TE Bvwg Beschluss 2021/12/1 W240 2248657-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2021
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Entscheidungsdatum

01.12.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2248657-1/4E
W240 2248659-1/4E
W240 2248658-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerden von XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2021, Zlen 1.). 1281754501/211056101,
2.) 1281755400/211057272, und 3.) 1281764704/211057833 beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin zu W240 2248657-1 (in der Folge auch BF1) ist die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin zu W240 2248659-1 (in der Folge auch BF2) und des Drittbeschwerdeführers zu W240 2248658-1 (in der Folge auch BF3). Alle Beschwerdeführer sind volljährige afghanische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführer stellten in Österreich am 01.08.2021 bzw. am 02.08.2021 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer sind volljährige Geschwister; es liegt daher gegenständlich kein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor. Aufgrund der Gleichgelagertheit der Fälle wird dennoch in einem entschieden.

Betreffend die BF liegt eine Eurodactreffermeldung der Kategorie 2 (erkennungsdienstliche Behandlung) zu Italien vom 18.06.2021 vor.

Am 02.08.2021 wurden die Beschwerdeführer in Österreich erstbefragt und am 21.10.2021 wurden die Beschwerdeführer bezüglich ihres Antrages auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 führte im Rahmen der Erstbefragung aus, sie sei rund eine Woche in Italien gewesen, bevor sie nach Österreich gelangt sei. Sie fürchte sich vor Bedrohungen, weil sie in einer „frauenaktivistischen Partei“[sic] aktiv tätig gewesen sei in Afghanistan. Die Bedrohungen seien von vielen Personen ausgegangen: Ihre frühere Chefin, welche auch Abgeordnete im Parlament gewesen sei, sei bereits ermordet worden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 13.08.2021 ein auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) gestütztes Aufnahme an Italien.

Mit Schreiben vom 13.10.2021 teilten die italienischen Behörden mit, dass Italien für die Behandlung des Asylantrages der Beschwerdeführer gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei.

In der Einvernahme vor dem BFA am 21.10.2021 führte die BF1 im Wesentlichen wie folgt aus:

„(…)

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

VP: Dari, Paschtu, Urdu, Englisch, ein bisschen Deutsch, ich habe auch bei verschiedenen NGOs gearbeitet und da habe ich Sprachen gelernt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich Deutsch in den letzten Monaten über Youtube-Videos gelernt habe.

LA: Wie lange haben Sie Deutsch gelernt.

VP: Eigentlich seit ich in Österreich bin. Das Problem ist, dass meine Gedanken im Moment wo anders sind, ansonsten könnte ich die Sprache binnen drei Monaten lernen.

LA: Verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher einwandfrei?

VP: Ja.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

VP: Mir geht es psychisch nicht gut. Das gilt für uns alle, weil mein Bruder verschollen ist. Wir wissen nicht, ob er von den Taliban mitgenommen wurde, oder ob er noch am Leben ist. Auf der anderen Seite ist meine Mutter sehr krank. Meiner Schwester geht es auch gar nicht gut. Das hat mir psychische Probleme verursacht, ich kann nicht schlafen und kaum etwas essen.

LA: Leiden Sie an irgendwelchen Krankheiten?

VP: Ich habe Nierenprobleme auf der rechten Seite, ich war auch schon zweimal im Krankenhaus. Manchmal ist es sehr schmerzhaft. Ich wurde dort untersucht und bekam auch Medikamente.

LA: Bekamen Sie da Unterlagen?

VP: Leider nicht, sie sind auf der Arztstation im Camp und die zuständige Krankenschwester hat Corona.

LA: Welche Medikamente benötigen Sie?

VP: Ich habe sie nicht mit, es sind Schmerztabletten, und eines wegen einer Nierenentzündung. In Afghanistan hatte ich Nierensteine, hier ist es eher eine Entzündung. Aufgrund dieser Nierenprobleme bekam ich hier auch keine Corona-Impfung. Meine Schwester hat sie bekommen ich nicht.

LA: Seit wann haben Sie diese Nierenprobleme?

VP: Schon in Afghanistan hatte ich das Problem, ich wurde ca. ein Jahr behandelt. Damals waren es Nierensteine, dann ging es mir wieder besser. In Österreich hatte ich auf einmal wieder starke Schmerzen.

LA: Haben Sie Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?

VP legt folgende Unterlagen vor (in Kopie zum Akt):

-        Heiratsurkunde

-        Fotos von der Hochzeit in Afghanistan (im Original zum Akt)

-        Zertifikat über die Absolvierung von Remunerantentätigkeiten

VP: Ich habe auch noch Unterlagen zu meiner Ausbildung und zu meinem Fluchtgrund.

Dokumente werden nicht zum Akt genommen und AW wird neuerlich über den Gegenstand der Einvernahme aufgeklärt.

Fotos im Einzelnen:

1)       Aufenthaltskarte meines Mannes

2)       Meine Schwiegermutter, ich und drei Kinder bei der Verlobungsfeier

3)       Da sieht man mich vor dem Präsidentenpalast im Rahmen meiner Arbeit

4)       Ein Parlamentsabgeordneter mit dem ich eng zusammengearbeitet habe.

5)       Meine Schwiegermutter und ich bei der Verlobungsfeier

6)       Meine Cousine und ich bei der Verlobungsfeier

7)       Meine Brüder und mein Onkel bei der Verlobungsfeier

8)       Das wurde auch bei der Verlobungsfeier aufgenommen.

Die rechtlichen Fotos beziehen sich auf meine Arbeit.

LA: Wieso findet sich auf der Heiratsurkunde kein Datum?

VP: Das ist bei diesem Formular nicht vorgesehen.

LA: Wann haben Sie geheiratet?

VP: XXXX (~ XXXX .2019).

LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 02.08.2021 durch die Polizei erstbefragt. Haben Sie da die Wahrheit gesagt?

VP: Ja, ich hatte aber großen Stress, ich habe einiges gar nicht gesagt. Ich habe alle gestellten Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Das war das erste Mal, dass ich eine Nacht bei der Polizei geschlafen habe. Ich fühlte mich nicht wohl.

LA: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gekommen?

VP: Afghanistan – Iran – Türkei – Italien – Österreich.

LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?

VP: Nur meinen Ehemann. Ein Cousin von mir lebt auch in Österreich, aber wir haben keinen Kontakt, ich bin mir gar nicht sicher, ob er noch in Österreich ist.

LA: Wie oft haben Sie Ihren Ehemann seit der Heirat gesehen?

VP: Mein Mann und ich hatten familiäre Beziehungen zueinander. Deswegen kannten wir uns schon. Mein Mann war hier, ich war in Afghanistan als wir heirateten: ich wollte legal nach Österreich kommen und deswegen habe ich gewartet, bis mein Mann mir eine Einladung schickt. Deswegen hat es so lange gedauert, ich dachte nie, dass ich illegal einreisen muss.

LA: Dh. Ihr Mann war bei der Eheschließung nicht in Afghanistan.

VP: Das ist korrekt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich bei der Verlobungsfeier war, als die Familie Hochzeit gefeiert hat, war ich schon in Österreich. Die Hochzeitsfeier hat online stattgefunden (AW zeigt zwei Fotos auf denen sie, der Ehemann und der Mullah bei der Onlinezeremonie zu sehen sind).

LA: War Ihr Mann bei der Verlobungsfeier.

VP: Nein.

LA: Wann haben Sie Ihren „Ehemann“ zuletzt gesehen, bevor Sie nach Österreich einreisten?

VP: Als ich noch ein kleines Kind war. Ich habe ihn wirklich geliebt, ich habe sieben Jahre auf ihn gewartet.

LA: Wieso wohnen Sie derzeit nicht bei ihm?

VP. Das würde ich sehr gerne, aber ich will die Gesetze in Österreich respektieren. Ich war bei mehreren Beratungsstellen, zB bei der Diakonie. Sie meinten mit der grünen Karte geht das nicht.

AW wird darüber aufgeklärt, dass sie jederzeit auf die Grundversorgung verziehen kann und eine neue grüne Karte bekommen kann.

VP: Im Moment geht es nicht, ich muss auf meine Geschwister aufpassen, meine Schwester ist krank.

LA: Wie sieht der Kontakt zu Ihrem Mann derzeit aus?

VP: Er besucht mich regelmäßig, so oft er kann, mindestens einmal in der Woche.

LA: Seit wann wissen Sie, dass Ihr „Ehemann“ in Österreich ist?

VP: Seit unserer Verlobung wusste ich, dass mein Mann in Österreich ist, ich wollte gerne zu ihm. Er ist illegal eingereist und er wollte mir das ersparen. Auf der Flucht ist es gefährlich. Deshalb habe ich gewartet, um legal einreisen zu können.

LA: Sind Sie in irgendeiner Weise von Ihrem „Ehemann“ abhängig bzw. er von Ihnen?

VP: Ja, auf jeden Fall, emotional und körperlich, ich sage das nicht deshalb, weil wir miteinander geschlafen haben, sondern weil wir uns emotional brauchen.

LA: Haben Sie bereits jemals irgendwo einen Antrag auf int. Schutz gestellt?

VP: Nein.

LA: Haben Sie jemals ein Visum für ein EU-Land beantragt?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in einem Land der EU einen Aufenthaltstitel?

VP: Nein.

LA: Sind Sie vorbestraft?

VP: Nein.

LA: Sie gaben in der Erstbefragung an, dass Sie kein Reiseziel hatten. Wieso haben Sie in der Erstbefragung nicht erwähnt, dass Ihr Verlobter in Österreich ist?

VP: Ich habe gesagt, dass Österreich das Ziel war.

AW werden die Angaben unter Pkt. 9.2 vorgehalten.

VP: Das stimmt nicht, natürlich wollte ich zu meinem Mann, das macht keinen Sinn.

LA: Auch bei Ihren Angehörigen in Österreich haben Sie ihn nicht erwähnt.

VP: Die Frage war anders, sie fragten, wie viele Personen gekommen wären, ich sagte, ich mein Bruder und meine Schwester.

Anmerkung: Ihnen wurde eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005 zu eigenen Handen am 14.10.2021 zugestellt. Anhand dieser Verfahrensanordnung wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass im in Ihrem Fall eine Zuständigkeit Italiens für Ihr Asylverfahren angenommen wird.

LA: Der Staat Italien stimmte in Ihrem Fall bereits mit Anschreiben vom 13.10.2021 gem. Art. 13 (1) der Dublin-Verordnung zu. Seitens des BFA ist nunmehr geplant, gegenständlichen Antrag auf int. Schutz gem. § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen und gegen Sie die Anordnung zur Außerlandesbringung gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG auszusprechen.

LA: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?

VP: Ich kann nicht nach Italien zurückkehren, aus zwei Gründen. Erstens weil mein Mann in Österreich ist und ich bei ihm bleiben möchte. Zweitens wegen meiner Schwester. Sie war in Afghanistan verlobt. Ihr Verlobter hat sie geschlagen, mit dem Messer verletzt und sehr unmenschlich behandelt. Sie ließen sich scheiden. Dieser Mann lebt jetzt in Italien. Ich kann nicht Afghanistan verlassen, weil es gefährlich war und in einem Land leben, wo es auch gefährlich ist. Italien ist wegen dieses Mannes für meine Schwester, mich und meinen Bruder gefährlich.

Außerdem wollten die Italiener auch, dass wir das Land verlassen. Sie haben nur gefragt, von wo wir sind und wir sagten Afghanistan. Sie haben nicht einmal gefragt, ob wir einen Asylantrag stellen wollen, oder nicht.

LA: Wie heißt der Ex-Verlobte Ihrer Schwester?

VP. XXXX . Nachgefragt gebe ich an, dass wir ihn immer XXXX nannten.

LA: Wo in Italien lebt er?

VP: Keine Ahnung.

LA: Woher wissen Sie, dass er in Italien ist?

VP: Einige Verwandte von diesem Mann wohnen in Afghanistan ganz in der Nähe meines Onkels. Die Ehefrau meines Onkels ist von Beruf Schneiderin, deshalb sieht sie diese Leute öfter…

LA: Nein, konkret, wie haben Sie davon erfahren.

VP: Meine Mutter lebt in Afghanistan, sie hat von den Verwandten erfahren, dass er in Italien ist und uns Bescheid gegeben.

LA: Wann haben Sie davon erfahren.

VP: Genau, weiß ich es nicht, aber schon als wir in der Türkei waren, hatten wir eine Ahnung, dass er in Italien ist und wir haben einiges gehört.

LA: Was haben Sie da gehört?

VP: Ich habe gehört, dass wir Italien vermeiden müssen, weil er in Italien ist.

LA: Von wem haben Sie das gehört?

VP: Ich hatte ein Handy und ich hatte viele Kontakte zu meinen Verwandten in Afghanistan. Darunter auch zu dieser Ehefrau meines Onkels.

LA: Wieso sind Sie dann über Italien gereist.

VP: Der Schlepper ist schuld, wir waren in den Händen dieses Schleppers. Er hat versprochen, dass wir bis Deutschland oder Österreich durchreisen werden. Über Italien hat er nichts gesagt.

LA: Wieso Deutschland oder Österreich?

VP: Mit dem Schlepper kann man nicht normal sprechen. Man sagte, ihr wollt nach Österreich, er sagte ich bringe euch nach Österreich/Deutschland. Er hat uns auch die Handys abgenommen und wir konnten nicht nachvollziehen wo wir sind. In Italien sagte der Kapitän, dass wir aussteigen müssen.

LA: Haben Sie irgendwelche Gründe anzunehmen, dass die italienischen Behörden Sie nicht vor dem Ex-Verlobten Ihrer Schwester schützen könnten?

VP: Ich habe Afghanistan verlassen, weil ich dort in Gefahr bin…

Frage wird erklärt und wiederholt.

VP: Es mag sein, dass die Polizei mich schützen will, aber ich kenne die afghanischen Männer sehr gut, sie kümmern sich nicht um die Polizei, es gibt genug Beispiele bei denen afghanische Frauen auch in Europa von ihren Männern misshandelt wurden. Am Körper meiner Schwester sieht man noch Einstichstellen. Sie wird sich umbringen, wenn sie erfährt, dass sie nach Italien muss.

LA: Sie gaben an, dass Sie von Ihrer Mutter erfahren hätten, dass XXXX in Italien ist und später, dass sie es bereits von der Ehefrau Ihres Onkels erfahren hätten. Wie haben Sie nun konkret davon erfahren.

VP: Beide haben es mir erzählt. Außerdem wusste ich es sowieso. In der Türkei wollten wir weiterreisen und haben bei verschiedenen Schleppern nachgefragt. Ich habe in der afghanischen Community gehört, dass ein gewisser XXXX von der Türkei nach Italien gereist ist.

LA: Haben Sie das von Ihrer Mutter auch schon in der Türkei erfahren.

VP: Ja.

LA: Ihr Bruder gab an, dass Sie erst nach Ihrer Ankunft in Italien erfahren hätten, dass der Ex-Verlobte Ihrer Schwester in Italien lebt.

VP: Das ist korrekt. Meine Mutter hat uns gewarnt, sie sagte wir müssten alles tun, damit wir nicht in Italien bleiben.

LA: Möchten Sie freiwillig in Ihren Herkunftsstaat ausreisen?

VP: Das ist ein Todesurteil, ich werde dort getötet.

Dem Asylwerber werden die Informationsunterlagen bezüglich freiwilliger Rückkehr in den Herkunftsstaat ausgefolgt.

LA: Ihnen wurden bereits am 18.10.2021 die aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in Italien ausgefolgt. Möchten Sie nunmehr eine Stellungnahme zu dieser Länderfeststellung abgeben?

VP: Sie waren auf Deutsch, ich habe es mit Google-Übersetzer übersetzt und verstanden. Ich will nicht nach Italien, das gilt auch für meine Schwester und meinen Bruder.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend Zeit, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?

VP: Ja. Aber ich habe ein Schlusswort: Ich habe zwei Uniabschlüsse in Wirtschaftswissenschaft und als Krankenschwester, ich habe auch lange Berufserfahrung, ich will in Österreich gerne arbeiten und mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Ich kann das auch, ich habe auch eine Jobzusage von Ärzte ohne Grenzen in Österreich. Meine einzige Bitte ist, dass meine Probleme hier verstanden werden und ich hierbleiben kann.

(…)“

Am 29.10.2021 langte die Antwort eines österreichischen Standesamtes hinsichtlich der Gültigkeit einer Stellvertreterehe in Afghanistan bei der Behörde ein (AS 145 im Akt der BF1). Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass das Brautpaar im gegenständlichen Fall laut Angaben der BF1 sich vor Ort habe vertreten lassen, weshalb von einer Eheschließung durch Vertretung auszugehen sei. Dies entspreche grundsätzlich der afghanischen Ortsform. Es werde zu überprüfen sein, ob alle Voraussetzungen für die Eheschließung erfüllt worden seien bzw. die afghanischen Eheschließungsvoraussetzungen gegeben seien, um die Eheschließung in Österreich anzuerkennen.

Hinsichtlich der BF1 wurden insbesondere folgende Unterlagen vorgelegt:

-        Kopie der Heiratsurkunde samt Übersetzung

-        Mehrere Fotos der BF1 zusammen mit anderen Personen, offensichtlich im Zuge von Feierlichkeiten (Ausführungen der BF1 zu jedem Foto im Rahmen der Einvernahme)
-         Zertifikat über die Absolvierung einer Remunerantentätigkeit

-        Unterstützungsschreiben

In der Einvernahme vor dem BFA am 21.10.2021 führte die BF2 im Wesentlichen wie folgt aus:

„(…)

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Es geht, ich habe zwar Kopfschmerzen aber es geht.

LA: Möchten Sie etwas trinken? Wenn Sie eine Pause brauchen, bitte geben Sie Bescheid.

VP: Danke.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

VP: Ich bin in Österreich in psychologischer Behandlung, weil es mir psychisch nicht gut geht. Im Flüchtlingscamp hat man für mich eine Therapie organisiert und die Organisation Ärzte ohne Grenzen haben auch eine andere Therapie für mich organisiert. Dh. ich werde aktuell von zwei verschiedenen Psychologen betreut, aber es geht mir trotzdem sehr schlecht.

AW legt zwei Schreiben vor (in Kopie zum Akt):

-        Unterstützungserklärung von Ärzte ohne Grenzen vom 20.10.2021

-        Schreiben der klinischen Psychologin vom 20.10.2021

LA: Benötigen Sie Medikamente?

VP: Nur manchmal, bei Bedarf nehme ich Beruhigungstabletten.

LA: Sind Sie in ärztlicher Behandlung?

VP: ich habe Nierenschmerzen, ich war schon ein paar Mal beim Arzt, nächste Woche habe ich einen Termin bei einem Facharzt.

LA: Haben Sie irgendwelche medizinische Unterlagen?

VP: Es gibt Unterlagen in der Arztstation.

Anmerkung: Sie werden aufgefordert, sämtliche medizinische Befunde, Gutachten oder Unterlagen Ihre Person betreffend selbständig dem BFA-EAST West vorzulegen.

AW unterschreibt eine entsprechende Einverständniserklärung.

LA: Haben Sie Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?

VP legt eine Zertifikat über die Absolvierung der Remunerantentätigkeit vor (in Kopie zum Akt)

LA: Dh. Sie können trotz Ihrer psychischen Probleme arbeiten?

VP: Ja, das ist eine Ablenkung, das hilft mir.

LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 02.08.2021 durch die Polizei erstbefragt. Haben Sie da die Wahrheit gesagt?

VP: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt, aber ich habe vieles Absichtlich nicht gesagt. Ich wollte meine Vergangenheit lieber vergessen und nicht über diese bittere Erinnerung sprechen. Ich wollte einen Neuanfang und deshalb habe ich diesen bitteren Teil meiner Vergangenheit nicht erwähnt.

LA: Geht es da um Afghanistan oder Italien?

VP: Es hat alles in Afghanistan angefangen, aber genau diese Person lebt momentan in Italien.

AW wird darüber aufgeklärt, dass sollte sie einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung vorbringen wollen, sie das Recht auf eine gleichgeschlechtliche Dolmetscherin bzw. Referenten hat. Dann würde die Einvernahme abgebrochen und es gibt einen neuen Ladungstermin.

VP: Ich wurde von diesem Mann sexuell misshandelt. Wenn ich mit einer Frau spreche fühle ich mich besser.

EV wird abgebrochen.

(…)“

In der Einvernahme vor dem BFA am 27.10.2021 führte die BF2 im Wesentlichen wie folgt aus:

„(…)

LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 02.08.2021 durch die Polizei erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit bzw. möchten Sie dazu noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen und halten Sie diese Angaben noch aufrecht?

VP: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt, allerdings habe ich manche Sachen nicht erwähnt, weil ich nicht bereit dafür war. Ich wollte mich noch einmal daran erinnern. Ich wollte mein Leben neu anfangen und mich nicht mehr mit der Vergangenheit befassen.

LA: Am 14.10.2021 wurde Ihnen die Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005 ausgefolgt. Anhand dieser Verfahrensanordnung wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass im gegenständlichen Fall beabsichtigt ist das Asylverfahren zurückzuweisen. Der zuständige Staat für Ihr Asylverfahren ist Italien. Italien stimmte am 13.10.2021 Ihrer Rücküberstellung zu.

Es ist auch eine Anordnung zur Außerlandesbringung gem. § 61 FPG geplant.

LA: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die einer Zurückweisung nach Italien entgegenstehen?

VP: Ich kann nicht zurückkehren wegen meinem Ex-Verlobten. Wir hätten sehr viele Probleme. Ich wollte mit ihm nicht leben und wollte ihn auch nicht heiraten. Ich habe ihn verlassen. Er wollte mich töten und er hat mich vergewaltigt. Das alles weiß meine Familie nicht. Als wir noch verlobt waren, hat er mich mit einem Messer am Bauch und am Fuß verletzt. Aufgrund dieser Bauchverletzung musste ich operiert werden. Ich habe hier aus Afghanistan ein ärztliches Schreiben diesbezüglich. Dies geschah am 06.08.2019, die Bestätigung allerdings habe ich nachträglich beantragt. Ich bekam gestern 26.10.2021 die Bestätigung von meinen Eltern. Mein Ex-Verlobter ist in Italien, deshalb möchte ich nicht nach Italien. Ich sage nicht, dass Italien schlecht ist. Italien gehört zu EU. Ich habe auch in Italien niemanden. Ich habe in Italien keine Sicherheit. Meine Schwester ist auch hier in Österreich.

Beilage 1: XXXX Hospital

Anmerkung: Die Antragstellerin zeigt die abgeheilten Narben. (Leistengegend links, Narbe ca. 6-8 cm, Fuß Narbe ca. 2 cm)

LA: Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Ex-Verlobten gesehen?

VP: Im Jahr 2020 in Afghanistan.

LA: Wie heißt Ihr Ex-Verlobter?

VP: XXXX .

LA: Wann ist er geboren?

VP: Ich weiß es nicht. Er ist ca. 35 Jahre alt.

LA: Seit wann befindet er sich in Italien?

VP: Ich weiß es nicht, er war vor uns schon in Italien.

LA: Wo genau in Italien ist er aufhältig?

VP: Das weiß ich nicht.

LA: Woher wissen Sie, dass er sich in Italien aufhält?

VP: Von meiner Mutter.

LA: Seit wann weiß Ihre Mutter, dass er in Italien ist?

VP: Als wir schon in Italien waren, hat meiner Mutter das erfahren.

LA: Wann haben Sie erfahren, dass er sich in Italien aufhält?

VP: Als wir in Italien waren. Ich weiß es nicht genau, das Datum weiß ich nicht.

LA: Wurden Sie in Italien durch Ihren Ex-Verlobten bedroht?

VP: Nein, wir waren nicht lange in Italien.

LA: Haben Sie sich in Italien an die Polizei gewendet?

VP: Nein.

LA: Sie sagten, dass Sie in Italien keine Sicherheit haben. Woher haben Sie das Wissen, wenn Sie sich nicht an die Polizei gewendet haben?

VP: Ich weiß, dass mein Ex-Verlobter nie nach Europa wollte. Ich weiß, dass er jetzt in Italien ist nur weil er mich töten möchte.

LA: Sie sagten, dass er vor Ihnen nach Italien ging.

VP: Also als wir in der Türkei waren, haben wir erfahren, dass er Afghanistan verlassen hat. Als wir dann in Italien waren sagte uns meine Mutter, dass er auch in Italien ist und dass wir Italien verlassen müssen.

LA: Haben Sie irgendwelche Gründe anzunehmen, dass die italienischen Behörden Sie nicht vor dem Ex-Verlobten schützen könnten?

VP: Als wir in Italien waren, hat uns die Polizei erklärt, wie wir das Land verlassen, obwohl wir gesagt haben, dass wir Flüchtlinge sind. Wie soll man so einer Polizei vertrauen.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe geschildert, warum Sie Italien verlassen haben?

VP: Ja.

LA: Das BFA wird Ihre Angaben an die österreichische Polizei weiterleiten. Das BFA geht auch davon aus, dass Sie die italienischen Behörden vor Übergriffen schützen können, vorausgesetzt Sie erstatten Anzeige in Italien.

VP: Ich möchte auf gar keine Fall nach Italien.

LA: Dem BFA wurde heute eine Stellungnahme von Frau Dr. Sylvia Wamser zugestellt. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung einhergehend mit einer Suizidgefährdung leiden.

VP: Ja, ich habe Selbstmordgedanken seit ich erfahren habe, dass er sich in Italien aufhält. Wenn ich nach Italien gehen muss, werde ich mich umbringen. Bevor ich wieder solche Probleme bekomme, wie früher in Afghanistan, würde ich lieber sterben.

LA: Haben Sie in Österreich, im Bereich der Europäischen Union, in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz, Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

VP: Nein. Nur meine Geschwister, die mit mir mitgereist sind. Mein Schwager ist in Österreich. Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht zu meinem Schwager aber nicht.

LA: Möchten Sie freiwillig in Ihren Herkunftsstaat ausreisen?

VP: Nein. Ich würde lieber sterben. Ich habe noch eine Bestätigung, die ich Ihnen vorlegen möchte.

Beilage 2: Unterstützungserklärung Ärzte ohne Grenzen vom 20.10.2021

Der Asylwerberin werden die Informationsunterlagen bezüglich freiwilliger Rückkehr in den Herkunftsstaat ausgefolgt.

LA: Ihnen wurden am 18.10.2021 die aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in Italien ausgefolgt. Möchten Sie eine Stellungnahme zu dieser Länderfeststellung abgeben?

VP: Nein.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend Zeit, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?

VP: Ja, ich habe alles gesagt.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung:

LA: Warum glauben Sie, dass Sie von Ihrem Ex-Verlobten verfolgt werden, wenn Sie mit Ihm keinen Kontakt haben?

VP: Weil ich ihn verlassen habe. Er war mit der Trennung nicht einverstanden.

(…)“

Hinsichtlich die BF2 wurden ein Bericht der klinischen Psychologin vom 26.10.2021, eine Unterstützungserklärung von Ärzte ohne Grenzen, ein Zertifikat über die Absolvierung der Remunerantentätigkeit, ein Schreiben eines XXXX Hospitals sowie eine Bestätigung über die Absolvierung einer Abschlussprüfung Management der XXXX State University und ein Diplom über den Abschluss als Hebamme vorgelegt.

In der Einvernahme vor dem BFA am 21.10.2021 führte der BF3 im Wesentlichen wie folgt aus:

„(…)

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Mir geht es gut, aber ich habe großen Stress.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

VP: Mir geht es psychisch nicht gut, seit ich in Österreich bin, kann ich kaum schlafen, vor allem, weil ich zuletzt in Afghanistan große Probleme hatte. Mein Vater ist verstorben, meine Mutter ist schwer krank, mein Bruder ist verschollen. Seit die Taliban gekommen sind, ist unser Leben ein Chaos.

LA: Leiden Sie an irgendwelchen Krankheiten?

VP: Nein.

LA: Benötigen Sie Medikamente?

VP: Nein.

LA: Sind Sie in ärztlicher Behandlung?

VP: Nein.

LA: Sie meinten vorhin Sie hätten Unterlagen, die bei ihrer Schwester wären: Stimmt das?

VP: Die Unterlagen bestätigen, dass ich für Ärzte ohne Grenzen tätig war. Das ist mein Fluchtgrund. Ärzte ohne Grenzen haben versprochen, dass sie mich in Österreich unterstützen werden.

LA: Haben Sie Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?

VP legt folgende Unterlagen vor:

-        Zertifikat über die Absolvierung von Remunerantentätigkeiten (Kopie zum Akt)

VP: Ich habe auch noch Unterlagen zu meiner Ausbildung und zu meinem Fluchtgrund.

Dokumente werden nicht zum Akt genommen und AW wird neuerlich über den Gegenstand der Einvernahme aufgeklärt.

LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 02.08.2021 durch die Polizei erstbefragt. Haben Sie da die Wahrheit gesagt?

VP: Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Ich war aber neu in Österreich und lange unterwegs. Ich war müde und erschöpft, ich hoffe, dass ich alles gesagt habe, bin mir aber nicht ganz sicher.

LA: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gekommen?

VP: Afghanistan – Iran - Türkei – Italien – Österreich.

LA: Haben Sie in Österreich Verwandte oder sonstige Angehörige?

VP: Ja. Der Ehemann meiner Schwester Lina lebt in Österreich.

LA: Seit wann ist Ihre Schwester verheiratet.

VP: Sie hat schon in Afghanistan geheiratet. Es gibt da auch Unterlagen. Nachgefragt gebe ich an, dass es Ende 2018 war.

LA: Wie heißt Ihr Schwager?

VP XXXX .

LA: Wann haben Sie Ihren Schwager zuletzt gesehen?

VP: Heute.

LA: Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen, bevor Sie nach Österreich einreisten?

VP: In Afghanistan nicht.

LA: Wann haben Sie ihn kennengelernt?

VP: Ich kannte ihn schon in Afghanistan aber nicht persönlich. Wir haben uns zum ersten Mal in Österreich getroffen, nach unserer Ankunft. Wir haben schon vorher gesprochen und kannten einander.

LA: Seit wann wissen Sie, dass Ihr Schwager in Österreich ist?

VP: Seit beide verlobt waren, vielleicht seit 2015.

LA: Werden Sie von Ihrem Schwager unterstützt?

VP: Bis jetzt war es nicht notwendig, dass er für uns etwas besorgt, wenn es notwendig ist macht er es. Er ist älter als ich und wie mein älterer Bruder. Ich kann auf ihn zählen und deshalb möchte ich auch in Österreich bleiben.

LA: Haben Sie bereits jemals irgendwo einen Antrag auf int. Schutz gestellt?

VP: Nein.

LA: Haben Sie jemals ein Visum für ein EU-Land beantragt?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in einem Land der EU einen Aufenthaltstitel?

VP: Nein.

LA: Sind Sie vorbestraft?

VP: Nein.

LA: Sie gaben in der Erstbefragung an, dass Österreich Ihr Zielland gewesen wäre und begründeten das damit, dass die Situation von Asylwerbern in Österreich besser wäre als in anderen Ländern. Wieso haben Sie in der Erstbefragung nicht erwähnt, dass Ihr Schwager in Österreich ist?

VP: Bei der Erstbefragung war ich sehr müde und erschöpft. Vor der Ankunft in Österreich war ich sieben Tage auf der Straße und habe dort auch übernachtet. Außerdem fragte der Dolmetscher ob ich in Österreich Eltern oder Geschwister habe und ich sagte nein.

LA: Wieso waren Sie sieben Tage auf der Straße?

VP: Wir waren auf der Flucht von Italien nach Österreich. Die Lage in Italien war sehr chaotisch. Wir konnten ein Stück mit dem Zug fahren, dann nicht mehr, dann mussten wir einen oder zwei Tage auf der Straße bleiben und dann weiterreisen.

LA: Wieso haben Sie in Italien keinen Asylantrag gestellt?

VP: Weil wir in Italien ein großes Problem hatten, wir haben in Italien erfahren, dass der Ex-Verlobte meiner anderen Schwester in Italien ist. Wenn man die afghanische Kultur kennt, weiß man, dass es sehr gefährlich ist. Wenn er herausgefunden hätte, dass wir in Italien sind, hätte er alles versucht uns zu beschädigen.

LA: Wie heißt der Ex-Verlobte Ihrer Schwester?

VP: XXXX , den Familiennamen kenne ich nicht, wir haben ihn XXXX bezeichnet.

LA: Wann war Ihre Schwester verlobt?

VP: 2018.

LA: Wie haben Sie erfahren, dass XXXX in Italien ist?

VP: Durch Verwandte und Familie. Die Ehefrau meines Onkel ms ist Schneiderin. Deswegen hat die Familie um die Hand meiner Schwester angehalten. Durch diese Verwandten haben wir erfahren, dass er in Italien ist.

LA: Konkret, wie haben Sie erfahren, dass er in Italien ist?

VP: Er ist ein schlechter Mann, er hat meine Schwester schlecht behandelt…

Frage wird wiederholt.

VP: Meine Mutter hat mir Bescheid gesagt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich meine Mutter angerufen habe, dass wir Italien erreicht haben. Meine Mutter war besorgt und sagte, dass Italien gefährlich wäre, XXXX wäre auch in Italien.

LA: Gibt es irgendeinen Grund, warum die italienischen Behörden Sie vor XXXX nicht schützen würden.

VP: Wir wussten nicht was XXXX vorhat und wie er uns beschädigen wird. Ich konnte nicht in einem Land leben, wo ich aus Angst nicht ruhig schlafen kann. Warum sollte ich abwarten, bis er auftaucht und uns etwas antut.

Anmerkung: Ihnen wurde eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005 zu eigenen Handen am 14.10.2021 zugestellt. Anhand dieser Verfahrensanordnung wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass im in Ihrem Fall eine Zuständigkeit Italiens für Ihr Asylverfahren angenommen wird.

V: Der Staat Italien stimmte in Ihrem Fall bereits mit Anschreiben vom 13.10.2021 gem. Art. 13 (1) der Dublin-Verordnung zu. Seitens des BFA ist nunmehr geplant, gegenständlichen Antrag auf int. Schutz gem. § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen und gegen Sie die Anordnung zur Außerlandesbringung gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG auszusprechen.

LA: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?

VP: Wir haben Italien verlassen, weil wir dort keine Sicherheit hatten. Wir wollten nicht in einem Land bleiben, wo man ständig vor jemanden Angst hat. Er hat meine Schwester verletzt. Sie können die Spuren nach wie vor sehen. Das heißt in Italien haben wir uns schutzlos gefühlt. In Österreich ist es genau das Gegenteil. Ich kann auf meinen Schwager zählen, er ist für uns da. Hier können wir ein Leben ohne Angst aufbauen. Das war in Italien nicht möglich.

LA: Ihnen wurden bereits am 18.10.2021 die aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in Italien ausgefolgt. Möchten Sie nunmehr eine Stellungnahme zu dieser Länderfeststellung abgeben?

VP: Ich habe es bekommen und teilweise gelesen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich glaube, dass die Informationen nicht der Wahrheit entsprechen. Wir haben in Italien sieben Tage auf der Straße gelebt und geschlafen: Solche Informationen findet man dort nicht.

AW wird darauf hingewiesen, dass er in Italien keinen Asylantrag gestellt hat und daher auch niemand wissen konnte, dass er eine Versorgung benötigt.

VP: Das kann sein, was haben wir gegen unsere Unsicherheit getan. Wir mussten uns immer mit dem Gedanken beschäftigen, dass er kommen wird und uns etwas antun wird. Der Exverlobte meiner Schwester ist ein islamischer Fanatiker. Wenn er eine Tätowierung gesehen hätte, hätte er gesagt, dass man getötet werden muss.

LA: Warum haben Sie XXXX in der Erstbefragung nicht erwähnt.

VP: Man hat es nicht gefragt. Ich dachte ich bekomme eine Karte und das wars.

LA: Sie haben angegeben, dass die Lage in Italien schlecht war, dass Sie in Österreich bleiben möchten, um sich weiterzubilden, aber von einer Bedrohung durch den Exverlobten Ihrer Schwester haben Sie nichts erwähnt.

VP: Man hat die Frage nicht gestellt, ich dachte, warum sollte ich so etwas Schlechtes erwähnen, wenn es nicht notwendig ist.

LA: Möchten Sie freiwillig in Ihren Herkunftsstaat ausreisen?

VP: Nein, ich möchte nicht sterben.

Dem Asylwerber werden die Informationsunterlagen bezüglich freiwilliger Rückkehr in den Herkunftsstaat ausgefolgt.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend Zeit, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?

VP: Ja.

LA: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint?

VP: Ich bin mittlerweile über 20 Jahre alt und ich habe in meinem Leben außer Stress und Angst nichts erlebt. Die Lage in Afghanistan ist momentan sehr schlecht, ich mache mir um meine Mutter Sorgen, ich hoffe, dass ich in Österreich bleiben darf und meine schlechten Erfahrungen ein Ende haben.

(…)“

Hinsichtlich den BF3 wurden insbesondere ein positiver italienischer Sars-CoV-2-Test vom 30.06.2021 und ein Zertifikat über die Absolvierung einer Remunerantentätigkeit vorgelegt.

Am 03.11.2021 langte ein Unterstützungsschreiben einer Privatperson für alle BF beim BFA ein. Es wurde ausgeführt, dass die BF psychisch sehr belastet seien. Insbesondere werde ersucht, die BF1 mit ihrem Ehemann, der in Österreich lebe, zusammenzuführen.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 09.11.2021 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 13 Abs 1 Dublin III-VO Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der BF nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer in Österreich befinden, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten, der Aufenthalt in Österreich niemals als sicher anzusehen gewesen sei. Es sei ihnen der unsichere Aufenthalt in Österreich bewusst gewesen, ein eventuelles Familien- bzw. Privatleben sei innerhalb dieses Zeitraumes entstanden, die mitgereisten Mitglieder der Kernfamilie seien ebenfalls von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen. Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der BF könne die Behörde nicht erkennen, dass die BF in Italien einer EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt wären, da keine Hinweise darauf hervorgekommen sind, dass die italienischen Behörden nicht willens oder in der Lage wären, Sie vor Übergriffen Dritter zu schützen.

Hinsichtlich der BF1 wurde im Bescheid insbesondere ausgeführt, sie habe in Österreich -abgesehen von ihren mitreisenden Geschwistern – keine Angehörige oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Zum in Österreich lebenden Ehemann der BF1 könne keine besonders enge Beziehung festgestellt werden.

Es seien im gesamten Verfahren hinsichtlich der BF keine Hinweise auf eine schwere, lebensbedrohende Erkrankung hervorgekommen, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen würde. Betreffend die behaupteten psychischen Erkrankungen der BF1 und der BF2 wurde in den angefochtenen Bescheiden darauf verwiesen, dass diese freiwillig im Rahmen der Remunerantentätigkeiten gearbeitet hätten. Dass die BF trotz Ihrer psychischen Probleme arbeiten könnten, sei laut BFA ein Beleg dafür, dass deren psychischen Probleme nicht so schwer seien, dass diese einer Überstellung nach Italien entgegenstehen würden.

Es wurde darauf verwiesen, dass alle Geschwister im selben Ausmaß von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien.

3. Gegen die Bescheide des BFA erhoben die Beschwerdeführer durch ihre Vertretung rechtzeitig die vorliegende Beschwerde, beantragt wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, die Zurückverweisung an das BFA und in eventu die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Es wurde in der Beschwerde festgehalten, dass den BF auf Grund der verletzten Ermittlungspflicht und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 und 8 EMRK.

In der Beschwerde betreffend die BF wurden insbesondere folgende Punkte ausgeführt:

„(…)

I. Die dem Bescheid zu Grunde liegenden Länderinformationen halten fest, dass Dublin Rückkehrer auf eigene Faust in die zuständige Quästur gelangen müssen (Bescheid S. 15/43). Das italienische Aufnahmesystem ist wegen der zahlreichen Anlandungen von Migranten überfordert. Asylwerber dürfen bereits 2 Monate nach Antragstellung arbeiten, jedoch werden diese auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert (Bescheid S. 22/43). Die Asylwerber haben zudem erst Zugang zu einer Unterbringung mit der formalen Registrierung des Antrags, die bis einige Monate nach der Antragstellung dauern kann. Asylwerbern droht Obdachlosigkeit (Bescheid S. 23/43).

Obwohl das Länderinformationsblatt festhält, dass sich in Italien wegen der zahlenmäßigen Überlastung Asylwerber selbständig zur zuständigen Behörde durchschlagen müssen und es mehrere Monate dauern kann, bis eine Unterkunft zur Verfügung steht, ihnen Obdachlosigkeit und somit die reale Gefahr einer Art 3 EMRK verletzenden Situation droht geht die Behörde in antizipierender Beweiswürdigung davon aus, dass die drohende Obdachlosigkeit keine EMRK widrige Behandlung darstellen würde und eine Überstellung nach Italien zulässig sei.

Hätte die Behörde ihre Ermittlungspflicht nicht verletzt und die Länderinformationen entsprechend gewürdigt, wäre sie zu dem für die Bf günstigeren Ergebnis gelangt, dass Asylwerber nicht in drohende Obdachlosigkeit geschickt werden dürfen, da dies eine
Art 3 EMRK Verletzung darstellt und hätte Österreich für die Führung des Asylverfahrens für zuständig erklärt.

(…)“

Betreffend die BF1 wurde in der Beschwerde insbesondere ausgeführt:

„(…)

ad) Zuständigkeit Österreichs in Folge Familienangehörigen Eigenschaft

Die Behörde stellt richtig fest, dass die Bf die Ehefrau des in Österreich aufenthaltsberechtigten XXXX , StA Afghanistan ist, der in Österreich subsidiär Schutzberechtigt ist (Bescheid S. 11/43).

Die Bezugsperson der Bf verfügt zwar nicht über die Eigenschaft eines Asylberechtigten, dennoch fällt die festgestellte Familieneigenschaft dennoch unter den Schutzbereich von Art 8 EMRK. Um das schützenswerte Familienleben einer ehelichen Gemeinschaft nicht ungerechtfertigt zu verletzen, hätte die Behörde in richtiger rechtlicher Beurteilung gem
Art 17 Dublin III VO von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

(…)“

Am 29.11.2021 langte betreffend die BF1 eine Eingabe ein. Es wurde ein ambulanter Arztbrief vorgelegt mit der Feststellung, dass die BF1 an einer behandlungsbedürftigen Nierenkolik leide bei Nephrolithiasis (N20.00). Zudem wurde ausgeführt, dass die BF1 sie zu ihrem aufhältigen Ehemann gezogen sei und einen gemeinsamen ehelichen Wohnsitz gegründet habe. Im Befund wurde eine Vorstellung beim Urologen und die Einnahme der Filmtabletten Novalgin empfohlen.

Ebenfalls am 29.11.2021 langte betreffend die BF2 eine Eingabe ein. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass die BF2 in Verbindung mit dem Länderinformationsblatt als vulnerabel anzusehen sei, es gebe für sie in Italien keine entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten. Sie BF2 leide an akuter Belastungsstörung und sei ab 29.10.2021 bis zum 11.11.2021 stationär aufgenommen worden. Sie benötige fachärztlich angeordnet weitere regelmäßige Labor und EKG-Kontrollen als auch regelmäßige psychiatrische Facharztkontrollen. Verwiesen werde darauf, dass ihre Schwester (BF1) zu deren Ehemann gezogen sei, weshalb die BF2 als vulnerable alleinstehende Frau die verstärkte Betreuung durch ihren Bruder (BF3) benötige und werde angeregt, diese Verfahren auf Grund der gegenseitigen Abhängigkeit gemeinsam zu führen. Die bei der BF2 diagnostizierte psychische Erkrankung mit Selbstgefährdung stelle eine Erkrankung dar, die einer Einzelfallzusicherung durch Italien bedürfe. Eine Abschiebung nach Italien der vulnerablen BF2 stelle derzeit eine solche Handlung dar, welche eine Verletzung von Art. 3 EMKR bedeuten würde und seien die notwendigen Ermittlungsschritte verpflichtend gefordert, welche jedoch vom BFA nicht durchgeführt worden seien.

Hinsichtlich der BF2 wurde ein Entlassungsbrief einer österreichischen Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 11.11.2021 übermittelt. Festgehalten wurde darin, dass die BF2 im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit suizidaler Einengung zur medikamentösen Adaptierung und Stabilisierung stationär aufgenommen worden war. Diagnostiziert wurden neben Hämorrhoiden eine Posttraumatische Belastungsstörung mit suizidaler Einengung (F43.1). Der BF2 wurden zahlreiche Antidepressiva verschrieben und es wurde festgehalten, dass eine Betreuungskontinuität unerlässlich sei sowie regelmäßige psychiatrische Facharztkontrollen sowie ambulante Psychotherapie Aspis dringend empfohlen seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang.

Die Erstbeschwerdeführerin zu W240 2248657-1 (in der Folge auch BF1) ist die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin zu W240 2248659-1 (in der Folge auch BF2) und des Drittbeschwerdeführers zu W240 2248658-1 (in der Folge auch BF3). Alle Beschwerdeführer sind volljährige afghanische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführer stellten in Österreich am 01.08.2021 bzw. am 02.08.2021 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 13.08.2021 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahme an Italien.

Mit Schreiben vom 13.10.2021 teilten die italienischen Behörden mit, dass Italien für die Behandlung des Asylantrages der Beschwerdeführer gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei.

Die BF1 und die BF2 behaupten gesundheitliche Probleme ihrer Nieren und psychische Beschwerden. Die belangte Behörde hat keine hinreichende abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer, insbesondere der BF1 und der BF2, mit dem Ziel vorgenommen, eine Grundlage für die Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführer nach Italien gegeben ist und um eine Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund allfällig gegebener gesundheitlicher Beeinträchtigungen auszuschließen.

Die BF1 schildert, dass ihr Ehemann in Österreich subsidiär schutzberechtigt ist und dass sie mit diesem nunmehr einen gemeinsamen Haushalt in Österreich führt.

Die belangte Behörde hat keine abschließende Beurteilung vorgenommen, ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Reiseweg der Beschwerdeführer sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich im Speziellen aus dem eigenen Vorbringen in Zusammenhang mit der vorliegenden Aktenlage.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage, dem Vorbringen der Beschwerdeführer und den vorgelegten ärztlichen Bestätigungen.

Aus der Aktenlage ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde eine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführer nicht für erforderlich gehalten hat und aus welchen Gründen ohne eine solche Beurteilung der nunmehr angefochtene Bescheid erlassen wurde.

Die BF1 schilderte ebenfalls psychische Probleme und Nierenprobleme. Am 29.11.2021 langte betreffend die BF1 eine Eingabe ein. Es wurde ein ambulanter Arztbrief vorgelegt mit der Feststellung, dass die BF1 an einer behandlungsbedürftigen Nierenkolik leide bei Nephrolithiasis (N20.00). Zudem wurde ausgeführt, dass die BF1 sie zu ihrem aufhältigen Ehemann gezogen sei und einen gemeinsamen ehelichen Wohnsitz gegründet habe. Im Befund wurde eine Vorstellung beim Urologen und die Einnahme der Filmtabletten Novalgin empfohlen. Hinsichtlich der BF2, welche auch Suizidgedanken äußerte, welche auch durch ihre Geschwister bestätigt wurden, wurde ein Entlassungsbrief einer österreichischen Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 11.11.2021 übermittelt. Festgehalten wurde darin, dass die BF2 im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit suizidaler Einengung zur medikamentösen Adaptierung und Stabilisierung stationär aufgenommen worden war. Diagnostiziert wurden neben Hämorrhoiden eine Posttraumatische Belastungsstörung mit suizidaler Einengung (F43.1). Der BF2 wurden zahlreiche Antidepressiva verschrieben und es wurde festgehalten, dass eine Betreuungskontinuität unerlässlich sei sowie regelmäßige psychiatrische Facharztkontrollen sowie ambulante Psychotherapie Aspis dringend empfohlen seien. Eine besondere Beziehung und Abhängigkeit der BF2 vom BF3 wurde behauptet.

In den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde betreffend die behaupteten Erkrankungen der BF1 und der BF2 lediglich darauf verwiesen, dass diese freiwillig im Rahmen der Remunerantentätigkeiten gearbeitet hätten. Dass die BF trotz Ihrer psychischen Probleme arbeiten könnten, sei laut BFA ein Beleg dafür, dass deren psychischen Probleme nicht so schwer seien, dass diese einer Überstellung nach Italien entgegenstehen würden

Mit dieser – oben wiedergegebenen Argumentationslinie – vermag das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht nachvollziehbar darzutun, warum es von der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ausgegangen ist. Insbesondere liegt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführer vor.

Diese Beweiserhebung stellt keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition der Beschwerdeführer ausschließen zu können.

Hinsichtlich der BF1 wurde im Bescheid insbesondere ausgeführt, sie habe in Österreich -abgesehen von ihren mitreisenden Geschwistern – keine Angehörige oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Zum in Österreich lebenden Ehemann der BF1 wurde vom BFA keine besonders enge Beziehung festgestellt.

Die belangte Behörde hat durch die Ausführungen im Bescheid nicht dargelegt, dass eine abschließende Beurteilung vorgenommen wurde, ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der DublinVerordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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