
2.3. Am XXXX brachten der BF und XXXX in einem gemeinsamen Schreiben vor, das Bundesamt möge eine neuerliche Einvernahme mit einem anderen Dolmetscher durchführen. Man habe den Dolmetscher nicht gut verstehen können, zumal es in Bangladesch ungefähr 200 Millionen Menschen und in fast jedem Distrikt einen anderen Dialekt geben würde. Außerdem sei es unangenehm gewesen, vor dem Dolmetscher über das Thema Homosexualität zu sprechen, da dieser in der bengalischen Community in Österreich stark vertreten sei. Ferner sei er in der Vergangenheit Funktionär oder Vorstandsmitglied bei der Österreich-Bangladesch Gesellschaft gewesen. Weiters sei er im österreichischen Zweig der Awami League vertreten. Falls die Behörde Zweifel an diesen Ausführungen habe, werde beantragt, den Dolmetscher diesbezüglich als Zeugen einzuvernehmen. Hinzu komme, dass der Leiter der Amtshandlung sowie der Dolmetscher einschüchternd gewirkt und beinahe geschrien hätten. Hierzu könne auch die Rechtsberaterin, die bei der Einvernahme anwesend gewesen sei, als Zeugin befragt werden. Schließlich werde beantragt, die Behörde möge den Dolmetscher nach Qualifikationsnachweisen betreffend seine Sprachkenntnisse sowie seiner Dolmetschausbildung befragen und ihn zu seinen politischen Aktivitäten in Österreich einvernehmen. Der Dolmetscher habe gemeint, dass mit Absicht nichts gesagt worden sei. Ein Dolmetscher hätte jedoch neutral zu bleiben und nur objektive Aussagen treffen dürfen. Er habe jedoch subjektiv Stellung bezogen und damit das Gebot der Objektivität und Unvoreingenommenheit verletzt.
Dem Schreiben wurden folgende Unterlagen (in Kopie) beigelegt:
? Zeugnis zur Integrationsprüfung vom XXXX , wonach der BF über eine Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 verfügt;
? Bestätigung über die Absolvierung der Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Koch vom XXXX , ausgestellt von der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Wien;
? Schreiben der Organisation „ XXXX “ vom XXXX , wonach der BF mit dieser Organisation seit diesem Jahr in Kontakt stehe und mit seinem Partner, XXXX , um eine Coming-Out Beratung gebeten habe. Der BF befinde sich im langwierigen Prozess des Coming-Out, weshalb es für ihn ein bisschen schwierig gewesen sei, mit einer weiblichen Kollegin so offen zu reden, wie er dies mit dem männlichen Sozialberater getan habe. Es liege einerseits daran, dass er seine sexuelle Orientierung verheimlichen habe müssen, um zu überleben; andererseits sei er damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu entdecken. Der BF sei dabei, seine Ängste zu überwinden und bekenne sich immer selbstverständlicher zu seinem sexuellen Begehren für Männer. Gleichzeitig sei er sehr vorsichtig damit, seine Homosexualität in der bengalischen Community in Österreich öffentlich zu machen.
2.4. Mit Schreiben vom XXXX beantragte der BF neuerlich die Durchführung seiner Einvernahme in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie einer Vertrauensperson. Festgehalten wurde weiter, das Bundesamt möge diese Einvernahme mit einer zum Referenten separaten Person als Schriftführer durchführen und die Einvernahme mittels Audio- und/oder Videoaufnahme dokumentieren. Ferner wurde die Einvernahme des Mitbewohners des BF als Zeuge zum Beweis seiner Homosexualität und der Homosexualität seines Partners beantragt. Weiter wurde der Antrag gestellt, einen Sachverständigen für Sexualkunde oder einer ähnlichen wissenschaftlichen Disziplin zu bestellen, um den BF sowie seinen Partner hinsichtlich ihrer Homosexualität zu prüfen. Darüber hinaus wurde ein Antrag auf Akteneinsicht bzw. der Übermittlung des Aktes in elektronischer Form gestellt. Abschließend wurde beantragt, einen Sachverständigen für Virologie zur Beurteilung der Situation in Bangladesch in Hinblick auf die Covid-19-Pandemie zu bestellen.
2.5. Das Bundesamt übermittelte dem BF mit Begleitschreiben XXXX das Länderinformationsblatt Bangladesch, Version 4, zur Stellungnehme binnen einer Woche.
Mit Schreiben vom XXXX brachte der BF vor, am XXXX einen Rechtsberatungstermin zu haben, weshalb er um Fristerstreckung bis zum XXXX ersuche. Mit Schreiben vom XXXX gewährte das Bundesamt eine einmalige Fristerstreckung bis zum XXXX .
2.6. Am XXXX erstattete der BF daraufhin eine Stellungnahme (AS 283 bis 307 und AS 317 bis 321). Konkret bezog er zur Situation von Homosexuellen im Herkunftsstaat Stellung und führte weiter aus, dass er in Österreich seit drei Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe und Mitglied in der Homosexuelleninitiative (HOSI) Wien und im Verein XXXX sei. Durch seine aktive Teilnahme sei er gut integriert. Im Herkunftsstaat würde er demgegenüber bei einem solchen Auftreten und einer solchen Lebensführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein. In Bezug auf das bisherige Verfahren wurde vorgebracht, dass der BF im Zuge des Rechtsberatungsgespräches mit der Diakonie deutlich zum Ausdruck gebracht habe, es sei ihm bei der Einvernahme schlicht nicht möglich gewesen, unter Anwesenheit des von der Behörde bestellten Dolmetschers offen über seine Homosexualität zu sprechen. Er habe in der Situation keinen Ausweg gesehen und habe aus Panik auf keine der Fragen geantwortet. Der BF sei nicht in der Lage gewesen, Fragen zu seiner Homosexualität zu beantworten, obwohl der Dolmetscher der Verschwiegenheitspflicht unterlegen sei und korrekt übersetzt habe. Die subjektive Panikreaktion sei darauf zurückzuführen, dass er einerseits Informationen über die politische Haltung des Dolmetschers erhalten habe, andererseits sei das Wissen des BF über die gesellschaftliche Diskriminierung und Verfolgung von homosexuellen Personen im Herkunftsstaat für seine Reaktion ausschlaggebend gewesen. Es ergehe der Antrag auf neuerliche Einvernahme des BF unter Beiziehung eines anderen Dolmetschers, beispielsweise jener, welcher auch bei der Erstbefragung übersetzt habe. Ferner werde die zeugenschaftliche Einvernahme seines Lebensgefährten, welche am XXXX aus den geschilderten Gründen nicht durchgeführt werden habe können, beantragt.
Der Stellungnahme wurden unter anderem folgende Unterlagen beigelegt:
? Schreiben der Organisation „ XXXX “ vom XXXX auf, in welchem zusammengefasst ausgeführt wird, der BF habe im Herbst mehrmals Beratungstermine wahrgenommen und es sei aufgrund seiner Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache immer einfacher geworden, sich auszutauschen (AS 817);
? Bestätigung vom XXXX , dass der BF seit dem XXXX Mitglied der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien ist (AS 859).
2.7. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gleichzeitig festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Festgestellt wurde zusammengefasst und verfahrenswesentlich, dass der BF Staatsangehöriger von Bangladesch sei, der Volksgruppe der Bengalen angehöre und sich zum Islam bekenne. Das Asylverfahren zur Zl. XXXX sei rechtskräftig „negativ“ abgeschlossen worden. Seit rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens habe sich der maßgebliche Sachverhalt nicht geändert. Der BF habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht.
Beweiswürdigend wurde hinsichtlich der vom BF geltend gemachten Fluchtgründe zunächst festgehalten, dass sein Vorbringen, wonach er im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Zeugenaussage betreffend das Verschwinden seines Bruders erstatten solle und daher in ein Zeugenschutzprogramm müsse, nicht nachvollziehbar sei. Der BF habe in der Stellungnahme vom XXXX hierzu auch kein ergänzendes Vorbringen erstattet, sondern nur pauschal darauf hingewiesen, dass es keine Zeugenschutzprogramme in Bangladesch gebe.
Die Angaben des BF, dass er nunmehr von der Partei „Jamaat-e Islami“ verfolgt werde, würden überdies in Widerspruch zu seinem Vorbringen im Erstverfahren stehen, habe er doch seinerzeit vorgebracht, sein Vater sei Vorsitzender und sein Bruder sei Sekretär dieser Partei gewesen. Weshalb seitens der Partei nunmehr ein Interesse an der Verfolgung des BF bestehe, habe er nicht näher dargelegt.
Sein Vorbringen zur befürchteten Verfolgung aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz finde ferner keine Deckung in den Länderinformationen.
Hinsichtlich des Vorbringens des BF zu seiner sexuellen Orientierung wurde ausgeführt, dass sich die diesbezüglichen Angaben des BF als widersprüchlich erweisen würden, habe er doch am XXXX gegenüber einem Beamten des XXXX angeführt, dass sein Partner nicht bei ihm wohne, sondern nur gemeldet gewesen sei. Der BF habe weder gewusst, wo sein Partner sich aufhalte, noch habe er seine Telefonnummer gekannt. In Bezug auf seine diesbezügliche Erklärung vom XXXX , wonach der BF sich gegenüber der Polizei nicht hinreichend ausdrücken habe können und er die Polizei nicht verstanden habe, sei festzuhalten, dass in den vom BF vorgelegten Unterstützungsschreiben auf seine guten Deutschkenntnisse hingewiesen werde und er überdies in Österreich eine Kochlehre absolviert habe, weshalb anzunehmen sei, dass er hinreichend Deutsch spreche. Hinzuweisen sei weiter darauf, dass er im Erstverfahren falsche Angaben zu seinem Alter erstattet habe, weshalb davon auszugehen sei, dass der BF mit allen Mitteln versuche, die Behörden zu täuschen.
Vor dem Hintergrund der Angaben, wonach der BF bereits seit drei Jahren eine Beziehung mit einem gleichgeschlechtlichen Partner führe, sei überdies nicht nachvollziehbar, dass er nicht bereits im Erstverfahren im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angeführt habe, homosexuell zu sein.
Bezüglich der Einvernahme am XXXX werde angemerkt, dass der BF und sein vermeintlicher Partner der deutschen Sprache mächtig seien und es dem BF möglich gewesen wäre vorzubringen, dass er ein Problem mit dem Dolmetscher habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass der BF in der Stellungnahme vom XXXX angegeben habe, es habe mit dem Dolmetscher neben politischen Problemen auch sprachliche Probleme gegeben. Demgegenüber habe er in der Stellungnahme vom XXXX angeführt, es habe keine sprachlichen Probleme gegeben und der Dolmetscher habe auch richtig übersetzt. Jedenfalls wäre es dem BF aber möglich gewesen, die Probleme mit dem Dolmetscher zu artikulieren. Überdies wäre der BF auch in der Lage gewesen, der Rechtsberaterin die Schwierigkeiten in Abwesenheit des Dolmetschers in deutscher Sprache mitzuteilen. Dem Antrag auf eine weitere Einvernahme mit einem anderen Dolmetscher werde daher nicht entsprochen. Entgegen der Behauptungen in der Stellungnahme vom XXXX habe überdies eine Zeugeneinvernahme seines vermeintlichen Partners stattgefunden, jedoch habe der Zeuge keine Angaben erstattet. Eine weitere Zeugeneinvernahme werde aus den bereits dargelegten Gründen daher nicht erfolgen.
Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb der vermeintliche Partner des BF bereits am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, während der BF erst am XXXX – sohin drei Monate nach Zurückweisung seiner außerordentlichen Revision – den verfahrensgegenständlichen Antrag eingebracht habe. In Zusammenschau all dieser Faktoren komme die Behörde zu dem Ergebnis, dass dem Vorbringen des BF bereits im Kern keine Glaubhaftigkeit zukomme.
Rechtlich wurde zu den Spruchpunkten I. und II. erwogen, dass seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar sowohl in Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen sei, als auch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe. Folglich stehe die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts dem neuerlichen Antrag entgegen.
2.8. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF im Wege seiner Vertretung gegen den oben genannten Bescheid vollinhaltlich Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte (unter anderem) die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Nach Darstellung des Sachverhalts wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die von der Behörde herangezogenen Länderberichte zur Beurteilung des Fluchtvorbringens des BF als unzureichend zu qualifizieren seien. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass der BF insoweit ein neues Vorbringen erstattet habe, als er angegeben habe, homosexuell zu sein, eine Beziehung zu führen und in der LGBTQI Community aktiv zu sein. In Bezug auf die Beweiswürdigung der Behörde wurde ausgeführt, es sei nicht ungewöhnlich, dass Menschen aus muslimischen Ländern eine höhere Hemmschwelle hätten ihre homosexuelle Orientierung zu akzeptieren und öffentlich zu machen. Zum Beweis der Homosexualität sei der Partner des BF einvernommen worden, welcher jedoch aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Dolmetscher nicht einvernommen werden habe können. Es hätte daher eine neuerliche Einvernahme mit einem anderen Dolmetscher durchgeführt werden müssen. Auch der BF habe Verständigungsprobleme gehabt und habe vor dem Dolmetscher nicht offen sprechen können, da dieser in der bengalischen Community stark vernetzt sei. Hinsichtlich der rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid wurde ausgeführt, dass der BF entgegen der Erwägungen der Behörde sehr wohl ein neues Vorbringen erstattet habe. Er habe glaubhaft dargelegt, homosexuell zu sein. Da es dem BF sehr unangenehm gewesen sei, über seine Sexualität zu sprechen, könne ihm nicht vorgeworfen werden, erst im Folgeantrag ein diesbezügliches Vorbringen erstattet zu haben. Sein Vorbringen weise sohin jedenfalls einen glaubhaften Kern auf. Seinen Fluchtgründen komme darüber hinaus auch potentielle Asylrelevanz zu.
Der Beschwerde wurde unter anderem ein Konvolut an Lichtbildern beigelegt.
2.9. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Verfahrensakten vor, wo diese am XXXX einlangten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers sowie zum Verfahren
1.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch, gehört der Volksgruppe der Bengalen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte er am XXXX seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte er zusammengefasst an, sein Vater sowie sein ältester Bruder seien für die Partei „Jamaat-i-Islami“ tätig gewesen, weshalb der BF und seine Familie im Herkunftsstaat Verfolgungshandlungen seitens der Regierungspartei ausgesetzt gewesen seien.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX wurde der Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist. Ihm wurde ferner eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise gewährt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis wurde der Vertretung des BF am XXXX im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt. Die gegen das Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , zurückgewiesen.
1.1.2. Der BF verblieb unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet und stellte am XXXX den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung seines Antrags brachte er vor dem Bundesamt erstmals vor, dass er homosexuell sei, seit drei Jahren eine Beziehung mit XXXX führe und in einem Verein für Homosexuelle tätig sei.
XXXX , ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am XXXX in Österreich seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und brachte sowohl in der Erstbefragung am XXXX als auch in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX vor, mit dem BF eine Beziehung zu führen.
Der BF hat im erstinstanzlichen Verfahren überdies eine Bestätigung der Organisation „ XXXX vorgelegt, wonach er im Jahr XXXX mit XXXX diese Organisation um Unterstützung betreffend ihr Coming-Out ersucht und Beratung in Anspruch genommen hat. Ferner hat er eine Bestätigung vom XXXX vorgelegt, wonach er seit XXXX Mitglied der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien ist.
1.1.3. Der BF hat im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht angeführt, homosexuell zu sein. Dem Vorbringen des BF zu seiner sexuellen Orientierung kommt zumindest ein glaubhafter Kern zu.
1.2. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Bangladesch, Version 4
SOGI – Sexuelle Orientierung und Genderidentität (letzte Änderung: 16.06.2021)
Frauen führen beide großen politischen Parteien an. Nichtsdestotrotz schränkt die gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen, wie auch von LGBTI Personen, ihre Beteiligung an der Politik in der Praxis ein. Marginalisierte Gruppen sind in der Politik und in staatlichen Behörden weiterhin unterrepräsentiert. Für Transgender-Personen gibt es eine gewisse rechtliche Anerkennung, obwohl sie in der Praxis stark diskriminiert werden. Im Jahr 2019 bewarben sich mehrere Transgender-Frauen um die für Frauen reservierten Sitze im Parlament. Keine wurde gewählt (FH 3.3.2021). Zwar wurde 2019 erstmals eine Vertreterin der Hijras ins Parlament gewählt (AA 21.6.2020), aus der indischen Perspektive gesehen, sind Hijras jedoch keine Transgender , sondern Cisgender (Syed, R. o.D.)
Homosexuelle Handlungen sind illegal und können wegen "Geschlechtsverkehr entgegen der natürlichen Ordnung" nach § 377 des "Bangladesh Penal Code, 1860" (BPC) mit lebenslangem Freiheitsentzug (HRW 13.1.2021; vgl. ILGA 12.2020), mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe, bestraft werden (ILGA 12.2020; vgl. AA 21.6.2020). Traditionell tendiert die Bevölkerung zu einer gemäßigten Ausübung des Islam, die Sexualmoral ist allerdings konservativ (ÖB 9.2020). Druck und Einschüchterung durch islamistische Gruppen schränken auch Aktivitäten von NGOs zu einigen Themen wie LGBTI Rechte ein (FH 3.3.2021).
Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) erhielten Drohbotschaften per Telefon, SMS und über soziale Medien, und berichten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 21.6.2020).
Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (ÖB 9.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Ein strafrechtliches Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen wird selten durchgesetzt, aber gesellschaftliche Diskriminierung bleibt die Norm, und jedes Jahr werden Dutzende von Angriffen auf LGBTI Personen gemeldet. Nach der Ermordung von Xulhaz Mannan, einem prominenten LGBTI Aktivisten, durch militante Islamisten im Jahr 2016 befinden sich einige LGBTI Personen im Exil (FH 3.3.2021).
Bei einem durch das Human Rights Forum Bangladesh (HRFB) eingereichten Bericht beim UN-Ausschuss gegen Folter vom 29.6.2019 wurden für den Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 434 Beschwerden wegen schikanöser Behandlungen oder Misshandlungen angeführt. Davon betrafen 294 Fälle Angriffe gegen Angehörige sexueller Minderheiten (HRFB 22.6.2019).
Eine besondere Rolle kommt dem „dritten Geschlecht“ zu, den sogenannten "Hijras", Eunuchen und Personen mit unterentwickelten oder missgebildeten Geschlechtsorganen. Diese Gruppe ist aufgrund einer langen Tradition auf dem indischen Subkontinent im Bewusstsein der Gesellschaft präsent und quasi etabliert. Dieser Umstand schützt sie jedoch nicht vor Übergriffen und massiver gesellschaftlicher Diskriminierung (AA 21.6.2020). Obwohl die Regierung mit der Anerkennung von Hijras als drittes Geschlecht einen wichtigen Schritt getan hat, blieb es in der Praxis für Hijras schwierig, Zugang zu medizinischer Versorgung und anderen staatlichen Dienstleistungen zu erhalten, ein Problem, das sich während der Covid-19-Pandemie noch verschärfte (HRW 13.1.2021). Auch wenn sie eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft Bangladeschs innehaben und viele Hijras in klar definierten und organisierten Gemeinschaften leben, die sich seit Generationen erhalten haben, bleiben sie trotzdem marginalisiert (DFAT 22.8.2019; vgl AA 21.6.2020). Die Regierung verabsäumte es, den Schutz der Rechte von Hijras ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 13.1.2021).
LGBT-Organisationen, insbesondere für Lesben, sind selten (USDOS 11.3.2020). Es gibt keine NGO für sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität in Bangladesch, dafür aber NGOs wie "Boys of Bangladesh", die "Bhandu Social Welfare Society" und Online-Gemeinschaften wie "Roopbaan", das lesbische Netzwerk "Shambhab" und "Vivid Rainbow" (ILGA 3.2019).
Die Nationale Menschenrechtskommission bildete ein Komitee, das sich mit Fragen für marginalisierte Gruppen, einschließlich Transgender, befasst, und der Nationale Lehrplan- und Schulbuchausschuss von Bangladesch stimmte zu, Fragen des dritten Geschlechts in den Lehrplan der Sekundarschule aufzunehmen (HRW 13.1.2021). Im September 2020 kündigte das staatliche Statistikamt Bangladesch an, dass die Volkszählung 2021 Hijra als Kategorie des "dritten Geschlechts" einschließen wird (USDOS 30.3.2021).
[…]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Religionszugehörigkeit) gründen sich auf seine Angaben im gegenständlichen Verfahren, welche bereits vom Bundesamt dem nunmehr angefochtenen Bescheid als Sachverhalt zugrunde gelegt wurden und daher unstrittig sind.
Die Feststellungen zur Einreise des BF in das Bundesgebiet sowie zum Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , samt Zustellnachweis sowie dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom XXXX , XXXX .
Ferner stützen sich die Feststellungen zu seinem unrechtmäßigen Verbleib in Österreich, zur Stellung des verfahrensgegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz sowie zum Vorbringen des BF zu den im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Flucht- und Verfolgungsgründen auf den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt, insbesondere auf die Niederschrift der Erstbefragung vom XXXX , das Schreiben der Organisation „ XXXX vom XXXX sowie die Bestätigung der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien vom XXXX .
Die Feststellungen zum Verfahren über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz von XXXX sowie zu dessen Vorbringen hinsichtlich der Beziehung mit dem BF ergeben sich aus der Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt zur Zl. XXXX (vgl. dort insbesondere Niederschrift der Erstbefragung vom XXXX sowie Niederschrift der Einvernahme vor dem Bundesamt vom XXXX ).
2.2. Zum Fluchtvorbringen und zu den Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers:
Bereits das Bundesamt hielt im Rahmen seiner Beweiswürdigung im nunmehr angefochtenen Bescheid fest, dass der BF im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht erwähnte, homosexuell zu sein, sondern hierzu erstmals im gegenständlichen Verfahren über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein Vorbringen erstattete. Dieser Sachverhalt erweist sich daher als unstrittig.
Die Feststellung, dass dem Vorbringen des BF zu seiner sexuellen Orientierung zumindest ein glaubhafter Kern zukommt, beruht auf folgenden Erwägungen:
Der BF führte in seiner Erstbefragung an, homosexuell zu sein, seit drei Jahren mit XXXX eine Beziehung zu führen und in Vereinen für homosexuelle Menschen aktiv zu sein.
In Bezug auf dieses Vorbringen ist zunächst festzuhalten, dass XXXX im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz sowohl in seiner Erstbefragung als auch in der Einvernahme am XXXX festhielt, mit dem BF eine Beziehung zu führen.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass der BF nach den Schreiben der Organisation „ XXXX “ vom XXXX sowie vom XXXX im Herbst XXXX Beratungsgespräche dieser Organisation betreffend sein Coming-Out in Anspruch genommen hat. Nach der Bestätigung der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien vom XXXX , ist der BF überdies seit dem XXXX Mitglied dieses Vereins. Hinweise, dass diese Unterlagen nicht echt seien, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Aufgrund der vorgelegten Bescheinigungsmittel sowie des Umstands, dass XXXX im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz bestätigte, mit dem BF eine Beziehung zu führen, kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen des BF zu seiner sexuellen Orientierung zumindest im Kern glaubhaft ist.
Insoweit das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zu einem anderen Ergebnis kommt ist Folgendes festzuhalten:
Das Bundesamt stützte seine Argumentation zunächst darauf, dass der BF gegenüber Beamten des XXXX am XXXX angeführt habe, XXXX würde nicht an seiner Adresse leben und er würde auch dessen Telefonnummer nicht kennen. In Bezug auf diese Argumentation ist zunächst festzuhalten, dass der Bericht der XXXX im Akt nicht aufliegt.
Weiter nahm das Bundesamt darauf Bezug, dass der BF zu diesem Vorfall eine Erklärung abgegeben habe, wonach es zwischen ihm und der Polizei zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei, weshalb die Polizei fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass XXXX nicht an der Adresse des BF lebe. Nach Ansicht des Bundesamtes sei diese Erklärung nicht nachvollziehbar, da der BF über hinreichende Deutschkenntnisse verfüge. Dieser Argumentation ist zu entgegnen, dass zwar aufgrund der im Akt aufliegenden Integrationsunterlagen davon auszugehen ist, dass sich der BF auf Deutsch verständigen kann. Dieser Umstand vermag jedoch nicht dazu zu führen, dass sprachliche Missverständnisse in sämtlichen Lebenssituation ausgeschlossen werden können, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass im Erstverfahren in der mündlichen Verhandlung am XXXX protokolliert wurde, eine Konversation in deutscher Sprache sei mit dem BF nur schwer möglich und seine Antworten müsse mit großer Aufmerksamkeit begegnet werden, um sie zu verstehen (Akt zur Zl. XXXX , Verhandlungsniederschrift vom XXXX , S. 8).
Weiter hielt das Bundesamt fest, es sei nicht nachvollziehbar, dass der BF in der Einvernahme am XXXX keine Angaben erstattete. Festzuhalten ist zunächst, dass der BF im Rahmen dieser Einvernahme anführte, den Dolmetscher nicht zu verstehen. Auf die daraufhin an ihn adressierten Fragen antwortete er nicht.
Dem Bundesamt ist insoweit zuzustimmen, als die Ausführungen des BF in seinen Stellungnahmen zu seinen Beweggründen, in der Einvernahme kein Vorbringen zu erstatten, Ungereimtheiten aufweisen. So stützte sich der BF im Schreiben vom XXXX darauf, dass er den Dolmetscher aufgrund seines Dialekts nicht hinreichend verstehen habe können, während aus dem Verwaltungsakt betreffend das Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz hervorgeht, dass er am XXXX unter Beiziehung desselben Dolmetschers einvernommen wurde und bestätigte, den Dolmetscher gut verstanden zu haben (vgl. Akt des Bundesamtes zur Zl. XXXX , AS 131ff.). In der Stellungnahme vom XXXX räumte der BF überdies ein, dass der Dolmetscher korrekt übersetzt habe, sodass auch vor diesem Hintergrund davon auszugehen ist, dass er ihn verstanden hat.
Das Bundesamt übersieht jedoch gegenständlich, dass der BF sowohl im Schreiben vom XXXX , als auch im Schreiben vom XXXX und in seiner Stellungnahme vom XXXX Bedenken hinsichtlich der Unvoreingenommenheit des Dolmetschers äußerte und weiter vorbrachte, er habe vor dem Dolmetscher nicht frei über seine Homosexualität sprechen können, da dieser in der bengalischen Community stark vertreten sei, Funktionär oder Verstandsmitglied der Österreich-Bangladesch Gesellschaft gewesen sei und dem österreichischen Zweig der Awami League angehöre. Das Bundesamt hat sich mit diesem Vorbringen jedoch nicht auseinandergesetzt und keine Ermittlungen zu allfälligen politischen Aktivitäten des Dolmetschers durchgeführt. Auch der Hinweis der Behörde, wonach es dem BF möglich und zumutbar gewesen wäre, seine Bedenken hinsichtlich des Dolmetschers gegenüber der Rechtsberaterin in Abwesenheit des Dolmetschers in deutscher Sprache zu artikulieren, vermag die Behörde von dieser Verpflichtung nicht zu entbinden.
In einer Gesamtschau sind sohin die Erwägungen der Behörde – auf Grundlage des von ihr geführten Ermittlungsverfahrens –nicht ausreichend tragfähig für den Standpunkt, dass dem Vorbringen des BF zu seiner sexuellen Orientierung sowie der damit verbundenen Furcht vor Verfolgung nicht einmal ein glaubhafter Kern zukommt.
Vor diesem Hintergrund kann gegenständlich eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF zur Verfolgung durch die Partei Jamaat-i-Islami sowie durch die Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates unterbleiben (vgl. diesbezüglich auch die näheren Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung).
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat, welche dem BF bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgehalten und dem nunmehr angefochtenen Bescheid als Sachverhalt zugrunde gelegt wurden, stützen sich auf das Länderinformationsblatt Bangladesch, Version 4. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Der BF ist den Länderberichten im Übrigen weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde hinreichend konkret entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Beschwerde gegen die Zurückweisung des Folgeantrags
3.1. Zu den Rechtsgrundlagen
3.1.1. In seinem Erkenntnis vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, führte der Verfassungsgerichtshof zu seiner bisherigen Rechtsprechung betreffend Folgeanträge auf internationalen Schutz zusammengefasst Folgendes aus:
„Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Eine dem vergleichbare Norm ist im VwGVG nicht enthalten und auch vom Verweis des § 17 VwGVG nicht erfasst, weil danach die Anwendung der Bestimmungen (u.a.) des IV. Teiles des AVG - somit auch der darin enthaltene § 68 - auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG ausgeschlossen ist.
Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum VwGVG bereits festgehalten, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens, wobei die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens allgemein anzuwenden sind. Dieser Grundsatz ist daher auch dann zu beachten, wenn § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des IV. Teils des AVG und damit des § 68 Abs. 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorkehrt. Auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird mit ihrer Erlassung rechtskräftig, wobei alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft haben. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist - auch im Verfahren der Verwaltungsgerichte - die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranziehbar. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung der getroffenen Entscheidung (vgl. zum Ganzen VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist (auch vom Verwaltungsgericht) von der rechtskräftigen Vorentscheidung - dies kann auch eine solche einer Verwaltungsbehörde sein - auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt.
Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. auch dazu VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.“
3.1.2. Artikel 40 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes lautet auszugsweise:
„Folgeanträge
(1) Wenn eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt hat, in demselben Mitgliedstaat weitere Angaben vorbringt oder einen Folgeantrag stellt, prüft dieser Mitgliedstaat diese weiteren Angaben oder die Elemente des Folgeantrags im Rahmen der Prüfung des früheren Antrags oder der Prüfung der Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, insoweit die zuständigen Behörden in diesem Rahmen alle Elemente, die den weiteren Angaben oder dem Folgeantrag zugrunde liegen, berücksichtigen können.
(2) Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
(3) Wenn die erste Prüfung nach Absatz 2 ergibt, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird der Antrag gemäß Kapitel II weiter geprüft. Die Mitgliedstaaten können auch andere Gründe festlegen, aus denen der Folgeantrag weiter zu prüfen ist.
(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Antrag nur dann weiter geprüft wird, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Absätzen 2 und 3 dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren insbesondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 vorzubringen. […]“
3.1.3. Aus dem Urteil des EuGH vom 10.06.2021 in der Rechtssache C-921/19, LH gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid, ergibt sich in Bezug auf die Prüfung von (Folge-) Anträgen auf internationalen Schutz Folgendes:
„Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32 sieht […] eine Bearbeitung der Folgeanträge in zwei Etappen vor. In der ersten wird zunächst die Zulässigkeit dieser Anträge geprüft, während in der zweiten dann die Anträge in der Sache geprüft werden.
Die erste Etappe erfolgt ebenfalls in zwei Schritten, wobei jeweils die unterschiedlichen, von diesen Bestimmungen festgelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft werden.
So bestimmt Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 in einem ersten Schritt, dass für die Zwecke der gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz ein Folgeantrag zunächst daraufhin geprüft wird, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
Nur wenn im Vergleich zum ersten Antrag auf internationalen Schutz tatsächlich solche neuen Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, wird gemäß Art. 40 Abs. 3 dieser Richtlinie die Prüfung der Zulässigkeit des Folgeantrags fortgesetzt, um zu prüfen, ob diese neuen Elemente oder Erkenntnisse erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist.
Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen folglich zwar beide erfüllt sein, damit der Folgeantrag gemäß Art. 40 Abs. 3 dieser Richtlinie weiter geprüft wird, sie unterscheiden sich jedoch und dürfen nicht miteinander vermengt werden.“
Ferner hat der EuGH in seinem Urteil vom 09.09.2021, C-18/20, wie folgt erwogen:
„1. Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass die Wendung ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, im Sinne dieser Bestimmung sowohl Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten sind, als auch Elemente oder Erkenntnisse umfasst, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber vom Antragsteller nicht geltend gemacht wurden.
2. Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass die Prüfung eines Folgeantrags auf internationalen Schutz in der Sache im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens über den ersten Antrag vorgenommen werden kann, sofern die auf diese Wiederaufnahme anwendbaren Vorschriften mit Kapitel II der Richtlinie 2013/32 im Einklang stehen und für die Stellung dieses Antrags keine Ausschlussfristen gelten.
3. Art. 40 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat, der keine Sondernormen zur Umsetzung dieser Bestimmung erlassen hat, nicht gestattet, in Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das nationale Verwaltungsverfahren die Prüfung eines Folgeantrags in der Sache abzulehnen, wenn die neuen Elemente oder Erkenntnisse, auf die dieser Antrag gestützt wird, zur Zeit des Verfahrens über den früheren Antrag existierten und in diesem Verfahren durch Verschulden des Antragstellers nicht vorgebracht wurden.“
3.1.4. Vor dem Hintergrund des zuletzt zitierten Urteils des EuGH kommt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, zu dem Ergebnis, dass es – entgegen der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung - aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben nicht zulässig ist, einen Fremden, der die Gewährung von internationalem Schutz anstrebt und dafür in einem Folgeantrag im Sinn des Art. 40 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, dass er „nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, vorbringt oder wenn solche zutage treten, allein deshalb, weil er Gründe, die bereits vor Abschluss des ersten Verfahrens existent waren, erst im Folgeantrag geltend macht, auf die Wiederaufnahme eines früheren Asylverfahrens nach § 69 AVG oder § 32 VwGVG zu verweisen.
Das bringt es aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs mit sich, dass ein solcherart begründeter Antrag auf internationalen Schutz nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden darf, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist.
Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass - allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers - solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin - in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind - statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren.
Liegen keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor oder sind die neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht geeignet, erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Antragsteller ein Schutzstatus zuzuerkennen ist, verlangt auch Art. 40 Abs. 3 Verfahrensrichtlinie keine weitere Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz. Nach Art. 33 Abs. 2 lit. d iVm Art. 40 Abs. 5 Verfahrensrichtlinie ist es in solchen Fällen erlaubt, einen Folgeantrag als unzulässig zu betrachten (vgl. zu alledem VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
3.2. Prüfung im gegenständlichen Fall
Im vorliegenden Fall ist als Vergleichsentscheidung das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , heranzuziehen, welches am XXXX in Rechtskraft erwachsen ist.
3.2.1. Der BF führte zur Begründung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz an, er fürchte, im Herkunftsstaat von der regierenden Partei getötet zu werden, da sein Vater sowie sein ältester Bruder für die Partei Jamaat-i-Islami tätig gewesen seien.
Im gegenständlichen Verfahren über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz brachte er erstmals vor, homosexuell zu sein und aus diesem Grund im Herkunftsstaat Verfolgung zu fürchten.
Es steht daher unzweifelhaft fest, dass er „neue Elemente“ im Sinne des Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 dargetan hat.
3.2.2. In einem zweiten Schritt ist nunmehr zu prüfen, ob sein neues Vorbringen geeignet ist, erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem BF ein Schutzstatus zuzuerkennen ist.
Aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation in Bangladesch ergibt sich, dass homosexuelle Handlungen in Bangladesch illegal sind und wegen "Geschlechtsverkehr entgegen der natürlichen Ordnung" nach § 377 des "Bangladesh Penal Code, 1860" (BPC) mit lebenslangem Freiheitsentzug, mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe, bestraft werden können. Ein strafrechtliches Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen wird selten durchgesetzt, aber gesellschaftliche Diskriminierung bleibt die Norm, und jedes Jahr werden Dutzende von Angriffen auf LGBTI Personen gemeldet. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen.
Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage ist festzuhalten, dass das Vorbringen des BF zu seiner Homosexualität geeignet ist, im Hinblick auf die Zuerkennung von internationalem Schutz zu einem anderen Ergebnis als in seinem Erstverfahren zu führen.