TE Bvwg Beschluss 2021/12/1 W240 2248652-1

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Veröffentlicht am 01.12.2021
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Entscheidungsdatum

01.12.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2248652-1/3E
W240 2248651-1/3E
W240 2248653-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerden von XXXX , alle StA. Nigeria, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2021, Zlen 1.). 1278381206/210680222, 2.) 1278381010/210680214, und 3.) 1281842702/211073022 beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer zu W240 2248652-1 (in der Folge auch BF1) ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin zu W240 2248651-1 (in der Folge auch BF2) und des im XXXX 2021 in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführers zu W240 2248653-1 (in der Folge auch BF3). Alle Beschwerdeführer sind nigerianische Staatsangehörige. Der BF1 und die BF2 stellten in Österreich am 22.05.2021 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Der nachgeborene BF3 stellte durch seine gesetzliche Vertretung am 02.08.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Abgleich der Fingerabrücke ergab, dass der BF1 zuvor in Frankreich am 05.03.2012 und am 15.05.2013 in Italien einen Asylantrag gestellt hatte (Eurodactreffer der Kategorie 1 vom 05.03.2012 zu Frankreich und vom 15.05.2013 zu Italien). Betreffend die BF2 scheint kein Eurodactreffer auf.

Am 23.05.2021 wurden die erwachsenen Beschwerdeführer in Österreich erstbefragt und am 21.06.2021 vor dem BFA sowie die BF2 nach Geburt des BF3 am 13.10.2021 vor dem BFA.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete betreffend den BF1 am 27.05.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Am selben Tag wurde ein auf Art. 13 Abs. 2 Dublin III-Vo gestütztes Aufnahmeersuchen betreffend die BF2 an Italien gerichtet.

Mit Schreiben vom 10.06.2021 teilten die italienischen Behörden mit, dass Italien für die Behandlung des Asylantrages der volljährigen Beschwerdeführer gemäß
Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei.

Am 04.08.2021 wurde betreffend den in Österreich geborenen BF3 eine Information gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO an die italienischen Behörden übermittelt.

In der Einvernahme vor dem BFA 13.10.2021 führte die BF2 insbesondere aus, ihr Sohn (der BF3) müsse voraussichtlich im Nabelbereich operiert werden, die Entscheidung werde erst fallen. Sie befürchte in Italien obdachlos zu sein und dass ihrem Ehemann und ihr der mj. BF3 weggenommen werden könnte. Ein derartiger Fall sei ihr von einer befreundeten Familie bekannt, dieser seien zwei Kinder abgenommen worden in Italien, weil der Vater die Arbeit verloren habe und sich die Miete für die Wohnung nicht mehr habe leisten können. Sie habe noch keinen Asylantrag gestellt in Italien, aber ihr Lebensgefährte. Dem BF1 sei kein Status in Italien zuerkannt worden, somit befürchte sie, dass auch ihr Antrag abgelehnt werde und sie sowie ihre Familie keine Unterkunft erhalten würden. Es sei auch bekannt, dass Familien im Asylverfahren nicht immer eine Unterkunft in Italien erhalten würden.

Die BF2 ersuchte darum, in Österreich eine Chance zu erhalten und gab an, sie hätten in Italien viel gelitten. Es gehe ihr seelisch sehr schlecht. Sie mache sich Angst um ihr Familie und das Kind. Sie habe bereits Suizidgedanken. Sie seien in Italien bedroht worden, hätten die Bedrohungen in Italien auch mehrmals bei der Polizei angezeigt, diese habe aber nichts unternommen. Die Bedroher der BF hätten sich dadurch noch stärker gefühlt und hätten den BF noch mehr Angst eingejagt. Sie fühle sich mit ihrer Familie in Italien nicht mehr sicher und auch nicht geschützt vom italienischen Staat.

Die BF2 gab an, lebensmüde (in diesem Zusammenhang wohl gemeint: des Lebens müde) geworden zu sein. Die BF2 gab auf Nachfrage an, dass sie derzeit nicht in ärztlicher Behandlung sei, jedoch an Herz- und Kopfschmerzen leide.

Vorgelegt wurden hinsichtlich den BF1 insbesondere:

-        Stellungnahme in englischer Sprache des BF1 über die Flucht, die Probleme und die Bedrohungen der BF in Italien und in Nigeria sowie Ausführungen des BF1, wonach er sehr krank sei und Österreich insbesondere auch aufgrund des nachgeborenen Kindes um Hilfe und Verbleib im Bundesgebiet ersuche.

-        ein Konvolut an italienischen Unterlagen, vom BFA in den nunmehr angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen zusammengefasst als Befunde, Gesundheitskarte aus Italien, Permesso di Soggiorno (Permit of Stay, Aufenthaltserlaubnis) und Personalausweis ID Card

Vorgelegt wurden zudem insbesondere neben Unterlagen über die Schwangerschaft und den Mutter-Kind-Pass, medizinische Unterlagen über den Nabelbruch des BF3, auch eine Überweisung des BF1 an einen Facharzt für Innere Medizin vom 18.10.2021 mit der Diagnose „Rez. Thorakales DG“ (Thoraxschmerz)

Betreffend den mj. BF3 wurde insbesondere die Geburtsurkunde vorgelegt.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 03.11.2021 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß
§ 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs 1 lit. d Dublin III-VO Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer in Österreich befinden, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten. Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der BF könne die Behörde nicht erkennen, dass die BF in Italien einer EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt wären, da keine Hinweise darauf hervorgekommen sind, dass die italienischen Behörden nicht willens oder in der Lage wären, Sie vor Übergriffen Dritter zu schützen. Es könne keine Verpflichtung Österreichs erkannt werden, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen.

3. Gegen die Bescheide des BFA erhoben die Beschwerdeführer durch ihre Vertretung die vorliegende Beschwerde. In der Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das BFA keine ausreichenden Ermittlungen zum Gesundheitszustand des BF3 und zur Versorgung von Säuglingen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien rücküberstellt werden, durchgeführt habe. Das BFA habe sich auch trotz der Notwendigkeit einer Nabelbruchoperation beim BF3, obwohl dies durch medizinische Unterlagen dargelegt wurde, nicht damit auseinandergesetzt und nicht erhoben, ob Dublin-Rückkehrer in Italien Anspruch auf derartige medizinische Maßnahmen hätten. Dies, obwohl die vom BFA verwendeten Länderberichte Gegenteiliges vermuten lassen würden. Zum Gesundheitszustand des BF3 werde vorgebracht, dass mittlerweile eine Operation in die Wege geleitet worden sei. Der BF3 sei am 09.12.2021 zur Vorbesprechung in ein österreichisches Krankenhaus bestellt worden, da die Operation im ursprünglich zugewiesenen Krankenhaus nicht durchgeführt werden könne. Der genaue Termin der Operation stehe noch nicht fest, werde jedoch kurz darauf Mitte Dezember erfolgen. Auch die Folgen eines nicht behandelten Nabelbruchs dieser Größe habe das Bundesamt nicht erhoben. Obwohl sich aus dem Befund vom 04.10.2021 ergebe, dass Teile des Dünndarms in den Bruch ausgesackt seien, habe das Bundesamt nicht erhoben, dass eine Einklemmung von Darmteilen einen potentiell lebensbedrohenden Zustand bedeute. Wenn Dünndarmschlingen in den Bruchsack geraten, könnten diese abknicken und die Darmpassage stören (Darmverschluss) oder die Durchblutung des eingeklemmten Darmanteils beeinträchtigen (Darmischämie und Nekrose). Treten solche Komplikationen auf, müsse schnellstmöglich operiert werden. Zum anderen habe sich das Bundesamt im Hinblick auf die Versorgungs- und Unterbringungssituation von Dublin-Rückkehrern auf veraltete Länderberichte gestützt, die nicht die aktuelle Lage reflektieren würden. Bei den Rückkehrenden sei die Gefahr, dass sie ihr Recht auf Unterbringung und damit auch auf den Zugang zum allgemeinen Gesundheitssystem und zum Asylverfahren verloren hätten, wesentlich größer. Das BFA habe wesentliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, diese Vorgehensweise sei als grob mangelhaft und der angefochtene Bescheid somit als rechtswidrig zu qualifizieren. Das Bundesamt sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass beim BF3 keine Gesundheitsgefahr bestehe und dass gar keine Operation notwendig sei. Bereits aus dem Befund vom 04.10.2021 ergibt sich jedoch, dass Teile des Dünndarms in den Bruch ausgesackt seien, was im Falle einer Einklemmung einen potentiell lebensbedrohenden Zustand bedeute. Dass ein akuter Handlungsbedarf bestehe, geht auch aus der Überweisung vom selben Tag an das österreichische Krankenhaus hervor. Das BFA habe auch auf die drohende Obdachlosigkeit der BF keinen Bezug genommen, von denen einer ein Säugling sei und somit äußerst vulnerabel sei. Ebenso habe das BFA nicht berücksichtigt, dass der BF3 mangels Unterbringung in Italien lediglich Zugang zu elementarer Gesundheitsversorgung haben werde und daher die Operation nicht durchgeführt werde. Dies bedeute für den BF3 einen lebensbedrohenden Zustand (drohender Darmverschluss).

Zusammen mit der Beschwerde wurde betreffend den BF3 eine Überweisung zur fachärztlichen Begutachtung und Therapie an einen Facharzt für Kinder- und Jugendheilkund vom 18.10.2021 übermittelt mit der Diagnose „Hern umb mit Bruchpforte 14 mm“ (Nabelbruch). Weiters wurde ein mit 04.10.2021 datierter Befund aufgrund der Sonographie Abdomen und Sonographie Weichteile Bauchdecke betreffend den BF3 übermittelt, welcher einen „Nabelbruch, intermittierend auch gering Dünndarm im kleinen Bruchsack“ feststellte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang.

Der Erstbeschwerdeführer zu W240 2248652-1 (in der Folge auch BF1) ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin zu W240 2248651-1 (in der Folge auch BF2) und des im XXXX 2021 in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführers zu W240 2248653-1 (in der Folge auch BF3). Alle Beschwerdeführer sind nigerianische Staatsangehörige. Der BF1 und die BF2 stellten in Österreich am 22.05.2021 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Der nachgeborene BF3 stellte durch seine gesetzliche Vertretung am 02.08.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete betreffend den BF1 am 27.05.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Am selben Tag wurde ein auf Art. 13 Abs. 2 Dublin III-Vo gestütztes Aufnahmeersuchen betreffen die BF2 an Italien gerichtet.

Mit Schreiben vom 10.06.2021 teilten die italienischen Behörden mit, dass Italien für die Behandlung des Asylantrages der volljährigen Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei.

Am 04.08.2021 wurde betreffend den in Österreich geborenen BF3 eine Information gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO an die italienischen Behörden übermittelt.

Die belangte Behörde hat keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer, insbesondere der BF2, welche Suizidgedanken in der Einvernahme geäußerte hatte, und des in Österreich geborenen BF3, der aufgrund eines Nabelbruchs eine Operation benötigt, mit dem Ziel vorgenommen, eine Grundlage für die Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführer nach Italien gegeben ist und um eine Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund allfällig gegebener gesundheitlicher Beeinträchtigungen in Kombination mit der den BF zuteil werdenden medizinischen Versorgung auszuschließen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Reiseweg der Beschwerdeführer sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich im Speziellen aus dem eigenen Vorbringen in Zusammenhang mit der vorliegenden Aktenlage.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage, dem Vorbringen der Beschwerdeführer und den vorgelegten ärztlichen Bestätigungen.

Aus der Aktenlage ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde eine abschließende hinreichende Beurteilung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführer nicht für erforderlich gehalten hat und aus welchen Gründen ohne eine solche Beurteilung der nunmehr angefochtene Bescheid erlassen wurde. Im Bescheid wurde ausgeführt, dass die BF2 in der Einvernahme am 13.10.2021 als Mutter für den BF3 angab, dieser müsse wahrscheinlich im Nabelbereich operiert werden. Das BFA verwies darauf, dass die italienische Dublinbehörde mit Schreiben vom 04.08.2021 über die Geburt des BFG3 nachweislich informiert worden sei. Das BFA führte aus, dass in Italien jedenfalls, falls erforderlich, eine entsprechende medizinische Versorgung auch in Hinblick auf medizinische Probleme im akuten Anlassfall gegeben sei. Eine zu veranlassende Nabelbruchoperation könne, soweit nicht in Österreich durchgeführt- auch in einem Krankenhaus in Italien durchgeführt und veranlasst werden. Festgestellt wurde vom BFA, dass der BF3 so wie die übrigen BF an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leide.

Mit dieser – oben wiedergegebenen Argumentationslinie – vermag das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht hinreichend nachvollziehbar darzutun, warum es von der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ausgegangen ist. Insbesondere liegt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands der Suizidgedanken äußernden BF2 und des mj. BF3 vor.

In der gegen die im Spruch zitierten Bescheide des BFA erhobenen Beschwerde wurde moniert, dass das BFA keine ausreichenden Ermittlungen zum Gesundheitszustand des BF3 und zur Versorgung von Säuglingen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien rücküberstellt werden, durchgeführt habe. Zum Gesundheitszustand des BF3 werde vorgebracht, dass mittlerweile eine Operation in die Wege geleitet worden sei. Obwohl sich aus dem Befund vom 04.10.2021 ergebe, dass Teile des Dünndarms in den Bruch ausgesackt seien, habe das Bundesamt nicht erhoben, dass eine Einklemmung von Darmteilen einen potentiell lebensbedrohenden Zustand bedeute. Zum anderen verwiese die Beschwerde darauf, dass sich das Bundesamt im Hinblick auf die Versorgungs- und Unterbringungssituation von Dublin-Rückkehrern auf veraltete Länderberichte gestützt habe, die nicht die aktuelle Lage reflektieren würden. Bei den Rückkehrenden sei die Gefahr, dass sie ihr Recht auf Unterbringung und damit auch auf den Zugang zum allgemeinen Gesundheitssystem und zum Asylverfahren verloren hätten, wesentlich größer. Das BFA habe Ermittlungstätigkeit unterlassen, diese Vorgehensweise sei als grob mangelhaft und der angefochtene Bescheid somit als rechtswidrig zu qualifizieren. Zusammen mit der Beschwerde wurde betreffend den BF3 eine Überweisung zur fachärztlichen Begutachtung und Therapie an einen Facharzt für Kinder- und Jugendheilkund vom 18.10.2021 übermittelt mit der Diagnose „Hern umb mit Bruchpforte 14 mm“ (Nabelbruch). Weiters wurde ein mit 04.10.2021 datierter Befund aufgrund der Sonographie Abdomen und Sonographie Weichteile Bauchdecke betreffend den BF3 übermittelt, welcher einen „Nabelbruch, intermittierend auch gering Dünndarm im kleinen Bruchsack“ feststellte.

Die Beweiserhebung im gegenständlichen Fall stellt keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition der Beschwerdeführer ausschließen zu können.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der DublinVerordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2)      […]

(3)      Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten:

§ 21 Abs. 3 BFA-VG: „Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die

Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende

Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen

Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 3 BFA-VG (vgl. jüngst Ra2016/19/0208-8 vom 5. Oktober 2016 mwN) hat eine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG in Form eines (das Beschwerdeverfahren beendenden und nicht bloß verfahrensleitenden) Beschlusses zu ergehen.

3.3. Im vorliegenden Fall ist Dublin III-VO anzuwenden:

„Art. 3 - Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

[…]

Art. 7 - Rangfolge der Kriterien

(1)      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2)      Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3)      Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Auf-ahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 13 - Einreise und/oder Aufenthalt

(1)      Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2)      Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Artikel 16 - Abhängige Personen

(1)      Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des

Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2)      Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3)      Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4)      Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese

Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1)      Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2)      Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1)     Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)       einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b)       einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c)       einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d)       einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.“

3.4.    Die Dublin III-VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Anträge auf internationalen Schutz von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

3.5.    Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Zwar ist hinsichtlich der Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren dem Bundesamt beizupflichten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt grundsätzlich die Zuständigkeit Italiens ergibt. Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach
§ 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte. Dies aus folgenden Erwägungen:

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei den Beschwerdeführern eine reale Gefährdung ihrer durch die EMRK gewährleisteten Rechte im Falle seiner Überstellung nach Italien vorliegt.

Im vorliegenden Fall liegt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer vor.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit ihren Gesundheitszustand, ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu
Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken zu verweisen. Demnach haben im Allgemeinen Fremde kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder selbstmordgefährdet sind. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia; EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312; 23.09.2009, 2007/01/0515).

In seiner Entscheidung im Fall „Paposhvili vs. Belgium“ (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10) hat der EGMR das Vorliegen von „ganz außergewöhnlichen Fällen“ näher präzisiert. Demnach ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Abschiebung eines schwer kranken Menschen auch dann vom nach Art. 3 EMRK geschützten Bereich umfasst sein könnte - auch wenn dieser sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - wenn wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder wegen des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder diese Person eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren hätte, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre (RN 183). Weiters stellt der Gerichtshof fest, dass es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen, handelt (RN 188). Was die zu berücksichtigten Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird. Dabei gehe es jedoch nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung (RN 189). Jedenfalls muss der abschiebende Staat, wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung der betreffenden Person bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, als Vorbedingung der Abschiebung, vom Zielstaat eine individuelle und ausreichende Zusicherung einholen, das eine geeignete medizinische Versorgung für die betroffene Person verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befindet (RN 191).

Gerade zur Beurteilung der Frage, ob bei den Beschwerdeführern eine solche ganz außergewöhnliche Situation gegeben ist, die einer Überstellung nach Italien widersprechen würde, hat die belangte Behörde keine ausreichenden Beweiserhebungen zur Feststellungen des Sachverhalts getroffen, sondern bei den Beschwerdeführern die abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes unterlassen. Somit bedarf es aktueller Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand, um eine Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführer nach Italien gegeben ist und um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausschließen zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht möglich, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung der Beschwerdeführer zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.

Das BFA führte aus, dass in Italien jedenfalls, falls erforderlich, eine entsprechende medizinische Versorgung auch in Hinblick auf medizinische Probleme im akuten Anlassfall gegeben sei. Eine zu veranlassende Nabelbruchoperation könne, soweit nicht in Österreich durchgeführt - auch in einem Krankenhaus in Italien durchgeführt und veranlasst werden. Festgestellt wurde vom BFA, dass der BF3 – so wie die übrigen BF - an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leide.

Auch in der gegen die im spruchzitierten Bescheide des BFA erhobenen Beschwerde wurde vor allem moniert, dass das BFA keine ausreichenden Ermittlungen zum Gesundheitszustand des BF3 und zur Versorgung von Säuglingen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien rücküberstellt werden, durchgeführt habe. Das BFA habe sich auch trotz der Notwendigkeit einer Nabelbruchoperation beim BF3, obwohl dies durch medizinische Unterlagen dargelegt wurde, nicht auseinandergesetzt und nicht erhoben, ob Dublin-Rückkehrer in Italien Anspruch auf derartige medizinische Maßnahmen hätten. Zum Gesundheitszustand des BF3 werde vorgebracht, dass mittlerweile eine Operation in die Wege geleitet worden sei. Der genaue Termin der Operation stehe noch nicht fest, werde jedoch kurz darauf Mitte Dezember erfolgen. Auch die Folgen eines nicht behandelten Nabelbruchs dieser Größe habe das Bundesamt nicht erhoben. Obwohl sich aus dem Befund vom 04.10.2021 ergebe, dass Teile des Dünndarms in den Bruch ausgesackt seien, habe das Bundesamt nicht erhoben, dass eine Einklemmung von Darmteilen einen potentiell lebensbedrohenden Zustand bedeute. Wenn Dünndarmschlingen in den Bruchsack geraten, könnten diese abknicken und die Darmpassage stören (Darmverschluss) oder die Durchblutung des eingeklemmten Darmanteils beeinträchtigen (Darmischämie und Nekrose). Treten solche Komplikationen auf, müsse schnellstmöglich operiert werden. Zum anderen habe sich das Bundesamt im Hinblick auf die Versorgungs- und Unterbringungssituation von Dublin-Rückkehrern auf veraltete Länderberichte gestützt, die nicht die aktuelle Lage reflektieren würden. Bei den Rückkehrenden sei die Gefahr, dass sie ihr Recht auf Unterbringung und damit auch auf den Zugang zum allgemeinen Gesundheitssystem und zum Asylverfahren verloren hätten, wesentlich größer. Das BFA habe Ermittlungstätigkeit unterlassen, diese Vorgehensweise sei als grob mangelhaft und der angefochtene Bescheid somit als rechtswidrig zu qualifizieren. Das Bundesamt sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass beim BF3 keine Gesundheitsgefahr bestehe und dass gar keine Operation notwendig sei. Bereits aus dem Befund vom 04.10.2021 ergibt sich jedoch, dass Teile des Dünndarms in den Bruch ausgesackt seien, was im Falle einer Einklemmung einen potentiell lebensbedrohenden Zustand bedeute. Dass ein akuter Handlungsbedarf bestehe, geht auch aus der Überweisung vom selben Tag an das österreichische Krankenhaus hervor. Das BFA habe auch auf die drohende Obdachlosigkeit der BF keinen Bezug genommen, von denen einer ein Säugling sei und somit äußerst vulnerabel sei. Ebenso habe das BFA nicht berücksichtigt, dass der BF3 mangels Unterbringung in Italien lediglich Zugang zu elementarer Gesundheitsversorgung haben werde und daher die Operation nicht durchgeführt werde. Dies bedeute für den BF3 einen lebensbedrohenden Zustand (drohender Darmverschluss).

XXXX

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich des Vorbringens des BF3, dass dieser wie ausgeführt an gesundheitlichen Problemen leidet, welche auch durch ärztliche Dokumente untermauert wurden, zu wenig mit dem aktuellen Gesundheitszustand des minderjährigen BF3 auseinandergesetzt. Zudem hatte die BF2 im Rahmen ihrer Einvernahme am 13.10.2021 wiederholt Suizidgedanken geäußert. Insbesondere wurde nicht abschließend abgeklärt, ob bei den Beschwerdeführern die Überstellungsfähigkeit nach Italien gegeben ist bzw. aufgrund einer abschließenden Beurteilung des Gesundheitszustandes eine aktuelle Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgeschlossen werden kann. Zu berücksichtigen ist im gegenständlichen Fall insbesondere auch, dass der BF3 als Säugling, der eine dringend notwendige Operation benötigt, zusammen mit seinen Eltern, wobei die BF2 Suizidgedanken äußerte, als vulnerable Gruppe anzusehen ist, was im gegenständlichen Fall besonders zu berücksichtigten ist.

Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren bei den Beschwerdeführern – allenfalls auch durch die Veranlassung der Einholung entsprechender medizinischer Gutachten - abzuklären haben, ob bei den Beschwerdeführern tatsächlich ganz außergewöhnliche Fallkonstellationen vorliegen, die im Falle ihrer Überstellung nach Italien – auch wenn sich die BF nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befinden – eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder zu einer erhebliche Verringerung der Lebenserwartung führen würde. Im Besonderen werden diese Gutachten auch den jeweiligen erforderlichen medizinischen Behandlungsbedarf festzustellen und darüber hinaus allfällige erforderliche Rehabilitationsmaßnahmen und ob bei den Beschwerdeführern eine dauernde oder bloß vorübergehende Reiseunfähigkeit vorhanden ist, zu behandeln haben. Schließlich wird auch festzustellen sein, ob die notwendige medizinische Versorgung, die erforderliche Operation für den BF2 sowie eine hinreichende Unterkunft für die BF als Familie mit Säugling in Italien gesichert ist.

Nach Vorliegen der erhobenen Ermittlungsergebnisse wird von der belangten Behörde letztlich auch zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung in den gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.

3.6. Im fortgesetzten Verfahren werden folglich entsprechende Ermittlungen durchzuführen sein, um Feststellungen treffen zu können, anhand derer die Frage geklärt werden kann, ob in den konkreten Fällen der Beschwerdeführer durch ihre Überstellung nach Italien in ihre Rechte gemäß Art. 3 eingegriffen wird. Der Vollständigkeit halber ist in Bezug auf den minderjährigen in Österreich geborenen BF3, der eine Operation benötigt, darauf zu verweisen, dass im fortgesetzten Verfahren auch die Rechtsvorschriften zum Wohl des Kindes zu beachten sind.

Die Ermittlungsergebnisse des Bundesamtes sind den Beschwerdeführern zur Kenntnis zu bringen und ihnen hierzu Parteiengehör zu gewähren bzw. ist erforderlichenfalls eine Einvernahme durchzuführen.

3.7. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

In den gegenständlichen Fällen konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der für gegenständliche Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist.

3.8. Da sich eine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG (wie die vorliegende) nicht als eine solche darstellt, die als Entscheidung in der Sache den dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Gegenstand erledigt, hat sie gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG in Form eines (das Beschwerdeverfahren beendenden und nicht bloß verfahrensleitenden) Beschluss zu ergehen (vgl. z.B. VwGH vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208-8).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung vulnerable Personengruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2248652.1.00

Im RIS seit

08.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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