TE OGH 2022/1/7 4Nc37/21k

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Veröffentlicht am 07.01.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen A* D*, geboren am * 2006, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Gmünd in Niederösterreich vom 8. November 2021, GZ 8 Ps 84/21f-33, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Dornbirn wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

Text

Begründung:

[1]       Die Tante der fünfzehnjährigen Minderjährigen beantragte am 28. 7. 2021, die Obsorge für diese an sie zu übertragen. Die Mutter, welche unsteten Aufenthalts sei und deren Psychosen der Minderjährigen bereits ein Schuljahr gekostet hätten, gefährde die Entwicklung und vor allem die schulische Ausbildung der Minderjährigen. Zuletzt habe die Mutter geäußert, mit den Kindern zu einer Kommune nach Costa Rica auswandern zu wollen.

[2]       Das von der Tante adressierte Bezirksgericht Dornbirn erklärte sich für unzuständig, weil die Minderjährige im Sprengel des Bezirksgerichts Gmünd in Niederösterreich (zwar nicht wohnhaft, aber) gemeldet sei, und überwies den Antrag mit Beschluss vom 29. 7. 2021 an dieses.

[3]            Aufgrund der inzwischen erfolgten Ummeldung der Minderjährigen an die Adresse der Tante in Dornbirn (und aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse) nahm das Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich mit Beschluss vom 23. 8. 2021 die Rücküberweisung an das Bezirksgericht Dornbirn vor. Dieses lehnte die Übernahme neuerlich ab, weil die Minderjährige erst seit 23. 8. 2021 in Dornbirn „polizeilich gemeldet“ sei. Eine Beständigkeit des Aufenthalts in Dornbirn sei daher nicht gegeben.

[4]       Mit Beschluss vom 30. 9. 2021 entzog das Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich der Mutter vorläufig die Obsorge und übertrug sie an die Tante und deren Ehemann, bei denen die Minderjährige seit dem Sommer 2021 lebt.

[5]       Mit Beschluss vom 8. 11. 2021 übertrug das Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich die Pflegschaftssache neuerlich an das Bezirksgericht Dornbirn, weil sich das Kind ständig in Dornbirn aufhalte.

[6]            Das Bezirksgericht Dornbirn verweigert jedoch wieder die Übernahme, dieses Mal wegen offener Anträge und weil das übertragende Gericht durch unmittelbare Einvernahme der Minderjährigen bereits einen Eindruck von dieser gewonnen habe.

[7]       Das Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich stellte daraufhin seinen Übertragungsbeschluss den Parteien zu – die ihn unbekämpft ließen – und legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Genehmigung der Übertragung nach § 111 Abs 2 JN vor. Sowohl die Minderjährige als auch die vorläufig Obsorgeberechtigten lebten in Dornbirn; im Sprengel des übertragenden Gerichts lebe keiner der Beteiligten. Die Mutter sei unsteten Aufenthalts. Die Einvernahme der Minderjährigen sei im Wege der Videokonferenz (über das Bezirksgericht Dornbirn) erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

[8]       Die vom Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich verfügte Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Dornbirn ist gerechtfertigt.

[9]       Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[10]     Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung; im Allgemeinen ist daher das Gericht am besten geeignet, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (8 Ob 115/12p mwN).

[11]     Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RS0046895; RS0047027 [T8]; RS0047074; RS0046929; RS0049144), sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist, etwa weil dieses zur Erledigung effizienter geeignet wäre (Fucik in Fasching/Konecny³ § 111 JN Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 111 JN Rz 16; Mayr in Rechberger, ZPO4 § 111 JN Rz 4).

[12]           Im vorliegenden Fall leben weder die Minderjährige noch die vorläufig Obsorgeberechtigten, die Mutter oder der Vater im Sprengel des übertragenden Gerichts, und zwar seit Beginn des Verfahrens. Vielmehr lebt die Minderjährige seit dem Sommer 2021 bei ihrer Tante und ihrem Onkel in Dornbirn; die Mutter ist wechselnden Aufenthalts, und zwar an Orten, die ebenfalls nicht im Sprengel des übertragenden Gerichts liegen. Zum übertragenden Gericht findet sich daher, mit Ausnahme eines zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens bereits aufgegebenen früheren Wohnsitzes, keinerlei Anknüpfungspunkt.

[13]       Die vor der endgültigen Obsorgeentscheidung noch durchzuführenden Erhebungen können somit einfacher und zweckmäßiger vom Wohnsitzgericht der Minderjährigen, somit vom Bezirksgericht Dornbirn, gepflogen werden. Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Dornbirn entspricht daher dem Kindeswohl. Der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Gmünd in Niederösterreich ist somit zu genehmigen.

Textnummer

E133728

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0040NC00037.21K.0107.000

Im RIS seit

08.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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