TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/30 W112 2134896-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2021
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Entscheidungsdatum

30.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W112 2134897-2/37E
W112 2215868-1/30E
W112 2134896-2/24E
W112 2215872-1/21E
W112 2215871-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX und 5. XXXX , geb. XXXX , alle StA. RUSSISCHE FÖDERATION, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2019 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX , 4. Zl. XXXX und 5. Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. der angefochtenen Bescheide wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und gemäß § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“, XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“, XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“, XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“ und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ jeweils für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. Die Spruchpunkte V. und VI. werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des mj. Drittbeschwerdeführers, der mj. Viertbeschwerdeführerin und der mj. Fünftbeschwerdeführerin. Sie sind Staatsangehörige der RUSSISCHEN FÖDERATION.

1.2. Der Erstbeschwerdeführer reiste mit dem Drittbeschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und der Erstbeschwerdeführer stellte für sich und den mj. Drittbeschwerdeführer am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er gemeinsam mit seinem Sohn geflüchtet sei und seine Ehefrau sowie Töchter weiterhin in Tschetschenien wohnhaft seien. Er und sein Sohn haben ihre Heimat am XXXX mit dem Pkw verlassen und seien mit Hilfe eines Schleppers bis nach Österreich gereist. In TSCHETSCHENIEN habe er am Dorfrand von XXXX gewohnt. Im XXXX sei er in der Nacht von vier Männern geschlagen worden, sodass sich seine Kinder erschrocken haben. Er haben von den Männern eine Liste mit Medikamenten und Lebensmittel bekommen, welche er für sie besorgen habe müssen. Die Behörden haben von diesem Vorfall erfahren und er sei festgenommen worden, weil ihm vorgeworfen worden sei, dass er den Rebellen geholfen habe. Er sei drei Tage in Haft gewesen, gefoltert und geschlagen worden. Sein Vater habe ihn freigekauft und er sei ins Krankenhaus gekommen, aber der Vorfall habe sich wiederholt und er sei erneut festgenommen und gefoltert worden. Er wolle nicht noch einmal eingesperrt werden und sei deshalb aus TSCHETSCHENIEN geflohen. Seine Angaben gelten inhaltlich auch für seinen minderjährigen Sohn (Drittbeschwerdeführer).

1.3. Am 19.04.2016 wurde der Erstbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass sein Sohn wegen ihm hier sei und keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen habe. Sein Sohn habe aber XXXX und bekomme in Österreich neue Medikamente. Die XXXX sei beim Drittbeschwerdeführer in TSCHETSCHENIEN im Alter von XXXX Jahren diagnostiziert worden. Den bereits bei der Erstbefragung geschilderten Fluchtgrund hielt der Erstbeschwerdeführer aufrecht und machte ergänzende Angaben: Er sei von Widerstandskämpfern eines Abends bedroht worden und habe für sie Medikamente sowie Lebensmittel einkaufen müssen. Drei oder vier Tage später sei er von der Polizei mitgenommen und stark geschlagen worden. Sie haben ihm vorgeworfen, dass er Widerstandskämpfer unterstützt habe und er sei nach drei Tagen durch die Unterstützung seines Vaters wieder freigekommen. Er sei drei Tage mehrmals einvernommen, geschlagen und mit Strom gefoltert worden. Er habe davon Kopfverletzungen erlitten und sei in XXXX neun Tage lang im Krankenhaus gewesen. Kurze Zeit später sei die Polizei wieder zu ihm nach Hause gekommen und habe ihn wieder mitgenommen. Er sei wieder einvernommen und mit Strom gefoltert worden, weil er alle Beschuldigungen bestritten habe. Nach zwei Tage sei er erneut durch seinen Vater freigekauft worden. Dann sei er zu Verwandten nach XXXX gefahren, habe dort eine Wohnung gemietet und auf der Baustelle gearbeitet. In dieser Zeit sei die Polizei wieder mehrmals zu ihm nach Hause gekommen und er habe sich entschlossen aus RUSSLAND auszureisen. Er habe den älteren Sohn mitgenommen, seine zwei anderen Kinder seien noch zu klein gewesen. Er habe regelmäßig Kontakt ins Heimatland mit seiner Familie und seit drei Monaten gebe es keine Probleme mehr, weil die Polizei wisse, dass er nicht zu Hause sei.

Im Verfahren legte der Erstbeschwerdeführer die Kopie seines Inlandsreisepasses, seine Geburtsurkunde, seine Heiratsurkunde, eine russische Krankenhausbestätigung (Patientenbrief) und die Geburtsurkunde/Staatsbürgerschaftsnachweis des Drittbeschwerdeführers vor. Außerdem übermittelte er verschiedene medizinische und Unterlagen zu seiner Integration in Österreich.

1.4. Mit Bescheid vom 23.08.2016 wies das Bundesamt die Anträge des Erstbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers auf internationalen sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem erteilte es ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Es räumte ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ein.

Dagegen erhoben der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer mit Schriftsätzen vom 06.09.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

1.5. Die Zweitbeschwerdeführerin und die Töchter (Viert- und Fünftbeschwerdeführerin) reisten mit einem XXXX Visum in das Bundesgebiet ein und stellten am XXXX Anträge auf internationalen Schutz, zu denen die Zweitbeschwerdeführerin am XXXX polizeilich erstbefragt wurde. Hierbei gab sie zusammengefasst an, dass sie ihren Reisepass in XXXX weggeschmissen habe, als sie über XXXX und XXXX nach ÖSTERREICH gereist sei. Sie habe ihr Land verlassen, weil ihr Mann (Erstbeschwerdeführer) Probleme mit Rebellen bekommen habe. Da ihr Mann in Österreich lebe, wolle auch sie mit ihren Kindern und mit ihrer Familie in Österreich leben. Sie fürchte sich vor diesen Rebellen, die ihren Mann bedroht haben.

Am 26.09.2016 stellte das Bundesamt in den Verfahren dieser Beschwerdeführer Wiederaufnahmeersuchen an XXXX , weil diese mit XXXX Visa eingereist waren.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 22.10.2016 gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihr Mann und ihr Sohn seit XXXX in Österreich leben. Ihr Vater lebe seit XXXX Jahren, ihre Mutter seit XXXX Jahren und ihre Schwester seit XXXX Jahren im Bundesgebiet. Diese seien anerkannte Flüchtlinge. Sie habe kein Visum für Österreich bekommen, deshalb sei sie mit einem XXXX Visum eingereist. Sie lebe mit ihrem Ehemann und den Kindern im gemeinsamen Haushalt. Ihr Sohn sei krank, daher wolle sie mit Ehemann und Kindern in Österreich bleiben.

1.6. Das Bundesamt wies die Anträge der Zweit-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz nach der ausdrücklichen Zustimmung XXXX zur Wiederaufnahme am 11.10.2016 als unzulässig zurück, sprach aus, dass XXXX zur Prüfung der dieser Anträge zuständig war, ordnete die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen nach XXXX zulässig war.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsätzen vom 14.11.2016 fristgerecht Beschwerde und legten medizinische Befunde betreffend den Erst- und Drittbeschwerdeführer bei. Das Bundesverwaltungsgericht gab mit Erkenntnis vom 11.01.2017 den Beschwerden der Beschwerdeführerinnen statt und behob die bekämpften Bescheide gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG.

1.7. Das Bundesverwaltungsgericht gab mit Erkenntnis vom 06.08.2018 den Beschwerden des Erst- und Drittbeschwerdeführers statt und behob die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1, 2 und 5 VwGVG iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005.

Der Erstbeschwerdeführer übermittelte im Verfahren weitere Integrationsunterlagen, insbesondere Arbeitsbestätigungen im Rahmen von Dienstleistungsschecks sowie vom Verein XXXX und ein Konvolut an Empfehlungsschreiben.

Die Landespolizeidirektion Niederösterreich übermittelte den Untersuchungsbericht vom 20.06.2018, demzufolge sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung des russischen Führerscheins des Erstbeschwerdeführers ergaben.

1.8. Am 04.12.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Er gab zusammengefasst an, dass er im Monat XXXX verdiene und auch Grundversorgung beziehe. Außerdem sei er Mitglied bei der XXXX in XXXX . In Österreich leben seine Schwägerin und seine Schwiegereltern, zudem habe er einen großen Freundeskreis. Er habe drei Kinder und sei verheiratet. In der RUSSISCHEN FÖDERATION habe er als XXXX gearbeitet und damit den Lebensunterhalt für die Familie bestritten. Zu seinen Fluchtgründe führt er aus, dass er Lebensmittel für die Kämpfer gekauft habe, weil ihm mit der Erschießung seiner Familie gedroht worden sei. Er sei drei bis vier Tage später von Kriminalpolizisten abgeholt worden. Er habe drei Nächte im Gefängnis verbracht und sei gefoltert worden. Durch eine Geldzahlung sei er freigekommen. Er habe Verletzungen durch die Folterung erlitten und sei sechs oder neun Tage im Krankenhaus behandelt worden, seine XXXX haben einen Schaden erlitten. Ca. sechs bis sieben Tage später sei er erneut von der Polizei abgeholt und zwei Nächte festgehalten worden. Wieder sei er grausam verprügelt worden und sein Vater habe Bestechungsgeld für seine Freilassung bezahlen müssen. Im Falle seiner Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION befürchte er, wieder von der Polizei abgeholt und geprügelt oder sogar umgebracht zu werden.

Im Rahmen der Einvernahme legte der Erstbeschwerdeführer ein Konvolut von Dienstleistungsschecks, Empfehlungsschreiben und sein A2 Zertifikat vor.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.12.2018 zusammengefasst an, dass sie im Jahr 2006 geheiratet und drei Kinder habe. Sie habe XXXX Jahre lang die Schule besucht und mit XXXX abgeschlossen. Seit ihrer Eheschließung habe sie in XXXX beim Erstbeschwerdeführer und den Schwiegereltern gewohnt, danach haben sie ein eigenes Haus in der Nähe gebaut. Nachdem ihr Mann Probleme bekommen habe, sei sie wieder zu ihren Schwiegereltern und danach zu ihrer Schwester gezogen. Ihr Mann habe für den Lebensunterhalt gesorgt, danach sei sie von ihrem Schwiegervater unterstützt worden. Befragt zu ihrem Fluchtgrund schilderte die Zweitbeschwerdeführerin, dass sie XXXX INGUSCHETIEN verlassen habe, weil ihr Mann in TSCHETSCHENIEN bzw. INGUSCHETIEN Probleme gehabt habe. Sie sei einmal von der Polizei abgeholt worden. Die Polizei habe von ihr Informationen gefordert, wo sich ihr Mann aufhalte. Sie habe immer Angst gehabt und nicht mehr in ihrem Haus leben können.

1.9. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 14.02.2019 (alle zugestellt am 18.02.2019) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es räumte ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ein (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt führte begründend u.a. aus, dass der Erstbeschwerdeführer nicht glaubhaft machen habe können, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgungsgefahr gedroht habe oder weiterhin drohe, weil er diesbezüglich keinerlei nachvollziehbare, glaubhaften und konkrete Angaben gemacht habe, warum er von einer gezielten persönlichen Verfolgung betroffen sei. Die Befürchtung des Erstbeschwerdeführers, im Falle einer Rückkehr von den Sicherheitsbehörden festgenommen zu werden, weil er verdächtigt werde, mit Rebellen kooperiert zu haben, habe der Erstbeschwerdeführer ebenso nicht glaubhaft machen können. Sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Einvernahme habe der Erstbeschwerdeführer selbst auf konkrete Nachfrage und Aufforderung hin, sein Fluchtvorbringen genauer zu schildern, nur vage und detaillose Angaben gemacht. Außerdem habe der Erstbeschwerdeführer auch Widersprüche in Zusammenhang mit seiner Krankenhausbestätigung nicht nachvollziehbar aufklären können. Auch die Angaben des Beschwerdeführers, er sei nach der zweiten Haftentlassung nicht mehr von Polizisten aufgesucht worden, untermauere die Ansicht des Bundesamtes, dass der Erstbeschwerdeführer spätestens zum Zeitpunkt der Ausreise im XXXX nicht mehr im Fokus der Sicherheitsbehörden in der RUSSISCHEN FÖDERATION gestanden sei. Die Gründe der Ausreise der Beschwerdeführer möge im rein privaten Bereich, nämlich der Verbesserung der Lebenssituation gelegen haben, eine Verfolgung ihrerseits sei jedenfalls nicht glaubhaft dargelegt worden.

1.7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27.02.2019 (eingebracht am selben Tag) fristgerecht Beschwerde. Die Bescheide wurden wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit ihres Inhalts infolge unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger Tatsachenfeststellung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts bekämpft.

Begründend führten die Beschwerdeführer aus, dass den Beschwerdeführern von den Sicherheitsbehörden oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und sie im Falle einer Rückkehr harte Repressalien zu erwarten haben. Grund dafür sei, dass der Erstbeschwerdeführer am 16.02.2015 von Widerstandskämpfern genötigt worden sei, Medikamente und Lebensmittel für diese zu kaufen. Infolge dessen sei der Erstbeschwerdeführer von Sicherheitskräften zweimal abgeholt, inhaftiert und gefoltert worden. Der Vater des Erstbeschwerdeführers habe diesen durch eine Geldzahlung freikaufen können. Im Falle der Rückkehr befürchte der Erstbeschwerdeführer weitere Verfolgungshandlungen durch die russischen Sicherheitsbehörden, weil ihm unterstellt werde, die Widerstandskämpfer bzw. eine terroristische Organisation zu unterstützen. Wenn dem Erstbeschwerdeführer von der belangten Behörde vorgehalten werde, er habe nur vage und detaillos geantwortet, so liege dies daran, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, wie sehr er bei seinen Schilderungen ins Detail gehen habe solle; außerdem habe die Einvernahmesituation großen Stress für den Erstbeschwerdeführer dargestellt. Dem Erstbeschwerdeführer falle es schwer, sich an die genauen zeitlichen Zusammenhänge zu erinnern. Dies hänge auch mit den bei den Inhaftierungen durch die Sicherheitskräfte zugefügten Verletzungen zusammen, weil er ziemlich stark auf den XXXX geschlagen worden sei, sodass er eine XXXX erlitten habe; es sei dadurch zu Gedächtnisproblemen gekommen. Der Erstbeschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen; er habe dort gut verdient und sein Vater sei Direktor in einem XXXX . Die belangte Behörde habe die Asylrelevanz des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers verkannt, weil das Argument, die Strafverfolgung von terroristischen Organisationen und deren Unterstützer durch die Sicherheitsbehörden sei eine legitime Maßnahme, auf den Fall des Erstbeschwerdeführers nicht zutreffe: Dies einerseits, weil er kein Unterstützer einer terroristischen Organisation sei und andererseits, weil er nur unter Gewaltanwendung genötigte Medikamente und Lebensmittel für diese Rebellen besorgt habe. Hinzu komme, dass die extreme Gewaltanwendung durch die Sicherheitsbehörden gegen den Erstbeschwerdeführer jedenfalls den Rahmen einer legitimen Strafverfolgung bzw. Untersuchung des Falles sprengen, denn Anwendung von Folter während der Haft sei jedenfalls unverhältnismäßig und menschenrechtswidrig.

Die Beschwerdeführer beantragten eine mündliche Verhandlung, damit der Erstbeschwerdeführer seine Fluchtgeschichte im Rahmen eines fairen Verfahrens noch einmal vorbringen könne.

1.8. Die Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten langten am 12.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 14.06.2019 übermittelte der Erstbeschwerdeführer unleserliche Kopien von Dienstleistungsschecks. Am 22.01.2021 legte der Erstbeschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben von XXXX , vom 10.12.2020 vor. Mit Eingabe vom 01.02.2021 übermittelte der Erstbeschwerdeführer das ÖSD Zertifikat-Niveau A2 vom 09.11.2018. Am 18.03.2021 gaben die Beschwerdeführer die Vollmachtserteilung an RA LORENZ bekannt und legten ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

Am 14.03.2021 übermittelte das Bundesamt den Abschlussbericht der Landespolizeidirektion NIEDERÖSTERREICH betreffend den Erstbeschwerdeführer wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz vor: Der Erstbeschwerdeführer sei nicht geständig, von einem XXXX Asylwerber Suchtmittel erworben zu haben. Er sei aber geständig, eine geringe Menge „ XXXX “ kostenlos erhalten zu haben.

Mit Eingabe vom 23.04.2021 übermittelten die Beschwerdeführer eingelöste Dienstleistungsscheck sowie verschiedene Empfehlungsschreiben.

1.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführer und ihre rechtsfreundliche Vertreterin teilnahmen; die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin wurde als Zeuge geladen, aufgrund der starken Schwerhörigkeit wurde aber von einer Befragung abgesehen, da diese unter Einhaltung der Corona-Sicherheitsvorschriften (Abstände und Masken) nicht möglich war. Der Zeuge wurde aufgefordert die Fragen schriftlich zu beantworten. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin erschien aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verhandlung; auf ihre Befragung wurde von der gewillkürten Vertreterin der Beschwerdeführer verzichtet. Die Beschwerdeführer legten im Rahmen der mündlichen Verhandlung erneut das ÖSD Zertifikat für das Niveau A2 und einen Arbeitsvorvertrag des Erstbeschwerdeführers vor.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

„[…] R befragt die BF, ob sie physisch und psychisch in der Lage sind, der heute stattfindenden mündlichen Beschwerdeverhandlung zu folgen und die an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten bzw. ob irgendwelche Hinderungsgründe vorliegen.

BF 1-2: Ich fühle mich geistig und körperlich in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen. […]

[…]

Befragung von BF1:

R: Sie wurden am 27.08.2015 von der Polizei erstbefragt und am 19.04.2016 und 04.12.2018 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF 1: Ich wurde einvernommen. Können Sie das wiederholen?

R wiederholt und erläutert die Frage.

BF1: Es hat Missverständnisse mit dem D gegeben, aber dann wurde es korrigiert. Es war so, dass ich gesagt habe, dass ich den D nicht gut verstehe und dann habe ich einen zweiten Termin bekommen und einen anderen D und dann ging es.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF 1: Ich habe immer das gesagt, was ich gewusst habe.

R: Mit Bescheid vom 23.08.2016, Ihnen zugestellt am 25.08.2016, wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz vom 27.08.2015 sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch den Status der subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf Ihren Herkunftsstaat Russische Föderation als unbegründet ab, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie. Es stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist und räumte Ihnen eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ein. Mit gleichlautenden Bescheid gegen Ihren Sohn. Gegen diese Bescheide erhoben Sie mit Schriftsatz vom 06.09.2016 Beschwerde. Mit Erkenntnis vom 06.08.2018 behob das Bundesverwaltungsgericht die Bescheide in Ihrem Verfahren und dem Ihres Sohnes im Familienverfahren, da sich nun auch Ihre Gattin und die beiden Töchter in Österreich aufhielten. Mit Bescheid vom 14.02.2019, Ihnen zugestellt am 18.02.2019, wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz vom 27.08.2015 sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch den Status der subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf Ihren Herkunftsstaat Russische Föderation als unbegründet ab, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie. Es stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist und räumte Ihnen eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ein. Gleichartige Bescheide ergingen in den Verfahren Ihrer Gattin und Ihrer Kinder. Gegen diese Bescheide erhoben Sie mit Schriftsatz vom 27.02.2019 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

BF 1: Ja.

R: Sind seit Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den Asylschutz zu berücksichtigen sind?

BF 1: Nein.

RV: Nein.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den subsidiären Schutz zu berücksichtigen sind?

RV: Nein.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen sind?

RV: Dazu wurde vorgebracht und vorgelegt. Ich verweise auf die Schriftsätze.

R: Sie sind russische Staatsangehörige, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens. Sie haben außerhalb des Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens kein anderes Aufenthaltsrecht für Österreich oder einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Ist das korrekt?

BF 1: Ja.

R: Haben Sie Österreich seit der Asylantragstellung am 27.08.2015 jemals verlassen?

BF 1: Nein.

R: Warum haben Sie die Ladung für den 18.04.2016 nicht behoben? Sie wurde am 19.02.2016 durch Hinterlegung zugestellt und von Ihnen nicht behoben und an die Behörde rückgemittelt!

BF 1: Ich habe es nicht gesehen. Ich habe in der Pension gelebt und die Ladung habe ich nicht gesehen.

R: Schildern Sie Ihren Fluchtgrund! Warum mussten Sie die Russische Föderation verlassen?

BF 1: Ich lebe in der Stadt XXXX , in INGUSCHETIEN. Es wurden dann neue Grundstücke vergeben und ich habe auch ein Grundstück erhalten. Zuerst habe ich bei meinen Eltern gelebt und dann habe ich das Grundstück erhalten. Dann habe ich ein Haus gebaut und ich habe gearbeitet. Dann, an einem Abend, habe ich mein Auto repariert. Im Hof bei mir. Es sind Leute zu mir gekommen, dass war ca. um 8 oder 9 Uhr. Diese Leute sagten, dass ich für sie Lebensmittel kaufen soll und auch Medikamente in der Apotheke. Ich habe mich geweigert. Ich habe gesagt, dass wenn das machen würde, ich Probleme mit der Polizei bekommen würde. Bei uns kommt sowas oft vor, aber sie haben darauf bestanden. Ich wurden dann auf der Straße Schläge versetzt, um mich einzuschüchtern. Dann wurde ich in Haus gebracht, dort waren meine Frau und meine 3 Kinder. Zuhause hat man mich dann weiter geschlagen und man hat mir gesagt, wenn ich das nicht kaufen werde, dann werde ich und meine Familie Probleme bekommen und dass sie meine Familie umbringen werde[n]. Ich habe Angst bekommen. Ich habe trotzdem darauf beharrt, dass ich es nicht machen kann, weil ich sonst Probleme bekommen werde. Dann hat man mich auch noch bedroht. Sie sagte mir, dass sie mich und meine Familie umbringen werden, wenn ich das nicht kaufe. Ich hatte keine andere Wahl, also sagte ich, dass ich einverstanden bin. Sie haben mir eine Liste gegeben, was ich alles kaufen soll und welche Medikamente ich kaufen soll. Man hat mir auch Geld gegeben. Sie haben mich vorgewarnt, dass wenn ich das der Polizei melden würde, sie das in Erfahrung bringen würden. Sie sagte, dass sie auch dort ihre Kontakte haben. Ich hatte keine andere Wahl und ich bin in Zentrum gefahren und sie sind bei mir zuhause geblieben. Sie haben mich vorgewarnt, dass ich es niemanden sagen darf. Dann habe ich Lebensmittel und manche Arzneimittel gekauft. Spritzen, Pflaster und schmerzstillende Mittel und auch Lebensmittel. Dann bin ich zu mir nachhause gekommen und die Leute haben auf mich gewartet. Ich habe ihnen gesagt, dass ich das was ich kaufen konnte, auch gekauft habe. Dann haben Sie die Lebensmittel auf ihr Auto verladen und sie haben mich nochmals gewarnt. Sie sagten, dass wenn ich es jemanden sagen, sie mich und meine Familie umbringen werden. Sie haben dann ihre Sachen auf das Auto geladen und sind weggefahren. Dann bin ich ins Haus gekommen und meine Familie stand unter Schock und die Kinder haben geweint. Auch meine Frau hat geweint. Ich habe versucht, sie zu beruhigen und sagte, dass alles gut sein wird. Sie haben auch meine Frau geschlagen, das war kurz nach der Geburt. Ich habe dann versucht, meine Familie so gut es geht zu beruhigen. Ich habe meiner Frau gesagt, dass sie es niemanden sagen darf. Ich habe meine Frau und Kinder beruhigt, das nicht[s] passieren wird und dass alles erledigt ist. Wir sind bei uns zuhause geblieben. Ich wusste, dass die Polizei uns kommen wird u[m] mich zu holen. Es gibt fast jeden Tag solche Vorfälle. So verdienen die Leute dort das Geld. Sie kenne die Leute bei der Polizei und wollen so zu einem Ergebnis kommen. Sie machen den Leuten Probleme. Am nächsten Tag, bin ich zur Arbeit gefahren. Ich wollte nicht, dass man in der Arbeit etwas erfährt, deswegen bin ich dorthin gekommen, wollte aber mit niemanden darüber reden. Meine Familie habe ich zu meinen Eltern geschickt, diese wohnen ca. 1km entfernt. Die nächsten 4 Tage standen ich und meine Familie unter Stress. Wir haben es meinen Eltern erzählt. Meine Eltern haben uns beruhigt, dass alles gut sein wird. Am 4ten Tag ist die Polizei zu uns gekommen, ganz zeitig in der Früh. Die Kinder und meine Frau haben geschlafen und ich selbst konnte nicht schlafen. Sie haben geklopft und ich habe die Türe aufgemacht und sie sind in mein Haus eingedrungen. Sie haben mich gleich fixiert und man hat mir Handschellen angelegt. Man sagte mir, dass ich jetzt große Probleme habe, weil ich Terroristen geholfen habe. Ich habe versucht, es zu verneinen und sagte, dass ich dazu gezwungen wurde, weil ich bedroht wurde und man gesagt hat, dass man meine Familie umbringen würde. Ich war deswegen einverstanden, weil ich keine andere Wahl hatte. Dann wurde mir ein Sack über den Kopf gestülpt und ich wurde in ein Auto verfrachtet und weggebracht. Ich wurde zur Polizeistelle gebracht und verhört. Ich wurde auch zusammengeschlagen. Man hat mich auf den Kopf geschlagen, die XXXX und mit Strom gefoltert. Alle 3 Stunden kam jemand anderes und ich wurde verhört. Man hat von mir gefoltert, dass ich zugebe, dass ich die Terroristen unterstützt habe. Man hat mich gefragt, wie sie heißen und wo sie leben. Ich habe gesagt, dass ich nichts weiß und die Leute auch nicht kenne. Ich habe versucht, es zu erklären wie es passiert und das wir bedroht worden sind. Man hat mir nicht geglaubt. Man hat mir gesagt, dass ich zusammen mit den Terroristen tätig war. Nach 4 Tagen ist mein Vater gekommen. Man sagte mir, dass mein Vater gekommen ist um mich zu holen. Dann habe ich meinen Vater gesehen und er kam mit einem anderen Mann. Dann sagte mein Vater, dass alles gut sein wird und dass alles vorbei ist. Er hat mich rausgeholt und in das Krankenhaus gebracht. Ich wurde dort nicht aufgenommen. Es war in XXXX . Die Polizeistelle, wo ich war, befand sich auch in XXXX . Allerdings hat man sich geweigert, mich dort aufzunehmen. Man hat Angst, Leute aufzunehmen, die Probleme mit den Terroristen haben oder der Polizei. Dann hat mein Vater mich zu sich nachhause gebracht. Eine Nacht habe ich zuhause bei den Eltern verbracht. Ich habe mich ein bisschen in Ordnung gebracht. Ich habe mich gewaschen und am nächsten Tag wurde ich nach XXXX gebracht in ein Krankenhaus, dort leben unsere Verwandten. Dort war ich ca. 9 Tage lang. Dann wurde ich nachhause gebracht, zu meinen Eltern. Dann war ich bei meinen Eltern und 4 Tage (bei der Rückübersetzung wurden 6 Tage gesagt) später, wurde ich wieder mitgenommen. Die Polizei ist mit 2 Autos gekommen. Man hat mir gesagt, dass man mich in die Polizeiabteilung bringen wird, mich dort einvernehmen wird und dann freilassen wird. Man hat mich dort weiter verhört, so wie mein ersten Mal. Man hat von mir gefordert, dass ich ein Dokument unterschreibe. Man hat darauf beharrt, dass ich Terroristen kenne. Dann hat man wieder begonnen, mich zu schlagen. Ich habe dort 2 Nächte verbracht. Mein Vater hat dann wieder Geld bezahlt und mich von dort geholt und nachhause gebracht. Ich war dann 3 Tage bei meinen Eltern. Dann habe ich INGUSCHETIEN verlassen und hatte Angst, zuhause zu übernachten. Ich habe bei Verwandten und Bekannten übernachtet. Ich war auch in XXXX bei meiner Tante und in XXXX , bei einem Cousin. Dort habe ich mit meinem Cousin auf Baustellen gearbeitet. Eine Zeitlang hatte ich dort auch ein Zimmer gemietet. Manchmal kam ich in der Nacht zu meiner Familie. Zu meinen Eltern bin ich gekommen. Ich hatte Angst, zu mir nachhause zu kommen. Dann war ich bei Verwandten und Bekannten und habe dort übernachtet. Ich habe auch im Park übernachtet oder in einer Gartenhütte oder im Garten. Ich hatte Angst, nachhause zu kommen. Dann hat mein Vater meine Ausreise aus Russland organisiert. Dass ich die Möglichkeit dazu bekomme. Dann hat mein Vater jemanden gefunden, der mich nach Europa bringen konnte. Dann bin ich zu meinen Eltern gekommen. Ich habe meinen älteren Sohn mitgenommen und wir haben das Land verlassen und ich bin nach Österreich gekommen.

R: Was würde Sie und Ihre Familie im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF 1: Das ist für uns gefährlich. Wenn jemand einmal Probleme mit Terroristen oder der Polizei hat, dann wird man immer verfolgt. Man schließt das Verfahren und nach einiger Zeit, rollt man es wieder auf. Auf diese Weise macht man Geschäfte, das ist meine Meinung. Man bezahlt jedes Mal Geld.

R: Wer konkret sollte Ihnen warum konkret etwas antun wollen?

BF 1: Derzeit habe ich die Befürchtung, dass die Polizei wieder etwas tut.

R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb TSCHETSCHENIENS zurückkehren müssten, zB nach ROSTOV, SARATOV, MOSKAU, OMSK, STAWROPOL oder XXXX ?

BF 1: Das ist ja Russland, egal wo man mich findet, man wird mich dorthin schicken, wo ich registriert bin.

R: Waren Sie in Österreich jemals einer Bedrohung ausgesetzt?

BF 1: Für mich persönlich nicht und aus meiner Familie auch nicht.

R: Waren Sie vor Februar 2015 jemals einer Bedrohung ausgesetzt?

BF 1: Nicht in Bezug auf mich persönlich. Ich habe 8 Jahre in der Bewachung gearbeitet. Man hat uns immer wieder Notizen untergeschoben, dass wir diese Arbeit quittieren sollen. Ich habe dort gearbeitet und habe mich dann pensionieren lassen. Dann habe ich mit einem Bagger gearbeitet.

R: Was genau meinen Sie mit Bewachung?

BF1: Ich habe die Objekte von dem Vorsitzenden der Regierung bewacht.

R: Für einen privaten Wachdienst oder der Polizei?

BF1: Der Auftraggeber war ein Staatsbediensteter und ich habe sein Haus und seine Objekte bewacht. Es war eine staatliche Arbeit.

RV: Der BF1 hat mir beim Gespräch einen Ausweis gezeigt, wegen der Pensionierung.

R: Sie sind aktuell XXXX Jahre alt. Altersbedingt kann es keine Pensionierung sein, können Sie mir das erklären?

BF1: Ich war verletzt und ich konnte mich dann pensionieren lassen.

R: Wie ist die Kommunikation mit dem BF1?

D: Einwandfrei.

R: Waren Ihre Brüder und Ihr Vater jemals einer Bedrohung ausgesetzt?

BF 1: Mein älterer Bruder wurde verhört und auch mein Vater. Meine Frau wurde auch einmal verhört.

R: Von wann bis wann haben Sie wo gelebt und welche Ausbildungen haben Sie und wo haben Sie wann gearbeitet?

BF1: Ich wurde in XXXX geboren. Ich habe in XXXX gelebt. Ich habe 11 Klassen Grundschule abgeschlossen, 9 Jahre Grundschule und 2 ½ Jahre Gymnasium. Nach der Schule habe ich den Führerschein bekommen und ich habe mit meinem Vater gearbeitet. Mein Vater ist ein Freund von dem Chef, über den ich gesprochen habe. Mein Vater war Direktor der XXXX . Ich habe mit ihm gearbeitet. Mein Vater hat mir dann den Job bei der Bewachung verschafft, weil er ein Freund meines Vaters ist. Ich habe dort gearbeitet. Nach dieser Arbeit habe ich mit einem Bagger gearbeitet. Das war meine letzte Arbeit.

R: Wo haben Sie zu welcher Zeit, wo gelebt?

BF1: Bevor ich geheiratet habe, habe ich bei meinen Eltern gelebt. Dann habe ich geheiratet und habe ein Haus gebaut und dort gelebt.

R: Beides in XXXX ?

BF1: Das war dort, wo neue Gebäude errichtet wurden.

R: Laut der EB, sind Sie in XXXX geboren, jetzt geben Sie an, dass Sie in XXXX geboren sind. Was stimmt jetzt?

BF1: Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt, aber ich wurde in der Stadt XXXX geboren und das steht auch in den Dokumenten.

R: Geheiratet haben Sie XXXX ?

BF1: Ja.

R: Heute sagen Sie, dass Sie nach der Hochzeit ausgezogen sind, bei der EV haben Sie gesagt, dass Sie bis XXXX bei Ihren Eltern lebten. Das ist XXXX Jahre später. Was stimmt?

BF1: Der Bau des Hauses hat eine Zeitlang gedauert und ich wohnte noch bei meinen Eltern.

R: Sie sagen jetzt, dass Sie in XXXX , INGUSCHETIEN lebten, aber in einem Befund steht, dass Sie aus TSCHETSCHENIEN kommen.

BF1: Das war eine tschetschenische/inguschetische Republik und jetzt wurden die Republiken geteilt und haben verschiedene Präsidenten. Diese Territorien sind bis jetzt noch strittig. Es gibt auch noch Kundgebungen.

R: In der EV 2018 gaben Sie an, dass Sie vor der Ausreise in XXXX , XXXX lebten. In der EV 2016, dass Sie bis zur Ausreise in XXXX lebten, gemeldet waren Sie in der Wohnung Ihrer Eltern. Klären Sie das auf!

BF 1: An der XXXX , lebt meine Tante. Ich habe nicht gesagt, dass ich dort angemeldet war. Ich habe nur gemeint, dass ich mich dort eine Zeitlang aufgehalten habe. Ich war an der XXXX registriert. Das ist das Haus meiner Eltern.

R: Warum waren Sie nicht in Ihrem eigenen Haus registriert?

BF1: Es waren neue Grundstücke und es gab noch keine Namensbezeich[n]ungen. Ich bin auch jetzt noch bei meinen Eltern registriert.

R: Vor dem Bundesamt gaben Sie aber eine Straßenbezeichnung an, XXXX .

BF1: Diese Straßenbezeichnungen steht in den Dokumenten, aber in Wirklichkeit gab es keine richtigen Straßenbezeichnungen zu diesem Zeitpunkt.

R: Laut der Beschwerde 2016, forderten die Männer, dass die rezeptpflichtigen Medikamente einkaufen. Wie hätte[n] Sie das machen sollen?

BF1: Deswegen habe ich gesagt, dass ich nur einige Medikamente kaufen konnte, die rezeptpflichtige[n] konnte ich nicht kaufen.

R: Ich habe es bis jetzt so Verstanden, dass Sie das letzte Haus vor dem Waldrand waren.

BF1: Weiters gab es nur Wälder und Berge.

R: Dann erklären Sie mir, warum Ihr Vorbringen damit beginnt, dass die Männer zu Ihnen kommen, während Sie am Hof das Auto reparieren, wenn Ihr Haus doch das letzte vor dem Wald war. Die hätten sich doch wundern müssen, was da[s] Auto dort macht.

BF1: Zu dem Zeitpunkt, gab es wo die neuen Häuser gebaut wurden, nur wenig gebaute Häuser. Sie hätten auch zu jemanden anderen kommen können. Ich wusste nicht, welche Leute das sind.

R: Wo sind Sie um 21 oder 22 Uhr noch einkaufen gegangen?

BF1: Bei uns in RUSSLAND haben die Geschäfte bis Mitternacht geöffnet.

R: Wie gingen Sie einkaufen, wenn Sie Ihr Auto gerade repariert haben, weil es kaputt war?

BF1: Ich habe nur die Heizung repariert. Das Auto war fahrtüchtig.

R: Sie haben gesagt, dass die Männer Sie auf der Straße geschlagen habe. Warum sollten die Männer Sie von dem Hof auf die Straße zerren, zusammenschlagen und dann wieder ins Haus bringen? Wenn Sie dadurch riskieren, gesehen zu werden?

BF1: Damit meinte ich nicht, dass es direkt auf der Straße war, sondern nicht im Haus. Es war im Hof, man hat mir dort Schläge versetzt um mich einzuschüchtern.

R: Ist Hof und Straße [i]m Russischen dasselbe?

D: Nein, aber das Wort Straße wird auch für etwas verwendet, was nicht im Haus ist, sondern draußen.

R: Erklären Sie mir das: Sie haben gesagt, dass Sie die Familie, nach dem Überfall, zu den Eltern gebracht haben. Sind Sie bei Ihren geblieben oder wieder nachhause gegangen?

BF1: Das war am nächsten Tag und ich bin nicht mehr ins Haus zurückgekehrt.

R: Sind Sie nach dem Überfall, jemals wieder ins Haus zurück?

BF1: Ja, um meine Sachen zu holen.

R: Ich frage deshalb, weil Sie sagten, dass die Polizei in „mein Haus“ eingedrungen ist.

BF1: Ich war 4 Tage in meinem Haus, bevor die Polizei kam. Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt, aber die 4 Tage habe ich in meinem Haus verbracht, mit Frau und Kindern.

R: Wie lange waren Ihre Frau und Sie dann getrennt? Ab dem ersten Überfall?

BF1: Genau kann ich es nicht mehr sagen, wie viele Tage es waren. 4 oder 5 Tage sowas.

R: Nach dem Überfall, waren Sie wann wo und Ihre Frau wann und wo?

BF1: Ich habe das Auto repariert und meine Frau war zuhause. Nachdem Überfall, nachdem die Leute weggegangen sind, waren wir beide zuhause. Solange, bis die Polizei gekommen ist, waren meine Frau, die Kinder und ich, in unserem Haus in der XXXX . Während ich bei der Polizei war, war meine Frau und meine Kinder bei meinen Eltern und ihrer Schwester. Diese hat in der Nähe von meinen Eltern gewohnt. Die Schwester von meiner Frau hat dorthin geheiratet. Ich wurde bei der Polizei verhört und ich wurde dann zu meinen Eltern nachhause gebracht. Ich glaube, dass meine Frau zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Schwester war, weil sie er[st] später gekommen ist. Eine Nacht habe ich dann im Elternhaus verbracht und dann war ich in XXXX und meine Frau war bei den Eltern oder bei einer Schwester. Sie hat zwei Schwestern und eine wohnt in TSCHETSCHENIEN. Meine Frau war auch eine Zeitlang im Krankenhaus, aber ich weiß nicht wie lange. Nach XXXX war ich bei meinen Eltern. Als ich nachhause kam, war sie bei ihrer Schwester in TSCHETESCHNIEN, glaube ich, aber genau weiß ich es nicht. Ich befand mich bei meinen Eltern, als die Polizei nochmals gekommen ist. Meine Frau war nicht zuhause. Als ich das zweite Mal nachhause gekommen bin, wissen Sie, meine Frau hat oft bei ihren Schwestern gelebt. Manchmal auch bei meinen Eltern, aber da gab es sehr viele Kinder, die Kinder von meinen Brüdern. Deswegen war es für sie leichter, bei ihren Schwestern zu sein.

R: Verstehe ich Sie richtig, dass Ihre Frau nicht bei Ihren Eltern war, als Sie das zweite Mal von der Polizei nachhause kamen?

BF1: Vielleicht war sie bei den Schwestern oder Eltern. Das weiß ich nicht.

D: Es gibt ein Missverständnis, der BF1 gibt an, dass er im Haus seiner Eltern nicht „mit seiner Frau schlafen“ kann.

R: Sie werden doch wissen, ob Sie mit Ihrer Frau gemeinsam im Haus Ihrer Eltern genächtigt haben?

BF1: Wenn ich nachhause gekommen bin, ist meine Frau auch gekommen.

R: Wie haben Sie Ihre Frau dann getroffen, als Sie dann nicht mehr in XXXX gelebt haben?

BF1: In der Nacht kam ich zu den Eltern und auch zu ihrer Schwester.

R: Zu der in TSCHETSCHENIEN oder in INGUSCHETIEN?

BF1: Einmal zu der und einmal zu der. Je nachdem wo sich meine Frau befand.

R: Sie haben gesagt, dass Sie 4 Tage, bis die Polizei kam, zuhause gelebt. Warum haben Sie das getan, wenn sie gewusst haben, dass es Probleme geben wird?

BF1: Ich dachte, dass die Polizisten es verstehen werden, dass ich gezwungen wurde, wenn ich es ihnen erkläre. Ich konnte auch meine Familie nicht zurücklassen. Ich dachte, dass alles vorbeigehen wird und ich mir nicht zu Schulden kommen habe lassen.

R: Woher wusste Ihr Vater, bei welcher Polizeistation er nach Ihnen suchen sollte?

BF 1: In INGUSCHETIEN gibt es nur 3 Polizeistationen. INGUSCHETIEN ist nicht sehr groß.

R: Emotionen zeigten Sie während Ihrer Schilderung nur, als Sie das Wiedersehen mit Ihren Vater schilderten. Ihre Frau und Kinder kamen nach dem Überfall, abgesehen davon, dass Ihre Frau schlafen konnte und Sie nicht, nicht mehr vor. Können Sie mir das erklären?

BF1: Ich wusste, dass meine Frau in Sicherheit ist, als ich bei der Polizei war. Ich habe mir nicht so große Sorgen um meine Familie gemacht, weil ich wusste, dass sie bei meinen Eltern sind. Ihre Eltern sind hier in Österreich.

Aufgrund der Ganggespräche ist in der Corona/Lüftungspause eine Abspr[a]che zwischen dem BF1 und BF2 nicht zu verhindern.

R: In welches Krankenhaus brachte Sie Ihr Vater?

BF 1: Das erste Mal nach XXXX und das zweite Mal nach XXXX . In welchen genau, kann ich nicht sagen. Ich war in einem schlechten Zustand und ich habe mir das Krankenhaus nicht gemerkt.

R: Bei der Entlassung werden Sie keinen so schlechten Zustand gewesen sein, In welchem Krankenhaus waren Sie?

BF1: Ich war [in] der Traumatologie (D: Das ist die Unfallabteilung).

R: Warum gaben Sie im Krankenhaus in XXXX an, dass Sie von Polizisten geschlagen wurden, obwohl Sie wussten, dass es Probleme geben kann?

BF:1: Wenn jemand ins Krankenhaus gebracht wird, wird das genau festgestellt und man muss die Polizei verständigen. Wir waren vorher nicht mit solchen Problemen konfrontiert und kannten un[s] nicht aus.

R: Wie kamen Sie nach XXXX und wurden dort behandelt, wenn Sie keinen Inlandsreisepass mehr hatten?

BF 1: Der Inlandspass wurde mir beim zweiten Mal abgenommen. Ich habe unterschrieben, dass ich das Land nicht verlassen w[e]rde.

R: Warum fuhr Ihr Vater mit Ihnen mit einer Geh[ir]nprellung und einem Schädel-Hirn-Trauma, XXXX und nicht nur nach zB XXXX , KRASNODAR oder STAWROPOL?

BF 1: In XXXX wäre es für mich gefährlich und in XXXX gibt es Verwandte von uns. Sie haben Beziehungen. Mein Vater hat mit seinem Onkel bzw. Neffen gesprochen und sie haben das vereinbart und ich wurde dorthin gebracht.

R: Sie gaben an, in XXXX behandelt worden zu sein, die Bestätigung stammt aber aus XXXX . Es f[i]ndet sich der Name des Krankenhauses nicht auf der Bestätigung. Was sagen Sie dazu?

BF 1: Ich habe mit meinem Vater gesprochen und ihm gesagt, dass ich hier Beweise brauche. Mein Vater hat es mir von dort geschickt. In XXXX war das nicht möglich. Er hat das über einen Bekannten bekommen, genau weiß ich es nicht mehr. Es war mein Fehler. Ich habe es mir nicht genau angeschaut, was man mir geschickt hat. Die Bestätigungen die ich erhalten habe, habe ich gleich weitergeleitet, ohne nachzuschauen.

R: Auch auf der zweiten Bestätigung findet sich kein Name eines Krankenhausen und auf dem Stempel steht INGUSCHETIEN/INGUSCHETISCH.

BF1: Ich kann es nicht genau sagen, ich weiß es nicht. Ich war bereits hier.

D: Auf der ersten Seite steht Republik INGUSCHETIEN und auf der zweiten steht INGUSCH und den Rest kann man nicht lesen. Auf der ersten Bestätigung steht unter Anamnese der Erkrankung: Gebracht in die XXXX , am XXXX , in Folge von Verprügelungen von Unbekannten Personen.

R: Was heißt XXXX ?

BF1: Das ist das XXXX .

R: In der EV 2018 gaben Sie einen XXXX an, der Krankenhausbestätigung ist davon nichts zu entnehmen ( XXXX ). Klären Sie das auf!

BF 1: Ich habe damals gesagt, dass ich auf die XXXX und den XXXX geschlagen wurde. Ich habe aber nicht gesagt, dass ich XXXX habe, sondern nur, dass man mich in die XXXX geschlagen hat.

R: Laut Befund vom 14.02.2017 gehen Ihre Verletzungen auf die Gewalt von Terroristen und Kriegshandlungen zurück, von Polizei steht da nichts. Was sagen Sie dazu?

BF 1: Die Terroristen haben mich auf die XXXX geschlagen und die Polizei. Ich habe aber nicht gesagt, dass es im Krieg war oder von den Terroristen stammt. Bei der Polizei weiß man ganz genau, wohin man jemanden schlägt.

R: Haben Sie jemals an einem Krieg oder bewaffneten Konflikt teilgenommen?

BF 1: Nein.

R: Wie geht es Ihnen aktuell gesundheitlich?

BF 1: Ausgezeichnet.

R: Brauchen Sie aktuell Therapien oder Behandlungen?

BF 1: Nein. Ich bin absolut gesund.

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, seit Sie in Österreich sind?

BF 1: Ich arbeite, aufgrund von Dienstleis[t]ungsschecks. Ich helfe den Nachbarn und habe viele Bekannte.

R: Sehe ich es richtig, dass Sie nicht selbsterhaltungs[fähig] sind und von der Grundversorgung leben?

BF 1: Ich muss dazu verdienen, weil die Beihilfe alleine nicht reichen würde. Ich habe Kinder im Schulalter.

RV legt einen Arbeitsvorvertrag vor. Dieser wird als Kopie zum Akt genommen.

R: Arbeiten Sie ehrenamtlich?

BF 1: Natürlich, ich und meine Frau. In einem Nachbardorf, in der Kirche, versammeln sich mehrere ältere Leute. Dort kochen Leute freiwillig für die älteren Leute. Am Dienstag und Donnerstag kommen die älteren Leute immer hin und meine Frau kocht dort. Ich helfe auch mit. Der Pfarrer arbeitet dort und wenn er Hilfe braucht, helfe ich ihm.

R: Wovon haben Sie in der Russischen Föderation Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF 1: Ich habe in der Bewachung gearbeitet und habe dort gut verdient. Ich habe als Baggerfahrer gearbeitet und habe auch gut verdient und so habe ich meinen Lebensunterhalt bestritten. Ich habe nebenbei auch eine Invalidenrente bekommen.

R: Welche Fortbildungsmaßnahmen, abgesehen vom Deutschkurs, haben Sie in Österreich gesetzt?

BF 1: Bis jetzt nichts, weil ich kein Recht habe, eine Ausbildung zu machen.

R: Welche Deutschkurse und –Prüfungen haben Sie bisher absolviert?

BF 1: Ich habe A2-Prüfung bestanden.

R: Wann haben Sie diese bestanden?

BF1: Das war 09.11.2018.

R: Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

BF 1: Ich kann auf Deutsch kommunizieren.

R fordert den BF 1 auf, die folgenden Fragen auf Deutsch zu beantworten:

R: Wie sind Sie heute nach Wien gekommen?

BF1: Ich bin mit Auto gekommen.

R: Sehen Sie die Verwandten Ihrer Frau, in Österreich oft?

BF1: Ja.

R: Beschreiben Sie mir, was sie zusammen machen?

BF1: Essen, trinken. Das machen wir, wenn ich hinfahre. Sie wohnen in XXXX . Vorgestern habe ich den Schwiegervater abgeholt.

R: Wer lernt mit den Kindern?

BF1: Frau lernt, ich lerne. Meine Kinder können besser Deutsch als meine Frau, sie fragt immer.

R: Welche Sprachen sprechen Sie sonst noch?

BF1: Russisch, Tschetschenisch und Inguschetisch.

R: Auf welchem Niveau sprechen Sie diese Sprachen?

BF1: Inguschetisch und Russisch kann ich wie die Muttersprache. Die Muttersprache ist Tschetschenisch.

R: Welche Sprache sprechen Sie Zuhause mit Ihrer Frau und Kindern?

BF1: Tschetschenisch und Deutsch. Wir übersetzten.

R: In welche Sprache schauen Sie Fern, schauen Videos oder hören Radio?

BF1: Verschieden. Deutsch, Russisch oder Tschetschenisch.

R stellt fest, dass der BF verbal gute Deutschkenntnisse aufweist und die Verdolmetschung der Verhandlung notwendig ist.

R: Wie verbringen Sie den Alltag als Familie? Wer macht was?

BF 1: Wenn ich zuhause bin, kümmere ich mich um die Kinder. Ich gehe spazieren oder Fußballspielen. Mein Sohn war 2 Jahre bei einem Fußballteam. Ich bin in keinem Verein. Aber wenn ich die Möglichkeit dazu bekommen, werde ich es sein. Den Haushalt machen wir zusammen.

R: Wie verbringen Sie privat Ihren Alltag in Österreich?

BF 1: Dort wo ich lebe, eben zu 90% nur alte Leute und ich helfe ihnen, wenn sie Hilfe brauchen. Ansonsten kümmere ich mich um die Kinder, gehe mit ihnen raus oder bin zuhause. Ich helfe ihnen auch beim Online-Unterricht.

R: Welche Verwandten konkret von Ihnen leben in Österreich?

BF 1: Schwiegervater und Schwiegermutter, meine Schwägerin und die Frau, sowie die 3 Kinder des verstorbenen Bruders meiner Frau in XXXX .

R: Besteht zu einem der Verwandten ein Abhängigkeitsverhältnis?

BF1: Nein.

R: Hatten Sie auch Kontakt mit Ihren Schwiegereltern und Ihren Schwägerinnen vor der Ausreise bzw. in der Zeit, als Sie in der Russischen Föderation lebten und Ihre Schwiegerfamilie in Österreich?

BF 1: Meine Frau hat mit ihnen telefoniert.

R: Nochmal zurück nach INGUSCHETIEN. Die Mitnahmen durch die Polizei beziehen sich bis zu einem Zeitraum bis 2015. Wo haben Sie sich von 2015 bis zur Ausreise, konkret aufgehalten?

BF1: Ich war bei Verwandten und Bekannten. Ich war bei der Tante in XXXX , in XXXX beim Onkel, in XXXX bei der Großmutter ms, dort in dem Dorf leben viele Verwandten und ich war auch bei einem Onkel von mir. Ich habe ihnen bei der Heuarbeit geholfen und auch im Garten. Einmal oder zweimal im Monat bin ich zu meinen Eltern gekommen oder zu Verwandten. Ich war bei viele Orten und kann nicht alle Adressen nennen, bis mein Vater mir die Ausreise organisiert hat.

R: Wie kann ich mir Ihre Lebensumstände zwischen XXXX und XXXX vorstellen?

BF1: Das Leben war sehr schwer. Ich habe mir Sorgen um meine Familie gemacht und hatte Sehnsucht nach ihnen. Das [war] nicht einfach.

R: Beschreiben Sie mir konkret, wie Sie in diesem Zeitraum gelebt haben.

BF1: Ich habe so gut ich konnte Geld au[f] Baustellen verdient. Wenn ich zu meinen Eltern gekommen bin, haben sie mir finanziell geholfen. Als ich bei der Großmutter gewohnt habe, hat sie mir geholfen und ich konnte dort leben. Ich habe auch beim Onkel gelebt und sie haben mir auch geholfen.

R: In der Einvernahme am 19.04.2016 gaben Sie zunächst an, dass Sie in XXXX , an Ihrer Meldeadresse, lebten „bis zu meiner Ausreise“. Dann gaben Sie an, dass Sie vor der Ausreise ständig auf der Flucht und bei Bekannten aufhältig waren. Erklären Sie das!

BF 1: Ja. Ich habe gemeint, dass ich bei meinen Eltern registriert wurde. Ich habe nicht gemeint, dass ich dort ständig gelebt habe. Ich hatte Angst und war deswegen auf der Flucht. Wenn ich dort leben hätte können, hätte ich nicht auf der Flucht sein müssen.

R: In der Einvernahme am 19.04.2016 gaben Sie an, dass Sie XXXX bei einer Securityfirma und seither als Baggerfahrer auf Baustellen gearbeitet haben. „Befragt bis zu meiner Ausreise habe ich als Baggerfahrer gearbeitet.“ Wie können Sie bis zur Ausreise als Baggerfahrer gearbeitet haben, wenn Sie ständig auf der Flucht waren?

BF 1: Ich habe die Stelle gemeint, wo meine letzte Arbeitsstelle war und ich als Baggerfahrer gearbeitet. Ansonsten habe ich verschieden Arbeiten gemacht. Eine Woche auf einer Baustelle und die andere Woche im Garten.

R: In der EV 2018 haben Sie auf die Frage, auf welcher Adresse Sie sich zuletzt regelmäßig aufgehalten haben gesagt, „ich habe mich an folgender Adresse aufgehalten, in der Stadt XXXX , in der XXXX dort lebt jetzt vermutlich meine Tante“. Können Sie mir das erklären?

BF1: Ich weiß, dass meine Tante dort lebt. Sie hat immer dort gelebt, vielleicht hat man das nicht richtig übersetzt. Ich habe nicht gesagt, dass ich dort angemeldet war, ich war einfach zu Besuch, für eine Zeit bei ihr.

R: Welche Verwandten von Ihnen leben in der Russischen Föderation?

BF 1: Ich habe viel Verwandte[,] 200 oder 300 Personen Minimum. Die engsten sind meine Eltern, meine Brüder, 5 Onkel und Cousins. Meine Großmutter ist gestorben. Die Eltern leben in XXXX , an meiner Meldeadresse. Der jüngste Bruder lebt bei den Eltern und die zwei anderen leben in unmittelbarer Nähe. Einer wohnt auf der anderen Straßenseite und der andere in unmittelbarer Nähe. Meine Onkel leben in XXXX ?

R: Wer ist der Verwandte in XXXX ?

BF1: Das ist ein Cousin meines Vaters, den wir aber auch Onkel nennen.

R: Wie geht es Ihren Eltern und Brüdern?

BF 1: Gut.

R: Wovon leben diese aktuell?

BF 1: Mein Vater arbeitet bis jetzt als Direktor einer XXXX und der jüngste Bruder arbeitet mit ihm zusammen. Der ältere Bruder arbeitet mit einem Kran, er besitzt einen eigenen und wo der andere arbeitet weiß ich nicht, aber etwas Technisches.

R: Wie halten Sie von Österreich aus Kontakt mit Ihnen?

BF 1: Über WhatsApp.

R: Sie heirateten Ihre Frau nach muslimischem Ritus. Beschreiben Sie die Eheschließung nach muslimischem Ritus!

BF 1: Als es Krieg in TSCHETSCHENIEN gegeben hat, sind sie als Flüchtlinge nach XXXX gekommen. Sie haben dort gelebt, wo unser Garten aufgehört hat. Also am Nachbargrundstück. So haben wir uns kennengelernt. Wir standen 3 Jahre im Kontakt und dann habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich sie heiraten will und meine Eltern haben mit ihren Eltern gesprochen.

R: Sie haben XXXX geheiratet?

BF1: Ja.

R: Da war Ihr Schwiegervater nicht mehr in der RF?

BF1: Aber die Schwiegermutter.

R: Ging Ihre Frau die Ehe freiwillig ein? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF 1: Ja.

R: Ihre Schwiegermutter gab in ihrem Verfahren an, ihre Tochter minderjährig gegen ihren Willen verheiratet zu haben („Sie hat damals geweint und weint immer noch“). Was sagen Sie dazu?

BF 1: Sie hat 5 Töchter.

R: Welche wurde gegen Ihren Willen verheiratet?

BF1: Das weiß ich nicht.

R: Kommt es in Ihrer Familie zu häuslicher Gewalt? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF 1: Nein.

R: Laut den psychologischen Befund Ihrer Frau, hatte sie psychische Probleme aufgrund des Zusammenlebens und der Trennung zuvor. Was möchten Sie dazu angeben?

BF1: Das kann nicht sein.

R: Wie schaute Ihr Alltag in der Russischen Föderation, bis XXXX , aus?

BF 1: Ich habe gearbeitet. In der Freizeit habe ich Fußball gespielt. Wir hatten ein Team.

R: Was ist jetzt mit Ihrem Haus in [INGUSCHETIEN]?

BF 1: Mein Haus steht schon seit langem leer.

R: Haben Sie es vermietet?

BF1: Dort gibt es kein Strom, Gas und Wasser mehr.

R: Sehe ich es richtig, dass Sie Ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise XXXX in der Russischen Föderation verbracht haben?

BF 1: Ja.

R: Sind Sie in Österreich und in der Russischen Föderation strafgerichtlich unbescholten?

BF 1: Ja.

R: Sind Sie in Österreich in sonstiger Weise mit der Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF 1: Ich hatte Strafen bekommen, weil ich falsch geparkt habe. Aber nur solche Strafen.

R: Sie waren geständig, am 10.10.2020 von XXXX eine geringe Menge XXXX kostenlos erhalten zu haben. Sie waren nicht geständig, von XXXX Suchmittel erworben zu haben. Die Chat-Verläufe mit XXXX liegen dem Gericht vor. Möchten Sie dazu etwas angeben? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF 1: Ich sehe dort keine eigene Schuld.

RV: Hinweis auf Aussagenverweigerungsrecht.

BF1: Dann möchte ich nichts sagen.

R: Sie reisten mit dem PKW von XXXX nach XXXX . Wieso nach XXXX ? Warum sollte Sie der Schlepper weiter als zur Landesgrenze bringen und sich noch mehr dem Risiko der Verurteilung aussetzen?

BF 1: Für die Leute gibt es kein Risiko. Sie könnten auch heute ohne Probleme kommen. Ich wusste ja nicht, wo ich nach der Grenze mit meinem Sohn hinkommen soll. Ich konnte damals nur Russisch. Mein Vater hat es so vereinbart.

R: Sie gaben an, dass Sie nicht wissen, über welche Länder Sie nach Österreich gekommen sind, sie haben die meiste Zeit geschlafen. Die Fahrt dauert ca. 2 Tage, außerdem haben Sie 11 Jahre Grundschulbildung und reisten im Fonds eines PKW. Ihr Vorbringen ist nicht glaubhaft. Was sagen Sie dazu?

BF 1: Jetzt weiß ich es schon, damal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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