Entscheidungsdatum
03.12.2021Norm
AsylG 2005 §4aSpruch
W185 2246452-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2021, Zl. 1276588808-210447617, beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangeörige aus Somalia, stellte am 03.04.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie „1“ mit Griechenland vom 06.12.2018.
Im Zuge der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.04.2021 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen zu können. Das Vorliegen einer Schwangerschaft verneinte sie. Sie führte weiter aus, dass ihr Vater verstorben sei und sich ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester in Somalia aufhältig seien. Die Beschwerdeführerin habe im Oktober 2018 den Entschluss zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat gefasst. Sie habe kein bestimmtes Reiseziel gehabt, sondern nur nach Europa gelangen wollen. Zum Reiseweg befragt gab die Beschwerdeführerin an, Somalia im Oktober 2018 illegal mit einem gefälschten Pass über den Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. Über die Türkei sei sie dann nach Griechenland gelangt, wo sie sich etwa zwei Jahre lang aufgehalten habe. Danach sei sie über Mazedonien, Serbien und weitere unbekannte Länder nach Österreich gelangt. In Griechenland habe sie um Asyl angesucht und dort in einem Flüchtlingslager untergebracht gewesen; gearbeitet habe sie in Griechenland nicht. Ihr Asylantrag in Griechenland sei positiv entschieden worden; die diesbezüglichen Dokumente habe sie jedoch verloren. Die Beschwerdeführerin habe sich von Dezember 2018 bis 28.01.2021 in Griechenland aufgehalten. Nach Griechenland zurückkehren wolle sie nicht, da das Leben dort „sehr schwer“ sei. Sie habe in Griechenland mit ihrem Bruder gelebt. Sie hätten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen, weshalb ihr Bruder dort an einer Nierenentzündung gestorben sei. Somalia habe die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Mann verlassen; sie hätten sich jedoch in Griechenland scheiden lassen.
Aufgrund der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 14.04.2021 ein Informationsersuchen gemäß Art. 34 Dublin III-VO an Griechenland.
Mit Schreiben vom 07.06.2021 (Reminder) ersuchte das Bundesamt die griechische Behörde bis zum 29.06.2021 auf das Informationsersuchen zu antworten.
Mit Schreiben vom 30.06.2021 gab Griechenland bekannt, dass die Beschwerdeführerin am 06.12.2018 gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Asylantrag in Griechenland gestellt habe. Am 20.03.2020 sei ihr der Schutzstatus zuerkannt worden; sie habe eine Aufenthaltsberechtigung (residence permit) – gültig vom vom 20.03.2020 bis 19.03.2023 - sowie ein Reisedokument (mit Gültigkeit von 27.10.2020 bis 26.10.2025) erhalten.
Am 30.08.2021 wurde die Beschwerdeführerin einer Einvernahme vor dem Bundesamt unterzogen. Hiebei gab diese im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen, nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen und keine Medikamente zu benötigen. Die Beschwerdeführerin bestätigte, dass ihre Angaben in der Erstbefragung der Wahrheit entsprechen würden. In Österreich bzw sonst im Bereich der EU habe sie keine Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung bestünde. Die Beschwerdeführerin habe in Griechenland um Asyl angesucht und einen positiven Bescheid erhalten; die Dokumente habe sie jedoch verloren. Sie habe eine Aufenthaltsberechtigungskarte bekommen, sei zwei Jahre lang in Griechenland aufhältig gewesen und sei dort untergebracht und versorgt worden. Sie habe Griechenland verlassen, da ihr Ex-Mann sie habe umbringen wollen. Dies habe sie in der Erstbefragung nicht erwähnt, da sie dort nur zu den Gründen für das Verlassen ihres Heimatlandes befragt worden sei; sie könne sich an ihre Angaben nicht mehr genau erinnern. Die Beschwerdeführerin wolle nicht nach Griechenland zurückkehren, da es dort nicht sicher für sie sei. Ihr Ex-Mann habe sie geschlagen, mit einem Messer „gestochen“ und „verbrannt“. Sie habe sich in Griechenland deswegen auch an die Polizei gewandt. Sie sei dort jedoch amgels eines Dolmetschers „drei Mal verwiesen“ worden. In ein Krankenhaus habe sie sich nicht begeben; es gebe dort keine medizinische Versorgung. Die Misshandlungen hätten im Jahr 2020 stattgefunden. Ihr Ex-Mann hätte sie oft auf die Rippen und den Kopf geschlagen. Beweise für ihre Behauptungen habe sie nicht. Zu den Länderfeststellungen zu Griechenland wolle sie nicht Stellung nehmen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.08.2021 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die Beschwerdeführerin nach Griechenland zurückzubegeben habe. In Spruchpunkt II. wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Mit Spruchpunkt III. wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Das Bundesamt führte aus, dass die Identität der Beschwerdeführerin nicht feststehe; die Aliasdaten würden sich aus der Mitteilung der griechischen Behörden ergeben. Die Beschwerdeführerin sei gesund und benötige weder eine ärztliche Behandlung, eine Therapie noch Medikamente. Es könne nicht festgestellt werden, dass diese an schweren psychischen Störungen oder an schweren Krankheiten leiden würde. Sie sei nicht als besonders vulnerabel anzusehen. Sie sei aktuell auch nicht im besonderen Maße auf eine medizinische Versorgung angewiesen. Die Beschwerdeführerin gehöre keiner COVID-19-Risikogruppe an, weshalb auch im Falle einer Überstellung nach Griechenland kein individuelles „real risk“ einer Verletzung von Art 3 EMRK zu erkennen sei. In Griechenland seien zum Stichtag 579.734 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen und 13.599 Todesfälle bestätigt. In Österreich seien 10.571 Todesfälle dokumentiert. Es sei notorisch, dass die Mitgliedstaaten allesamt vom Ausbruch der COVID-19 Pandemie betroffen seien und hier vor großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich stehen würden. Diesbezüglich würden in den einzelnen Ländern tagesaktuell entsprechende Maßnahmen gesetzt werden, welche die Ausbreitung von COVID-19 hintanhalten würden und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung - seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde - möglichst sicherstellen sollten. Die derzeit bestehenden Überstellungshindernisse seien aus heutiger Sicht - aller Wahrscheinlichkeit nach - zeitlich begrenzt. Die Beschwerdeführerin sei in Griechenland anerkannter Flüchtling. Es könne nicht festgestellt werden, dass diese in Griechenland systematischen Misshandlungen bzw Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte. Die Beschwerdeführerin verfüge in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich sei nicht zu erkennen. Aus den Angaben der Beschwerdeführerin seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass diese tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Griechenland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass dieser eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Den Angaben zur Verfolgung durch ihren Ex-Mann werde kein Glaube geschenkt, zumal die Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung bei der Polizei angegeben habe, dass sie Griechenland verlassen habe, da die medizinische Versorgung dort so schlecht gewesen sei; ihr Bruder sei dort an einer Nierenentzündung gestorben. Dies habe die Beschwerdeführerin beim Parteiengehör am 30.08.2021 jedoch mit keinem Wort mehr erwähnt. Auch habe sie keine Beweise für ihre Behauptungen vorgelegt. Weiters seien, wie sich aus den Feststellungen zu Griechenland ergebe, für die Beschwerdeführerin bei Bedarf medizinische Behandlungsmöglichkeiten gegeben, ebenso sei die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet. Dass der Beschwerdeführerin der Zugang zu allenfalls erforderlichen Behandlungen in Griechenland verwehrt wäre, habe sich im Verfahren nicht ergeben. Daher sei auch davon auszugehen, dass sie in Griechenland ausreichenden Zugang zu ärztlicher Versorgung habe. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Griechenland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zu erwarten hätte. Ein Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich könne nicht festgestellt werden. Es würden keine Angehörigen in Österreich leben. Sie halte sich erst kurz im Bundesgebiet auf und hätten sich keine Hinweise auf vorliegende und besonders gewichtige private Interessen an einem Verbleib in Österreich ergeben. Sie sei in Österreich auch nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen und verfüge in Österreich über keine gewichtigen und besonders berücksichtigungswürdigen familiären, verwandtschaftlichen oder sonstigen Anknüpfungspunkte. Überdies sei die Beschwerdeführerin in Österreich nicht berufstätig. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Überstellung der Beschwerdeführerin nach Griechenland eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde. Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG zurückgewiesen werde, habe das Bundesamt gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG hätten gegenständlich aber nicht vorgelegen. Die Abschiebung in den Zielstaat sei zulässig.
Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde, verfasst vom Verein LegalFocus, erhoben und darin zusammengefasst vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin in Griechenland keine Sicherheit und keine menschenwürdige Unterbringung gefunden habe. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, eine Betreuung zu erhalten und sei als alleinstehende Frau auf sich allein gestellt gewesen. Die Beschwerdeführerin bringe konkret die unmenschliche Behandlung und eine ausweglose Situation in Griechenland vor. Im Falle einer Rückkehr drohe eine Verletzung der in Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurden beantragt.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.09.2021, GZ. W185 2246452-1/4Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang, insbesondere der Umstand, dass der Beschwerdeführerin in Griechenland am 20.03.2020 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde. Sie ist in Besitz einer bis 19.03.2023 gültigen Aufenthaltsberechtigung sowie von Reisedokumenten.
Die Beschwerdeführerin hat in Griechenland gemeinsam mit ihrem Ehemann um internationalen Schutz angesucht. Ihren Angaben zufolge wurde die Ehe in Griechenland geschieden. In Österreich ist die Beschwerdeführerin alleine eingereist.
Dass der Bruder der Beschwerdeführerin in Griechenland aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung verstorben ist, konnte nicht festgestellt werden.
Nach eigenen Angaben war die Beschwerdeführerin in Griechenland untergebracht und wurde auch versorgt; gearbeitet hat sie in Griechenland nicht. Die Beschwerdeführerin bestritt, in Griechenland benötigte medizinische Versorgung erhalten zu haben. Ergänzende Ermittlungen der Behörde zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin nach Schutzzuerkennung, insbesondere in Hinblick auf die Umstände ihrer Unterbringung, auf die medizinische Versorgung sowie die angeblich sanktionslos gebliebene Verfolgung/Verletzung durch ihren Ex-Mannes, wurden unterlassen.
Betreffend die medizinische Versorgung in Griechenland führt das Bundesamt im angefochtenen Bescheid lediglich Folgendes aus:
„Weiters sind für Sie bei Bedarf in Griechenland Behandlungsmöglichkeiten gegeben, ebenso ist die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet, wie sich aus den Feststellungen zu Griechenland ergibt. Dass Ihnen der Zugang zu allenfalls erforderlichen Behandlungen in Griechenland verwehrt wäre, hat sich im Verfahren nicht ergeben. Daher ist auch davon auszugehen, dass Sie in Griechenland ausreichenden Zugang zu ärztlicher Versorgung haben.“
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zur Asylantragstellung der Beschwerdeführerin und ihrem Schutzstatus in Griechenland ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes. Dass der Beschwerdeführerin in Griechenland der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem Antwortschreiben der griechischen Behörde vom 30.06.2021, wonach diese „refugee status“ und eine Aufenthaltsberechtigung für 3 Jahre erhalten habe (AS 63). Eine dreijährige Aufenthaltsberechtigung wird nach den Länderberichten nur Asylberechtigten zuerkannt, während subsidiär Schutzberechtigte eine solche nur für 1 Jahr befristet (verlängerbar) erhalten.
Dass die Beschwerdeführerin in Griechenland gemeinsam mit ihrem (damaligen) Ehemann eingereist ist und um internationalen Schutz angesucht hat, ergibt sich aus dem angeführten Schreiben Griechenlands vom 30.06.2021.
Dass die Beschwerdeführerin alleine nach Österreich weitergereist ist, spricht für das Zutreffen ihrer Behauptung, wonach ihre Ehe in Griechenland geschieden worden sei (bzw es zur Trennung von ihrem Mann gekommen sei). Auch die vorgebrachte nachfolgende Bedrohung bzw Verfolgung seitens ihres Ex-Mannes ist nicht a priori unglaubhaft, wie dies die Behörde gegenständlich unter Hinweis darauf, dass darüber nicht bereits in der Erstbefragung berichtet worden sei, darzustellen versucht.
Dass der Bruder der Beschwerdeführerin in Griechenland aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung gestorben wäre, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Es wurden hiefür einerseits keinerlei Nachweise (etwa eine Sterbeurkunde, Handy-Fotos vom Begräbnis etc) beigebracht. Andererseits, und hier ist der Behörde beizupflichten, hat die Beschwerdeführerin diesen, bei Zutreffen sehr gravierenden Vorfall, in der Einvernahme vor dem Bundesamt mit keinem Wort mehr erwähnt.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in Griechenland „untergebracht und versorgt“ wurde beruht auf ihren diesbezüglichen Angaben. In der Beschwerde wird in Hinblick darauf von einer „menschenunwürdigen“ Unterbringungssituation berichtet. Nähere Angaben zum Ort der Unterbringung (Athen, Thessaloniki, auf einer Insel,…), der Art der Unterkunft (staatliche Unterkunft, Mietwohnung, tolerierter Verbleib in einem staatlichen Flüchtlingsunterkunft nach Schutzzuerkennung,…..), sowie der Art und des Umfangs der „Versorgung“ (durch den Staat, durch NGO`s, durch Private?), hat die Beschwerdeführerin nicht erstattet. Ungeklärt ist, ob die Beschwerdeführerin, die nach ihren eigenen Angaben in Griechenland keiner Erwerbstätigkeit nachging, am HELIOS-Programm teilnehmen konnte bzw nach einer Rückkehr daran teilnehmen kann.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 4a AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.
Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher und diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074).
Der Beschwerdeführerin wurde in Griechenland, im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) der Status der Asylberechtigten zuerkannt, sodass ihr gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG grundsätzlich zurückzuweisen ist, wenn sie in Griechenland Schutz vor Verfolgung gefunden hat und ihr – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 3 oder 8 EMRK droht.
Der gegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist jedoch auf Basis eines mangelhaften Verfahrens ergangen, weshalb eine Behebung nach § 21 Abs 3 zweiter Satz BFA-VG zu erfolgen hat:
Zusammengefasst brachte die Beschwerdeführerin vor, in Griechenland einen positiven Bescheid und Dokumente bekommen zu haben und dort auch untergebracht und versorgt worden zu sein. Sie monierte jedoch die mangelhafte medizinische Versorgung, welche auch zum Tod ihres, mit ihr in Griechenland aufhältig gewesenenen Bruders, geführt hätte. Auch sei das Leben in Griechenland „sehr schwer“ und ihre Unterbringung menschenverachtend gewesen. Die ihr von ihrem Ex-Mann zugefügten Verletzungen habe sie nicht behandeln lassen; man bekomme in Griechenland keine medizinische Versorgung. Sie sei in Griechenland vor Übergriffen ihres Ex-Mannes nicht sicher.
Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 25.06.2021, E 599/2021, betreffend eine in Griechenland schutzberechtigte, junge, gesunde Frau ohne Betreuungspflichten, die über eine zwölfjährige Schulbildung, eine vierjährige universitäre Ausbildung und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin verfügte und zirka neun Monate in Griechenland aufhältig war, zunächst unter Anführung der Rechtsprechung des EuGH zu Art 33 Abs 2 lit a Verfahrensrichtlinie darauf verwiesen, dass eine Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz, weil bereits von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt wurde, dann zu unterbleiben hat, wenn die Lebensverhältnisse, die die antragstellende Partei in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würde, sie der ernsthaften Gefahr aussetzen würde, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art 4 GRC bzw Art 3 EMRK zu erfahren (vgl EuGH vom 13.11.2019, C-540/17, Hamed ua.) sowie EuGH vom 19.03.2019, C-297/17, Ibrahim ua.). Hieraus hat der Verfassungsgerichtshof geschlossen, dass das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie zuvor auch die befasste Behörde – die Verpflichtung trifft „auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen“, die einer Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz entgegenstehen. Diese Schwachstellen – so der VfGH weiter – sind nur dann in Hinblick auf Art 4 GRC bzw Atz 3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, indem etwa „die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl EuGH vom 19.03.2019, C-163/17, Jawo sowieC-297/17, Ibrahim).
Nach Zitierung der in diesem Erkenntnis des VfGH zugrundeliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes herangezogenen Länderberichte vom 04.10.2019, mit letzter Kurzinformation vom 19.03.2020, führte der Verfassungsgerichtshof aus wie folgt:
„Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechen-land, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“
Auch wenn sich das angesprochene Erkenntnis des VfGH auf Länderinformationen der Staatendokumentation mit Stand vom 04.10.2019 bzw letzter Kurzinformation vom 19.03.2020 bezieht, ergeben sich aus der nunmehr aktualisierten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation der Staatendokumentation betreffend Griechenland vom 28.05.2021 ähnliche Schwierigkeiten für Schutzberechtigte beim Zugang zu Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsprogrammen. So wird etwa erwähnt:
? „Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen“. Zusätzlich zum rk Anerkennungsbescheid wird ein sog. ADET-Bescheid benötigt. Dies ist ein Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird.
? Nach Ausfolgung des Asylbescheides wird der Asylberechtigte vom Cash Card Programm für Asylwerber abgemeldet und muss die zur Verfügung gestellte Unterkunft sofort verlassen. Aufgrund fehlender Alternativen wird der Verbleib in diesen Unterkünften oftmals vorübergehend toleriert. Die Versorgung der geduldeten Flüchtlinge wird von NGO`s und Freiwilligen übernommen. Anerkannte Schutzberechtigte werden für Unterstützungsmaßnahmen bei der Integration meist auf das Programm „HELIOS“ verwiesen. „Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). HELIOS ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. […] Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).“
? „Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card
Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).“
? „In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).
? „Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe, …) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“
? „Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). […] Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).“
? „Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: […] Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). […] Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).“
Wie sich aus diesen Länderinformationen ableiten lässt, sind Schutzberechtigte in Griechenland zwar rechtlich griechischen Staatsbürgern grundsätzlich gleichgestellt, sie können jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre herausfordernde Situation als Fremde ohne oder mit geringen Kenntnissen der Landessprache und der administrativen Vorgänge in einem Staat, dessen wirtschaftliche Lage allgemein bekannt angespannt ist, zurückzuführen sein können.
Wie bereits erwähnt, werden laut den vorliegenden Länderinformationen im angefochtenen Bescheid Schutzberechtigten in Griechenland einzig im Rahmen des Programms „HELIOS“ Unterstützungsmaßnahmen gewährt. Mangels näherer Ermittlungen des Bundesamtes bleibt jedoch im vorliegenden Fall unklar, ob die Beschwerdeführerin an diesem Integrationsprogramm bereits teilgenommen hat (Anm: diese gab lediglich an, „versorgt“ worden zu sein) bzw. im Falle einer Rückkehr tatsächlich Zugang zu diesem Programm hätte. Insbesondere geht aus den Länderinformationen im angefochtenen Bescheid hervor, dass das Programm eine „Laufzeit bis Juni 2021“ gehabt habe. Auf einer öffentlich zugänglichen Website von UNHCR Griechenland wird demgegenüber eine Laufzeit bis Ende August 2021 erwähnt (siehe https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios). In dieser Hinsicht erweisen sich die Länderinformationen als nicht hinreichend aktuell und insofern mangelhaft, als offen bleibt, ob dieses Integrationsprogramm fortgesetzt wird oder durch andere Programme, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte bieten, ersetzt wurde. Ferner wird nunmehr auch die aktuelle ACCORD Anfragebeantwortung „Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus“ vom 26.08.2021 zu berücksichtigen sein.
Vor dem Hintergrund der vom Bundesamt herangezogenen Länderinformationen und der schon im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides getroffenen Entscheidung des VfGH vom 25.06.2021, E 599/2021, wäre das Bundesamt jedenfalls gehalten gewesen, die Rückkehrsituation im vorliegenden Fall näher zu prüfen und hätte sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, es würden keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Überstellung nach Griechenland in eine existentielle Notlage geraten würde.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur mangelnden Schutzgewährung vor Übergriffen ihres Ex-Mannes und der mangelhaften medizinischen Versorgung wurde im Ergebnis ignoriert; aus dem angefochtenen Bescheid geht auch nicht hervor, ob das Bundesamt die Angaben der Beschwerdeführerin als glaubhaft erachtet oder nicht. Relevant für die Beurteilung der Situation der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr sind vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderberichte jedenfalls die Lebensumstände der Beschwerdeführerin nach Zuerkennung des Schutzstatus in Griechenland (Anm: ab 20.03.2020). Dies umfasst einen Zeitraum von in etwa zehn Monaten, in denen die Beschwerdeführerin noch in Griechenland verblieben ist. Unklar bleibt, wo sie sich in diesem Zeitraum aufgehalt hat und wie sie – ohne einer Arbeit nachzugehen - ihr Leben bestreiten konnte. Den Bescheidausführungen ist nicht zu entnehmen, wie die Beschwerdeführerin trotz der behaupteten Mängel nach Gewährung des Schutzstatus dennoch mehrere Monate in Griechenland verbleiben konnte. Die Lebensumstände der Beschwerdeführerin in der Zeit nach Zuerkennung des Status der Asylberechtigten wurden seitens des Bundesamtes keiner näheren Prüfung unterzogen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderinformationen und der obzitierten Entscheidung des VfGH kommt dieser Frage aber Relevanz im Hinblick darauf zu, ob die Beschwerdeführerin – sollten ihr in erster Zeit nicht von Seiten des griechischen Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen ermöglicht werden – nach einer Rückkehr selbst oder mit Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen oder mithilfe von bereits während seines vormaligen Aufenthaltes in Griechenland aufgebauten sozialen Netzwerken, in der Lage wäre, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für die Beurteilung ihrer Rückkehrsituation können neben den bisherigen Lebensumständen in Griechenland unter Berücksichtigung der Dauer des vormaligen Aufenthalts in Griechenland als Schutzberechtigte auch eine etwaige auf dem griechischen Arbeitsmarkt verwertbare Ausbildung sowie Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin von Bedeutung sein, auch vorhandene eigene finanzielle Mittel oder familiäre bzw. soziale Unterstützung könnten in diese Bewertung miteinbezogen werden.
Aufgrund der mangelhaft ermittelten Sachverhaltsgrundlage unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des VfGH kann im gegenständlichen Fall sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Griechenland die reale Gefahr einer Verletzung ihrer gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestünde.
Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher einer Abklärung zum aktuell bestehenden Angebot an Programmen, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte anbieten, und zu deren Umfang (siehe dazu auch VfGH 25.06.2021, E 599/2021, Rz 21). Darüber hinaus sind weitere Erhebungen im gegenständlichen Fall zu den Fragen notwendig, ob der Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Griechenland zumindest in erster Zeit von Seiten des Staates Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft, zu Nahrungsmitteln und zu sanitären Einrichtungen zur Verfügung stünde und – sollte dies zu verneinen sein – ob die Beschwerdeführerin allenfalls mit Hilfe von nichtstaatlichen Einrichtungen oder durch Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten ihre elementaren Bedürfnisse befriedigen könnte, ohne einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt zu sein, aufgrund der Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen Asylstatus zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim).
Der vorliegende Sachverhalt erweist sich als im Sinne des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG als derart mangelhaft, dass grundlegende ergänzende Ermittlungen und damit einhergehend eine mündliche Verhandlung notwendig erscheinen, sodass eine Zurückverweisung im Sinne dieser Bestimmung zu erfolgen hatte.
Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074, mit Verweis auf VwGH 15.05.2020, Ra 2020/14/0060).
Angesichts der notwendigen Ermittlungen zur Lage in Griechenland und der erforderlichen umfassenden Befragung der Beschwerdeführerin kann das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel nicht in der für die Erledigung des im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigen.
Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In casu liegt die Entscheidung allein in der Bewertung, ob der im Aufnahmestaat schutzberechtigte Beschwerdeführer dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat und nicht in seinen Rechten gemäß Art. 3 und 8 EMRK bedroht ist.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des VfGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben.
Schlagworte
Asylberechtigter Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung Mitgliedstaat VersorgungslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W185.2246452.1.01Im RIS seit
08.02.2022Zuletzt aktualisiert am
08.02.2022