Entscheidungsdatum
03.12.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W129 2212118-1/22E
W129 2212116-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2018, 577501806-180263847, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
„Gemäß § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs 3 BFA-VG wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 2 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung‘ erteilt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2018, 1194913700-180549392, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
„ XXXX wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt.
Gemäß § 8 Abs. 5 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 30.04.2022 erteilt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (BF2).
2. Am 16.03.2018 stellte die BF1 einen Antrag auf internationalen Schutz und erfolgte an diesem Tag eine Erstbefragung.
3. In weiterer Folge wurde die BF2 geboren und ein Antrag auf internationalen Schutz betreffend die BF2 gestellt.
4. Am 25.09.2018 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der BF1. Im Zuge dessen gab sie im Wesentlichen und sinngemäß an, dass sie keine Probleme in ihrer Heimat habe. Sie habe auch keine Rückehrbefürchtungen. Sie wolle hier bei ihrem Ehemann bleiben. Auch ihr Kind, die BF2, sei in Österreich. Im Übrigen gab sie an, dass die BF2 keine eigenen Fluchtgründe habe. Die BF1 stellte für die BF2 einen Antrag auf ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG in Hinblick den Ehegatten der BF1 bzw. den Vater der BF2.
Unter einem legte die BF1 ein Konvolut an Unterlagen vor.
5. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführerinnen wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführerinnen Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
6. Dagegen wurden Beschwerden erhoben. Diesen ist sinngemäß und zusammengefasst zu entnehmen, dass der BF2 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Dem Vater der BF2 bzw dem Ehegatten der BF1 komme der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach wie vor zu. Im Übrigen widerspreche die Rückkehrentscheidung Art 8 EMRK.
7. Mit Schreiben vom 27.12.2018 wurden die Beschwerden samt Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, wo das Konvolut am 03.01.2019 einlangte.
8. Mit Schreiben vom 18.03.2019 erstatteten die Beschwerdeführerinnen eine Stellungnahme. Dieser Stellungahme waren mehrere Unterlagen, insbesondere eine Heiratsurkunde betreffend die BF1 vom 14.01.2019, beigelegt.
9. Am 20.03.2019 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an der die Beschwerdeführerinnen, zwei Behördenvertreter sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilnahmen. Der Ehegatte der BF1 bzw. der Vater der BF2 wurde als Zeuge einvernommen.
10. Am 11.04.2019 langte eine Stellungnahme samt Konvolut an Unterlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Schreiben vom 12.06.2019 wurde eine weitere Stellungnahme erstattet, der eine medizinische Unterlage zum Vater bzw. zum Ehegatten angehängt war. Nach Übermittlung des Länderinformationsblattes wurde mit Schreiben vom 15.05.2020 eine Stellungnahme abgegeben.
11. Am 17.03.2021 gab die belangte Behörde bekannt, dass der Ehegatte bzw. Vater einen Verlängerungsbescheid nach § 8 AsylG erhalten habe und daher keine Aberkennung betreffend den Ehegatten bzw. Vater erfolgen werde.
12. Mit Schreiben vom 14.07.2021 wurde eine weitere Stellungnahme erstattet. Unter einem wurde insbesondere eine Geburtsurkunde einer weiteren Tochter, welche am XXXX geboren wurde, vorgelegt.
13. Mit Schreiben vom 06.08.2021 wurde das aktuelle Länderinformationsblatt zur Stellungnahme übermittelt.
14. Am 24.08.2021 langte eine Stellungnahme bei Gericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht fest. Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die BF1 gehört der russischen Volksgruppe an und bekennt sich seit 2012 zum islamischen Glauben.
Die BF1 erwarb ein Touristenvisum für Italien (Gültigkeit: 13.08.2016 bis 12.08.2017) und reiste am 13.08.2016 in Österreich ein, blieb etwa ein Monat im Bundesgebiet und reiste dann ca im April 2017 erneut in Österreich ein. Seit April 2017 hält sich die BF1 durchgehend in Österreich auf. Am 16.03.2018 stellte die BF1 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am XXXX wurde die BF2 in Österreich geboren, für welche ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
1.2. Weder waren die Beschwerdeführerinnen in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt noch droht eine solche aktuell. Die Beschwerdeführerinnen sind im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
1.3. Die Beschwerdeführerinnen wären bei einer Rückkehr in die Russische Föderation weder in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen noch von der Todesstrafe bedroht. Die BF1 stammt aus XXXX . Im Herkunftsstaat lebt ein Bruder der BF1, zu dem hat die BF1 jedoch keinen Kontakt. Weiters lebt eine Großmutter der BF1 im Herkunftsstaat, zu welcher sie äußerst selten Kontakt hat. Die BF1 hat im Herkunftsstaat eine Schulbildung absolviert und war dort berufstätig, so hat sie etwa in einer Immobilienagentur und in einem Transportunternehmen gearbeitet. Die BF1 ist arbeitsfähig. Die BF1 und die BF2 sind gesund. Die BF1 spricht Russisch und ist mit den Gepflogenheiten im Herkunftsstaat vertraut.
1.4. Die unbescholtene BF1 ist sowohl standesamtlich als auch nach islamischen Ritus mit XXXX verheiratet. Die standesamtliche Heirat erfolgte am 14.01.2019 im Bundesgebiet. Die rituelle Eheschließung erfolgte am 26.04.2017 im Bundesgebiet. Die BF1 war sich, als sie ihren Ehegatten geheiratet hat und Mutter ihrer Töchter geworden ist, der Unsicherheit ihres Aufenthaltes bewusst. Die BF1 und XXXX haben zwei gemeinsame Töchter, und zwar die BF2 und eine am XXXX in Österreich geborene weitere Tochter. Dem Ehegatten der BF1 bzw. Vater der BF2 kommt eine befristete AB für subsidiär Schutzberechtigte (§ 8 AsylG) bis zum 30.04.2022 zu. Dem Ehegatten der BF1 bzw. dem Vater der BF2 wurde dieser Status erstmals im Jahr 2010 gewährt. Hinsichtlich des Ehegatten der BF1 bzw. des Vaters der BF2 ist kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig. Der jüngeren Tochter wurde mit Bescheid vom 18.06.2021 der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 34 AsylG zuerkannt. Die BF1 lebt im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten und ihren Töchtern. Der Ehegatte der BF1 bzw. Vater der BF2 verfügt über einen Behindertenpass und weist eine Behinderung im Ausmaß von 90 % auf. Er bedarf einer besonderen medizinischen Betreuung und Versorgung. Dem Ehegatten bzw. Vater wurde aufgrund seiner Erkrankung iVm der diesbezüglich benötigten medizinischen Betreuung und Versorgung der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der Diagnose betreffend den Ehegatten bzw. Vater vom 24.07.2017 kann entnommen werden: va posttraumatische Belastungsstörung, Opiathabhängigkeit (dzt Substituiert), Linsen u. Impl.f. Augen (Implantat 2012) links, starke Photophobie, Rez. Cephalea, Posttraumatische Belastungsstörung, Keratokonus, Angstzustände in Öffentlichen Verkehrsmittel. Der Ehegatte der BF1 bzw. Vater der BF2 befindet sich seit November 2018 in regelmäßiger, psychotherapeutischer Behandlung. Beim Ehegatten bzw. Vater liegt das diagnostische Bild einer rezidivierenden Depression (ICD 10 F 33.01) als auch das Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 – F 43.1) vor (vgl Diagnose 13.05.2019). Die BF1 bestreitet ihren Lebensunterhalt von Mitteln der öffentlichen Hand. Die BF1 kümmert sich im Alltag um ihre Kinder, kocht, und putzt. Die Töchter sind aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Ehegatten der BF1 bzw. des Vaters der Töchter maßgeblich auf die Pflege und Erziehung der BF1 angewiesen; diesbezüglich liegt ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis aufgrund der hochgradigen Behinderung des Ehegatten der BF1 bzw Vaters der Töchter im Ausmaß von 90 % vor. Zudem wirkt sich das stabile Familienleben positiv auf den Gesundheitszustand des schwerkranken Ehegatten (Grad der Behinderung 90 %) aus und besteht daher auch eine besondere Abhängigkeit des Ehegatten zur BF1 samt deren Töchtern. Die BF1 hat in der mündlichen Verhandlung Grundkenntnisse der deutschen Sprache aufgewiesen (offenbar zumindest A1). Die BF1 hat sich einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut. Die BF1 ist kein Mitglied in Organisationen oder Vereinen.
1.5. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
Covid-19-Situation
Letzte Änderung: 18.05.2021
Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau
und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die
Weltgesundheitsorganisation WHO ( https://covid19.who.int/region/euro/country/ru ). Die Regionalbehörden
in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19
zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und
soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen
sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region
und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale
Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende
Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).
Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium
empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin,
Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferonalpha,
Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib.
Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende
vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung
und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein
Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische
Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).
Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac (’Sputnik
V’), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen
Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß
angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen
erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen
geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff
Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021).
Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung)
geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).
Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt.
Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser
muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger,
die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne
begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in
bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise
wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis
zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden
während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale
Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr
sind eingestellt (AA 15.2.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an
viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Mietund
Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien
und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse
dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen
zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an
Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren
Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen
usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um
3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die
verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden
Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen
Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter
Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage
Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020).
Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu
betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr
2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).
Moskau:
In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von
Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden,
wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch
Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021).
Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene
Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz,
Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer
Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen
wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und
Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021,
LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl
der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen
bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).
St. Petersburg:
Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für
gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben.
Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind.
Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch
Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb
5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).
Tschetschenien:
An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch
Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021,
Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.
gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde
mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien
berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK
23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov
10.2.2021, KMS 10.2.2021).
Dagestan:
An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen
stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen
(CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik
V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru
12.3.2021).
Quellen:
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(COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik
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an öffentlichen Orten in der Tschetschenischen Republik auf“], http://chechnya.gov.ru/novo
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vennyh-mestah/ , Zugriff 12.3.2021
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[Russische Föderation] (26.2.2021): ?????? ????????????? ????????? ?????? ? ?????????
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https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff 16.3.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben,
kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA
7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor
Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA
7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen
werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte
Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen
hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit
seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins
Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert,
die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien
hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle
am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück.
Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst,
spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September
2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die
Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen
Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer
Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz
in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle
Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020).
Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit
dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische
Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert -
in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab
auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist
vor allem die ’Gruppe Wagner’ zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen
Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im
Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten
des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt
dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit,
nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS
kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober
2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet
und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/r
ussischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021
• BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst
autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/
russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten , Zugriff 8.4.2021
• Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.
deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:
article_id=389824 , Zugriff 7.4.2021
• Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https:
//www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:
article_id=484951 , Zugriff 8.4.2021
• DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https:
//www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554 , Zugriff
8.4.2021
• EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise
für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweis
e/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage , Zugriff 7.4.2021
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d):
Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 7.4.2021
• SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet,
https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941 , Zugriff
8.4.2021
• SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des
globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb
.pdf , Zugriff 7.4.2021
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 08.06.2021
Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau (ÖB Moskau
6.2020; vgl. GIZ 1.2021c). Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und
regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll.
Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von
Frauen (ÖB Moskau 6.2020).
Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil
beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung.
Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in
besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen
in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das
Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen
führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden.
Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen
für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen (GIZ 1.2021c). Frauen mit
kleinen Kindern gehören einer sozialen Gruppe an, die besonders von sozialer Unterstützung
wie Lohnfortzahlung während des Mutterschutzes und dem sogenannten ’Mutterschaftskapital’
Nutzen ziehen (vgl. Kapitel Sozialbeihilfen) (Russland Analysen 21.2.2020a).
Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 1.2021c). Frauen sind in
Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der
Duma und im Föderationsrat. Nur drei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 3.3.2021).
In Russland herrscht noch immer ein konservatives Familienbild vor – die Frau als Hausfrau
und Mutter. Jedoch sind Frauen in der Realität gezwungen, auch (Vollzeit) erwerbstätig zu sein,
schon allein aufgrund der hohen Scheidungsrate. Daraus folgt logischerweise auch eine große
Anzahl von alleinerziehenden Frauen (Russland Analysen 21.2.2020b).
Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt die
häusliche Gewalt dar (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021, HRW 10.2018). Häusliche Gewalt
wird von den Behörden kaum beachtet, stattdessen werden Opfer häuslicher Gewalt, die zur
Selbstverteidigung den Täter töten, häufig inhaftiert. Bis zu 80% der in Russland inhaftierten
Frauen dürften unter diese Kategorie fallen (FH 3.3.2021). Es gibt in Russland sowohl staatliche
Krisenzentren (Frauenhäuser) als auch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen
zur Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt. Das Zentrum ANNA etwa koordiniert
ein informelles Netzwerk von Organisationen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen
und Kinder. Darin sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Es wurde auch eine interaktive
Karte mit Zentren, die betroffene Frauen in den meisten Regionen Russlands unterstützen,
erstellt (ÖB Moskau 6.2020). Offizielle Studien legen nahe, dass mindestens jede fünfte Frau
in Russland irgendwann in ihrem Leben körperliche Gewalt durch ihren Ehemann oder Partner
erlebt hat (HRW 10.2018). Nach offiziellen Statistiken ereignen sich 40% aller schweren
Gewaltdelikte innerhalb der Familien. Es gibt kein System zur Prävention und es gibt zu wenig
Einrichtungen, in denen Frauen mit Kindern vorübergehend Zuflucht suchen können. Die Polizei
bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügend Nachdruck oder zuweilen gar nicht
nach (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 10.2018). Experten
schätzen, dass 60% bis 70% der Fälle von häuslicher Gewalt nicht gemeldet werden (US DOS
11.3.2020). Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung
darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Durch eine Gesetzesänderung im
Jänner 2017, wurde häusliche Gewalt im Erstfall zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft (ÖB
Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021), wenn sie zu keinen dauerhaften körperlichen Schäden führt
(FH 3.3.2021). 2017 wurde die Kampagne ’We demand to adopt the domestic violence law’
gestartet, die über 900.000 Unterstützer fand. Ende 2019 wurde ein neuer Gesetzesentwurf zur
Vorbeugung von häuslicher Gewalt ins russische Parlament eingebracht, dessen Behandlung
bis zum Ende der Coronavirus-Epidemie aber ausgesetzt wurde. Im Jänner 2019 wurde ein
EU-finanziertes Projekt des Europarats und der Russischen Föderation zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen lanciert, das auch von der russischen Ombudsfrau für Menschenrechte
begrüßt wurde (ÖB Moskau 6.2020). Häusliche Gewalt bleibt lückenhaft dokumentiert und die
Dienste für Überlebende sind unzureichend (HRW 13.1.2021). Mehrere Politiker und Experten,
die sich für ein robustes Gesetz gegen häusliche Gewalt einsetzen, berichteten von Drohungen
gegen sie und ihre Familien, unter anderem durch diejenigen, die behaupten, ’traditionelle’ oder
’familiäre’ Werte zu fördern (HRW 13.1.2021; vgl. AI 16.4.2020). Russlands Ombudsperson
stellte fest, dass die häusliche Gewalt während der Covid-19-Pandemie zugenommen hat und
sich die gemeldeten Fälle während des Lockdowns im Frühjahr 2020 mehr als verdoppelt haben
(HRW 13.1.2021).
Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus
der Familie stammt oder nicht. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft
für einen Einzeltäter mit zusätzlicher Haft bei erschwerenden Umständen. Laut NGOs würden
Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung durch Ehemänner bzw. durch Bekannte
keine Priorität einräumen (US DOS 11.3.2020). NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten
sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu
reagieren, solange sich das Opfer nicht in einer lebensbedrohlichen Situation befindet (US DOS
11.3.2020; vgl. EASO 3.2017).
NGOs stellten fest, dass der Zugang zu Notunterkünften oft kompliziert ist, da sie einen Wohnsitznachweis
in dieser bestimmten Gemeinde sowie einen Nachweis über den Status eines
Niedrigeinkommens benötigen. In vielen Fällen werden diese Dokumente von den Tätern verwaltet
und stehen den Opfern deshalb nicht zur Verfügung (US DOS 11.3.2020). Krisenzentren
und Notunterkünfte von NGOs spielen eine entscheidende Rolle bei der Erbringung von Dienstleistungen
für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Diese sind auf staatlicher Ebene oft
nicht verfügbar und es gibt Fälle, in denen Frauen, bevor sie in NGO-Einrichtungen kamen,
von staatlichen Einrichtungen abgewiesen wurden (HRW 10.2018). Aufgrund finanzieller Engpässe
und staatlicher Beschränkungen bei der Beschaffung ausländischer Mittel haben NGOs
Schwierigkeiten, ausreichend viele Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. In Großstädten gibt es
staatliche Unterkünfte, die dringende Hilfe, wie zum Beispiel ’Krisenwohnungen’ zur Verfügung
stellen können. Neben staatlichen und NGO-Einrichtungen gibt es auch religiöse Einrichtungen
der Russisch-Orthodoxen, der Katholischen und der Baptisten-Kirche, die Opfern von häuslicher
Gewalt Hilfe bereitstellen. Um in eine staatliche Einrichtung aufgenommen zu werden, müssen
Frauen oft eine ganze Reihe von Dokumenten mitbringen, wie beispielsweise Meldezettel, Reisepass,
eine Überweisung von Sozial- oder Kinderschutzdiensten, eine persönliche schriftliche
Erklärung, warum die Person Hilfe benötigt, ärztliche Atteste mit Angaben zu allen Impfungen
und in einigen Fällen sogar Röntgenaufnahmen. Wenn eine Frau Kinder hat, muss sie auch
für jedes ihrer Kinder Gesundheitsunterlagen vorlegen. Der Prozess der Beschaffung all dieser
Dokumente kann bis zu zwei Wochen dauern, in einigen Fällen auch länger (HRW 10.2018).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtige
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hen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019),
https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 19.2.2021
• EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State
Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-acto
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• FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten
im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
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• HRW – Human Rights Watch (10.2018): ’I Could Kill You and No One Would Stop Me’ Weak
State Response to Domestic Violence in Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1447924/3175_-
1540546740_russia1018-web3.pdf, Zugriff 5.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische
Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf ,
Zugriff 19.2.2021
• Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland
Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen38
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• Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen
Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf ,
Zugriff 5.3.2021
• US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage
im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
5.3.2021
Frauen im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien
Letzte Änderung: 28.05.2021
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen
Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen
sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2020;
vgl. AA 2.2.2021), aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche
Statistiken dazu gibt es kaum. Die Gewalt gegen Frauen bleibt in der Region ein Thema, dem von
Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert
wird die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – dem russischen
Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig
nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen
Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die
in der Republik Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle
der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang
von einer ’Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit’ (ÖB Moskau 6.2020). Die
Heirat einer 17-jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr
2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine
Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich
anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 13.2.2019).
Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung
geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen
allmählich auf, gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Republiksoberhaupt
Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Nach
Aussagen eines tschetschenischen Rechtsanwalts werden Frauen sowohl nach islamischem als
auch nach dem Adatrecht hoch geschätzt. Die Wirklichkeit im Tschetschenien von heute sieht jedoch
so aus, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und sich die Lage für Frauen äußerst
schwierig gestaltet (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017, openDemocracy 7.8.2020). Gewalttätige
Ehemänner werden selten bestraft, die Schuld wird üblicherweise der Frau zugeschoben
(openDemocracy 7.8.2020). Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in
eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017).Es ist nicht
klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch kann
nur das russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird berichtet, dass die Scharia immer
wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst – obwohl er sowohl Adat als auch Scharia betont – sich
eher auf die Scharia bezieht. Das Adat-Recht dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen
eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014).
Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen
Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017; vgl. openDemocracy 7.8.2020). Zivilgesellschaftliche
Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten
etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen ’Women
for Development’ und ’SINTEM’ in Tschetschenien und ’Mat‘ i Ditja’ (Mutter und Kind) in Dagestan
(ÖB Moskau 6.2020). Im Jahr 2019 eröffnete in Tschetschenien die Organisation Women
for Development - eine der ältesten und angesehensten Organisationen in Tschetschenien -
mit Unterstützung des Zuschussprogramms für NGOs ein Krisenzentrum für Frauen. Es gab
auch Pläne, ein Frauenhaus zu eröffnen; aufgrund der engen familiären Bindungen, die in der
Republik herrschen, wäre es aber schwierig gewesen, die Einrichtung vor Männern und ihren
Familien geheim zu halten, darum scheiterte dieses Vorhaben. Beamte haben das hohe Maß an
Scheidung und häuslicher Gewalt anerkannt und ein Komitee zur Verhütung von Familienkonflikten
unter dem Spirituellen Ausschuss der Muslime der Republik Tschetschenien eingerichtet.
Mehrere NGOs, die Teil der Koalition der Frauen-NGOs im Nordkaukasus sind, arbeiten an den
Themen häusliche Gewalt und Unterstützung für Frauen. ’Zulässige’ Themen müssen jedoch
in die allgemeine Logik traditioneller, kultureller, spiritueller, religiöser und nationaler Bräuche
und Werte passen. Es ist auch wichtig anzumerken, dass die Mehrheit der NGO-Direktoren und
Mitarbeiter in Tschetschenien Frauen sind. Der Ausweg aus der humanitären Nachkriegskrise
lag direkt auf den Schultern der Frauen, da sich die Mehrheit der männlichen Bevölkerung nicht
frei bewegen konnte und ständigen Bedrohungen und Kontrollen ausgesetzt war. Da Frauen
in Tschetschenien, als Folge der lokalen traditionellen Kultur, als verantwortlich für Empathie
und Fürsorge angesehen werden, sind sie diejenigen, die die meisten gemeinnützigen und
sozialen Projekte zusammenstellen, als Psychologinnen arbeiten, sich freiwillig für Kinder engagieren
und sich mit den Themen von Familien mit niedrigem Einkommen und Menschen mit
Behinderungen beschäftigen (CSIS 1.2020).
In Dagestan werden Geschlechterfragen und Frauenrechte in der Arbeit von Malikat Jabirowas
Organisation ’Mat i Ditja’ (Mutter und Kind) sowie von der unabhängigen Journalistin Swetlana
Anochina mit ihrem ’Daptar’-Projekt und ihrer Gruppe ’Väter und Töchter’ behandelt, obwohl
diese Initiativen nicht die einzigen sind, die in diesem Bereich aktiv sind (CSIS 1.2020).
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das
Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar,
da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt, trotzdem ist davon auszugehen, dass
Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet ist. Vergewaltigung
in der Ehe wird nicht als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigungen passieren auch
in Polizeistationen. Es handelt sich um ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten
Frau haftet ein Stigma an. Sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung
publik wird. Auch die Familie wird isoliert und stigmatisiert, und es ist nicht unüblich,
dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass
eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen
gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als an der Vergewaltigung
schuldig angesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern
ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014). Die Täter werden oft nicht
bestraft (openDemocracy 7.8.2020).
Es ist in Tschetschenien üblich, die Ehe auf muslimische Art – durch einen Imam – zu schließen.
Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem
Standesbeamten geschlossen noch registriert ist. Nach russischem Recht wird sie erst nach der