Entscheidungsdatum
02.12.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
W247 1313273-4/29E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.06.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.09.2021, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm §§ 10 Abs. 3, 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., sowie § 52 Abs. 3 iVm Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass dieser lautet: „Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Absatz 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., wird gegen Sie ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen“.
III. Gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren im Bundesgebiet:
1.1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste am 21.06.2004 gemeinsam mit seinen Eltern unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte seine gesetzliche Vertretung am selben Tag für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamts vom 30.07.2004, Zl. XXXX als unzulässig zurückgewiesen wurde. Außerdem wurde festgestellt, dass die Slowakei für die Prüfung des Antrages zuständig sei und der BF unter einem aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung des ehemaligen Bundesasylamtes vom 15.09.2004, Zl. XXXX , stattgegeben und der angefochtene Bescheid vom 30.07.2004 behoben.
1.2. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 22.06.2007, Zl. XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung, oder Abschiebung des BF in die Russische Föderation für zulässig erklärt und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des ehemaligen unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 18.09.2007, Zl. XXXX , hinsichtlich Spruchpunkt I. abgewiesen. Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde der erhobenen Berufung stattgegeben und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Russische Föderation nicht zulässig ist. Dem BF wurde in der Folge eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.09.2008 erteilt. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. wurde mit Erkenntnis des VwGH vom 02.03.2010, Zl. XXXX , abgelehnt.
1.3. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 16.03.2009, Zl. XXXX , wurde dem BF der mit Bescheid des UBAS vom 18.09.2007 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen, sowie der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des ehemaligen Asylgerichtshofes vom 17.08.2009, Zl. XXXX , stattgegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung, sowie Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
1.4. Mit neuerlichem Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 08.09.2010, Zl. XXXX bzw. XXXX , wurde dem BF der mit Bescheid des UBAS vom 18.09.2007 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen, sowie der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des ehemaligen Asylgerichtshofes vom 29.03.2011, Zl. XXXX stattgegeben und Spruchpunkt III. mit der Maßgabe abgeändert, dass eine Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation auf Dauer unzulässig ist. Die erhobene Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides vom 08.09.2010 wurde beschwerdeseitig zurückgezogen, weshalb diese Spruchpunkte in Rechtskraft erwuchsen.
1.5. Mit Bescheid der BH XXXX vom 27.04.2011 wurde dem BF eine „Niederlassungsbewilligung beschränkt“ (nunmehr „Rot-Weiß-Rot – Karte (plus)“), gültig von 27.04.2011 bis 26.04.2012, erteilt.
1.6. Mit Bescheid der BH XXXX vom 27.04.2012 wurde dem BF der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erteilt. Diese wurde zuletzt mit Bescheid vom 13.08.2017 bis zum 13.08.2020 verlängert.
2. Gegenständlicher Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK:
2.1. Am 23.09.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.
2.2. Seinem Antrag beigefügt wurden folgende Unterlagen/Dokumente:
? Vier Seiten in kyrillischer Schrift;
? Entscheidungsgrundlage volle Erziehung des XXXX ;
? Kopie des russischen Auslandsreisepasses der Mutter des BF, gültig von 06.10.2016 bis 06.10.2026, Nr. XXXX ;
? Schreiben der XXXX vom 11.02.2020;
2.3. Mit Schreiben vom 01.04.2021 wurde dem BF Parteiengehör zum Ergebnis der Beweisaufnahme eingeräumt und er zur Beantwortung mehrerer Fragen binnen einer Frist von zwei Wochen aufgefordert, dem der BF mit Übermittlung einer Stellungnahme vom 14.05.2021, eingelangt bei der belangten Behörde 18.05.2021, nachkam. Darin führte der BF im Wesentlichen aus, dass er in XXXX geboren und im Jahr 2004 als Baby mit seinen Eltern nach Österreich gereist sei. Der BF habe 4 Jahre die Volksschule und danach 5 Jahre die NMS besucht, wobei er über keinen Schulabschluss verfüge. Diesen wolle er in der JA XXXX nachholen. Der BF lebe seit seiner Einreise, sohin seit 17 Jahren, immer in Österreich und verfüge über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Er habe keinen Kontakt zu seinen im Herkunftsstaat befindlichen Verwandten, sei ledig, habe keine Kinder und spreche mit seinen Verwandten Deutsch. Mit seiner Mutter spreche er Tschetschenisch, wenn sie etwas besser verstehen solle. Russisch beherrsche der BF gar nicht. In Österreich würden darüber hinaus seine Großeltern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen leben, zu welchen der BF in Kontakt stehe. In der JA XXXX habe der BF gerade mit einer Maurerlehre begonnen. Alle für den BF wichtige Personen (Familie und Freunde) würden in Österreich leben. In seiner Freizeit habe er hauptsächlich Kampfsport, Fitness und Fußball trainiert. Derzeit befinde er sich wegen Raubes in Haft. Der BF wolle noch mitteilen, dass er 17 Jahre in Österreich aufgewachsen und integriert sei. Er kenne das Leben und alle Gewohnheiten, Regeln, Gesetze, Umgangsformen, Bräuche und Lebensstile nur so, wie sie in Österreich seien. Tschetschenien, sei dem BF gänzlich fremd.
2.4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 04.06.2021 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 23.09.2020 gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein für die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und der Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG, die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass der BF im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern „auf der Asylschiene“ illegal nach Österreich gereist sei und von 27.04.2011 bis 13.08.2020 über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG verfügt habe. Es würden sich noch die Eltern, die Großeltern, Onkeln, Tanten Cousins und Cousinen des BF in Österreich aufhalten, wobei sein Familienleben zu relativieren sei, weil seine Obsorge die Jugendfürsorge übernommen habe. Auch aus dem Privatleben des BF würden keine Integrationsschritte hervorgehen, die einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG rechtfertigen würden. Der BF habe zwar in Österreich die Schule besucht, jedoch keinen Schulabschluss erlangt und sei straffällig geworden, wie seine vier rechtskräftigen Verurteilungen innerhalb kürzester Zeit darlegen würden. Seine sprachliche Integration habe der BF aufgrund des mangelnden Schulabschlusses nicht belegen können und möge seine begonnene Maurerlehre in Haft seine Integration nicht zu verstärken, zumal ein Wohlverhalten in Freiheit nicht festgestellt werden könne. Der BF ist in Freiheit keiner Beschäftigung nachgegangen und verfüge nach eigenen Angaben keinen Kontakt zu seinen in der Russischen Föderation lebenden Verwandten. Daraus sei jedoch ersichtlich, dass der BF über Verwandte im Herkunftsstaat verfüge und er keiner völligen Isolation ausgesetzt sei, zumal der BF den Kontakt zu seinen Verwandten in der Russischen Föderation herstellen könnte und über Tschetschenischkenntnisse verfüge. Der BF verfüge daher über, wenn auch geringe, Bindungen zum Herkunftsstaat. Besonders schwer ins Gewicht fielen die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Österreich, weshalb davon auszugehen sei, dass der BF nicht gewillt sei, sich an die österreichischen Gesetze zu halten und schrecke er auch nicht davor zurück, in die körperliche Integrität anderer einzugreifen. Der BF vermochte trotz seines Wunsches in Österreich dauerhaft zu leben und in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltes, nicht vor der Begehung von Straftaten zurückzuschrecken. Insgesamt komme das BFA zum Ergebnis, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuweisen sei und eine Rückkehrentscheidung in die Russische Föderation im Falle des BF zulässig sei.
Im Verfahren hätten sich keine Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung des BF ergeben. Der BF sei mehrfach aufgrund derselben schädlichen Neigung strafgerichtlich verurteilt worden, wobei er zuletzt wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden sei, weshalb § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei. Die belangte Behörde trifft in der Folge sehr ausführliche Feststellungen zu den ausgeführten Straftaten des BF, insbesondere den jeweils den Strafurteilen zugrundeliegenden Sachverhalten und den Erschwerungs- sowie Milderungsgründen. Nach Ansicht der belangten Behörde sei aufgrund der Schwere und des wiederholten Fehlverhaltens des BF davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, der BF stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, gerechtfertigt sei. Der BF habe offenbar nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und habe bereits mehrmals den Tatbestand des Raubes, sowie der Körperverletzung verwirklicht. In einer Gesamtbeurteilung erscheine die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von 8 Jahren gerechtfertigt und notwendig, um die vom BF schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das Einreiseverbot sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.
2.5. Mit Verfahrensanordnung vom 07.06.2021 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig für ein etwaiges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
2.6. Mit Schriftsatz vom 02.07.2021, erhob der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter vollumfänglich Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid, zugestellt am 09.06.2021, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafter Beweiswürdigung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für die BF (gemeint wohl: den BF) günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.
Begründend wurde im Wesentlichen zunächst ausgeführt, dass der BF im Alter von etwa einem Jahr nach Österreich gekommen sei und im Bundesgebiet die Volks- sowie die neue Mittelschule besucht habe. Die ganze Familie des BF lebe in Österreich und verfüge der BF über einen Aufenthaltstitel in Österreich. Der BF habe seinen Lebensmittelpunkt immer in Österreich gehabt, verfüge über einen weiten Freundeskreis und habe, bis zu seiner Straffälligkeit, ein geordnetes Leben als Jugendlicher geführt. Jene Verwandte, welche noch in Tschetschenien leben würden, kenne der BF von Erzählungen seiner Eltern, habe sie jedoch nie persönlich getroffen. Es sei richtig, dass der BF beginnend mit dem Jahr 2018 viermal strafgerichtlich verurteilt worden sei. Der BF sei minderjährig und seien sämtliche Verurteilung unter Anwendung des JGG erfolgt. Zuletzt sei der BF unter Anwendung des § 5 Abs. 4 JGG gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, welche er in der JA XXXX verbüße. Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weshalb das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet sei. Der BF sei durch die belangte Behörde nicht einvernommen worden, weshalb sich sämtliche Informationen auf die Antragstellung selbst, sowie die schriftliche Stellungnahme des BF beziehen würden. Die belangte Behörde verfüge sohin über keine einzige persönliche Einvernahme des BF, welche schon aufgrund des ausgesprochenen Einreiseverbotes und der einhergehenden Zukunftsprognose notwendig gewesen wäre. In der Folge wird auf höchstgerichtliche Rechtsprechung hingewiesen, wonach der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der zur Prüfung des Einreiseverbots anzustellende Gefährdungsprognose besondere Bedeutung zukomme. Die belangte Behörde stütze sich darüber hinaus auf mehrere Jahre veraltete Länderinformationen, ohne sich mit der aktuellen Situation in Tschetschenien auseinandergesetzt zu haben. Aufgrund des Umstandes, dass der BF fast sein gesamtes Leben in Österreich verbracht hat, hier verwurzelt ist, seinen Lebensmittelpunkt habe, könne ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht ausgeschlossen werden, dass eine Abschiebung des BF nach Tschetschenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 8 EMRK bedeute.
Die Pflege und die Obsorge über den BF sei an die Jugendfürsorge übertragen worden, wobei die gesetzliche Vertretung des BF - nach wie vor - seiner Mutter, XXXX , obliege. Es habe große Spannungen zwischen dem BF und seiner Familie gegeben als dieser im Jahr 2018 sein Verhalten geändert habe. Zuvor habe der BF ein ruhiges und zurückgezogenes Leben als Jugendlicher verbracht und die überwiegende Zeit vor dem Computer verbracht. Es sei der Wunsch des BF selbst gewesen, die Jugendwohlfahrt einzubinden. Dieser Umstand habe aber keinesfalls zu einem Bruch mit der Familie geführt. Der BF sei immer in Kontakt mit seiner Familie gewesen und sei dies auch heute noch. Während der BF in XXXX während seiner Anhaltungen Besuch von seiner Familie erhalten habe, sei dies in XXXX nunmehr aufgrund der Distanz nur sehr schwer möglich. Aus diesem Grund stünde der BF in wöchentlichem telefonischen Kontakt mit seiner Familie, wobei es sich - nach wie vor - um ein bestehendes Familienleben iSd Art. 8 EMRK handle, welchem die Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung keinen Abbruch getan habe. Eine Abhängigkeit des BF zu seinen Eltern, sowie seinen Geschwistern, ergebe sich daraus, dass der BF ohne diese stabile Beziehung zu diesen keine Unterstützung bekäme, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Dem BF einen Mangel an Integration vorzuwerfen, wobei dieser nur in Österreich gelebt und die Schule besucht habe, sei unrichtig. Der BF beherrsche selbstverständlich auch ohne Schulabschluss die deutsche Sprache perfekt in Wort und Schrift und habe zuletzt selbst behauptet, auch auf Deutsch zu denken. Das Privat- und Familienleben des BF sei auch nicht zu einem Zeitpunkt entstanden, in welchem er sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste, sondern als er über ein unbefristetes Niederlassungsrecht in Österreich verfügt habe. Zum Beweis des erstatteten Vorbringens hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens und seiner Integration, werde beantragt XXXX , XXXX , zeugenschaftlich einzuvernehmen.
Durch die veralteten Länderberichte, sei der Bescheid mit einem weiteren schweren Mangel behaftet. Die belangte Behörde hätte weitere Umstände zur Beurteilung der Situation heranziehen müssen. Der BF fühle sich der tschetschenischen Community bereits in Österreich nicht zugehörig. Der Umgang des BF mit sozialen Medien, dass er grundsätzlich nur Deutsch spreche und eine Freundin habe, mit welcher er ausgegangen sei und Partys besucht habe, stoße auf Ablehnung seitens vieler Tschetschenen. Der BF bezeichne sich als „viel zu westlich für die Tschetschenen“. Bei einer Rückkehr befürchte der BF Übergriffe durch tschetschenische Sittenwächter aufgrund seiner Verwestlichung sowie seiner Straffälligkeit in Österreich. Das Verfahren sei daher auch mit mangelhafter Beweiswürdigung belastet.
Das Verfahren sei auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der BF erfülle die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 AsylG und sei dem BF nach Durchführung einer Interessenabwägung ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen. Nach ordnungsgemäßer Durchführung einer Güterabwägung hätte die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass gewichtige Interessen des BF die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden. Wenn die belangte Behörde auf S. 52 des angefochtenen Bescheides behaupte, dass „sämtliche allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen“ gemäß § 60 AsylG für einen Antrag nach § 55 AsylG nicht vorliegen würden, sei das unrichtig, zumal der BF ein aufrechtes und schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich aufweise, womit als Drittstaatsangehöriger von einem Anspruch gemäß § 55 AsylG grundsätzlich auszugehen sei. Es sei nicht zu verkennen, dass der BF aufgrund seiner Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen könne, es insbesondere einer Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG bedürfe, welche von der Behörde an keiner Stelle durchgeführt worden sei. Der BF sehe den Unrechtsgehalt seiner Straftaten ein und wolle er an jene Zeiten anknüpfen, in welchen er sich wohlverhalten habe. Es sei der Wunsch des BF eine Therapie aufzunehmen und seine Lehre als Maurer in der JA XXXX fortzusetzen. Der BF überlege sogar, die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung hintanzuhalten, um seine Lehre fortzusetzen. Die belangte Behörde hätte feststellen müssen, dass eine Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat auf Dauer unzulässig sei und hätte in weiterer Folge in eventu die Duldung des BF gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG aussprechen müssen. Außerdem sei auf eine Entscheidung des VwGH zu verweisen, nach welcher bereits bei einem 10-jährigen Aufenthalt eines Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur dann als verhältnismäßig anzusehen sei, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genutzt habe, um sich zu integrieren, was beim BF nicht angenommen werden könne. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt werden müssen.
Demzufolge hätte auch kein Einreiseverbot erlassen werden dürfen. Sollte das Bundesverwaltungsgericht nicht schon zum Schluss kommen, dass die Rückkehrentscheidung rechtswidrig sei, so erweise sich jedenfalls das Einreiseverbot als unrechtmäßig und unverhältnismäßig. In eventu wäre das Einreiseverbot mit einer kürzeren Dauer zu bemessen gewesen. Hätte die belangte Behörde ihre Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erfüllt, hätte sie festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung des BF, sowie insbesondere die Erlassung eines Einreiseverbots sein gemäß Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben mit seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Angehörigen verletzen würde. Ungeachtet der behaupteten vorliegenden formellen Tatbestandsvoraussetzungen wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, das Gesamtverhalten des BF in Betracht zu ziehen und anhand konkreter Feststellungen einer Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, eine individualisierte Gefährlichkeitsprognose zu treffen. Anschließend wird beschwerdeseitig höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Erlassung eines Einreiseverbotes zitiert und festgehalten, dass der belangten Behörde vorzuwerfen sei, keine Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des BF vorgenommen und die vom BF vermeintlich ausgehende Gefährdung nicht im erforderlichen Ausmaß geprüft zu haben. Für die Erstellung eines Persönlichkeitsbildes wäre es auch erforderlich gewesen, die Straftaten des BF konkreter zu betrachten und die Milderungs- sowie Erschwerungsgründe genauer miteinzubeziehen. Die belangte Behörde unterlasse es vollständig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie lange die vermeintlich vom BF ausgehende Gefährdung zu prognostizieren sei. Sie vermeine lediglich, dass die Dauer von 8 Jahren jenem Zeitraum entsprechen würde, in welchem ein allfälliger positiver Gesinnungswandel des BF zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne, verkenne jedoch, dass es sich dabei gerade um keine Gefährdungsprognose handle. Die belangte Behörde habe sohin keine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen. Es sei richtig, dass der BF mehrere schwere Straftaten begangen habe und die Wiederholung seines Verhaltens schwer ins Gewicht falle, doch zeige der BF nunmehr Einsicht und könne auch die Entwicklung seines Verhaltens reflektieren. Der Umstand, dass der BF lieber eine längere Haft erfahren würde, anstatt seine Lehrausbildung zu verlieren, zeige, dass der BF gewillt sei, sein Leben wieder in gerade Bahnen zu steuern. Der BF werde in Zukunft keine Bedrohung für die öffentliche Ruhe und Ordnung darstellen, weshalb die Erlassung eines Einreiseverbots weder geboten, noch zulässig sei.
Die belangte Behörde habe auch die aufschiebende Wirkung zu Unrecht aberkannt und zudem die Aberkennung mit keinem Wort begründet. Im vorliegenden Fall stelle das Verhalten des BF kein solches dar, das die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebieten würde. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung der Integration des BF, seinen Deutschkenntnissen und seines schützenswerten Privat- und Familienlebens in Österreich werde beantragt. Eine mündliche Verhandlung scheine im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zwingend geboten.
Beantragt wurde von Beschwerdeseite, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, 2.) den angefochtenen Bescheid beheben und dem Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG stattgeben, 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.
2.7. Die Beschwerdevorlage vom 23.07.2021 und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 26.07.2021 ein.
2.8. Mit hg. Beschluss vom 28.07.2021, XXXX , wurde der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuerkannt.
2.9. Mit Schriftsatz vom 13.08.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer, sowie seiner – zum damaligen Zeitpunkt – gesetzlichen Vertreterin, aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Beweismittelliste zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Länderinformationsblatt, letzte Änderung 10.06.2021) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer die Ladung für die am 09.09.2021 anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
2.10. Mit Eingabe vom 07.09.2021, hg. eingelangt am 08.09.2021, wurde beschwerdeseitig eine Psychotherapiebestätigung des psychologischen Dienstes der XXXX , die psychiatrische Anamnese des BF des psychiatrischen Dienstes der XXXX und eine Bestätigung der WKO vom 23.08.2021 über die Ausbildung im Lehrberuf vorgelegt.
2.11. Am 09.09.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer dem BF verständlichen Dolmetscherin für die Sprache TSCHETSCHENISCH statt, zu welcher der BF ordnungsgemäß geladen wurde und per Videokonferenz aus der JA XXXX zugeschalten wurde. Die Befragung des BF fand, auf seinen Wunsch hin, ausschließlich auf Deutsch statt.
Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Russischen Föderation (RF) an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF (auf Deutsch): Ich weiß nicht so viel, was vor Österreich, war ich. Ich weiß, dass ich am XXXX , ich heiße XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX und ich glaube ich bin in XXXX geboren
RI: Welcher ethnischen, Volksgruppe oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF (auf Deutsch): Ich bin Tschetschene.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF (auf Deutsch): Islam, sunnitisch.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Russischen Föderation, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF (auf Deutsch): Ich weiß es nicht.
RI: Mit Beginn der Befragung sind wir jetzt auf eine reine deutschsprachige Befragung umgestiegen, ist das Ihnen recht oder wollen Sie auch die Übersetzung dabei haben?
BF (auf Deutsch): Ich verstehe den Dolmetscher nicht, mir ist es lieber auf Deutsch.
RI: Die weitere Befragung findet nur noch auf Deutsch statt. Die Dolmetscherin für den Fall von Unklarheiten im Saal.
RI: D. h., die Frau Dolmetscherin bleibt weiterhin im Saal und Sie können im Falle von Missverständnissen oder Unklarheiten auf die Dolmetscherin zurückgreifen und wir machen weiter auf Deutsch.
RI: Besitzen Sie einen gültigen Reisepass?
BF: Ich denke nicht, ich bin mir nicht sicher, ich weiß es nicht.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF: Deutsch und ein wenig Tschetschenisch.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Wo und wie lange waren Sie in Österreich in der Schule. Welche Schulausbildung haben Sie in Österreich begonnen und welche Schulausbildung haben Sie bisher abgeschlossen?
BF: Ich war in XXXX in der VHS in der Grundschule. Da war ich in der Volksschule, vier Jahre lang, dann bin ich auf die NMS XXXX gekommen. Da war ich ein Jahr lang, dann sind wir umgezogen nach XXXX . Da habe ich die Schule gewechselt. Das war die NMS XXXX . Da gab es einen Jungen, der hat mich gemobbt, das ging über Monate, irgendwann hat er mich angegriffen, ich habe geblutet. Ich habe mich dann gewehrt und ihn getreten. Dann wurde ich in die Sonderschule überstellt. Nachgefragt, XXXX in XXXX . Nachgefragt, dort bin ich drei Jahre hingegangen. Im letzten Jahre hat es angefangen, dass ich Schule schwänzen, dann habe ich zum „Rauchen“ angefangen. Dann habe ich angefangen hinauszugehen, ab dem 15. Lebensjahr. Wir sind immer zum Training gefahren. Am Bahnhof hatten wir Zwischenhalt, weil wir auf dem Bus warten mussten, dort haben wir Leute kennengelernt, mein Cousin und ich und da haben wir zum Jointrauchen angefangen. Nachgefragt, kurz darauf habe ich schon meine erste Anzeige gehabt. Das war wegen einer schweren Körperverletzung. Nach der Anzeige habe ich mir überlegt, was ich falsch gemacht habe und dann habe ich beschlossen, dass ich umziehen möchte in eine andere Stadt, damit ich neu anfangen. Dann war ich noch in XXXX in einer Kriseneinrichtung. Weil man an einen nicht so schnell wegschicken kann. Die Kriseneinrichtung hieß XXXX (phonetisch) und ich war dort, ungefähr ab Weihnachten 2018.
RI: Haben Sie dort gewohnt oder sind Sie immer nur hingegangen?
BF: Nein, ich habe dort gewohnt für drei Wochen.
RI: Wie ging es weiter?
BF: Dann bin ich wieder nach Hause gegangen, weil ich nicht in XXXX bleiben wollte. Dann war es so, wie es immer war, ich bin hinausgegangen und habe Joints „geraucht“ und Probleme gemacht. Ich habe dann beim Jugendamt gemeldet und wir wollten umziehen, das haben wir auch gemacht. Nachgefragt, nach XXXX . Dort wollte ich einen Neuanfang machen, ohne kriminell zu sein. Ich bin dann dort zur Schule gegangen, wieder. Habe meine Hausaufgaben rechtzeitig gemacht und dann bin ich von dort wieder abgehauen.
RI: Wo in XXXX haben Sie gewohnt?
BF: SOS-Kinderdorf in XXXX .
RI: Wie ging es weiter?
BF: Dann wurde ich inhaftiert.
RI: Wie ging es mit Ihnen dann weiter?
BF: Ich war in Haft, habe meinen 16. Geburtstag in Haft verbracht, ich wurde dann nach zehn Monaten entlassen. Nach den zehn Monaten, habe ich dann alleine gewohnt. Nachgefragt, in XXXX .
RI: War das ein betreutes Wohnen?
BF: Ein betreutes Wohnen. Nachgefragt wurde es von XXXX
RI: Wie ging es weiter?
BF: Da, in der Zeit habe ich Arbeit gesucht und wollte in die Produktionsschule gehen. Nachgefragt, ich weiß nicht, wie ich das erklären sollen. Dort kann man Informatik, Metalltechniker und Werken üben. Man kann dort mehrere Sachen machen und die Schule machen. Die haben gesagt, dass die anderen Schüler ADHS und dass ich, auf Grund meiner kriminellen Vorgeschichte die anderen ablenken würde. Ich wurde abgelehnt, wegen der Probleme der anderen.
RI: Was geschah dann weiter?
BF: Dann bin ich in einem Kurs gegangen, der heißt XXXX Wir haben auch Werken und Informatik und Nähen und Kochen gemacht. Dort ist man hingegangen und hat seinen Tag sinnvoll genutzt und gelernt für die Schule.
RI: Das war aber keine Einrichtung in Zusammenarbeit mit der Schule, das war eine Freizeitgestaltung? Verstehe ich das richtig?
BF: Ja, es war eine Freizeitgestaltung. Aber man hat Geld dafür bekommen, wenn man hingegangen ist.
RI: Was war mit Ihrem Kurs im XXXX , welchen Kurs haben Sie belegt?
BF: Man konnte Verschiedenes machen, man konnte einen Tag werken, man konnte am nächsten Tag etwas Anderes machen?
RI: Was haben Sie dort für Tätigkeiten verrichtet?
BF: Ich habe Holzwerken gemacht und einmal Nähen auch.
RI: Sind Sie während dieser Zeit in die Schule gegangen?
BF: Nicht richtig. Es war so, dass ich meinen Schulstoff selber gelernt habe.
RI: Sie sind in dieser Zeit nicht zur Schule gegangen?
BF: Nein, ich habe selbst gelernt und die Prüfungen in der Schule gemacht.
RI: War die Art des Lernens erfolgreich?
BF: Es war schon erfolgreich, das Problem war, dass Corona dazwischengekommen ist und die Schulen geschlossen war.
RI: Sie hätten Ihren Heimunterricht weiter fortsetzen können – trotz Corona – Sie sind ja nicht zur Schule gegangen?
BF: Ich konnte die Prüfungen nicht abschließen, aber lernen konnte ich schon.
RI: Aber warum sind Sie nicht zur Schule gegangen, was war das genau Problem, vor Corona?
BF: Weil ich dort den Kurs besucht habe. Ich weiß nicht, ich habe einfach den Schulstoff selber gemacht. Ich musste den nicht in der Schule machen. Ich habe im Gefängnis angefangen den Schulabschluss nachzumachen und auch nur hier muss ich Prüfungen ablegen.
RI: Haben Sie denn einen gültigen Pflichtschulabschluss?
BF: Leider nicht, das erste Mal ist die Haft dazwischen. Da musste ich das ganze Schuljahr wiederholen. Kurz vor dem Ende des Schulabschlusses, ist dann Corona dazwischengekommen. Da konnte ich meine Prüfungen nicht mehr machen und in der Zeit, da hatte ich nichts zu tun und bin sinnlos rausgegangen und bin süchtig geworden. Nachgefragt, nach MDMA. Nachgefragt, es ist Extasy. Ganz sinnlos war es nicht, ich bin rausgehen und haben nach Arbeit gesucht, aber niemand wollte mich nehmen.
RI: Von welchem Zeitraum an waren Sie Extasy-süchtig?
BF: Ich war Extasy-süchtig vom Juli bis September letztes Jahr. Nein, dieses Jahr. Nein, es war doch letztes Jahr.
RI: Es war von Juli bis September 2020? Ist das korrekt?
BF: Ja. Und dann ist das mit dem Raub passiert, weswegen ich hier inhaftiert bin. Herr Richter, ich habe mich geirrt mit den Monaten, ich war bis zum 16. Oktober 2020 süchtig.
RI: Haben Sie eine Entziehungskur gemacht, wie ist es weitergegangen?
BF: Die Inhaftierung war die Entziehung.
RI: Sind sie zurzeit auf irgendwelche Substanzen süchtig?
BF: Nein, ich habe den Drogen abgeschworen. Ich weiß jetzt, was es anrichtet, was es gesundheitlich anrichtet. Ich habe dem abgeschworen.
RI: Hatten Sie abgesehen von Extasy auch noch mit anderen Substanzen Probleme?
BF: Mit Alkohol.
RI: Haben Sie da eine Entziehungskur gemacht?
BF: Nach Alkohol war ich nicht süchtig, ich habe es nur sehr gerne getrunken.
RI: Sind Sie bei Ihrer Entwöhnung von Extasy professionell begleitet worden?
BF: Ich brauche keine professionelle Begleitung, aber ich habe hier (in der Haft) nach einer Suchtbegleitung angefragt und bin in der Warteschlange.
RI: Haben Sie eine Berufsausbildung in Österreich begonnen bzw. auch abgeschlossen? Wenn ja, welche und wann haben Sie damit begonnen?
BF: Ich habe vor vier Monate angefangen, ich weiß nicht das genau Datum. Habe ich mit der Maurerlehre angefangen. Ich will sie auch gerne weitermachen.
RI: Wie lange brauchen Sie noch zu Ihrem Pflichtschulabschluss?
BF: Wenn ich hier Kontakt aufnehmen kann mit der Schule, bei der ich vorher schon gelernt habe, dann fehlen mir noch zwei Prüfungen bis zum Pflichtschulabschluss, ansonsten müsste ich das ganze Jahr wiederholen.
RI: D. h., Sie sind im letzten Jahr vor dem Pflichtschulabschluss und es fehlen Ihnen noch zwei Fächer, welche?
BF: Ich glaube es ist Naturwissenschaft und Geschichte. Bei Geschichte bin ich mir nicht sicher. Es ist lange her, dass ich das gemacht habe.
RI: Haben Sie schon konkret die Kontaktaufnahme mit der alten Schule betrieben oder haben Sie das vor?
BF: Ich habe einen Lehrer gefragt, er hat gesagt, ich könnte den Schulabschluss bei ihm nachholen und er konnte bei der Schule nachfragen, ob ich bei der Schule die Prüfung nachholen kann und wenn nicht, dann mache ich das ganze Jahr wieder.
RI: Wann haben Sie mit dem Lehrer darüber gesprochen, wenn Sie den Pflichtschulabschluss nachholen wollen?
BF: Gleich, nach der Verlegung nach XXXX , als ich einen Lehrer gesehen habe, habe ich danach gefragt.
RI: Sie sind seit 22.04. in XXXX . Da müsste schon eine Antwort gekommen sein?
BF: Wie meinen Sie das?
RI: Sie haben gesagt, dass Sie nach der Verlegung nach XXXX einen Lehrer gefragt haben?
BF: Die Schule fängt erst im September an, ich habe noch keine Schule.
RI: Die Schule hat angefangen?
BF: Die Schule hat angefangen, aber ich weiß nicht, wie die Justizanstalt eingeteilt hat, ich bin noch nicht drangekommen.
RI: Warum haben Sie sich gerade für das Maurerhandwerk entschieden?
BF: Ich wollte Architekt werden und wenn ich das Maurerhandwerk kann, dann weiß ich, was möglich ist für Maurer.
RI: Ist das nicht ein bisschen ein Umweg, wenn Sie das Maurerhandwerk lernen, um später Architekt zu werden?
BF: Als Maurer kann ich gut Geld verdienen. Ich könnte das Geld dann sparen und dann habe ich für die erste Zeit im Studium genügend Geld und könnte bei meinen Eltern leben.
RI: Haben Sie sich schon erkundigt, wie lange Sie brauchen, um das Maurerhandwerk abzuschließen?
BF: Drei Jahre. Für das Studium brauche ich sechs Jahr.
RI: D. h., Sie wollen im Endeffekt Architekt werden und der Maurerberuf wäre nur ein Vehikel dazu?
BF: Ja.
RI: Wann sind Sie das erste Mal nach Österreich gereist und seit wann befinden Sie sich durchgehend in Österreich?
BF: Ich bin hier, seit ich denken kann, seit ich mich erinnern kann. Ich weiß nicht das Datum, ich weiß nur, 2004 bin ich hiergekommen.
RI: VORHALTUNG: Wenn Sie sich durchgehend seit 2004 im Bundesgebiet aufhalten – was übrigens auch aus der Aktenlage hervorgeht – wieso wurde im Antragsformular zu Ihrem gegenständlichen Antrag vom 23.09.2020 dann wahrheitswidrig auf Seite 4 angeführt, dass Sie bereits seit 2001 durchgehend in Österreich aufhältig sind?
BF: Das weiß ich nicht.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der RF und in welcher Stadt? Bitte zählen Sie auf?
BF: Ich weiß, dass die Familie von meinem Vater dort lebt, mehr weiß ich nicht.
RI: Haben Sie in der RF Geschwister, Halbgeschwister, Onkel, Tanten. Können Sie mir etwas davon erzählen?
BF: Von meinem Vater gibt es Geschwister, aber ich kenne die nicht. Ich kenne nur die Familie, die hier ist in Österreich.
RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren im Herkunftsstaat lebenden Verwandten?
BF: Ich habe keinen Kontakt zu der Familie in der RF.
RI: Hat Ihr Vater Kontakt zu seinen Verwandten in der RF?
BF: Es könnte sein, ich denke schon. Warum nicht.
RI: Verfügen Sie über Verwandte im Bundesgebiet? Wenn ja, welche? Bitte zählen Sie alle auf.
BF: Hier leben meine Eltern, Geschwister, meine Oma ms. (mütterlicherseits), mein Opa ms., Cousins und Cousinen, Tanten und Onkeln, alle ms. Nachgefragt, ich habe einen älteren Bruder XXXX und meine Schwester XXXX . Ich habe noch einen Bruder der heißt XXXX und noch einen Bruder der heißt XXXX . Drei Geschwister, die ich kenne leben in Österreich und drei, die ich nicht kenne leben in der RF. XXXX lebt in Russland. XXXX , XXXX und XXXX leben in Österreich. Eines ist noch nicht auf der Welt und den anderen weiß ich nicht, wie er heißt, ich habe keinen Kontakt. Nachgefragt, das sind Kinder meines Vaters von einer anderen Frau. Nachgefragt, die Frau lebt in der RF.
RI: Die neue Frau Ihres Vaters lebt in der RF?
BF: Ja, mit den drei Kindern.
RI: Wie viel Cousins, Cousinnen sind es insgesamt?
BF: Darf ich nachzählen?
RI: Ja, bitte.
BF: Ich denke neun, wenn ich niemanden übersehen habe. Nachgefragt, Onkel und Tanten gibt es, eine Tante und zwei Onkel.
RI: Sind Ihre Eltern noch miteinander verheiratet?
BF: Nein.
RI: Seit wann sind sie gescheiden?
BF: Seit etwa fünf oder sechs Jahren.
RI: D. h. sie leben auch nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt?
BF: Nein.
RI: Ihr Vater ist verheiratet mit einer Frau aus der RF, seit wann?
BF: Das weiß ich nicht, ich habe nicht so viel mit ihnen zu tun.
RI: Haben Sie keinen Kontakt zu Ihrem Vater?
BF: Doch, aber sehr wenig.
RI: Was heißt, sehr wenig, einmal in der Woche, einmal im Monat, einmal im Jahr?
BF: D. h., zwei- bis dreimal im Monat sehe ich ihn.
RI: Wissen Sie, seit wann Ihr Vater mit der neuen Frau verheiratet ist?
BF: Weiß ich nicht.
RI: Ist Ihre Mutter in einer neuen Partnerschaft?
BF: Das weiß ich nicht. Ich mag das nicht, dass sie einen Neuen hat.
RI: Seit wann leben Sie nicht mehr mit Ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt?
BF: Seit 20.01.2020.
RI: Wann sind diese Verwandten nach Österreich gekommen?
BF: Ich weiß nicht, ich weiß, seitdem ich denken kann schon alle hier waren. Ich gehe davon aus, dass wir alle gleichzeitig gekommen sind.
RI: Welchen Aufenthaltsstatus haben diese in Österreich lebenden Verwandten?
BF: Ich denke die haben „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, so wie wir auch bzw. ich nicht mehr.
RI: Wie oft haben Sie derzeit Kontakt mit Ihren Eltern? Wie oft haben Sie derzeit Kontakt mit Ihren Großeltern, Cousins, Cousinen, Tanten und Onkeln und Geschwistern?
BF: Zu Tanten und Onkel habe ich keinen Kontakt, denn die sollen nicht wissen, dass ich im Gefängnis. Zu meiner Mutter habe ich regelmäßig Kontakt. Nachgefragt, alle zwei Tage, mehr geht nicht. Nachgefragt, wenn ich meine Mutter anrufe, dann rede ich auch ab und zu mit meinen Geschwistern, wenn die gerade nicht irgendetwas zu tun haben, wie z. B. Schule.
RI: Ihre Geschwister in Österreich, wie alt sind?
BF: XXXX ist XXXX , XXXX ist XXXX , XXXX ist XXXX .
RI: Bekommen Sie von Ihren Verwandten (Eltern, Großeltern, Cousins, Cousinen, Tanten, Onkeln) Besuch in der Haftanstalt?
BF: Meine Mutter kann nicht kommen, weil sie kein Auto hat. Sie wollte mich heute besuchen, da sie in XXXX ist, aber es geht heute nicht.
RI: Wie oft hatten Sie Kontakt mit Ihren Eltern und Geschwistern vor Ihrer Inhaftierung?
BF: Jeden Tag.
RI: D. h., ich verstehe Sie richtig. Der Kontakt mit Ihrer Mutter beschränkt sich auf das Telefon momentan?
BF: Ja.
RI: Wovon leben Ihre in Österreich aufhältigen Verwandten?
BF: Derzeit weiß nicht. Meine Mutter hat gearbeitet, sie sagt, sie hat keine Arbeit mehr. Mein Bruder XXXX hat bei eine KFZ-Werkstatt gearbeitet, wurde anscheinend gekündigt.
RI: Verfügen Ihre in Österreich aufhältigen Verwandten noch über Vermögenswerte im Herkunftsstaat, z.B.: Eigentumswohnung, Haus, Grundstücke, Auto, etc.?
BF: Das weiß ich nicht.
RI: Wie sind Ihre Familienverhältnisse im Bundesgebiet? Sind Sie verheiratet oder in einer Partnerschaft?
BF: Nein, derzeit nicht, leider.
RI: Haben Sie Kinder?
BF: Nein, nicht von denen ich wüsste.
RI: Waren Sie vor Ihrer Inhaftierung jemals erwerbstätig bzw. wovon haben Sie vor Ihrer Inhaftierung gelebt?
BF: Vom Jugendamt und von den Eltern. Arbeit habe ich nicht gefunden.
RI: Haben Sie seit dieser erstmaligen Einreise in Österreich im Jahr 2004 auch in einem anderen Land gelebt bzw. in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union?
BF: Nein.
RI: Wissen Sie noch, warum Ihre Familie mit Ihnen 2004 aus Tschetschenien geflohen ist?
BF: Ich denke wegen dem Krieg.
RI: Genaues wissen Sie nicht?
BF: Genaues weiß ich nicht, weil ich ein Baby war.
RI: Ihre Eltern werden Ihnen doch erzählt haben, warum Sie 2004 nach Österreich gekommen sind?
BF: Die haben gesagt wegen dem Krieg.
RI: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich in 2004 wieder einmal in der Russischen Föderation gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF: Ja, einmal.
RI: Wann war das?
BF: 2014 denke ich oder 2013.
RI: Wie lange waren Sie dort und aus welchem Grund?
BF: Einen Monat und mein Vater wollte unbedingt, dass ich dort auf Besuch gehe.
RI: Aus der Aktenlage geht hervor, dass die Pflege und Obsorge für Ihre Person in letzten Jahren von der Jugendführsorge übernommen worden ist. Erzählen Sie mir von den familiären und persönlichen Problemen, die dazu geführt und wann diese Probleme begonnen haben?
BF: Das hat angefangen, dass ich kriminell geworden und dann wollte ich nicht mehr zu Hause leben. Ich wollte in einer anderen Stadt leben, damit ich neu aufbauen kann und dann habe ich mich beim Jugendamt gemeldet und habe gesagt, dass ich nicht mehr zu Hause leben möchte, sondern in einer anderen Stadt, damit ich nicht mehr kriminell bin.
RI: Aus dem Akt geht hervor, dass Sie Jugendcoaching bekommen haben?
BF: Ja.
RI: Und dass bereits im Jahr 2013 mit XXXX vorliegt, wie kam es dazu?
BF: Ich war nicht so gut in der Schule.
RI: Was heißt das?
BF: Sie haben mir damals beim Lernen geholfen.
RI: Seit wann werden Sie von externe Pädagogen begleitet und gecoacht und welche professionellen Betreuung wurden Sie bisher unterzogen?
BF: Psychotherapeutisch und diese Sozialpädagogen, seit 2013 habe ich die schon. Nachgefragt, vor meiner ersten Haft habe ich Psychotherapie beansprucht. Das habe ich in der Haft auch weitergemacht, die Psychotherapie. Nachgefragt, seit 2018 bin ich psychotherapeutischer Behandlung, genau weiß ich es nicht.
RI: Was ist der Grund für Ihre psychotherapeutischer Behandlung?
BF: Für mich halt, ich wollte, dass ich jemanden habe, mit dem ich mich unterhalten kann, wegen meiner Probleme?
RI: Welche psychischen Probleme liegen bei Ihnen vor?
BF: Depressionen und Psychosen.
RI: Welche Medikamente bekommen Sie dagegen?
BF: Ich weiß nicht genau, wie die heißen.
RI: Aus einem aktuell eingeholten ZMR-Auszug geht hervor, dass Sie mit Ihrer Mutter von 21.04.2016 bis 15.06.2016 im Frauenhaus XXXX gewohnt haben. Wie kam es dazu?
BF: Es war bei der Scheidung. Es gab Probleme.
RI: Welcher Art Probleme?
BF: Mein Vater ist öfters vorbeigekommen.
RI: Was waren die Probleme?
BF: Meine Mutter hatte Angst, dass mein Vater etwas macht und deshalb hat sie das Frauenhaus aufgesucht.
RI: Hat es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Ihrem Vater und Ihrer Mutter gegeben?
BF: Ja.
RI: Welcher Art waren die?
BF: Kämpfe, es war nicht schon. Sie haben gekämpft.
RI: Seit wann ist Ruhe eingekehrt?
BF: Seit vier bis fünf Jahren.
RI: Aus einem aktuell eingeholten ZMR-Auszug geht hervor, dass Ihre Mutter seit 27.08.2020 bei XXXX (private Betreiber einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung) untergebracht ist. Erzählen Sie mir, wie es dazu kam?
BF: Das weiß ich nicht. Ich verstehe es nicht ganz.
RI: Was verstehen Sie nicht, warum Ihre Mutter bei XXXX lebt?
BF: Ich verstehe das nicht.
RI: Lebt Ihre Mutter mit ihrem neuen Lebensgefährten im gemeinsamen Haushalt?
BF: Ich denke schon, ich weiß es nicht, ich bin hier.
RI: Sie befinden sich zur Zeit in Strafhaft. Wie oft waren Sie bereits insgesamt in Strafhaft in Österreich?
BF: Zweimal.
RI: Wissen Sie noch, welchen Taten diesen straftrechtlichen Verurteilungen jeweils zu Grunde liegen?
BF: Ja, zwei schwere Körperverletzungen. Ein schwerer Raub, ein Raub und ein Widerstand gegen die Staatsgewalt und gefährliche Drohung.
RI: Haben Sie zwischen den Strafhaften immer alleine gelebt oder in einem gemeinsamen Haushalt mit einer anderen Person?
BF: Nein, ich habe alleine gelebt, aber ich habe auch oft bei meiner Mutter übernachtet.
RI: Womit hat Ihre kriminelle Laufbahn begonnen und was war der Grund für die ersten Straftaten? Etwa Langeweile, finanzielle Not, zerrüttete Familienverhältnisse, schlechter Umgang oder anderes? Können Sie mir erklären, wie es bei Ihnen soweit gekommen ist?
BF: Nein. Wie schon gesagt, ich musste immer in das Training fahren nach der Schule. Wir (ich und mein Cousin XXXX ) sind mit der Straßenbahn zum Bahnhof fahren und mussten umsteigen. Dor haben wir falsche Freunde kennengelernt. Wir haben Joints „geraucht“, dann ist schon die erste Anzeige gekommen
RI: Hat Ihr Cousin eine ähnliche kriminelle Laufbahn eingeschlagen wie Sie?
BF: Ja, er sitzt auch hier, in XXXX . Er arbeitet als Bäcker, er macht eine Lehre als Bäcker.
RI: Wie stehen Sie heute zu diesen Straftaten im Bundesgebiet?
BF: Ja, ich sitze seit zwei Jahren und habe eingesehen, dass es nicht gut war. Ich habe eingesehen, dass es dumm war, ich werde es nicht mehr machen, ich bereue es. Es bringt nichts, es ist einfach falsch.
RI: VORHALTUNG: Aus dem Strafregister der Republik Österreich geht hervor, dass bereits 4 strafrechtliche Verurteilung zu Ihrer Person eingetragen sind wegen Delikten, die vorwiegend gegen das Eigentum aber gegen die körperliche Unversehrtheit Dritter gerichtet sind und Sie haben zuletzt eine mehrjährig verhängte Freiheitsstrafe ausgefasst, wegen der Sie zur Zeit immer noch in Strafhaft sind. Wie gedenken Sie ernsthaft diesen Teufelskreis ihres im Bundesgebiet bisher zu Schau getragenen hochkriminellen Verhaltens künftig zu durchbrechen?
BF: Ich habe meinen alten Freundeskreis nicht mehr. Ich habe den Kontakt abgebrochen und möchte ihn nicht aufrechterhalten. Ich möchte arbeiten gehen und meine Freizeit sinnvoll nutzen, Fußball spielen und Fitness. Das Interesse zum Fußballspielen habe ich hier gefunden.
RI: Sind Sie mit gerade mal 18 Jahren nicht noch ein wenig jung für eine derart kriminelle Laufbahn?
BF: Ja, das bin ich, aber diese Zeit ist vorbei.
RI: Sie haben vorhin gemeint, Sie haben Ihren seinerzeitigen Freundeskreis abgeschworen, aber es stellt sich die Frage mit Ihrem Cousin, aber den werden Sie nicht so leicht aus dem Weg gehen können, nach der Haft.
BF: Er hat auch seine Fehler eingesehen. Ich bin mir sicher, dass er nicht mehr kriminell sein wird, er wartet auf seine Freilassung und möchte nicht mehr reinkommen.
RI: Sie verfügen im Bundesgebiet über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte in den Personen der Großeltern, der Eltern, der Cousins und Cousinen, der Onkel und Tanten sowie der Geschwister? Sind sie der einzige in der Familie, der bislang mit dem Gesetz im Bundesgebiet in Konflikt geraten ist oder sind auch andere Mitglieder Ihrer Familie bereits im Bundesgebiet strafrechtlich verurteilt worden?
BF: Mein jüngerer Bruder XXXX , aber er ist jetzt frei.
RI: Was sagen Ihre Eltern, Ihre Großeltern zu Ihrem bisherigen Verhalten im Bundesgebiet?
BF: Nichts Gutes. Die wollen, dass wir brav sind und keine Probleme machen, wir waren dumm.
RI: VORHALTUNG: Sie sind zwischen April 2019 und Dezember 2020, also binnen knapp 20 Monaten, in Österreich viermal strafrechtlich verurteilt worden und haben trotz bereits verbüßter Haftstrafen in den Jahren 2019 und 2020 ihr Verhalten nicht geändert und sind erneut straffällig geworden. Begründen Sie mir bitte glaubhaft, wieso Sie nach Entlassung aus Ihrer derzeitigen Haft nicht wieder in das bisherige kriminelle Verhaltensmuster zurückfallen werden?
BF: Weil ich nicht mehr süchtig sein werde. Dass, was ich gemacht habe, war wegen meiner Sucht. Ich musste meine Sucht finanzieren, ich hatte keine Arbeit. Wenn ich nicht süchtig bin, dann brauche ich auch niemanden auszurauben. Die Zeit mit den Drogen ist vorbei.
RI: Laut Akteninhalt haben Sie von 27.04.2011 bis 13.08.2020 über einen Aufenthaltstitel „Rot-weiss-rot-Karte plus“ verfügt. Was ist der Grund warum dieser Aufenthaltstitel nicht verlängert worden ist?
BF: Ich habe es einfach übersehen.
RI: Sie haben die Verlängerungsantrag zu spät gestellt?
BF: Ja.
RI: Warum haben Sie den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG gestellt? Nennen Sie mir bitte die genauen Gründe?
BF: Ich möchte hier leben, ich möchte nicht wo leben, wo ich keine Freiheiten habe. Ich möchte nicht wo leben, wo ich verurteilt werde, weil ich anders aussehe wie die anderen. Ich will hier leben, weil ich hier aufgewachsen bin.
RI: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaften bei Vereinen, Clubs,…)?
BF: Ich wollte eine ehrenamtliche Arbeit leisten, als ich keine Arbeit hatte, da wollte ich alten Menschen helfen und Pfadfinder sein, Einkäufe tragen, aber man wollte mich nicht.
RI: Haben Sie österreichische Freunde?
BF: Ich habe jetzt gar keine Freunde mehr, weil ich allen abgeschworen habe, auch den österreichischen.
RI: Haben Sie in Österreich irgendwelche Sprachkurse besucht?
BF: Ich, nein. Ich war in der Schule, ich bin hier aufgewachsen, ich spreche das Deutsch, das ich hier so gelernt habe.
RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor? Haben Sie vor in Österreich zu arbeiten?
BF: Ja, als Maurer und Architektur studieren, möchte ich gerne.
RI: Warum möchten Sie Architekt werden?
BF: Ich weiß nicht, ich will Häuser bauen. Ich will, dass etwas dasteht, was ich geplant habe und ich verdiene damit gut Geld.
RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie mitbringen müssen um diesen Beruf in Österreich ausüben zu können?
BF: Matura und sechs Jahre Studium.
RI: Waren Sie in Österreich bislang ehrenamtlich tätig?
BF: Nein, ich wollte, wie schon erwähnt.
RI: Haben Sie in Österreich sonst eine Fort-, Aus- oder Weiterbildung betrieben? Wenn ja, welcher Art?
BF: Ja, Maurer.
RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?
BF: Ich habe Depressionen und Psychosen und ein Stechen in der Brust, was sie keiner anschauen möchte.
RI: Haben Sie deswegen einen Arzt kontaktiert?
BF: Ja, öfters, aber die sagen, ich habe Wahnvorstellungen.
RI: Sind Sie untersucht wurden?
BF: Nein, sie haben mich einfach als verrückt dargestellt.
RI: Ich kann mir nicht vorstellen, wenn Sie im Gefängnis angeben, Schmerzen zu haben, dass Sie nicht von einem Arzt untersucht werden?
BF: Ich weiß, dass Sie sich das vorstellen können, aber ich habe keinen Grund zu lügen.
RI: Nehmen Sie Medikamente?
BF: Ja, Antidepressiva und Antipsychotika.
RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung, wenn ja, bei wem?
BF: Bei Dr XXXX
RI: Was sagt der zu den Schmerzen in der Brust, hält das er auch für eine Wahnvorstellung?
BF: Ich habe es ihm gegenüber gar nicht erwähnt.
RI: Wem haben Sie es gegenüber erwähnt?
BF: Ich habe es gegenüber der Krankenabteilung erwähnt und die meinen, es wäre eine Wahnvorstellung. Aber das habe ich schon seit meiner ersten Haft. Das kann meine Mutter auch bezeugen. Sie hat mir gesagt, ich soll den Arzt immer wieder darauf ansprechen.
RI: Wenn Sie diese Schmerzen in der Brust seit Ihrer ersten Haft, warum sind Sie nicht in der Zeit zwischen Ihren Inhaftierung zwischenzeitlich gegangen?
BF: Ich habe einen Termin mit einem Arzt ausgemacht, dann ist der Coronavirus dazwischengekommen. Nach Corona hätte ich wieder hingehen können, aber dann wurde ich inhaftiert.
RI: Sind Sie arbeitsfähig?
BF: Ja, sonst würde ich nicht arbeiten.
RI: Welche Sprache sprechen Sie mit Ihren Eltern, Großeltern und sonstigen Verwandten in Österreich?
BF: Deutsch und Tschetschenisch ein bisschen.
RI: Sie haben angegeben, dass Sie unter Psychosen leiden, wie äußert sich diese bei Ihnen?
BF: Kurz bevor ich einschlafe, bekomme ich Psychose, dass ich keine Luft bekomme und dann schrecke ich auf und denke, dass ich sterbe.
RI: Haben Sie in sonstigen Situationen irgendwelche diesb